Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 III 57



98 III 57

13. Entscheid vom 22. Februar 1972 i.S. Camenzind. Regeste

    Aufhebung eines Steigerungszuschlags.

    Wegen eines fehlerhaften Verfahrens, für das der Ersteigerer nicht
verantwortlich ist, kann der Zuschlag nach Ablauf eines Jahres seit
der Steigerung grundsätzlich nicht mehr aufgehoben werden, wenn er
nicht innert eines Jahres seit der Steigerung durch Beschwerde (Art.
136bis SchKG) angefochten worden ist (Verdeutlichung des in BGE 73 III
23 ff. aufgestellten Grundsatzes). Ist jedoch der Zuschlag nicht bloss
anfechtbar (Art. 17 Abs. 1 und 2 SchKG), sondern schlechthin nichtig,
so kann und soll er, selbst wenn der Ersteigerer für den unterlaufenen
Verfahrensfehler nicht verantwortlich ist, jedenfalls dann auch nach
Ablauf eines Jahres seit der Steigerung von Amtes wegen (Art. 13 SchKG)
aufgehoben werden, wenn seine Gültigkeit schon vor Ablauf dieser Frist im
Rahmen eines behördlichen Verfahrens in für den Ersteigerer erkennbarer
Weise ernsthaft in Frage gestellt worden ist und die Feststellung der
einmal erkannten Nichtigkeit nicht über Gebühr verzögert wird, es sei denn,
er könne nicht mehr rückgängig gemacht werden (Art. 21 SchKG).

Sachverhalt

    Auf Beschwerde von Josef Camenzmd hob die obere kantonale
Aufsichtsbehörde mit Entscheid vom 24. September 1971 den am 3. Dezember
1970 im Konkurs der Karl Camenzind AG erfolgten Zuschlag des Grundstücks
IR Berikon Nr. 1318 an den Beschwerdeführer auf und wies das Konkursamt
Bremgarten an, dieses Grundstück neu zu versteigern. Die Schuldbetreibungs-
und Konkurskammer des Bundesgerichts wies den Rekurs der Konkursmasse
gegen diesen Entscheid am 2. Dezember 1971 ab (BGE 97 III 89 ff.) und
bemerkte in Erwägung 9 ihres Entscheides, es werde zu prüfen sein, ob
nicht Anlass bestehe, auch den ebenfalls am 3. Dezember 1970 erfolgten
Zuschlag des im Pfandverwertungsverfahren gegen Karl Camenzind persönlich
versteigerten Grundstücks IR Berikon Nr. 560 an Frau Camenzind (dessen
Gültigkeit nicht Gegenstand des kantonalen Beschwerdeverfahrens gewesen
war) als nichtig zu erklären (BGE 97 III 104).

    Nach Erhalt dieses (ihr am 9. Dezember 1971 zugegangenen) Entscheides
stellte die obere kantonale Aufsichtsbehörde mit Beschluss vom 17. Januar
1972 von Amtes wegen fest, dass der Zuschlag des Grundstücks Nr. 560
an Frau Camenzind nichtig sei, und wies den Betreibungsbeamten an, eine
zweite Steigerung durchzuführen.

    Diesen Beschluss hat Frau Camenzind rechtzeitig an das Bundesgericht
weitergezogen mit dem Antrag, er sei aufzuheben und es sei von der
Durchführung einer zweiten Steigerung abzusehen. Sie macht geltend, der
angefochtene Beschluss verletze den vom Bundesgericht in BGE 73 III 23 ff.
aufgestellten Grundsatz, dass ein Steigerungszuschlag mit Rücksicht auf
den Erwerber nach Ablauf eines Jahres seit der Versteigerung nicht mehr
aufgehoben werden dürfe; zudem habe die Vorinstanz den fatalen Folgen
einer Aufhebung des streitigen Zuschlags nicht Rechnung getragen.

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer weist den Rekurs ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Im Falle BGE 73 III 23 ff. war eine innert der Frist des Art. 17
Abs. 2 SchKG eingereichte Beschwerde zu beurteilen, mit welcher ein
betriebener Schuldner in der Hauptsache den Freihandverkauf arrestierter
und gepfändeter Gegenstände wegen ungerechtfertigter Ediktalzustellung
des Zahlungsbefehls und der weitern Betreibungsurkunden angefochten
hatte. Unter Hinweis auf Art. 86 SchKG, wonach ein infolge Unterlassung
des Rechtsvorschlags oder Rechtsöffnung bezahlter, in Wirklichkeit aber
nicht geschuldeter Betrag nach Ablauf eines Jahres seit der Zahlung nicht
mehr zurückgefordert werden kann, stellte das Bundesgericht im erwähnten
Entscheide den Grundsatz auf, mit Rücksicht auf den Erwerber könne
ein Steigerungszuschlag oder Freihandverkauf wegen eines fehlerhaften
Verfahrens, für das der Erwerber keine Verantwortung trägt, nicht mehr
aufgehoben werden, wenn seit der Verwertung mehr als ein Jahr verstrichen
sei. In Anwendung dieses Grundsatzes wurde die mehr als zwei Jahre nach
der Verwertung und Verteilung erhobene Beschwerde des Schuldners (der
erst zehn Tage vor der Beschwerdeführung zuverlässige Kenntnis von der
angefochtenen Verwertung erhalten hatte) im Hauptpunkte abgewiesen.

    Die Vorinstanz hat den Zuschlag des Grundstücks Nr. 560 an die
Rekurrentin (wie seinerzeit jenen des Grundstücks Nr. 1318 an Josef
Camenzind) aufgehoben, weil der die Verwertung der beiden Grundstücke
durchführende Beamte in den die Grundlage der Versteigerung bildenden
Lastenverzeichnissen unter Überschreitung seiner sachlichen Zuständigkeit
und daher in schlechthin unwirksamer Weise die Begründung einer
neuen Dienstbarkeit des Inhalts vorgesehen hatte, dass der jeweilige
Eigentümer des Grundstücks Nr. 560 zugunsten des jeweiligen Eigentümers
des Grundstücks Nr. 1318 hinsichtlich der im Grundstück Nr. 560 liegenden
Einrichtungen für die Tanksäule auf Nr. 1318 den bisherigen (in BGE
97 III 91 ff. näher beschriebenen) Zustand dulden müsse. Für diesen
Verfahrensfehler ist die Rekurrentin, wie sie mit Recht betont, in keiner
Weise verantwortlich.

    Der Aufhebung des Zuschlags der Liegenschaft Nr. 1318 an Josef
Camenzind stand der in BGE 73 III 23 ff. ausgesprochene, ausdrücklich
im Interesse des Erwerbers aufgestellte Grundsatz schon deshalb nicht im
Wege, weil Josef Camenzind die Aufhebung selbst verlangt hatte (vgl. BGE
97 III 96/97 Erw. 2). Hievon abgesehen war die Beschwerde gegen den
Zuschlag von Nr. 1318 schon am 8. Februar 1971, also weit weniger als
ein Jahr seit der Steigerung erhoben worden. Die sinngemässe Anwendung
der in BGE 73 III 23 ff. herangezogenen Regel des Art. 86 SchKG auf die
Aufhebung eines Steigerungszuschlags kann richtigerweise nicht darin
bestehen, dass ein solcher nach Ablauf eines Jahres auch dann nicht
mehr rückgängig gemacht werden kann, wenn er schon vor Ablauf dieser
Frist durch Beschwerde im Sinne von Art. 136bis SchKG angefochten wurde;
denn die in Art. 86 SchKG festgesetzte Jahresfrist gilt nicht etwa für
den Vollzug der Rückzahlung, sondern für die Klage auf Rückzahlung, und
deren Gegenstück ist bei der Aufhebung eines Steigerungszuschlags die
Beschwerde im Sinne von Art. 136bis SchKG, so dass die Jahresfrist des
Art. 86 SchKG nur als äusserste Frist für diese Beschwerde, nicht aber
für die damit verlangte Aufhebung des Zuschlags gelten kann.

    Im Unterschied zu Josef Camenzind widersetzt sich die Rekurrentin der
Aufhebung des Zuschlags. Eine Beschwerde im Sinne von Art. 136bis SchKG
ist gegen den Zuschlag des Grundstücks Nr. 560 an sie innert eines Jahres
seit diesem Akte (und auch seither) von niemandem eingereicht worden. (Zum
Beginn der Frist für solche Beschwerden vgl. BGE 97 III 96 Erw. 2). Der
Zuschlag an die Rekurrentin dürfte also nicht mehr aufgehoben werden,
wenn der aus Art. 86 SchKG abzuleitende Grundsatz ohne Rücksicht auf
die Art des dem Verwertungsverfahren anhaftenden Mangels ausnahmslos
gälte. Bei schwerwiegenden Verfahrensmängeln ist jedoch dieser Grundsatz
nicht uneingeschränkt anwendbar.

Erwägung 2

    2.- Werden, wie vom Beschwerdeführer im Falle BGE 73 III 23
ff. geltend gemacht, Betreibungsurkunden öffentlich bekanntgemacht,
ohne dass die Voraussetzungen von Art. 66 Abs 4 SchKG erfüllt sind, so
sind die fraglichen Betreibungsakte deswegen nicht schlechthin nichtig,
sondern die Verletzung von Art. 66 Abs. 4 SchKG ist grundsätzlich
innert der Frist von Art. 17 Abs. 2 SchKG durch Beschwerde zu rügen
(BGE 75 III 83 Erw. 2). Demgegenüber hat man es im vorliegenden Falle mit
einem nichtigen Akte zu tun. Wie in BGE 97 III 99 ff. Erw. 5 dargetan,
waren die Bestimmungen der Lastenverzeichnisse über die Begründung einer
neuen Grunddienstbarkeit zugunsten von Grundstück Nr. 1318 und zulasten
von Grundstück Nr. 560 wegen sachlicher Unzuständigkeit des Beamten
zum Erlass solcher Bestimmungen schlechthin nichtig. Diese Bestimmungen
betrafen einen für die Versteigerung der beiden Grundstücke wesentlichen
Punkt, so dass ihre Nichtigkeit die Nichtigkeit des Zuschlags der beiden
Grundstücke nach sich zieht (vgl. BGE 97 III 102 ff. Erw. 6 und 9).

    Eine nichtige Verfügung kann - und soll - jederzeit von Amtes wegen
aufgehoben werden (BGE 96 III 118 lit. b mit Hinweisen), es wäre denn,
die fragliche Anordnung lasse sich nicht mehr rückgängig machen oder
berichtigen (Art. 21 SchKG; BGE 94 III 71 Mitte mit Hinweisen, 96 III 105;
vgl. BGE 97 III 97 Erw. 2 a.E.). Ob in Abweichung von diesem allgemeinen
Grundsatze die Aufhebung eines nichtigen Steigerungszuschlags mit Rücksicht
auf den Erwerber nur während einer beschränkten Zeit zuzulassen sei, kann
im vorliegenden Falle dahingestellt bleiben. Einen Steigerungszuschlag
nichtig zu erklären, muss nämlich auf jeden Fall wenigstens dann auch nach
Ablauf eines Jahres seit der Steigerung möglich sein, wenn die Gültigkeit
des Zuschlags schon vor Ablauf dieser Frist im Rahmen eines behördlichen
Verfahrens in ernstzunehmender und für den Ersteigerer erkennbarer Weise
in Frage gestellt worden ist und die Feststellung der einmal erkannten
Nichtigkeit nicht über Gebühr verzögert wird. Der Ersteigerer kann sich in
einem solchen Falle nicht mit Grund darauf berufen, er habe sich in seinem
Besitze sicher fühlen dürfen. Dass die Gültigkeit des Zuschlags durch
eine Beschwerde im Sinne von Art, 136bis SchKG in Frage gestellt wurde,
ist im Falle der - von Amtes wegen zu beachtenden - Nichtigkeit anders als
im Falle der blossen Anfechtbarkeit nicht zu verlangen, sondern es muss
beim Bestehen eines Nichtigkeitsgrundes genügen, wenn für den Ersteigerer
sonstwie erkennbar wurde, dass der Zuschlag ungültig sein könnte.

    Im vorliegenden Falle hat die untere Aufsichtsbehörde am 1. März 1971,
als sie der Beschwerde des Josef Camenzind aufschiebende Wirkung erteilte,
die Vormerkung eines Veräusserungs- und Belastungsverbots mit Bezug auf
beide Grundstücke angeordnet, was der Rekurrentin mitgeteilt wurde. Diese
Verfügung wurde dann freilich von der obern kantonalen Aufsichtsbehörde
durch Entscheid vom 28. Mai 1971 hinsichtlich des Grundstücks Nr. 560
aufgehoben. Inzwischen hatte aber das Departement des Innern des
Kantons Aargau in seinem Entscheid vom 18. März 1971, mit welchem es die
Grundbuchbeschwerde des Josef Camenzind "zur Zeit" abwies, die Anordnung
getroffen: "Verfügungen über die betroffenen Grundstücke dürfen erst
vorgenommen werden, wenn die Beschwerde gegen das Konkursamt Bremgarten
richterlich rechtskräftig entschieden ist". Über diese Anordnung, die sich
auf beide Grundstücke bezog, wurde die Rekurrentin durch den Entscheid der
obern kantonalen Aufsichtsbehörde vom 28. Mai 1971 unterrichtet. In der
auch ihr (bzw. ihrem Vertreter) zugestellten bundesgerichtlichen Verfügung
vom 29. Oktober 1971, mit welcher dem Rekurs der Karl Camenzind AG gegen
den Sachentscheid der obern kantonalen Aufsichtsbehörde vom 24. September
1971 aufschiebende Wirkung erteilt wurde, stand sodann ausdrücklich:
"Dem Rekurs wird in dem Sinne aufschiebende Wirkung erteilt, dass die
Frage der Gültigkeit des am 3. Dezember 1970 erteilten Zuschlags der
Grundstücke IR Berikon Nr. 1318 und 560 und die Frage der Gültigkeit
der diese Grundstücke betreffenden Grundbuchanmeldungen vom 28. Januar
1971 bis auf weiteres offen bleiben...". Nach alledem wurde die Frage der
Gültigkeit des Zuschlags an die Rekurrentin schon vor Ablauf eines Jahres
seit der Steigerung im Rahmen behördlicher Verfahren ernsthaft in Frage
gestellt, so dass die Rekurrentin sich nicht darauf verlassen konnte,
sie könne die ersteigerte Liegenschaft behalten.

    Die Feststellung der Nichtigkeit ungebührlich verzögert zu haben, kann
der obern kantonalen Aufsichtsbehörde nicht vorgeworfen werden. Sie hat
vielmehr nach Erhalt des bundesgerichtlichen Entscheides vom 2. Dezember
1971, der die Frage der Nichtigerklärung des Zuschlags an die Rekurrentin
aufwarf, innert einer den Umständen angemessenen Frist gehandelt.

    Dass der Zuschlag an die Rekurrentin nicht mehr rückgängig gemacht
werden könne (wie es z.B. bei Weiterveräusserung des Grundstücks an einen
gutgläubigen Dritten der Fall wäre), ist nicht dargetan. Die Ausführungen
der Rekurrentin in ihrem Rekurs an das Bundesgericht zeigen bloss,
dass die Aufhebung des Zuschlags zu verschiedenen Schwierigkeiten und
Unzukömmlichkeiten führen kann. Darin liegt aber kein genügender Grund
dafür, den Zuschlag trotz dem festgestellten schwerwiegenden Mangel
des Verwertungsverfahrens aufrechtzuerhalten. Sollte die Rekurrentin
das Grundstück Nr. 560 nach der analog zu BGE 97 III 103 f. Erw. 7
vorzunehmenden Berichtigung des Lastenverzeichnisses für dieses Grundstück
von neuem ersteigern, was für sie naheliegen könnte, wenn sie gemäss ihrer
Darstellung im Rekurs Gläubigerin der III. Hypothek ist, so würden übrigens
die von ihr befürchteten Schwierigkeiten wahrscheinlich ausbleiben. Das
Betreibungsamt ist nicht gehindert, dem Mieter Brandenberger (vgl. BGE 97
III 95 unten) bis zur neuen Steigerung die Weiterbenützung der Mietsache
zu gestatten.