Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 IB 30



98 Ib 30

6. Auszug aus dem Urteil vom 25. Februar 1972 i.S. Verband
nordostschweizerischer Käserei- und Milchgenossenschaften gegen Gwerder
und Eidg. Volkswirtschaftsdepartement. Regeste

    Milchstatut: Bewilligung der Einrichtung und des Betriebs neuer
Anlagen zur Herstellung und Abfüllung von Pastmilch. Auslegung des Art.
21bis Abs. 4 MB.

Sachverhalt

    A.- Anton Gwerder bezieht die Pastmilch beim Verband
nordostschweizerischer Käserei- und Milchgenossenschaften in Winterthur
(nachfolgend "Milchverband" genannt); dabei handelt es sich bis anhin
um bloss geringfügige Quantitäten von wenigen hundert Litern pro
Jahr. Die Lieferungen erfolgen jeweils am Montag, Mittwoch und Freitag
gemäss vorheriger Bestellung, wobei jene für den Freitag telephonisch
bis spätestens Donnerstag, 15.00 Uhr, aufgegeben werden kann. Anton
Gwerder möchte dazu übergehen, die Pastmilch selber herzustellen. Er
erhofft sich davon eine massive Umsatzsteigerung, weil er sich dann
dem wetterabhängigen Touristenverkehr im Muotathal anpassen könnte,
was nach der bisherigen Regelung nicht möglich sei. Sein entsprechendes
Gesuch vom 18. Dezember 1970 wurde von der Abteilung für Landwirtschaft
am 15. April 1971 abgelehnt, weil sich die Selbstherstellung nach Massgabe
der Gestehungskostenrechnung nicht kostensparend auswirke und deshalb die
Voraussetzungen des Art. 21 bis Abs. 4 Milchbeschluss nicht erfüllt seien.

    Gegen diesen Entscheid erhob Anton Gwerder Beschwerde. Diese wurde vom
EVD am 31. August 1971 mit der Begründung gutgeheissen, dass gesamthaft die
geordnete und kostensparende Konsummilchversorgung und die zweckmässige
Milchverarbeitung durch die Selbstherstellung nicht gestört würden und
dass örtlich von der Eigenfabrikation eine Verbesserung der Verhältnisse
in bezug auf die Deckung des Pastmilchbedarfes und die zweckmässige
Milchverwertung zu erwarten seien.

    B.- Gegen diesen Entscheid erhebt der Milchverband
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Er beantragt, das Bewilligungsgesuch des
Anton Gwerder sei abzulehnen.

    Anton Gwerder beantragt die Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde; ebenso das EVD für den Fall, dass auf die
Beschwerde eingetreten werde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- (Eintretensfrage).

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 21 bis Abs. 4 Milchbeschluss sind die Erstellung
und der Betrieb neuer Anlagen für die Herstellung und Abfüllung von
Pastmilch nur zu bewilligen, "wenn dadurch gesamthaft die geordnete und
kostensparende Konsummilchversorgung und die zweckmässige Milchverarbeitung
nicht gestört werden und eine einwandfreie Qualität gewährleistet
wird". Die Qualitätsfrage ist nicht streitig. Die Handelsstelle des
Schweizerischen Milchkäuferverbandes hat der Abteilung für Landwirtschaft
mitgeteilt, dass die Anlage von Anton Gwerder die Herstellung qualitativ
einwandfreier Pastmilch gewährleiste. Überdies sind im angefochtenen
Entscheid die Bestimmungen der Lebensmittelverordnung ausdrücklich
vorbehalten worden. Zu prüfen sind die übrigen Voraussetzungen zur
Erteilung der Bewilligung. Diese müssen nach Art. 21 bis Abs. 4
Milchbeschluss "gesamthaft" beurteilt werden, was bedingt, dass die
einzelnen Beurteilungsfaktoren gegeneinander abgewogen werden; die
Gegenüberstellung von sämtlichen Vor- und Nachteilen muss ihren Ausdruck
in einer Gesamtwürdigung finden.

    a) Das EVD ging im angefochtenen Entscheid davon aus, bei
Selbstherstellung könnte Anton Gwerder einen Jahresumsatz von 12 000 l
erreichen. Nach Ansicht des Milchverbandes ist eine derartige Entwicklung
des Pastmilchumsatzes "völlig unwahrscheinlich". Wie es sich damit verhält,
kann das Bundesgericht frei prüfen (Art. 104 lit. b OG und Umkehrschluss
aus Art. 105 Abs. 2 OG). Dabei ist indes zu berücksichtigen, dass es sich
um eine Schätzung für die Zukunft handelt und zwar auf einem Spezialgebiet,
in dem die zuständige Verwaltungsbehörde über grosse Erfahrung verfügt. Das
Bundesgericht hat daher seine Überprüfung auf die Frage zu konzentrieren,
ob die möglichen und zumutbaren Abklärungen getroffen wurden und ob die
angestellte Schätzung den Beurteilungsfaktoren in vernünftiger Weise
Rechnung trägt.

    Entgegen der Darstellung des Milchverbandes ist die von der Vorinstanz
getroffene Schätzung nicht "ohne Abklärung der wirklichen Verhältnisse"
erfolgt. Das EVD hat Abklärungen getroffen, die insofern erst ermöglicht
wurden, als Anton Gwerder die Anlage im April 1971 eigenmächtig angeschafft
und vorübergehend betrieben hatte. Während dieser Zeit konnte bereits
eine erhebliche Umsatzsteigerung festgestellt werden. Hinzukommt, dass
der Gemeinderat Muotathal das Gesuch des Anton Gwerder unterstützte und
dass insbesondere der Milchkäuferverband Schwyz und Umgebung auf die
Anstrengungen für den touristischen Aufschwung im Muotathal hinwies. Dass
noch weitere Abklärungen hätten getroffen werden können und müssen,
ist nicht ersichtlich; der Milchverband macht diesbezüglich denn auch
keine Vorschläge.

    Aufgrund ihrer Feststellungen durfte das EVD eine Umsatzsteigerung
bis auf 30-351 pro Tag im Jahresdurchschnitt oder rund 12 0001 im
Jahr schätzen. Gestützt darauf sowie auf die übrigen, heute nicht
mehr umstrittenen Bemessungsfaktoren errechnete die Abteilung für
Landwirtschaft im Auftrag des EVD den Gestehungspreis der Pastmilch bei
Selbstherstellung durch Anton Gwerder auf 99,05 Rp/l. Gegenüber dem
Verkaufspreis des Milchverbandes - 90,2 Rp/l - ergeben sich bei der
Selbstherstellung somit Mehrkosten von rund 9 Rp/l. Da Anton Gwerder
den Verkaufspreis von Fr. 1.05/l im Laden und von Fr. 1.10/l auf der
Strasse nicht erhöht, verringert sich seine Marge um die genannten 9
Rappen. Dem steht eine massive Umsatzsteigerung gegenüber, welche die
verringerte Marge weitgehend kompensieren dürfte. Es könnte daher - auf
das Geschäft von Anton Gwerder allein bezogen - kaum von einem Verstoss
gegen den Grundsatz der "kostensparenden Konsummilchversorgung" gesprochen
werden. Wird dagegen auch die Produktion beim Milchverband mit in Betracht
gezogen, ist eine gewisse Verteuerung nicht zu bestreiten. Zwar fällt diese
deshalb nicht so schwer ins Gewicht, weil es eine normale Erscheinung ist,
dass eine Grossanlage kostengünstiger produziert als eine Kleinanlage,
und weil es sicher nicht der Wille des Gesetzgebers sein kann, in Zukunft
nur noch Grossanlagen zu bewilligen. Trotzdem kann unter dem alleinigen
Gesichtspunkt der Gestehungskosten die Selbstherstellung durch Anton
Gwerder nicht als "kostensparend" qualifiziert werden.

    b) Anton Gwerder hat glaubwürdig dargetan und das EVD mit Recht
darauf abgestellt, dass die Ausnützung des Touristenkonsumbedarfs
wegen dessen wetterbedingten Schwankungen eine flexible und kurzfristig
anpassungsfähige Produktionsmöglichkeit voraussetzt. Die Zulieferung aus
Winterthur vermag dem offensichtlich nicht zu entsprechen. Bei den im
Gebirge oft unsicheren und rasch wechselnden Wetterlagen dürfte es nur
selten möglich sein, bereits am Donnerstagnachmittag mit hinreichender
Zuverlässigkeit den Touristenbedarf des Wochenendes abzuschätzen. Wegen
der beschränkten Haltbarkeit der Pastmilch ist aber eine Anpassung des
Angebotes an die Nachfrage unabdingbar. Mit ihr steht und fällt die Deckung
des Touristenbedarfs im abgelegenen Muotathal und damit ganz allgemein
die Absatzsteigerung von Pastmilch. Daraus ergibt sich, dass die von
Anton Gwerder angestrebte Selbstherstellung von Pastmilch die "geordnete
Konsummilchversorgung" nicht nur nicht stört, sondern erheblich verbessert.
Dasselbe gilt bezüglich der "zweckmässigen Milchverarbeitung". Durch
das erhöhte Angebot und den vermehrten Konsum von Pastmilch wird eine
volkswirtschaftlich erwünschte Milchverwertung erreicht.

    Wenn der Milchverband die wenigen hundert Liter Pastmilch pro Jahr dem
Anton Gwerder nicht mehr liefern kann, ändert dies für ihn hinsichtlich
der Milchverwertung und Milchversorgung kaum Wesentliches. Er macht
aber zusätzlich geltend, eine large Bewilligungspraxis könnte das
gesamte System aus den Fugen geraten lassen. Der Entscheid des EVD
ist jedoch nicht dazu angetan, eine generell large Bewilligungspraxis
einzuleiten. Darin wird lediglich Rücksicht genommen auf die in concreto
besonders gelagerten Verhältnisse, namentlich auf die Abgelegenheit
und Abgeschlossenheit des in Frage stehenden Versorgungsgebietes,
die verhältnismässig komplizierte Zulieferung aus Winterthur sowie die
nur kurzfristig erkennbaren Schwankungen der Nachfrage. Überdies fällt
positiv ins Gewicht, dass durch die angestrebte Selbstherstellung ein
neues Absatzgebiet für Pastmilch überhaupt erst erschlossen werden
kann. Der vorliegende Fall dürfte sich daher von zahlreichen andern,
namentlich solchen aus dem Mittelland, wesentlich unterscheiden. In diesem
Lichte kann er auch nicht mit dem vom Bundesgericht beurteilten "Fall
Villmergen" (Urteil vom 28.4.1967), den der Milchverband zur Begründung
seiner Auffassung heranzieht, verglichen werden.

    c) Zusammenfassend ist demnach festzuhalten, dass dem Nachteil
hinsichtlich der Gestehungskosten im vorliegenden Fall der Vorteil der
wesentlich bessern Milchversorgung gegenübersteht. Durch diesen Vorteil
wird der Nachteil zumindest ausgeglichen. Auch stört die Selbstherstellung
von Pastmilch die zweckmässige Milchverarbeitung im Sinne von Art. 21 bis
Abs. 4 Milchbeschluss nicht. Das EVD hat daher die Bewilligung zu Recht
erteilt. Die Beschwerde des Milchverbandes ist unbegründet.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.