Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 IB 484



98 Ib 484

71. Urteil vom 27. Oktober 1972 i.S. FBB Frischbeton- und Baustoff AG,
Hinwil gegen Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit. Regeste

    Arbeitsgesetz: Unterstellung unter die Vorschriften für industrielle
Betriebe.

    Begriff des automatisierten Verfahrens im Sinne von Art. 5 Abs. 2
lit. b ArG. Erweiterung der in Art. 13 ArV I getroffenen Umschreibung.

Sachverhalt

                          Sachverhalt:

    A.- Art. 5 Abs. 2 lit. b Arbeitsgesetz (ArG) unterstellt Betriebe mit
fester Anlage von dauerndem Charakter für die Herstellung, Verarbeitung
oder Behandlung von Gütern den Vorschriften über die industriellen
Betriebe, "sofern die Arbeitsweise oder die Arbeitsorganisation
wesentlich durch automatisierte Verfahren bestimmt werden". Nach
Art. 13 der allgemeinen Verordnung zum Arbeitsgesetz (ArV I) gilt ein
Verfahren als automatisiert im Sinne von Art. 5 Abs. 2 lit. b ArG,
"wenn technische Einrichtungen die Bedienung, Steuerung und Überwachung
von Anlagen selbsttätig besorgen und planmässig ablaufen lassen, so dass
normalerweise während des ganzen Verfahrens kein menschliches Eingreifen
erforderlich ist."

    B.- Die FBB Frischbeton- und Baustoff AG, Hinwil, befasst sich mit
der Aufbereitung von Frischbeton und Schwarzdeckenbelägen. Ihr Betrieb
umfasst auf einem Areal von rund 20'000 m2 eine Betonmischanlage,
zwei Belagsfabriken bzw. Mischgutaufbereitungsanlagen und eine
Kiesverladestelle. Die Betonmischanlage produziert bei einer theoretischen
Kapazität von 3000 t pro Tag effektiv 1750-2000 t pro Tag. Die beiden
Belagsfabriken zusammen bereiten bei einer theoretischen Tageskapazität
von 6000 t pro Tag effektiv rund 4500 t Mischgut auf.

    Auf Antrag des Eidg. Arbeitsinspektorats des III. Kreises hat
das BIGA am 2. November 1971 die der Aufbereitung von Frischbeton und
Schwarzdeckenbelägen dienenden Teile des Betriebs gestützt auf Art. 5
Abs. 1 und Abs. 2 lit. b ArG den besonderen Vorschriften dieses Gesetzes
für industrielle Betriebe unterstellt.

    C.- Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt
die FBB Frischbeton- und Baustoff AG, die Unterstellungsverfügung
unter Kosten- und Entschädigungsfolgen aufzuheben. Zur Begründung
führt sie im Rahmen eines doppelten Schriftenwechsels aus, die in Frage
stehenden Betriebsteile seien nicht automatisiert im Sinne von Art. 5
Abs. 2 lit. b ArG und Art. 13 ArV I. Sie unterschieden sich eindeutig
von einer vollautomatisierten Zementfabrik mit Prozessrechnern,
Messwerterfassungsgeräten, Röntgenspektrometern, Abtastgeräten, etc.,
die einer automatischen Kontrolle dienten.

    Es fehle aber auch jeder sachliche Grund, den Betrieb der
Beschwerdeführerin den "industriellen Betrieben" zuzurechnen. Da
der Betrieb seit Jahren bestehe, komme der Unterstellung unter das
Plangenehmigungsverfahren keine Bedeutung zu. Wichtig - und für die
Beschwerdeführerin nachteilig - sei aber die Unterstellung unter die
Arbeitszeit für die industriellen Betriebe. Die Beschwerdeführerin müsse
sich dem Arbeitsrhythmus der Baustellen anpassen können.

    Wenn unter dem Gesichtspunkt des Arbeitsschutzes die Unterstellung
notwendig wäre, hätte die Verwaltung gleichzeitig alle derartigen
Betriebe unterstellen müssen. Dies sei aber nicht geschehen. Weitere
50 Belagsfabriken und über 50 Transportbetonfabriken seien nicht
unterstellt worden, obwohl sie die gleichen Herstellungsverfahren wie
die Beschwerdeführerin anwendeten. Vor allem aber sei auch stossend,
dass jahrelang bestehende Grossbaustellen nicht als industrielle Betriebe
betrachtet würden, während der Teilbetrieb der Beschwerdeführerin nun
unterstellt werden solle.

    D.- Das BIGA beantragt Abweisung der Beschwerde.

    Es gibt zu, dass der Betrieb der Beschwerdeführerin als erster
seiner Art unterstellt wurde, macht jedoch geltend, die Unterstellung der
(weniger grossen) Konkurrenzbetriebe sei vorgesehen.

    E.- Eine Abordnung des Bundesgerichts hat am 5. Juli 1972 im Betrieb
der Beschwerdeführerin einen Augenschein vorgenommen.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Sowohl die Betonmischanlage als auch die beiden Belagsfabriken
sind unbestrittenermassen feste Anlagen von dauerndem Charakter für
die Herstellung, Verarbeitung oder Behandlung von Gütern im Sinne von
Art. 5 Abs. 2 ArG. Durch ihren dauernden Charakter unterscheiden sie
sich von Betonmischanlagen und Belagaufbereitungsanlagen auf grossen
Baustellen, die zwar manchmal auch jahrelang in Betrieb stehen, aber
doch zum vorneherein nur für eine bestimmte Aufgabe errichtet werden. Die
Anlagen der Beschwerdeführerin arbeiten nicht nur für zum voraus bestimmte
Baustellen, sondern nehmen Aufträge von einer unbestimmten Vielzahl von
Baustellen entgegen. Sie unterstehen deshalb auch nicht den für Baustellen
geltenden baupolizeilichen Vorschriften und der entsprechenden Kontrolle
der baupolizeilichen Organe (vgl. Verordnung über die Verhütung von
Unfällen bei Bauarbeiten vom 8. August 1967).

    Umstritten ist hier einzig, ob Arbeitsweise und Arbeitsorganisation
der zu unterstellenden Betriebsteile der Beschwerdeführerin "wesentlich
durch automatisierte Verfahren bestimmt werden" (Art. 5 Abs. 2 lit. b
ArG). Art. 13 ArV I geht bei der Umschreibung des automatisierten
Verfahrens im Sinne von Art. 5 Abs. 2 lit. b ArG von einem streng
technischen Begriff der Automation aus. Automatisiert ist nach seinem
Wortlaut ein Verfahren nur, wenn sowohl die Bedienung und die Steuerung
als auch die Überwachung der in Frage stehenden Anlagen selbsttätig
besorgt werden und deshalb normalerweise während des ganzen Ablaufs
des Verfahrens kein menschliches Eingreifen erforderlich ist. Diese
Umschreibung erweist sich jedoch vor Art. 5 Abs. 2 lit. b ArG als zu
eng. Art. 5 Abs. 2 lit. b ArG verfolgt einen ähnlichen Zweck wie einst
Art. 1 Abs. 1 lit. d der Vollziehungsverordnung zum Fabrikgesetz, wonach
"industrielle Anstalten" ungeachtet der Zahl der darin beschäftigten
Arbeitnehmer als Fabriken betrachtet wurden, wenn sie in ihrer Arbeitsweise
unverkennbar Fabrikcharakter aufwiesen (vgl. Botschaft zum ArG BBl 1960 II
955; Komm. Hug Art. 5 ArG N. 20). Dank der Entwicklung der Technik ist es
heute in verschiedenen Branchen möglich, verhältnismässig grosse Anlagen
ausgesprochen industriellen Charakters mit weniger als sechs Arbeitnehmern
zu betreiben. Gerade solche Grossanlagen will Art. 5 Abs. 2 lit. b ArG
offenbar erfassen. Dabei kann nicht entscheidend sein, ob im Einzelfall die
den Arbeitsprozess wesentlich bestimmenden Verfahren im streng technischen
Sinne automatisiert sind. Vielmehr ist anzunehmen, dass eine grosse Anlage
mit bedeutendem Maschinenpark auch dann unter Art. 5 Abs. 2 lit. b ArG
fällt, wenn der gesamte Arbeitsvorgang der Maschinen für jedes gewünschte
Endprodukt von Arbeitnehmern besonders eingestellt und ausgelöst werden
muss, von seiner Auslösung an bis zur Ablieferung des Endproduktes aber
ohne weiteres Zutun abläuft, der menschliche Eingriff in das Verfahren
sich somit auf Wahl und Auslösung des Arbeitsvorgangs und Kontrolle des
Ablaufs beschränkt. Dabei ist ohne Belang, ob der Arbeitsvorgang durch
Lochkarten oder von Hand eingestellt wird oder ob sich die Kontrolle auf
die Überprüfung von Zeigerbewegungen beschränkt oder auch einen Blick
auf das Endprodukt einschliesst. Es kommt nur darauf an, dass zwischen
dem Auslösen des Arbeitsvorganges und der Ablieferung des Endproduktes
normalerweise kein menschlicher Eingriff mehr nötig wird.

Erwägung 2

    2.- Die von der Beschwerdeführerin bei der Aufbereitung von Frischbeton
und Schwarzdeckenbelägen angewendeten Verfahren entsprechen dieser
Voraussetzung. Sie bestimmen wesentlich den Arbeitsprozess im betreffenden
Betriebsteil. Ist der einzelne Produktionsgang einmal eingestellt,
so läuft er grundsätzlich ohne weiteres Zutun der Arbeitnehmer
ab, bis das Endprodukt verladebereit ist. Der Umwandlungsprozess
von den verwendeten Rohprodukten zum Endprodukt ist hier allerdings
verhältnismässig einfach. Automation im technischen Sinne mit Rückmeldung,
Selbstüberwachung und vielleicht sogar Selbstkorrektur scheint deshalb
nicht erforderlich. Jedoch werden durch Betätigung der Schaltanlage sehr
grosse Mengen Materials bewegt, gemischt und schliesslich auf Lastwagen
verladen. Der Betrieb der Beschwerdeführerin lässt sich in dieser Beziehung
nicht mit einem gewerblichen Kleinbetrieb vergleichen, der gegebenenfalls
ähnlich einfache Produktionsverfahren anwendet. Er fällt unter Art. 5
Abs. 2 lit. b ArG und wurde mithin zu Recht den Sondervorschriften des
Arbeitsgesetzes für industrielle Betriebe unterstellt.

    Dass Errichtung und Umgestaltung eines Betriebes in der Grösse
desjenigen der Beschwerdeführerin dem Plangenehmigungsverfahren nach
Art. 8 ArG unterliegen, ist sachlich gerechtfertigt. Der Betrieb der
Beschwerdeführerin ist auch durchaus in der Lage, sich den Bestimmungen
über die Höchstarbeitszeit in industriellen Betrieben anzupassen, zumal er
mit andern Betrieben wenn auch anderer Branchen eng zusammenarbeitet, was
einen gewissen Personalausgleich ermöglicht. Den besonderen Bedürfnissen
des Baugewerbes bei der Belieferung mit Frischbeton oder Frischbelag kann
durch Ausnahmebewilligungen Rechnung getragen werden. Schliesslich ist auch
vernünftig, dass der fragliche Teil des Betriebs der Beschwerdeführerin
durch die Unterstellung unter die Sondervorschriften für industrielle
Betriebe hinsichtlich der Verschiebung der Grenzen der Tagesarbeit der
Aufsicht des BIGA und hinsichtlich der Einhaltung der Verordnung III zum
Arbeitsgesetz (Gesundheitsvorsorge und Unfallverhütung in industriellen
Betrieben) der Aufsicht des zuständigen eidg. Arbeitsinspektorats
unterworfen wird. Betriebe oder Betriebsteile dieser Art sollen sich
diesen Kontrollen nicht dadurch entziehen können, dass sie die Zahl ihrer
Beschäftigten dauernd unter sechs halten.

    Was die Beschwerdeführerin an Gegenargumenten vorbringt, dringt
nicht durch. Alles, was sie hinsichtlich des menschlichen Eingreifens
in den Produktionsprozess darlegt, bezieht sich auf Einstellungs-
und Kontrollarbeiten. Dass dort der Mensch nach wie vor nötig ist,
ja, dass diese Einstellungs- und Kontrollarbeiten einen hohen Grad von
Aufmerksamkeit und Verantwortlichkeit verlangen, trifft zu, ist aber für
die Frage der Unterstellung unter die Sondervorschriften für industrielle
Betriebe nicht entscheidend, wie die Auslegung von Art. 5 Abs. 2 lit. b ArG
ergeben hat. Schliesslich versteht sich von selbst, dass die Verwaltung
verpflichtet ist, nicht nur den in Frage stehenden Betriebsteil der
Beschwerdeführerin, sondern alle Betriebe und Betriebsteile in der Schweiz,
die die entsprechenden Voraussetzungen erfüllen, den Sondervorschriften
des Arbeitsgesetzes für industrielle Betriebe zu unterstellen.

    Der angefochtene Entscheid hält somit der Überprüfung durch das
Bundesgericht stand.