Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 III 27



98 III 27

5. Entscheid vom 26. April 1972 i.S. L. Regeste

    Rechtsvorschlag (Art. 74 SchKG). Befugnis des Betriebenen,
bei der Zustellung des Zahlungsbefehls durch die Post gegenüber dem
Postboten oder - im Falle der Abholung auf dem Postamt - gegenüber
dem Schalterbeamten sogleich mündlich oder schriftlich Rechtsvorschlag
zu erheben; Bedeutung der Bescheinigung des Rechtsvorschlags auf dem
Zahlungsbefehl (Erw. 1). Wann liegt in den Erklärungen des Betriebenen
ein gültiger Rechtsvorschlag? (Erw. 2).

Sachverhalt

    Am 3. Dezember 1971 übergab der Chef des Postbüros Schwanden dem L.,
den der Postbote zuhause nicht angetroffen hatte, am Postschalter die für
ihn bestimmte Ausfertigung des Zahlungsbefehls, den das Betreibungsamt
Schwanden am 1. Dezember 1971 in der Betreibung Nr. 2639 für eine
Forderung von Fr. 781.60 nebst Zins und Kosten gegen ihn erlassen
hatte. L. nahm in die ihm ausgehändigte Urkunde kurz Einsicht, warf sie
auf den Schaltertisch zurück mit dem Bemerken, er habe mit dieser Sache
nichts zu tun und verweigere diesen Zahlungsbefehl, und verliess das
Postbüro. Ein schriftlicher Bericht des Postbürochefs unterrichtete das
Betreibungsamt über diesen Vorfall.

    Am 14. Dezember 1971 übermittelte das Betreibungsamt
das Gläubigerdoppel des Zahlungsbefehls mit dem Vermerk "Kein
Rechtsvorschlag" der Vertreterin des Gläubigers. Diese verlangte in der
Folge die Fortsetzung der Betreibung. Gegen die vom Betreibungsamt am
20. Januar 1972 erlassene Pfändungsankündigung führte der Betriebene
am 25. Januar 1972 Beschwerde mit dem Begehren, sie sei aufzuheben. Die
untere Aufsichtsbehörde wies diese Beschwerde am 9. Februar 1972 ab. Die
obere kantonale Aufsichtsbehörde, an welche der Betriebene rekurrierte
und vor welcher nur noch streitig war, ob im dargestellten Verhalten des
Betriebenen ein gültiger Rechtsvorschlag liege, bestätigte am 2. März
1972 den erstinstanzlichen Entscheid.

    Auf Rekurs des Betriebenen hin hebt die Schuldbetreibungs- und
Konkurskammer des Bundesgerichts die Pfändungsankündigung auf.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der streitige Zahlungsbefehl ist dem Rekurrenten, wie die
Vorinstanz zutreffend angenommen hat, mit der Übergabe am Postschalter
gültig zugestellt worden, obwohl der Rekurrent ihn dann nicht mitgenommen,
sondern auf den Schaltertisch zurückgeworfen hat (vgl. BGE 97 III 112/13
mit Hinweisen).

    Der Vorinstanz ist auch darin beizustimmen, dass die Übergabe des
Zahlungsbefehls am Postschalter unter dem Gesichtspunkt der Vorschriften
über die Erhebung des Rechtsvorschlags (Art. 45 Abs. 3 und 4 der
Vollziehungsverordnung I vom 1. September 1967 zum Postverkehrsgesetz
= VV I) der Zustellung durch den Postboten gleichzuachten ist und
dass demgemäss der Betriebene die Befugnis, bei der Zustellung des
Zahlungsbefehls sogleich Rechtsvorschlag zu erheben, nicht einbüsst, wenn
er vom Postboten zuhause nicht angetroffen wird und sich entsprechend der
in seinen Briefkasten gelegten Einladung (Art. 157 VV I) auf das Postamt
begibt, um den Zahlungsbefehl dort abzuholen. Der Rekurrent konnte also,
nachdem ihm der streitige Zahlungsbefehl am Postschalter ausgehändigt
worden war, sogleich Rechtsvorschlag erheben, und zwar mündlich oder
schriftlich (Art. 74 Abs. 1 SchKG). Der bei der Postzustellung erklärte
Rechtsvorschlag gilt als an das Betreibungsamt selbst gerichtet (BGE 85
III 168). Die in Art. 45 Abs. 4 VV I und im obligatorischen Formular
für den Zahlungsbefehl vorgesehene Bescheinigung des Rechtsvorschlags
auf beiden Doppeln des Zahlungsbefehls durch den Zusteller ist kein
Gültigkeitserfordernis, sondern dient nur dazu, dem Schuldner den Nachweis
der mündlichen Erklärung zu erleichtern (vgl. BGE 85 III 167/68). Bei
der Postzustellung kann daher ein gültiger Rechtsvorschlag erfolgt sein,
auch wenn eine solche Bescheinigung fehlt, wie es im vorliegenden Falle
zutrifft.

Erwägung 2

    2.- Die Vorinstanz nimmt an, der Rekurrent habe mit seinem Verhalten
nach der Entgegennahme des Zahlungsbefehls aus der Hand des Postbürochefs
nur den Willen geäussert, den Zahlungsbefehl zu refüsieren. Sie verweist
auf JAEGER, der in N. 4 zu Art. 74 SchKG (S. 167) unter Hinweis auf BGE 30
I Nr. 22 S. 163 ff. (Separatausgabe 7 Nr. 3 S. 19 ff.) bemerkt hat, die
Refüsierung eines Zahlungsbefehls dürfe nicht als Rechtsvorschlagserklärung
ausgelegt werden.

    Im Falle BGE 30 I 163 ff. hatte das Bundesgericht entschieden,
in der Erklärung des Betriebenen gegenüber dem Amte, er schicke den
Zahlungsbefehl zurück ("je vous retourne ce commandement de payer"), liege
kein gültiger Rechtsvorschlag; denn sie bedeute nicht notwendigerweise,
dass der Betriebene die Schuld bestreiten wolle, weil die Rücksendung
des Zahlungsbefehls auch aus einem ganz andern Grund erfolgen könne.

    Unter Bezugnahme hierauf hat das Bundesgericht im Entscheid BGE 42
III 402 f. ausgeführt, in diesem Falle habe sich die Betriebene nicht
darauf beschränkt, den Zahlungsbefehl zurückzuschicken, sondern sie
habe ausdrücklich erklärt, sie weise die Betreibung zurück ("Refuser la
poursuite"), woraus sich zweifelsfrei ergebe, dass sie die Schuld oder
doch das Recht des Gläubigers zur Anhebung einer Betreibung bestreiten
wolle; der von ihr gewählte Ausdruck sei freilich nicht glücklich; wo aber
das Gesetz nicht eine bestimmte Form vorschreibe, dürfe von einer nicht
rechtskundigen Person nicht verlangt werden, dass sie sich juristisch
einwandfrei ausdrücke. In Übereinstimmung damit betrachtet HINDERLING
(Der Inhalt des Rechtvorschlags, BlSchK 1945 S. 65 ff., 67) als gültige
Rechtsvorschlagserklärungen u.a. die in die Rubrik für den Rechtsvorschlag
gesetzten Bemerkungen "refusé", "weil bezahlt" oder "Annahme verweigert"
(vgl. dazu auch FAVRE, Droit des poursuites, 2. Aufl. 1967, S. 139, sowie
WALDER, Der Rechtsvorschlag, SJZ 1972 S. 17 ff., 20 Anm. 35). Da sich der
Betriebene gegen eine von ihm als materiell ungerechtfertigt betrachtete
Betreibung nur innert der kurzen Frist für den Rechtsvorschlag zur Wehr
setzen kann und da er so wenig wie der Gläubiger (vgl. hiezu FRITZSCHE,
Schuldbetreibung und Konkurs I, 1967, S. 62) gezwungen sein soll, sich
eines Rechtsbeistandes zu bedienen, rechtfertigt es sich in der Tat,
in einer Erklärung, mit welcher der Betriebene gegen den Zahlungsbefehl
protestiert, im Zweifel einen gültigen Rechtsvorschlag zu erblicken
(HINDERLING, aaO S. 67; JOOS, Handbuch für die Betreibungsbeamten der
Schweiz, 1964, S. 101; vgl. auch FRITZSCHE, aaO S. 127).

    Nach diesen Grundsätzen liesse sich das Vorliegen eines gültigen
Rechtsvorschlags mit der Vorinstanz verneinen, wenn der Rekurrent den ihm
übergebenen Zahlungsbefehl einfach auf den Schaltertisch zurückgeworfen
und das Postamt verlassen hätte, ohne etwas zu sagen. Er hat aber
erklärt, er habe mit dieser Sache nichts zu tun und verweigere (gemeint:
deshalb) den Zahlungsbefehl. Bei dieser Sachlage ist nicht anzunehmen,
sein Wille sei nur darauf gerichtet gewesen, den Zahlungsbefehl als
Urkunde zurückzuweisen. Vielmehr hat er durch seine Erklärung mit
genügender Deutlichkeit den Willen geäussert, die Betreibung als solche
zu bestreiten. In seiner Erklärung ist also ein gültiger Rechtsvorschlag
zu erblicken. Das rechtfertigt sich um so eher, als der Rekurrent ein
fremdsprachiger Ausländer ist und deshalb besondere Schwierigkeiten
hatte, sich richtig auszudrücken und die Eigenart des schweizerischen
Vollstreckungsverfahrens für Geldforderungen zu verstehen.