Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 II 150



98 II 150

23. Urteil der II. Zivilabteilung vom 5. Mai 1972 i.S. Longoni gegen
v. Heydebrand. Regeste

    Berufung an das Bundesgericht gegen ein Urteil, das eine
Aberkennungsklage wegen Rechtshängigkeit der Streitsache zurückweist.

    Ein Urteil, das eine Klage wegen Rechtshängigkeit zurückweist und
damit das Verfahren abschliesst, ist ein Endentscheid im Sinne von
Art. 48 OG (Bestätigung der Rechtsprechung). An der Auffassung, in der
aus prozessualen Gründen erfolgten Zurückweisung einer Aberkennungsklage
(Art. 83 Abs. 2 SchKG) liege angesichts der Möglichkeit einer spätern
Rückforderungsklage (Art. 86 SchKG) kein Endentscheid, kann nicht
festgehalten werden (Änderung der Rechtsprechung; Erw. 1).

    Verhältnis zwischen Arrestforderungs- und Aberkennungsklage.

    Macht die Hängigkeit einer Arrestforderungsklage (Art. 278 Abs. 2
SchKG) die Erhebung einer Aberkennungsklage mit Bezug auf die gleiche
Forderung unnötig? (Frage offen gelassen; Erw. 2).

    Rechtshängigkeit; Bundesrecht und kantonales Prozessrecht.

    Ob eine Klage wegen Rechtshängigkeit zurückgewiesen werden darf,
beurteilt sich nach der heute noch herrschenden Auffassung unter Vorbehalt
von Art. 22 BZP grundsätzlich nach kantonalem Prozessrecht. Die Frage
der Identität der Ansprüche beurteilt sich dagegen bei bundesrechtlichen
Ansprüchen nach Bundesrecht. Identität einer auf einen Schuldbrief
gestützten Forderung gegen die geschiedene Ehefrau mit einer auf den
gleichen Betrag lautenden Forderung, die der Gläubiger damit begründet,
dass er den Schuldbrief abbezahlt und die geschiedene Ehefrau ihm den
abbezahlten Betrag gemäss Scheidungskonvention zu erstatten habe? (Erw.
3).

Sachverhalt

    A.- Am 7. Februar 1964 kaufte Margaritha v.  Heydebrand-Wüthrich von
Werner Stucki die Liegenschaft Kesslergasse 5 (heute Münstergasse 35)
in Bern. Sie erwarb die Liegenschaft fiduziarisch für ihren Ehemann
Godhard v. Heydebrand. Für den Betrag von Fr. 43'317.--, um den der
Kaufpreis die von der Käuferin übernommenen Hypotheken im 1.-9. Rang
überstieg, wurde zugunsten des Verkäufers ein Schuldbrief im 10. Rang
errichtet. Ende 1964 wurden daran Fr. 5317.-- abbezahlt, Ende 1965, 1966
und 1967 je Fr. 5000.--, insgesamt also Fr. 20'317.--. Anfangs Mai 1968
übergab Stucki den Schuldbrief an Godhard v. Heydebrand, der Stucki für
sein Restguthaben von Fr. 23'000.-- befriedigte. Am 22. Mai 1968 wurde
der Schuldbrief gemäss Art. 64 Abs. 3 GBV, der den Ersatz von schadhaft,
unleserlich oder unübersichtlich gewordenen Pfandtiteln vorsieht, unter
Entkräftung des alten Titels neu ausgestellt. Als Schuldnerin ist im
neuen Titel Margaritha v. Heydebrand angegeben, als Gläubiger Godhard v.
Heydebrand. Für die Schuldnerin unterzeichnete den neuen Schuldbrief
Notar F. Sägesser, der in Ziffer 12 des Kaufvertrags vom 7. Februar 1964
zur Unterzeichnung des Originaltitels ermächtigt worden war.

    B.- Am 21. Juni 1968 wurde die Ehe v.  Heydebrand-Wüthrich in
Gutheissung der vom Ehemann am 5. Mai 1965 eingeleiteten Klage geschieden.

    Am 4. September 1968 schlossen die geschiedenen Ehegatten einen
Vergleich, der im wesentlichen bestimmte, die Ehefrau behalte die
Liegenschaft Münstergasse 35 definitiv; der Ehemann verzichte auf sein
Vorkaufsrecht; die Ehefrau erstatte ihm Fr. 60'000.-- "und ausserdem den
Betrag, um welchen sich die hypothekarische Belastung seit 1. Jan. 1964
vermindert hat, und ferner den Saldo der Gewinn- und Verlustrechnung
per 31. Dez. 1968 auf der Liegenschaft Münstergasse 35"; damit seien
"sämtliche gegenseitige güterrechtliche Ansprüche und aus Mitarbeit der
Ehefrau im Geschäft des Ehemanns abgegolten"; vorbehalten bleibe der
Teilvergleich vom gleichen Tage über das Sondergut (der die Herausgabe
von zwei Einrichtungsgegenständen an die Ehefrau vorsieht); der von der
Ehefrau zu leistende Gesamtbetrag werde am 1. Juli 1969 fällig und sei
vom 1. Januar bis 1. Juli 1969 mit 5% zu verzinsen. Am 13. Dezember 1968
ergänzte das Amtsgericht von Bern sein Scheidungsurteil durch Genehmigung
dieser Vereinbarungen.

    C.- Die geschiedenen Ehegatten konnten sich über die Höhe des
von der Ehefrau nach dem Vergleich vom 4. September 1968 geschuldeten
Gesamtbetrags nicht einigen. Da die Ehefrau den vom Ehemann gemäss einer
Abrechnung vom 15. Oktober 1968 geforderten Betrag von Fr. 129'451.25
nicht zahlte, erwirkte der Ehemann am 24./25. Juli 1969 einen Arrest auf
ihre Liegenschaft. Der am 1. September 1969 beim Appellationshof des
Kantons Bern eingeleitete Arrestforderungsprozess ist noch hängig. In
einem Widerspruchsprozess wurde der Anspruch eines Dritten auf die ihm
abgetretenen Mietzinse aus der arrestierten Liegenschaft geschützt.

    D.- Im Mai 1970 betrieb G. v. Heydebrand seine geschiedene
Ehefrau (nun Frau Longoni) gestützt auf den erwähnten Schuldbrief für
Fr. 43'317.-- nebst 5% Zins seit 1. Januar 1969 auf Verwertung der
Pfandliegenschaft. Zugleich verlangte er den Einzug der Mietzinse durch
das Betreibungsamt (Betreibung Nr. 84'194 des Betreibungsamtes Bern
2). Frau Longoni und ihr gemäss Art. 68 bis SchKG mitbetriebener Ehemann
erhoben Rechtsvorschlag ohne Grundangabe. Nachdem G. v. Heydebrand die
provisorische Rechtsöffnung erwirkt hatte, leitete Frau Longoni gegen ihn
beim Appellationshof des Kantons Bern am 19. September 1970 (innert der
Frist von Art. 83 Abs. 2 SchKG) Klage auf Aberkennung der in Betreibung
gesetzten Forderung ein.

    Der Appellationshof wies die Aberkennungsklage mit Urteil vom
9. November 1971 zurück. Er nahm an, die im Aberkennungsprozess
streitige Forderung sei bereits Gegenstand des zwischen den gleichen
Parteien hängigen Arrestforderungsprozesses; dort habe G. v. Heydebrand
gestützt auf den Vergleich vom 4. September 1968 Abschlagszahlungen
von Fr. 54 567.-- an die auf der Liegenschaft Münstergasse 35 lastenden
Grundpfandschulden geltend gemacht, und in dieser Summe sei der an Stucki
bezahlte Betrag von Fr. 43 317.-- inbegriffen. An der "Identität der
Forderung" ändere es nichts, dass sie im Arrestforderungsprozess auf
den Vergleich vom 4. September 1968 und im Aberkennungsprozess auf den
Schuldbrief gestützt werde; ihre "innere Rechtfertigung" beruhe auch
diesmal (d.h. im Aberkennungsprozess) auf dem Vergleich vom 4. September
1968; dass der Betrag von Fr. 43 317.-- zweimal verlangt werden könne,
habe G. v. Heydebrand nie behauptet; er anerkenne vielmehr, dass der
Betrag nur einmal geschuldet sei; bei beiden Prozessen handle es sich um
rein materiellrechtliche Streitigkeiten, in denen über das Bestehen oder
Nichtbestehen der Forderung endgültig entschieden werde; die Hängigkeit
des Arrestforderungsprozesses schliesse also die Entgegennahme einer
Aberkennungsklage über die gleiche Forderung aus.

    E.- Gegen das Urteil des Appellationshofs vom 9.  November 1971 hat die
Klägerin Frau Longoni die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem
Antrag, es sei aufzuheben und die mit der Betreibung Nr. 84'194 geltend
gemachte Forderung von Fr. 43 317.-- nebst Zins sei abzuerkennen.

    Der Beklagte beantragt, auf die Berufung sei nicht einzutreten, da
kein Endentscheid im Sinne von Art. 48 Abs. 1 OG vorliege; eventuell sei
sie abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- In BGE 80 I 259 ff. (bes. 263/64) hat das Bundesgericht
entschieden, Endentscheid im Sinne von Art. 48 OG sei auch ein Urteil, mit
dem auf die Klage wegen Rechtshängigkeit der Streitsache nicht eingetreten
wird, sofern das Urteil das Verfahren abschliesst. Dieser Entscheid stützt
sich auf die in BGE 74 II 177/78 und 79 II 108 vertretene Auffassung,
der in Art. 48 des geltenden OG verwendete Begriff des Endentscheides
sei weiter als der Begriff des Haupturteils im Sinne von Art. 58 des
OG von 1893; Endentscheid sei jeder Entscheid, der - sei es auch bloss
aus einem prozessualen Grunde - ein Verfahren abschliesst, das auf die
endgültige, dauernde Regelung zivilrechtlicher Verhältnisse abzielt; es
sei nicht erforderlich, dass der Entscheid den Kläger von der Verfolgung
des eingeklagten Anspruchs endgültig ausschliesst.

    Diese Definition des Endentscheides hat sich in der Folge nicht
durchgesetzt. Vielmehr nimmt die neuere Rechtsprechung entsprechend
der Praxis zu Art. 58 aoG an, Endentscheid sei nicht jeder den Prozess
beendigende Entscheid, sondern nur ein Entscheid, durch den entweder
über den materiellen Anspruch geurteilt oder dessen Beurteilung aus
einem Grunde abgelehnt wird, der endgültig verbietet, dass der gleiche
Anspruch zwischen den gleichen Parteien nochmals geltend gemacht wird
(BGE 84 II 230 und 398, 86 II 123, 88 II 59, 93 II 217, 285 und 390,
95 II 294, 96 II 427 und 434/35). Ein Entscheid, der eine Klage wegen
Rechtshängigkeit zurückweist, wird von dieser Definition, wenn man sie
streng wörtlich nimmt, kaum erfasst, weil er den eingeklagten materiellen
Anspruch nicht beurteilt und diese Beurteilung nicht aus einem Grunde
ablehnt, der eine neue Klage für immer ausschliesst, sondern an und für
sich die Möglichkeit offen lässt, den Anspruch nach Erledigung des hängigen
Verfahrens neu geltend zu machen (vgl. BIRCHMEIER, Handbuch des OG, S. 164
Mitte, und WURZBURGER, Les conditions objectives du recours en réforme...,
Diss. Lausanne 1964, S. 186 unter Ziff. 250, mit Hinweisen).

    Dessen ungeachtet wurde jedoch in einem Falle, der vorletztes
Jahr drei Abteilungen des Bundesgerichts beschäftigte, der in BGE 80
I 263/64 ausgesprochene Grundsatz bestätigt, dass ein die Klage wegen
Rechtshängigkeit zurückweisender und damit das Verfahren abschliessender
Entscheid als Endentscheid im Sinne von Art. 48 OG zu gelten hat
(nicht veröffentlichtes Urteil des Kassationshofs vom 22. Mai 1970
i.S. Milcent, Urteile der I. Zivilabteilung und der Staatsrechtlichen
Kammer vom 14. bzw. 22 Juli 1970 in der gleichen Sache: BGE 96 II
449 und 96 I 450). Diese Lösung lässt sich damit rechtfertigen, dass
ein Entscheid, der eine auf das Bundesrecht gestützte Klage zu Unrecht
wegen Rechtshängigkeit zurückweist, dem Kläger die durch das Bundesrecht
gewährleistete Möglichkeit, seinen Anspruch auf dem Prozessweg geltend
zu machen (BGE 95 II 642), zwar nicht für immer, aber doch für die Dauer
des hängigen Verfahrens entzieht, was bedeutet, dass dem Kläger das
Klagerecht für eine gewisse - oft lange - Zeit endgültig abgesprochen
wird. Ist die zurückgewiesene Klage befristet und läuft die Klagefrist
während der Dauer des hängigen Verfahrens ab, wie es im vorliegenden
Falle zutrifft, so kann die Zurückweisung sogar zum vollständigen
Verlust des Klagerechts führen. Diese Folge der Zurückweisung ist
bei Prüfung der Frage, ob ein die Klage wegen Rechtshängigkeit
zurückweisender Entscheid den Charakter eines Endentscheids habe,
richtigerweise zu berücksichtigen, auch wenn es sich dabei, wie in BGE
84 II 231 für den Fall der Zurückweisung mangels gehöriger Vollmacht
des Prozessvertreters angenommen, nicht um eine "unmittelbare rechtliche
Auswirkung" des Nichteintretensentscheides, d.h. nicht um eine im Sinne
dieses Entscheides liegende Rechtsfolge, sondern nur um eine "mittelbare
Folge" der Zurückweisung handelt. Der angefochtene Entscheid ist daher
als Endentscheid im Sinne von Art. 48 OG zu betrachten. Der Kläger hat
in derartigen Fällen ein schützenswertes Interesse daran, dass er die
Frage, ob die Zurückweisung vor dem Bundesrecht standhalte oder nicht, im
Anschluss an den Nichteintretensentscheid der letzten kantonalen Instanz
durch Berufung dem Bundesgericht unterbreiten kann, wenn die übrigen
Voraussetzungen dieses Rechtsmittels erfüllt sind, wie es hier zutrifft.

    Die I. Zivilabteilung des Bundesgerichts hat im zuletzt angeführten
Entscheide freilich angenommen, ein Erkenntnis, das eine Aberkennungsklage
aus prozessualen Gründen zurückweist, sei auf jeden Fall deshalb kein
Endentscheid im Sinne von Art. 48 OG, weil es lediglich den Fortgang der
Betreibung ermögliche und dem Betriebenen die Möglichkeit vorbehalten
bleibe, "dem Richter den Streit über die Forderung innerhalb eines Jahres
nach Zahlung der angeblichen Nichtschuld durch Rückforderungsklage gemäss
Art. 86 Abs. 1 SchKG erneut zu unterbreiten". Die I. Zivilabteilung
folgte damit einem ältern Entscheide der II. Zivilabteilung (BGE 47 III
103 ff.). Die in diesen Entscheiden vertretene Auffassung ist jedoch
in der Lehre mit Recht kritisiert worden (KUMMER, ZBJV 1960 S. 63;
WURZBURGER, aaO S. 183 unter Ziff. 246). Es ist von vornherein umstritten,
ob die Rückforderungsklage dem Schuldner überhaupt zu Gebote steht, wenn
die Betreibung zum Konkurs geführt hat (verneinend JAEGER, Kommentar,
3. Aufl., N. 5 zu Art. 86, N. 1 zu Art. 187 und N. 1 a.E. zu Art. 250
SchKG, sowie KUMMER, aaO; anderer Ansicht BLUMENSTEIN, Handbuch, S. 320
Anm. 24, S. 783 Anm. 36, sowie V. SCHWANDER, BlSchK 1943 S. 97 ff., und
R. DAGON, Über die Rückforderung im Betreibungsrecht, Zürcher Diss. 1960,
S. 62 ff.). Die Rückforderungsklage fällt auf jeden Fall dann ausser
Betracht, wenn der Schuldner eine Aktiengesellschaft ist, die infolge
des Konkurses aufgelöst wird (KUMMER aaO). Unabhängig von der Art der
Zwangsvollstreckung ist eine Rückforderung ausgeschlossen, soweit der
Gläubiger nicht befriedigt wird, sondern einen Verlust erleidet. Wird
der Gläubiger nicht durch eine Zahlung des betriebenen Schuldners,
sondern aus dem Erlös der Zwangsverwertung von Vermögensstücken des
Schuldners befriedigt, so bringt die Rückforderungsklage dem Schuldner
die verwerteten Gegenstände nicht zurück und macht die Vermögenseinbusse,
die mit der Zwangsverwertung meist verbunden ist, nicht ungeschehen.
Im übrigen hat der Schuldner nicht selten mit der Gefahr zu rechnen, dass
der zur Rückleistung verurteilte Gläubiger das seinerzeit empfangene
Geld nicht zurückzuzahlen vermag, weil er es inzwischen verbraucht
hat. Die Rückforderungsklage ist also offensichtlich kein vollwertiger
Ersatz der Aberkennungsklage. An der Praxis, die der aus prozessualen
Gründen erfolgten Zurückweisung einer Aberkennungsklage den Charakter
eines Endentscheids unter Hinweis auf die Möglichkeit einer spätern
Rückforderungsklage absprach, kann daher nicht festgehalten werden. Die
I. Zivilabteilung hat dieser Änderung der Rechtsprechung zugestimmt. Auf
die vorliegende Berufung ist deshalb einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Die Klägerin behauptet, der Nichteintretensentscheid der
Vorinstanz verletze Bundesrecht, weil die im Aberkennungsprozess streitige
Schuldbriefforderung mit der im Arrestforderungsprozess streitigen
Forderung aus ehelichem Güterrecht auch insoweit nicht identisch sei, als
diese Forderung sich auf die Abzahlung des Schuldbriefs stützt. Ausserdem
wirft die Klägerin der Vorinstanz vor, sie habe ihr durch die Zurückweisung
der Aberkennungsklage wegen angeblicher Rechtshängigkeit der Streitsache
die ihr durch diesen gesetzlich vorgesehenen Rechtsbehelf gewährleistete
Möglichkeit entzogen, sich dem Definitivwerden der dem Beklagten in
der Grundpfandbetreibung erteilten provisorischen Rechtsöffnung und der
Fortsetzung dieser Betreibung zu widersetzen, solange kein Urteil vorliegt,
das den mit dieser Betreibung geltend gemachten Anspruch schützt. Damit
rügt die Klägerin der Sache nach, das angefochtene Urteil verstosse gegen
Art. 83 Abs. 2 und 3 SchKG.

    Von der Annahme ausgehend, dass beide Prozesse den gleichen Anspruch
betreffen, hat die Vorinstanz unter Hinweis auf BGE 22 S. 328 f. und
ein Urteil des waadtländischen Kantonsgerichts vom 24. April 1922 (SJZ
1922/23 S. 27 Nr. 26) ausgeführt, die Rechtsöffnung könne nicht definitiv
werden, solange die Arrestforderungsklage nicht rechtskräftig beurteilt
sei; die Klägerin sei daher nicht genötigt gewesen, zu ihrer Verteidigung
auf Aberkennung zu klagen. Ob diese Auffassung zutreffe (vgl. dazu ausser
den angeführten Präjudizien auch BGE 38 I 204 Erw. 2, J. GASSMANN in
Festgabe für F. Goetzinger, 1935, S. 46 f., und H. HINDERLING, ZSR 1964
I S. 127 f., der sich mit einer abweichenden Meinung auseinandersetzt),
kann dahingestellt bleiben, wenn die Klägerin mit der Rüge durchdringt,
dass die Zurückweisung ihrer Aberkennungsklage wegen Rechtshängigkeit der
Streitsache mangels Identität der in Frage stehenden Ansprüche gegen das
Bundesrecht verstösst.

Erwägung 3

    3.- Während heute als Regel des Bundesrechts anerkannt ist, dass ein
aus dem Bundesprivatrecht abgeleiteter Anspruch, der Gegenstand eines
formell rechtskräftigen kantonalen Urteils ist, nicht (oder jedenfalls
nicht gegen den Willen des Beklagten) von neuem gerichtlich geltend gemacht
werden kann (BGE 95 II 639 ff.), hat das Bundesgericht an der Auffassung
festgehalten, die Frage, ob eine Klage wegen Rechtshängigkeit des
eingeklagten Anspruchs zurückgewiesen werden dürfe oder nicht, werde unter
Vorbehalt des für direkte Prozesse vor Bundesgericht geltenden Art. 22 BZP
grundsätzlich vom kantonalen Prozessrecht beherrscht (BGE 96 II 449 Erw. 2
mit Hinweis auf 80 I 261 Erw. 2, 85 II 83). Ob der eingeklagte Anspruch
mit dem bereits gerichtlich geltend gemachten identisch sei oder nicht,
gilt jedoch nach dieser Rechtsprechung, wenn es sich um bundesrechtliche
Ansprüche handelt, als Frage des Bundesrechts, wie das auch schon nach
der frühern Rechtsprechung zur Einrede der abgeurteilten Sache (BGE 75
II 290 mit Hinweisen, 81 II 146 f., 88 I 164) der Fall war.

    Die blosse Tatsache, dass im Aberkennungsprozess der schon im
Arrestforderungsprozess eingeklagte Betrag von Fr. 43'317.-- streitig
ist und dass der Gläubiger erklärt, dieser Betrag sei ihm nur einmal
geschuldet, genügt nicht, um den Schluss zu rechtfertigen, dass beide
Prozesse den gleichen Anspruch betreffen. Es ist möglich, dass jemand
gegenüber der gleichen Person aus zwei verschiedenen Rechtsgründen
Anspruch auf dieselbe Leistung hat. Man spricht in solchen Fällen von
konkurrierenden Ansprüchen, die abgesehen davon, dass die Erfüllung des
einen den andern dahinfallen lässt, voneinander unabhängig sind und nach
Wahl des Gläubigers gemeinsam oder einzeln geltend gemacht werden können
(v. TUHR/SIEGWART, Allg. Teil des schweiz. OR, § 5 I, S. 36/37; vgl. auch
OFTINGER, Schweiz. Haftpflichtrecht, 2. Aufl., Bd. I 1958, S. 426 ff.,
433/34). Bei getrennter gerichtlicher Geltendmachung derartiger Ansprüche
liegt keine Identität der Streitsachen vor (KUMMER, Das Klagerecht und
die materielle Rechtskraft im schweiz. Recht, 1954, S. 94/95, und LEUCH,
Die ZPO für den Kanton Bern, 3. Aufl. 1956, N. 11 d zu Art. 192, S. 213).

    Der Beklagte begründet seine Forderung von Fr. 43'317.-- im
Arrestforderungsprozess damit, dass der auf diesen Betrag lautende
Schuldbrief in der Zeit von Ende 1964 bis Mai 1968 vollständig abbezahlt
wurde und dass der güterrechtliche Vergleich vom 4. September 1968
bestimmt, die Klägerin habe dem Beklagten den Betrag zu erstatten, um
den sich die hypothekarische Belastung der Liegenschaft Münstergasse 35
seit dem 1. Januar 1964 vermindert hat. Im Aberkennungsprozess fordert er
den gleichen Betrag gestützt auf den am 22. Mai 1968 neu ausgestellten
Schuldbrief vom Februar 1964. Er leitet also seine Forderung in den
beiden Prozessen aus verschiedenen Entstehungsgründen ab. Die Bemerkung
der Vorinstanz, die "innere Rechtfertigung" der Forderung beruhe
auch im Aberkennungsprozess auf dem Vergleich vom 4. September 1968,
kann hieran nichts ändern. Bei Beurteilung der Frage der Identität von
Ansprüchen ist massgebend, worauf der Ansprecher die Ansprüche stützt. Im
Aberkennungsprozess beruft sich der Beklagte ausschliesslich auf den
vor Abschluss des Vergleichs vom 4. September 1968 errichteten und neu
ausgestellten Schuldbrief. Gegenüber dem Einwand der Klägerin, mit dem
Abschluss dieses Vergleichs seien die Ansprüche aus dem Schuldbrief
untergegangen, macht er geltend, der Vergleich berühre seine Ansprüche
aus dem Schuldbrief nicht. Anderseits stützt er seine Forderung im
Arrestforderungsprozess ausschliesslich auf die erwähnte Vergleichsklausel
und die Abzahlung des Schuldbriefs. Auf die im Schuldbrief verurkundeten
Ansprüche konnte er sich im Arrestforderungsprozess nicht berufen,
weil nach Art. 271 Abs. 1 SchKG ein Arrest nur für eine nicht durch ein
Pfand gedeckte Forderung erwirkt werden kann. Der Beklagte macht also
mit getrennten Klagen konkurrierende Ansprüche auf die gleiche Leistung
geltend, die sich nach den von ihm angerufenen Entstehungsgründen deutlich
voneinander unterscheiden, so dass von Identität der Ansprüche nicht die
Rede sein kann.

    Da im Arrestforderungsprozess für eine Auseinandersetzung über die
Ansprüche aus dem Schuldbrief kein Raum ist, würde der Klägerin durch
die Bestätigung des angefochtenen Entscheides die Möglichkeit entzogen,
Einwendungen gegen die Gültigkeit des Schuldbriefs und gegen das vom
Beklagten beanspruchte Recht zu erheben, sich trotz der güterrechtlichen
Vereinbarung ihr gegenüber auf diesen Pfandtitel zu berufen. Dadurch würde
die Klägerin in ihren Verteidigungsrechten empfindlich beschränkt. Sie
hat auch unter der Voraussetzung, dass sie dem Beklagten gemäss der
güterrechtlichen Vereinbarung den Betrag von Fr. 43'317.--schulden
sollte, ein berechtigtes Interesse daran, dass sie die Eintreibung
dieses Betrages auf dem Wege der Grundpfandbetreibung und damit den
Eintritt der in Art. 806 ZGB vorgesehenen Rechtsfolgen verhindern kann,
wenn der Schuldbrief ungültig oder der Beklagte aus einem andern Grunde
nicht berechtigt sein sollte, seine Forderung gestützt auf diesen Titel
geltend zu machen. Dieses Interesse kann die Klägerin nur mittels der
Aberkennungsklage wahrnehmen.

    Die Klägerin hat es bei Erhebung des Rechtsvorschlags gegen den
Zahlungsbefehl in der Grundpfandbetreibung freilich unterlassen, das
Pfandrecht als solches zu bestreiten, wozu nach Art. 85 Abs. 1 VZG eine
entsprechende Erklärung nötig gewesen wäre. Das hindert sie aber nicht,
gegenüber dem Beklagten die Einwendung zu erheben, der Schuldbrief sei
ungültig oder der Vergleich vom 4. September 1968 verbiete dem Beklagten,
seine Forderung auf den Schuldbrief zu stützen. Dringt sie damit
durch, so entfällt auch das mit der Schuldbriefforderung akzessorisch
verbundene Pfandrecht. Die erwähnten Einwendungen kann sie aber nur
im Aberkennungsprozess geltend machen, was ihr durch den angefochtenen
Entscheid verunmöglicht würde.

    Auch aus diesen Gründen ist die Identität der Ansprüche, die Gegenstand
der beiden Prozesse sind, zu verneinen.

    Die Vorinstanz hat die Aberkennungsklage also materiell zu
behandeln. Ob sie die beiden Prozesse nebeneinander weiterführen oder
allenfalls die Aberkennungsklage, mit der die Klägerin vor allem die
auf Grund von Art. 806 ZGB und Art. 91/92 VZG verfügte Mietzinssperre
abzuwenden sucht, vorweg behandeln will, ist vorwiegend eine Frage der
Prozessökonomie.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird in dem Sinne teilweise gutgeheissen, dass das
Urteil des Appellationshofes (II. Zivilkammer) des Kantons Bern vom
9. November 1971 aufgehoben und die Sache zur materiellen Behandlung der
Aberkennungsklage an die Vorinstanz zurückgewiesen wird.