Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 II 250



98 II 250

35. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 2. Mai 1972 i.S. Albaco
Oil Company gegen Mabanaft

SA Regeste

    Revision, Art. 137 lit. b OG.

    1.  Eine Tatsache ist nicht neu, wenn sie bereits im früheren Verfahren
behauptet, über sie aber aus irgendwelchen Gründen nicht Beweis geführt
worden ist.

    2.  Die Revision ist diesfalls nur zulässig, wenn der Behauptende
auf die Beweisführung verzichtete, weil ihm die Beweismittel fehltenoder
der Beweis mit den angerufenen Mitteln nicht hätte erbracht werden können
(Erw. 2).

    3.  Wer ein Revisionsgesuch auf neue Tatsachen oder Beweismittel
gründet, muss dartun, dass er sich nicht schon im früheren Verfahren auf
sie berufen konnte (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Die Albaco Oil Company in Zürich verkaufte der Mabanaft SA in
Antwerpen am 29. Dezember 1964 unter der CIF-Klausel 19'000 t in den Raum
Antwerpen/Hamburg zu lieferndes Diesel-Gasöl aus Bahrein, wobei sie der
Käuferin versprach, die Texaco Export Inc., Lieferantin der Verkäuferin,
werde die Gefahren des Seetransportes decken.

    Die Mabanaft SA schloss durch Vermittlung der Firma Max Gayen &
Berns in Hamburg bei der Allianz-Versicherungs- AG eine sogenannte
CIF-Schutz-Versicherung ab.

    Nachdem das Öl am 17. Februar 1965 in Antwerpen angekommen war,
stellte sich heraus, dass es durch Meerwasser verunreinigt war. Das
Handelsgericht des Kantons Zürich verurteilte daher die Albaco Oil Company
am 16. September 1969 in Anwendung des Art. 205 Abs. 1 OR, der Mabanaft
SA den Minderwert der Ware im Betrage von Fr. 62'452.10 nebst 5% Zins
seit 28. Dezember 1965 zu ersetzen. Das Bundesgericht bestätigte dieses
Urteil am 17. Juni 1970.

    B.- Mit Revisionsgesuch vom 29. Februar 1972 beantragt die Albaco Oil
Company dem Bundesgericht, sein Urteil aufzuheben und die Mabanaft SA zu
verpflichten, der Gesuchstellerin die zugesprochenen Fr. 62'452.10 nebst
5% Zins vom 28. Dezember 1965 bis 17. Juni 1970 zurückzuerstatten und die
Verfahrenskosten zu ersetzen, d.h. insgesamt Fr. 92'294.-- zu zahlen,
nebst 5% Zins seit 18. Juni 1970.

    Die Gesuchstellerin macht im wesentlichen geltend, die Gesuchsgegnerin
habe in der Klageschrift vorgebracht, die Allianz-Versicherungs-AG habe
ihr, der Gesuchsgegnerin, die Deckung des Risikos des Käufers aus der
CIF-Klausel nur als Zweitversicherer und subsidiär zugesagt, was bedeute,
dass der Käufer der Ware kraft der Versicherungsbedingungen verpflichtet
bleibe, den Erstversicherer für die auf dem Transport eingetretenen
Schäden in Anspruch zu nehmen. Die Gesuchstellerin will dieses Anbringen
dahin verstanden haben, es sei der Gesuchsgegnerin misslungen, von der
Allianz-Versicherungs-AG Ersatz des Schadens zu erhalten. Sie will dennoch
in der Referenten-Audienz vom 25. Oktober 1967 die blosse Subsidiarität der
betreffenden Versicherung bestritten und die Vorlegung der zwischen der
Gesuchsgegnerin und der Allianz-Versicherungs-AG gewechselten Schreiben
beantragt haben. Sie führt aus, die Gesuchsgegnerin habe auf das hin
die Bestimmungen über die CIF-Schutzklausel zu den Akten gegeben. Die
Gesuchstellerin ihrerseits habe in der Hauptverhandlung vom 14. November
1967 nochmals auf ihren Antrag auf Edition der Unterlagen über die
Auseinandersetzung zwischen der Gesuchsgegnerin und den beteiligten
Versicherungsgesellschaften hingewiesen. Die Gesuchsgegnerin habe aber
darauf beharrt, der CIF-Schutz-Versicherer hafte nur subsidiär und
die Verhandlungen mit Max Gayen & Berns hätten ergeben, dass primär die
Gesuchstellerin und die Texaco Export Inc. in Anspruch zu nehmen seien. Die
Gesuchstellerin habe daher keinen Anlass mehr gehabt, auf ihrem Antrag
auf Herausgabe der gewechselten Briefe zu beharren. Am 27. April und
26. Mai 1971, also nach der Verurteilung durch das Handelsgericht und
das Bundesgericht, habe sie dann Max Gayen & Berns um Auskunft ersucht,
ob die Gesuchsgegnerin seinerzeit gegen sie wegen Verunreinigung des Öls
eine Forderung gestellt habe und wie die weitere Abwicklung erfolgt sei. Am
29. November 1971 habe die Firma Max Gayen & Berns geantwortet, die CIF-
Schutz-Versicherer hätten unter Führung der Allianz-Versicherungs-AG
eine Entschädigung von $16'O17.73 geleistet. Diese Tatsache sei neu und
erheblich im Sinne von Art. 137 lit. b OG. Die Gesuchstellerin habe die
Tatsache der Zahlung im früheren Verfahren nicht beibringen können,
denn nach den wiederholten Ausführungen der Gesuchsgegnerin über die
Subsidiarität der CIF-Schutz-Versicherung habe die Gesuchstellerin annehmen
dürfen, diese Versicherung sei subsidiärer Natur. Das Bundesgericht
weist das Revisionsgesuch ab.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Gesuchstellerin bringt vor, sie habe die erfolgte Zahlung
des CIF-Schutz-Versicherers "im Prozess behauptet - zumal in Umrissen,
was durchaus genügt, da die Gesuchstellerin über diesen Punkt keine nähere
Kenntnisse haben konnte", und "sie hätte darauf bestanden, das Gegenteil
von der Gesuchs. gegnerin beweisen zu lassen, wenn sie nicht irregeführt
worden wäre".

    Daraus ergibt sich, dass die Behauptung, die Gesuchsgegnerin sei vom
CIF-Schutz-Versicherer befriedigt worden, nach der eigenen Auffassung
der Gesuchstellerin schon im Prozess aufgestellt wurde. Der behaupteten
Tatsache fehlt somit das Merkmal der Neuheit im Sinne von Art. 137 lit. b
OG. Eine Tatsache ist nicht schon dann neu, wenn über sie, obschon sie im
Prozesse vorgetragen war, aus irgendwelchen Gründen nicht Beweis geführt
wurde, z.B. weil das Gericht sie nicht für erheblich hielt oder weil
die behauptende Partei keinen Beweisantrag stellte oder den gestellten
Beweisantrag im Verlaufe des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend
fallen liess. Das Revisionsverfahren ist nicht gegeben, um die Frage der
Erheblichkeit einer Behauptung, die das Gericht als unerheblich behandelte
und über die es daher nicht Beweis erhob, erneut aufzuwerfen. Es ist
auch nicht zulässig, um Beweisanträge, die der Behauptende zu stellen
unterliess oder zurückzog, nachzuholen. Eine Ausnahme ist zu machen,
wenn der Behauptende auf die Beweisführung verzichtete, weil ihm die
Beweismittel fehlten oder der Beweis mit den angerufenen Mitteln nicht
hätte erbracht werden können. Findet er nachträglich entscheidende
Beweismittel auf, die er im früheren Verfahren nicht beibringen konnte,
so ist die Revision zulässig, aber nicht deshalb, weil die behauptete
Tatsache neu wäre, sondern weil das nachträgliche Auffinden entscheidender
Beweismittel, die im früheren Verfahren nicht beigebracht werden konnten,
gemäss Art. 137 lit. b OG einen besonderen Revisionsgrund bildet.

    Die Gesuchstellerin behauptet nicht, sie habe den im Prozess wiederholt
gestellten Antrag auf Edition der Urkunden über die Auseinandersetzung
zwischen der Gesuchsgegnerin und dem CIF-Schutz-Versicherer deshalb
stillschweigend fallen lassen, weil sie nicht beweiskräftig gewesen
wären. Im Revisionsgesuch beantragt sie im Gegenteil erneut "Edition der
Belege über die erfolgte Zahlung der Allianz-Versicherungs-Gesellschaft
durch die Gesuchsgegnerin". Damit gibt sie selber zu, dass der Beweis der
Zahlung mit den betreffenden Urkunden hätte erbracht werden können. Der
Revisionsgrund des nachträglichen Auffindens entscheidender Beweismittel
ist somit nicht erfüllt. Die Gesuchstellerin ruft ihn übrigens auch nicht
an. Sie glaubt nur, die Zahlung der Allianz-Versicherungs-AG vom Dezember
1965 sei eine neue erhebliche Tatsache. Eine solche liegt jedoch, weil
sie schon im Prozess behauptet war, nicht vor. Dass die Gesuchstellerin
schliesslich unter dem Eindruck der Anbringen der Gesuchsgegnerin
nicht mehr an die Richtigkeit ihrer eigenen Behauptung geglaubt haben
will, ändert nichts. Das Revisionsgesuch ist daher abzuweisen, ohne
dass entschieden zu werden braucht, ob die behauptete Zahlung der
Allianz-Versicherungs-AG rechtserheblich ist, d.h. zur Abweisung der
Klage hätte führen müssen.

Erwägung 3

    3.- Das Revisionsgesuch muss übrigens auch abgewiesen werden,
weil die Gesuchstellerin vorbringt, die Gesuchsgegnerin habe gemäss
Protokoll des Handelsgerichtes S. 4 "die entsprechenden Bestimmungen
über die CIF-Schutzklausel zu den Akten gegeben". Dass es sich um
andere Bestimmungen gehandelt habe als um die in der Beilage 15 zum
Revisionsgesuch abgedruckten, behauptet sie nicht. Die Gesuchstellerin
musste also schon im Prozess vor dem Handelsgericht wissen, dass der
CIF-Schutz-Versicherer gemäss Ziffer 3 dieser Bestimmungen im Falle von
Beschädigung des Gutes "den Schaden so zu bezahlen hatte, als ob die auf
Grund des CIF-Kaufvertrages anderweitig abgeschlossene Versicherung nicht
bestünde". Was sie heute aus dieser Ziffer 3 ableitet, nämlich dass die
Allianz-Versicherungs-AG in Wirklichkeit "primär" zur Deckung des Schadens
verpflichtet gewesen sei und dass die Gesuchsgegnerin durch die Behauptung
bloss subsidiärer Deckungspflicht des CIF-Schutz-Versicherers die
Gesuchstellerin irregeführt und dadurch zum Verzicht auf die Edition der
gewechselten Briefe bewogen habe, hätte sie sich schon im Prozesse sagen
können. Schon damals hätte sie deshalb auf ihrem Editionsbegehren beharren
sollen, um abzuklären, ob die Allianz-Versicherungs-AG die Gesuchsgegnerin
entsprechend Ziffer 3 der CIF-Schutzklausel wirklich befriedigt habe. Es
ist nicht zu verstehen, weshalb sie das nicht getan hat, wenn sie aus
der Zahlung dieser Versicherungsgesellschaft ableiten wollte, die Klage
sei abzuweisen. Auch hätte sie die Auskünfte, die sie im Dezember 1971
von Max Gayen & Berns erhielt, schon während des Prozesses einholen
und dem Gerichte unterbreiten können. Was sie heute als neue Tatsache
ausgibt, bildet deshalb keinen Revisionsgrund. Wer ein Revisionsgesuch
auf neue Tatsachen (oder Beweismittel) gründet, muss dartun, dass er sie
"im früheren Verfahren nicht beibringen konnte" (Art. 137 lit. b OG),
d.h. dass es ihm trotz aller Umsicht nicht möglich war, sich schon im
früheren Verfahren auf sie zu berufen. Diese Voraussetzung ist nicht schon
erfüllt, wenn der Gesuchsteller die Tatsache im früheren Verfahren noch
nicht kannte (oder damals noch nicht wusste, dass er einen bestimmten
Sachverhalt mit dem betreffenden Mittel beweisen könne). Nur wenn das
Nichtkennen entschuldigt werden kann, ist die Revision zulässig (BGE 76
I 136 Erw. 3 und nicht veröffentlichtes Urteil der I. Zivilabteilung vom
20. Dezember 1957 i.S. Billeter c. Walder Erw. 2). Im vorliegenden Falle
fehlt ein Entschuldigungsgrund.

Entscheid: