Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 II 262



98 II 262

37. Urteil der II. Zivilabteilung vom 15. Dezember 1972 i.S. A. gegen H.
Regeste

    Vaterschaftsklage. Der positive Nachweis der Vaterschaft ist mit Hilfe
naturwissenschaftlicher Gutachten, namentlich auch einem serostatistischen
Gutachten nach ESSEN-MöLLER möglich. Übersteigt die nach ESSEN-MÖLLER
bestimmte Wahrscheinlichkeit der Vaterschaft des Beklagten 97%, so liegt es
im Ermessen des Richters, die anthropologisch-erbbiologische Begutachtung,
mit welcher der Beklagte seine Nichtvaterschaft beweisen möchte, anzuordnen
oder abzulehnen.

Sachverhalt

    A.- Von H. mit der Vaterschaftsklage auf Vermögensleistungen belangt,
gab A. zu, der Mutter in der vom 4. Oktober 1962 bis zum 1. Februar 1963
dauernden kritischen Zeit beigewohnt zu haben. Erwiesenermassen unterhielt
die Kindsmutter im Oktober und November 1962 jedoch noch zu andern Männern
geschlechtliche Beziehungen. Die Vaterschaft von A. konnte durch eine
Blutuntersuchung nicht ausgeschlossen werden. Nach dem biostatistischen
Ergänzungsgutachten des Gerichtlich Medizinischen Instituts der Universität
Zürich ergab sich nach Essen-Möller eine Wahrscheinlichkeit von 97-98% für
die Vaterschaft von A. Das Amtsgericht Solothurn-Lebern und das Obergericht
des Kantons Solothurn nahmen gestützt auf das bundesgerichtliche Urteil
97 II 200 an, die Vaterschaft des Beklagten sei mit genügend hoher
Wahrscheinlichkeit nachgewiesen. Sie hiessen deshalb die Klage gut, ohne
das vom Beklagten beantragte anthropologisch-erbbiologische Gutachten
(AEG) einzuholen.

    B.- Gegen das Urteil des Obergerichtes hat der Beklagte Berufung
an das Bundesgericht erklärt. Er beantragt, das angefochtene Urteil
sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass er nicht der Vater der
Klägerin sei. Zur Begründung führt er an, im Falle von Art. 314 Abs. 2
ZGB habe die Kindsmutter den Beweis zu erbringen, dass keiner der Männer,
mit denen sie ausser dem Vaterschaftsbeklagten auch noch Verkehr gehabt
habe, der Vater des Kindes sein könne, wobei an den Ausschluss Dritter
die gleich strengen Anforderungen zu stellen seien wie für den Ausschluss
des Vaterschaftsbeklagten, dessen Vaterschaft nach Art. 314 Abs. 1 ZGB
zu vermuten sei. Dieser Beweis sei in keiner Weise erbracht worden. Die
Klage hätte aber nicht bloss deshalb, sondern auch gestützt auf Art. 315
ZGB abgewiesen werden müssen, da die Kindsmutter zur Zeit der Empfängnis
einen unzüchtigen Lebenswandel geführt habe.

Auszug aus den Erwägungen:

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes (BGE 70 II 74; 87
II 69/70; 89 II 276 Erw. 2; 90 II 272 Erw. 2 und 91 II 162 ff.) kann die
Klägerschaft in einem Vaterschaftsprozess versuchen, den positiven Nachweis
der Vaterschaft des Beklagten mit Hilfe naturwissenschaftlicher Methoden
zu erbringen, wenn sie eine Beiwohnung nicht gemäss Art. 314 Abs. 1 ZGB
nachzuweisen vermag, oder wenn die aus einer solchen Beiwohnung sich
ergebende Rechtsvermutung durch den Nachweis von Mehrverkehr (Art. 314
Abs. 2 ZGB) oder unzüchtigen Lebenswandels (Art. 315 ZGB) entkräftet wird.

Erwägung 2

    2.- Das Bundesgericht hat bereits anerkannt, dass der positive Nachweis
der Vaterschaft durch eine biostatistische Untersuchung nach Essen-Möller
möglich ist (vgl. BGE 96 II 314 ff, insb. Erw. 5). Zur Abklärung der
Frage, ob ein derart erfolgter Nachweis durch das Beweismittel des
AEG entkräftet werden könne, hat das Bundesgericht in dem in BGE 97
II 193 wiedergegebenen Falle ein Grundsatzgutachten bei Prof. Ritter,
Direktor des Instituts für Anthropologie und Humangenetik der Universität
Tübingen, eingeholt. Gestützt auf dieses Gutachten hat es in BGE 97 II
200 ausgeführt:

    "Die Fehlermöglichkeiten, die nach dem Gutachten verbleiben,
wenn der Essen-Möller-Wert 97% übersteigt, liegen im Bereich der
Fehlermöglichkeiten, die das Bundesgericht bei der naturwissenschaftlichen
Abklärung von Abstammungsfragen in Kauf zu nehmen pflegt. ... Daher
lässt sich die Auffassung vertreten, bei einem solchen Essen-Möller-Wert
sei die Vaterschaft des Beklagten als mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit erwiesen zu betrachten. ..."

    Das Bundesgericht hat sich seither in mehreren Entscheiden an diese
grundsätzlichen Ausführungen gehalten. Im zitierten Urteil (BGE 97 II 193
ff) hat es bei einem Essen-Möller-Wert von 94-95% und im nicht publizierten
Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. November 1971 i.S. Sch. c. W. bei
einem Essen-Möller-Wert von 80-90% die Einholung eines AEG angeordnet; in
den nicht publizierten Urteilen der II. Zivilabteilung vom 12. November
1971 i.S. F. c. G. und vom 13. Dezember 1971 i.S. M. c. M. hat es bei
Essen-Möller-Werten von 99,6-99,7 bzw. von 99-99,1% den Beklagten zur
Beweisführung durch ein AEG nicht zugelassen. Ob der Beklagte Anspruch
auf Einholung eines AEG habe, falls der Essen-Möller-Wert 97-98% beträgt,
hatte das Bundesgericht bisher nicht zu entscheiden. Wie dem Zitat zu
entnehmen ist, erachtet es das Bundesgericht jedoch als zulässig, die
Vaterschaft des Beklagten bei einem Essen-Möller-Wert, der 97% übersteigt,
als mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwiesen zu betrachten.

Erwägung 3

    3.- Im vorliegenden Fall beträgt die nach der Essen-Möller'schen
Methode bestimmte Wahrscheinlichkeit der Vaterschaft des Beklagten
gemäss dem biostatistischen Ergänzungsgutachten 97-98%. Umstände, die
Zweifel an der Richtigkeit des Gutachtens begründen könnten, liegen
nicht vor. Mehrverkehr und allfälliger unzüchtiger Lebenswandel der
Kindsmutter während der Empfängniszeit vermögen an diesem Ergebnis nichts
zu ändern. Es lag demnach im Ermessen der Vorinstanz, die Durchführung
eines AEG anzuordnen oder abzulehnen. Die Vorinstanz hat die Vaterschaft
des Beklagten gestützt auf die Ausführungen des Bundesgerichtes in BGE 97
II 200 als erwiesen erachtet und von der Einholung eines AEG abgesehen. Sie
hat dadurch das Bundesrecht nicht verletzt. Infolgedessen erweist sich
die Berufung des Beklagten als offensichtlich unbegründet.