Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 II 205



98 II 205

31. Urteil der I. Zivilabteilung vom 3. Oktober 1972 i.S. Honold gegen
Zangger. Regeste

    Gesamtarbeitsverträge.

    1.  Art. 7 und 13 BG über die Allgemeinverbindlicherklärung von
Gesamtarbeitsverträgen. Allgemeinverbindlich erklärte Gesamtarbeitsverträge
enthalten auch für Aussenseiter Bundesprivatrecht, gleichviel ob die
Allgemeinverbindlichkeit vom Bundesrat oder von der kantonalen Behörde
angeordnet wird (Erw. 1).

    2.  Buffet- und Ladentöchter gehören nicht zu den
bedienungsgeldberechtigten Arbeitnehmern im Sinne von Art. 29 Abs. 1 des
Gesamtarbeitsvertrages für das Gastgewerbe des Kantons Zürich (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Fritz Honold führt am Rennweg in Zürich ein Kaffee- oder Teehaus
(Tea-Room), dem im Erdgeschoss eine Konfiserie angeschlossen ist. Er
beschäftigt Servier-, Laden- und Buffettöchter. Die Serviertöchter bedienen
die Gäste im Erdgeschoss und im ersten Stock mit Getränken. Will der Gast
dazu Gebäck geniessen, so muss er es im Laden oder am Buffet holen. Er
hat den Preis aber nicht dort, sondern am Tisch, zusammen mit demjenigen
für das Getränk, der Serviertochter zu entrichten. Diese nimmt dabei
im Durchschnitt - und meistens auf beide Preise - 15% Bedienungsgeld
ein. Honold will angeblich die Serviertöchter auch für das Gebäck
einkassieren lassen, um Stauungen im Laden und vor dem Buffet zu vermeiden.

    Die Serviertöchter haben die Bedienungsgelder, die sie auf Getränken
und Gebäck einnehmen, auf Weisung Honolds in eine Sammelkasse zu legen. Zur
Hälfte werden diese Einnahmen dann unter sie verteilt, während die
andere Hälfte von Honold zur Entlöhnung der Laden- und Buffettöchter
verwendet wird.

    B.- Elisabeth Zangger war vom 15. März 1966 bis anfangs 1970
Serviertochter bei Honold. Am 24. Oktober 1969 erlitt sie einen
arbeitsbedingten Unfall und wurde für einige Wochen

    arbeitsunfähig. Nachher entstand zwischen ihr und Honold Streit
über ihre Ansprüche aus dem Unfall und ihrer Tätigkeit. Sie vertrat
die Auffassung, nach dem Gesamtarbeitsvertrag für das Gastgewerbe des
Kantons Zürich vom 22. August 1966 habe sie das Bedienungsgeld nicht
mit den Laden- und Buffettöchtern zu teilen, da diese nicht zu den
bedienungsgeldberechtigten Arbeitnehmern im Sinne von Art. 29 Abs. 1
des Vertrages gehörten. Honold habe ihr daher die Hälfte des Trinkgeldes
vorenthalten, und die Tagesentschädigung für die Ferien und den Unfall
müsse verdoppelt werden.

    Im Dezember 1970 klagte sie gegen Honold auf Zahlung von Fr. 13'024.--
nebst 5% Zins seit 25. Juli 1970. Honold anerkannte einen Betrag von Fr.
1055. Im Verfahren einigte er sich mit der Klägerin ferner dahin, dass
sie Fr. 10'330.-- erhalten sollte, falls sie Anspruch auf das ganze
Trinkgeld habe; wenn er dagegen die Hälfte für die Entlöhnung der Laden-
und Buffettöchter verwenden durfte, sollte sie bloss Fr. 610.-- erhalten.

    Das Bezirksgericht Zürich und auf Appellation hin am 17. März 1972
auch das Obergericht des Kantons Zürich hielten den Anspruch der Klägerin
auf das gesamte von ihr eingenommene Bedienungsgeld für begründet. Sie
verurteilten deshalb den Beklagten, der Klägerin nebst dem anerkannten
Betrag noch Fr. 9275.-- sowie 5% Zins seit 25. Juli 1970 zu bezahlen.

    C.- Der Beklagte hat gegen das Urteil des Obergerichts die Berufung
erklärt. Er beantragt, es aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit
sie den Betrag von Fr. 1055.-- übersteige.

    Die Klägerin beantragt, auf die Berufung nicht einzutreten oder sie
abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Klägerin hält die Berufung für unzulässig, weil sich ihre
Forderung auf Art. 29 Abs. 1 des Gesamtarbeitsvertrages (GAV) für
das Gastgewerbe des Kantons Zürich und Art. 107 Abs. 2 des zürch.
Wirtschaftsgesetzes, also auf kantonales Recht stütze. Dass der
Regierungsrat den GAV am 2. Februar 1967 allgemeinverbindlich erklärt und
der Bundesrat die Allgemeinverbindlichkeit am 14. März 1967 genehmigt habe,
mache die Sache nicht berufungsfähig.

    Regeln über Gesamtarbeitsverträge waren bereits in der Fassung des OR
von 1911 enthalten (Art. 322 und 323). Diese Bestimmungen beschränkten die
Geltung der Verträge jedoch auf die Vertragsparteien und die Mitglieder
der vertragsschliessenden Verbände. Die Folge davon war, dass der mit
den Gesamtarbeitsverträgen verfolgte Zweck, die Arbeitsbedingungen und
Konkurrenzverhältnisse in den grossen Berufs- oder Wirtschaftszweigen zu
vereinheitlichen, nur teilweise erreicht werden konnte. Die Behörden
wurden daher zunächst durch Bundesbeschlüsse vom 1. Oktober 1941
und 23. Juni 1943 (AS 1941 S. 1106 ff. und 1943 S. 855 ff) und dann
durch das Bundesgesetz über die Allgemeinverbindlicherklärung von
Gesamtarbeitsverträgen vom 28. September 1956 (abgekürzt BAG; AS
1956 S. 1543 ff.) ermächtigt, den Geltungsbereich solcher Verträge
unter bestimmten Voraussetzungen auf alle Angehörigen eines Berufes
oder Wirtschaftszweiges auszudehnen. Die Entstehungsgeschichte dieser
Sondererlasse zeigt, dass der Bundesgesetzgeber eine öffentlichrechtliche
Ausgestaltung der Allgemeinverbindlichkeit ausdrücklich abgelehnt hat. Wo
es zweckmässig ist, Gesamtarbeitsverträge allgemeinverbindlich zu erklären,
sollen deren Bestimmungen vielmehr auch auf Aussenseiter angewendet
werden, ohne dass dadurch an der privatrechtlichen Wirkung auf die
beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer etwas geändert wird. Ansprüche
aus Gesamtarbeitsverträgen geltend zu machen, ist nicht Sache einer
Behörde, sondern den Beteiligten anheimgestellt und der Entscheid über
streitige Ansprüche ist, wie in allen privatrechtlichen Angelegenheiten,
dem Zivilrichter vorbehalten (vgl. BBl 1941 S. 329/30, 1943 S. 225,
1954 I S. 129/30 und 148/49).

    Allgemeinverbindlich erklärte Gesamtarbeitsverträge als Privatrecht zu
behandeln, ist auch sachlich gerechtfertigt. Das Rechtsverhältnis zwischen
Arbeitgeber und Arbeitnehmer, das durch solche Verträge geregelt wird,
ist zivilrechtlicher Natur. Freilich schaffen Gesamtarbeitsverträge nicht
nur Rechtsbeziehungen zwischen den vertragsschliessenden Parteien, sondern
stellen vor allem Vorschriften auf, die wie gesetzliche Bestimmungen
unmittelbar für die beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer gelten. Die
Befugnis der Beteiligten, durch den Abschluss von Gesamtarbeitsverträgen
Rechtsnormen zu schaffen, beruht jedoch auf den Art. 322 und 323
OR, also auf Privatrecht (vgl. BBl 1954 I S. 130 f.). Richtig ist
ferner, dass die Allgemeinverbindlicherklärung ein Verwaltungsakt
ist und daher dem öffentlichen Recht angehört. Die Bestimmungen eines
Gesamtarbeitsvertrages werden dadurch jedoch nicht in öffentlichrechtliche
Vorschriften umgewandelt, noch werden die Verwaltungsbehörden ermächtigt,
die Einhaltung der Bestimmungen von Amtes wegen zu kontrollieren und gegen
deren Verletzung mit den Mitteln des Verwaltungszwanges vorzugehen. Es
handelt sich vielmehr um eine besondere Art der Rechtsetzung, durch die
von den Beteiligten selbst geschaffenes Berufsrecht bei Vorliegen der
gesetzlichen Voraussetzungen auf alle Angehörigen einer Berufsgruppe
oder eines Gewerbes ausgedehnt wird (vgl. BBl 1941 S. 327 und 331, 1954
I S. 143 und 148). Allgemeinverbindlich erklärte Gesamtarbeitsverträge
enthalten daher auch für Aussenseiter nicht öffentliches, sondern
objektives Zivilrecht.

    Nach Art. 7 BAG ist die Allgemeinverbindlichkeit vom Bundesrat
anzuordnen, wenn sich ihr Geltungsbereich auf das Gebiet mehrerer Kantone
erstreckt (Abs. 1). Beschränkt sich der Geltungsbereich dagegen auf das
Gebiet eines Kantons oder auf einen Teil desselben, so ist sie von der
kantonalen Behörde anzuordnen (Abs. 2). In dieser Befugnis des Kantons
ist kein Einbruch in die Zivilrechtshoheit des Bundes zu erblicken, noch
wird der Inhalt eines Gesamtarbeitsvertrages zu kantonalem Recht, wenn ein
Kanton ihn für sein Gebiet allgemeinverbindlich erklärt. Auch diesfalls
entsteht eidgenössisches Recht, denn der Rechtsetzungsentscheid des Kantons
stützt sich auf Bundesrecht, unterliegt der Überprüfung des Bundesrates
und ist nur gültig, wenn er von diesem genehmigt wird (Art. 13 BAG).

    Auf die Berufung des Beklagten, der Verletzung von Bundesrecht geltend
macht, ist daher einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 29 Abs. 1 des GAV für das Gastgewerbe des Kantons
Zürich sind die Bedienungsgelder "ausschliesslich Eigentum der
bedienungsgeldberechtigten Arbeitnehmer". Die Forderung der Klägerin
hängt somit davon ab, ob nur die Serviertöchter Honolds oder auch die
Ladentöchter im Erdgeschoss und die Buffettöchter im ersten Stock am
Bedienungsgeld Anteil haben.

    Die kantonalen Instanzen haben die Streitfrage auf dem Umweg über
Art. 29 Abs. 2 des GAV zu lösen versucht, wonach für die Verteilung der
Bedienungsgelder sinngemäss die Vorschriften des Gesamtarbeitsvertrages
betreffend die Bedienungsgelder im schweizerischen Beherbergungsgewerbe
(Bedienungsgeldordnung; BBl 1962 I 851 ff.) gelten. Diese Ordnung
führt im vorliegenden Fall jedoch zu keiner Lösung. Sie gilt nur für
Beherbergungsbetriebe, und zwar für solche mit mehr als zehn Gastbetten (§
1 Abs. 1). Auf Gastwirtschaften, die zusammen mit Beherbergungsbetrieben
geführt werden, ist sie nicht anwendbar (§ 1 Abs. 2 lit. a); umsoweniger
kann sie auf reine Gastwirtschaften oder auf solche, die wie hier mit
einem Verkaufsladen verbunden sind, zugeschnitten sein. Wie wenig sie auf
Gastwirtschaften passt, geht auch aus den in ihrem Anhang enthaltenen
Weisungen über die Verteilung der Bedienungsgelder hervor, denn im
dort aufgestellten Verteiler wird nur das Hallen-, das Saal- und das
Etagenpersonal aufgezählt. Welchen Angestellten innerhalb dieser Gruppen
die Laden- und Buffettöchter durch Analogieschluss gleichgestellt werden
könnten, ist nicht zu ersehen.

    Entscheidend ist dagegen, dass Art. 13 Abs. 1 des GAV für das zürch.
Gastegewerbe bei der Regelung der Arbeitszeit ausdrücklich zwischen dem
"Bedienungspersonal, das dem Gesamtarbeitsvertrag über die Bedienungsgelder
in Beherbergungsbetrieben unterstellt ist" (lit. d), und dem "übrigen
Bedienungspersonal" (lit. e) unterscheidet. Damit ist klar gesagt, dass
es Personal gibt, das zwar den Namen "Bedienungspersonal" verdient, aber
dennoch der Bedienungsgeldordnung nicht untersteht. Dazu kommt, dass der
die Kündigungsfristen regelnde Art. 5 Abs. 1 lit. a des GAV für das zürch.
Gastgewerbe unter anderem auch den Begriff der Buffetdame kennt, der
in der Bedienungsgeldordnung nicht vorkommt. Nach diesen Unterschieden
müssen die Buffetdamen und durch Analogieschluss auch die Ladentöchter
zu jenem Bedienungspersonal gezählt werden, das an den Bedienungsgeldern
nicht teilhat.

    Die Laden- und Buffettöchter beschränken sich bei Gästen darauf,
ihnen das Gebäck samt Besteck auf einem Teller bereitzustellen und den
Kassenzettel auszuhändigen. Ihre Tätigkeit unterscheidet sich nur wenig
vom Verkauf über die Gasse. Diesfalls haben die Laden- und Buffettöchter
eher mehr Arbeit zu leisten als beim Dienst am Gast, da sie das Gebäck
einpacken und den Preis einkassieren müssen, ohne aber Anspruch auf ein
Bedienungsgeld zu haben. Für die Bedienung dürften diese Angestellten auch
vom Gast nichts verlangen, wenn ihm gestattet wäre, das Gebäck im Laden
oder am Buffet zu bezahlen. Das spricht deutlich gegen eine Berechtigung
an den Bedienungsgeldern, welche die Serviertochter einnimmt. Dass der
Beklagte den Gast angeblich zur Vermeidung von Stauungen im Laden und vor
dem Buffet anweisen lässt, auch das Gebäck der Serviertochter zu bezahlen,
hilft darüber nicht hinweg. Die Laden- und Buffettöchter werden dadurch
nicht zu bedienungsgeldberechtigten Angestellten; berechtigt bleibt auch
dann nur die Serviertochter, die folglich das Trinkgeld nicht mit den
Laden- und Buffettöchtern zu teilen braucht, wenn der Gast bei dessen
Berechnung den Preis des Gebäcks mitberücksichtigt.

Erwägung 3

    3.- Ist der vom Beklagten angewandte Verteiler schon aus diesen
Gründen abzulehnen, so kann offen bleiben, ob der GAV für das Gastgewerbe
des Kantons Zürich für Ladentöchter überhaupt allgemeinverbindlich ist
und ihnen damit Anspruch auf Anteil an den Bedienungsgeldern verleihen
könnte. Es braucht auch nicht geprüft zu werden, ob der Anspruch der
Serviertochter auf das gesamte von ihr eingenommene Bedienungsgeld dadurch
begründet ist, dass sie den Tisch abräumen und reinigen muss. Es genügt,
dass sie zu den bedienungsgeldberechtigten Arbeitnehmern gehört und dass
sie vom Gast meistens auch auf das Gebäck ein Trinkgeld erhält, obschon
er die Essware am Buffet oder im Laden holen muss. Zu seinen Gunsten
kann der Beklagte daraus nichts ableiten, gleichviel ob er die Übung
aus betrieblichen Gründen begünstigt oder aus finanziellen Überlegungen
veranlasst habe.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil der II. Zivilkammer des
Obergerichts des Kantons Zürich vom 17. März 1972 bestätigt.