Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 III 37



98 III 37

8. Entscheid vom 27. April 1972 i.S. Wechsler. Regeste

    Nachlassstundung, Nichtigkeit.

    Dürfen Betreibungsbehörden die von einer örtlich unzuständigen
Nachlassbehörde gewährte Nachlassstundung als nichtig betrachten und
Betreibungsbegehren trotz Art. 297 Abs. 1 SchKG Folge geben? Frage verneint
(Bestätigung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Hans Wechsler wohnt in Horw (LU) und ist im Handelsregister
des Kantons Nidwalden als Inhaber einer Einzelfirma eingetragen. Am
16. Dezember 1971 gewährte ihm das Konkursgericht des Kantons Nidwalden
als Nachlassbehörde eine viermonatige Nachlassstundung. Trotzdem stellte
ihm das Betreibungsamt Horw am 13. Januar 1972 eine Konkursandrohung
zu, die sich auf einen Zahlungsbefehl (Nr. 11583) vom 2. Dezember 1971
stützte. Die vom Schuldner dagegen erhobene Beschwerde wurde sowohl vom
Amtsgerichtspräsidenten III von Luzern-Land (am 7. Februar 1972) als auch
vom Obergericht des Kantons Luzern (am 15. März 1972) abgewiesen. Die
untere wie die obere Aufsichtsbehörde erachteten die Nachlassstundung als
nichtig, weil sie von einer örtlich unzuständigen Nachlassbehörde bewilligt
worden sei und damit wesentliche Interessen dritter, am Verfahren nicht
beteiligter Personen (Gläubiger) verletze.

    In einem Schreiben vom 27. Januar 1972 hatte das Konkursgericht
des Kantons Nidwalden dem Schuldner, dem Betreibungsamt Horw und
dem Amtsgericht Luzern-Land mitgeteilt, dass es zur Behandlung des
Nachlassstundungsgesuchs tatsächlich örtlich nicht zuständig gewesen
wäre, dass der Entscheid aber mangels Anfechtung rechtskräftig und damit
unwiderruflich geworden sei.

    B.- Hans Wechsler hat Rekurs an das Bundesgericht erhoben und
beantragt, der Entscheid des Obergerichts und die Konkursandrohung seien
aufzuheben.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- ... (Prozessuales)

Erwägung 2

    2.- Wie die kantonalen Aufsichtsbehörden richtig erkannt haben,
ist für die Behandlung eines Nachlassgesuchs und die Gewährung einer
Nachlassstundung die Nachlassbehörde am ordentlichen Betreibungsort
des Gesuchstellers örtlich zuständig (BGE 68 I 195 Erw. 2); wenn der
Gesuchsteller eine Einzelfirma betreibt, ist es die Nachlassbehörde
an seinem Wohnsitz und nicht etwa diejenige des Orts, wo das Geschäft
geführt wird und im Handelsregister eingetragen ist (BGE 51 III 158
Erw. 1). Demnach war das Konkursgericht des Kantons Nidwalden - wie
es heute selbst anerkennt und wie vom Rekurrenten nicht bestritten
wird - im vorliegenden Falle nicht zuständig für die Bewilligung der
Nachlassstundung. Fraglich ist bloss, ob das Betreibungsamt Horw und die
luzernischen Aufsichtsbehörden die Nachlassstundung wegen der örtlichen
Unzuständigkeit der nidwaldnischen Nachlassbehörde als nichtig betrachten
und somit Betreibungshandlungen gegen den Schuldner vornehmen durften
(vgl. Art. 297 Abs. 1 SchKG). Das Bundesgericht hat in früheren, ähnlichen
Fällen den Vollstreckungsorganen eine solche Befugnis zur Überprüfung
der örtlichen Zuständigkeit der Nachlassbehörden abgesprochen (vgl. die
bereits von der Vorinstanz erwähnten BGE 33 I 444 Erw. 2 und 59 III 30
Erw. 1). Diese Auffassung wird von JAEGER (Kommentar, je N. 3 zu Art. 293
und 297 SchKG) und BLUMENSTEIN (Handbuch, S. 902) geteilt.

    Nach der feststehenden Praxis des Bundesgerichts sind Handlungen
von örtlich unzuständigen Betreibungsbehörden dann als nichtig zu
betrachten, wenn dadurch öffentliche Interessen oder Interessen
dritter, am Verfahren nicht beteiligter Personen verletzt werden
(BGE 68 III 35, 91 III 49, 96 III 33 Erw. 2; vgl. dazu auch WEISS,
Nichtigkeit, Anfechtbarkeit und Widerruf von Betreibungshandlungen,
Zürcher Diss. 1957, S. 42 f.; SCHWANDER, Nichtige Betreibungshandlungen,
BlSchK 1954, S. 9; IMBODEN, Nichtige Betreibungshandlungen, BlSchK 1944,
S. 135; FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. I, 2. Aufl., S. 79,
insbes. Anm. 129). Die Vorinstanz ist nun der Ansicht, in gleicher
Weise müssten ins Betreibungsverfahren eingreifende Handlungen örtlich
unzuständiger Nachlassbehörden als nichtig gelten, wenn die genannten
Voraussetzungen vorliegen. Dem kann nicht beigestimmt werden. Es ist nicht
das gleiche, ob Betreibungsbehörden die örtliche Zuständigkeit anderer
Betreibungsbehörden vorfrageweise überprüfen oder ob sie dies mit Bezug auf
Nachlassbehörden tun, denen ganz andere Aufgaben übertragen sind als den
Betreibungsbehörden, die den letzteren nicht unter-, sondern beigeordnet
sind und die weder der Aufsicht der kantonalen Aufsichtsbehörden in
Schuldbetreibungs- und Konkurssachen noch derjenigen des Bundesgerichts
unterstehen. Es müsste zu unabsehbaren Schwierigkeiten und verworrensten
Rechtsverhältnissen führen, würden die Betreibungsbehörden eine von einer
Nachlassbehörde vorgenommene Handlung als nichtig erklären, während -
wie im vorliegenden Fall - die Nachlassbehörde die von ihr getroffene
Massnahme selber weiterhin als rechtsgültig betrachtet. Welche Instanz
berufen wäre, einen solchen Konflikt aus der Welt zu schaffen, ist
ungewiss. Im Verhältnis Nachlassbehörden/Betreibungsbehörden ist deshalb
für die Annahme von Nichtigkeit grösste Zurückhaltung geboten.

    Ob ein Nichtigkeitsgrund vorliegt, hängt nach der Rechtsprechung
von einer Interessenabwägung ab. Nur wenn öffentliche Interessen oder
Interessen unbeteiligter Dritter mit im Spiele stehen, wird wegen örtlicher
Unzuständigkeit Nichtigkeit des betreffenden Akts angenommen. Nun ist
es aber möglich, dass auch namhafte Interessen gegen die Annahme einer
Nichtigkeit sprechen (vgl. dazu FRITZSCHE, aaO, S. 46 f., der vor dem
Unheil warnt, das u. U. entstehen kann, wenn eine Betreibungshandlung
von Amtes wegen als nichtig betrachtet wird). Dies ist hier der Fall:
Würde die Gewährung der Nachlassstundung als nichtig erachtet, könnte der
Schuldner bei der zuständigen Stelle ein neues Stundungsgesuch stellen,
obwohl er auf Grund der ersten Stundungsbewilligung faktisch schon in den
Genuss der ganzen gesetzlichen Stundungsdauer gekommen ist. Ferner ist
es möglich, dass die Fristen, deren Lauf gemäss Art. 297 Abs. 1 SchKG
gehemmt ist, im Falle der Nichtigerklärung der Stundung mittlerweile
abgelaufen wären. - Diese Beispiele zeigen, wie recht JAEGER (aaO N 3 zu
Art. 297, letzter Absatz) hat, wenn er darauf hinweist, dass es "zu ganz
fatalen Konsequenzen" führen würde, wenn die Betreibungsämter und ihre
Aufsichtsbehörden darüber befinden könnten, ob die Nachlassstundung in
richtiger Weise zustande gekommen sei. Mit Rücksicht auf solche möglichen
Folgen erscheint es als angezeigt, an der bisherigen Rechtsprechung
festzuhalten und im vorliegenden Fall die Betreibungsbehörden anzuweisen,
die unangefochten gebliebene Nachlassstundung der örtlich unzuständigen
nidwaldnischen Nachlassbehörde gelten zu lassen.

    Die Vorinstanz befürchtet, dass Gläubiger wegen der Unterlassung
der Publikation der Nachlassstundung im Amtsblatt des Kantons Luzern
ihre Forderungen nicht oder nicht rechtzeitig angemeldet haben und
dadurch in ihren Rechten beeinträchtigt sein könnten (Art. 300 SchKG),
wenn die Stundung als rechtsgültig anerkannt würde. Solchen Gläubigern
kann aber auf andere Weise geholfen werden als durch Nichtigerklärung
der Nachlassstundung, z.B. durch Wiederholung des Schuldenrufs in den
früher nicht berücksichtigten Publikationsorganen und Ansetzung einer
zweiten Anmeldefrist.

Entscheid:

Demnach erkennt die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer:

    Der Rekurs wird gutgeheissen, und es werden der Entscheid des
Obergerichts des Kantons Luzern (Schuldbetreibungs- und Konkurskommission)
vom 15. März 1972 sowie die Konkursandrohung in Betreibung Nr. 11583 des
Betreibungsamtes Horw vom 28. Dezember 1971/13. Januar 1972 aufgehoben.