Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 III 44



98 III 44

10. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 29. Juni 1972
i.S. Soltermann gegen Bühlmann und Konsorten. Regeste

    Art. 291 SchKG: Umfang der Rückgabepflicht bei der Gläubigeranfechtung.

    Ausser der Sache selbst sind auch die aus ihr bis zur Inverzugsetzung
bezogenen Erträgnisse zurückzuerstatten.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    Kormann betrieb in Münsingen eine Möbelschreinerei. Als er sich in
Zahlungsschwierigkeiten befand, gelangte die Allgemeine Treuhand AG in
seinem Auftrage an seine Gläubiger, ersuchte diese um Zahlungsaufschub
und schlug ihnen einen Plan zur Tilgung der Schulden vor. Offenbar
um die erste Tilgungsrate zu gewährleisten, ermöglichte F. Soltermann
seinem Schwiegersohn Kormann die Einräumung eines Kredites durch die
Spar- und Leihkasse Münsingen, indem er, zusammen mit drei Verwandten
Kormanns, eine Solidarbürgschaft zu dessen Gunsten bis zum Maximalbetrage
von Fr. 48'000.-- einging. Kurze Zeit darauf ging Soltermann zudem zu
Gunsten seines Schwiegersohnes eine Wechselbürgschaft in der Höhe von
Fr. 10'000.-- ein. Vor allem diese Wechselbürgschaft veranlasste Kormann,
seinem Schwiegervater einen neu errichteten Eigentümerschuldbrief
zu übertragen; eine rechtliche Verpflichtung hiezu bestand indessen
nicht. Soltermann trat diesen Schuldbriefzwei Jahre später zum vollen
Werte von Fr. 31'500.-- der Spar- und Leihkasse Münsingen ab, welcher
er aus der Solidarbürgschaft und aus der Wechselbürgschaft für Kormann
insgesamt Fr. 19'919.-- schuldete. Inzwischen war über Kormann der Konkurs
eröffnet worden, der im summarischen Verfahren durchgeführt wurde und in
dem die Gläubiger aller Klassen voll zu Verlust kamen.

    W. Bühlmann, ein Gläubiger Kormanns, stellte in der Folge beim
Konkursamt Konolfingen den Antrag auf nachträgliche Verwertung
des Anfechtungsanspruches, welcher der Konkursmasse gemäss Art. 285
ff. SchKG gegen F. Soltermann zustehe, und verlangte gleichzeitig die
Abtretung dieses Anspruches, falls die Masse auf dessen Geltendmachung
verzichte. Er führte aus, dass alle Rechtshandlungen, die auf eine
Sicherung Soltermanns für vorbestehende Forderungen gegenüber Kormann
gerichtet gewesen seien, als Gegenstand des Anfechtungsanspruches in
Betracht kämen. Da das Konkursamt als Vertreter der Gläubigergesamtheit auf
die selbständige Geltendmachung dieser Ansprüche verzichtete, bot es diese
den Konkursgläubigern gemäss Art. 260 SchKG zur Abtretung an. Ausser von
W. Bühlmann wurde diese noch von drei weitern Gläubigern verlangt. Diese
Gläubiger reichten beim Amtsgerichtspräsidenten I von Konolfingen gegen
F. Soltermann eine Anfechtungsklage ein. Der Amtsgerichtspräsident wies
die Klage ab, der Appellationshof des Kantons Bern hiess sie gut. Das
Bundesgericht bestätigt das Urteil des Appellationshofes.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Was den Umfang der Pflicht zur Rückerstattung des in anfechtbarer
Weise empfangenen Vermögenswertes anbetrifft, ist die Vorinstanz zutreffend
davon ausgegangen, dass an Stelle der heute nicht mehr möglichen Rückgabe
des Schuldbriefes in natura die Pflicht des Beklagten tritt, dessen vollen
Wert zu ersetzen. Zur Schuldbriefsumme hinzugerechnet wurde ferner der
vom Beklagten bezogene Zins, der im angefochtenen Urteil auf Fr. 2'156.65
beziffert wird. Obwohl die Berücksichtigung dieses Zinses als solche
an sich nicht beanstandet worden ist, muss die Frage der Ersatzpflicht
des Beklagten für den von ihm bezogenen Zins gesondert geprüft werden,
da sie rechtlicher Natur ist.

    Die schweizerische Lehre verneint mehrheitlich eine Rückgabepflicht
des Anfechtungsbeklagten für den Nutzen, den er bis zur Inverzugsetzung
aus der anfechtbar erworbenen Sache gezogen hat. Während JAEGER
(Kommentar, 3. Aufl., II. Bd., S. 406, N. 2 zu Art. 291 SchKG)
diese Auffassung nicht begründet, lehnen BLUMENSTEIN (Handbuch
des Schweiz. Schuldbetreibungsrechtes, S. 869) und HANGARTNER (Die
Gläubigeranfechtung im schweizerischen Recht, Diss. Zürich, 1929, S. 69)
eine Rückerstattungspflicht für bezogene Früchte deshalb ab, weil der
Anfechtungsgegner diese ja nicht "erworben" habe, wie Art. 291 Abs. 1
SchKG es voraussetze. FAVRE (Droit des poursuites, 2e édition, S. 381)
verneint eine Pflicht zur Rückgabe der natürlichen und zivilen Früchte bis
zum Zeitpunkt des Verzuges, da der anfechtbar erworbene Vermögensgegenstand
dem Anfechtungskläger in dem Zustand zur Verwertung zu überlassen sei,
in dem er sich im Zeitpunkt der Veräusserung befunden habe. BRAND (Das
Anfechtungsrecht der Gläubiger nach dem Bundesgesetz über Schuldbetreibung
und Konkurs, Diss. Bern, 1902, S. 273) scheint die Rückerstattungspflicht
für Erträgnisse bis zur Inverzugsetzung mit der Begründung abzulehnen,
der Anfechtungsgegner befinde sich bis zur Anfechtung in der Lage eines
gutgläubigen Besitzers im Sinne der Art. 938 und 939 ZGB. Die gegenteilige
Ansicht, die zivilen und natürlichen Früchte seien zurückzuerstatten,
vertreten BAUDAT (L'action révocatoire, Diss. Lausanne, 1911'S. 190/191)
und BERZ (Der paulianische Rückerstattungsanspruch, Diss. Zürich, 1960, S.
110/111).

    Die Anfechtungsklage bezweckt, durch anfechtbare Handlungen dem
Vermögen des Schuldners entfremdete Vermögenswerte ihrer ursprünglichen
Bestimmung zurückzugeben und sie der Zwangsvollstreckung wieder
zugänglich zu machen. Ihre Gutheissung bewirkt nicht die Ungültigkeit
der anfechtbaren Handlung (BGE 81 III 102), sondern verpflichtet den
Anfechtungsbeklagten lediglich, die Konkursmasse so zu stellen, wie
wenn die anfechtbare Handlung nicht vorgenommen worden wäre (BGE 39
II 377 Erw. 6). Der Umfang der Rückerstattungspflicht richtet sich
demnach nicht nach dem Zeitpunkt der anfechtbaren Handlung, sondern
trägt auch der spätern Entwicklung Rechnung. Dies berücksichtigt die
Rechtsprechung (BGE 50 III 152), wenn sie den Anfechtungsbeklagten für eine
zufällige Wertverminderung oder einen zufälligen Untergang des anfechtbar
erworbenen Vermögenswertes bis zum Zeitpunkt, in dem die Sache spätestens
zurückgegeben werden muss, nicht haften lässt. Der Auffassung von FAVRE,
die grundsätzlich auf den Zustand im Zeitpunkt der Veräusserung abstellt,
kann daher nicht gefolgt werden. Da die Anfechtung die materielle
Gültigkeit der Übertragung des zurückzugewährenden Gegenstandes nicht
betrifft, der Anfechtungsbeklagte somit Eigentümer der Sache bleibt
und diese als Eigentümer nutzt, geht es entgegen der Auffassung BRANDS
auch nicht an, den Anfechtungsbeklagten dem gutgläubigen Besitzer
einer fremden Sache gleichzustellen, der auf Grund der ausdrücklichen
Bestimmung des Art. 938 Abs. 1 ZGB berechtigt ist, die fremde Sache ohne
Ersatzpflicht seinem vermuteten Recht gemäss zu nutzen und zu gebrauchen
(vgl. BERZ, aaO, S. 110/111). Der Ansicht HANGARTNERS und BLUMENSTEINS ist
entgegenzuhalten, dass der Anfechtungsbeklagte mit dem anfechtbar erlangten
Vermögenswert gleichsam die in diesem enthaltenen Anwartschaften, die sich
auch beim Schuldner zu Vermögenswerten verdichtet hätten, miterworben hat
(vgl. BERZ, aaO, S. 111 und BAUDAT, aaO, S. 192). Der Wortlaut des Art. 291
Abs. 1 SchKG steht demnach der Annahme, die Rückgabepflicht umfasse auch
die Erträgnisse, nicht entgegen.

    Für die Pflicht zur Ablieferung der Erträgnisse spricht der bereits
erwähnte Zweck der Anfechtungsklage, der die Wiederherstellung des
schuldnerischen Vermögens verlangt, wie es ohne die anfechtbare Handlung
vorhanden wäre. Diesem Zweck entspricht es, dass der Anfechtungsbeklagte
grundsätzlich die Gefahr einer zufälligen Wertverminderung oder des
zufälligen Unterganges der erworbenen Vermögensstücke nicht trägt (BGE 50
III 150/151 und 65 III 149), ihm aber auch zufällige Wertsteigerungen
nicht zugute kommen (was aus BGE 50 III 152 hervorgeht). Trägt der
Anfechtungsbeklagte die Gefahr nicht, so kann er auch den Nutzen aus
diesen Vermögensstücken nicht beanspruchen. Eine andere Auffassung wäre
inkonsequent. Die bis zur Inverzugsetzung aus der zurückzugewährenden Sache
bezogenen Erträgnisse sind deshalb mit der Sache selbst zurückzuerstatten.

    Somit sind in Übereinstimmung mit der Vorinstanz die vom Beklagten aus
dem Schuldbrief bezogenen Zinsen in den von ihm zu leistenden Wertersatz
einzubeziehen. Wie die Vorinstanz zutreffend angenommen hat, ist der vom
Beklagten geschuldete Betrag seit dem Zeitpunkt der Inverzugsetzung zu
verzinsen (vgl. BGE 50 III 152). Gegen die Zinsberechnung als solche hat
der Beklagte keine Einwendungen erhoben. Der den Klägern von der Vorinstanz
zugesprochene Betrag ist daher auch im Quantitativ zu bestätigen.