Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 IB 289



98 Ib 289

42. Auszug aus dem Urteil vom 29. März 1972 i.S. Fontana und Mitbeteiligte
gegen Regierungsrat des Kantons Schwyz. Regeste

    Nationalratswahlen, Vorverfahren; Tragweite des
Abstimmungsgeheimnisses.

    1.  Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde (Erw. 1).

    2.  Die kantonale Behörde hat die Namen der Unterzeichner eines
Wahlvorschlages Stimmberechtigten auf Verlangen bekanntzugeben (Erw. 4).

Sachverhalt

    A.- Bei der Gesamterneuerung des Nationalrates Ende Oktober 1971
waren im Kanton Schwyz wie bisher drei Ratsmitglieder zu wählen. Die bis
anhin im Rat vertretenen politischen Parteien des Kantons liessen im
gegenseitigen Einvernehmen je einen Einervorschlag einreichen. Um die damit
beabsichtigte "stille Wahl" zu verhindern, reichte ein Aktionskomitee "Wir
wollen wählen" einen eigenen, diese Bezeichnung tragenden Dreiervorschlag
- Liste Nr. 4 - ein. An erster Stelle unterzeichnete diesen Vorschlag
Jean-Albert Fontana, Sprachlehrer in Ibach; weitere Unterzeichner waren
Karl Kümin, Gerichtsschreiber des Bezirkes Höfe in Wollerau, Richard-André
Schindler, Rechtsanwalt in Schwyz, und Dr. Xaver Schnüriger, Land- und
Gerichtsschreiber des Bezirkes Schwyz in Schwyz.

    Parteipolitiker ersuchten die Staatskanzlei des Kantons Schwyz, ihnen
die Unterzeichner der Liste Nr. 4 bekanntzugeben. Der Regierungsrat,
dem das Begehren vorgelegt wurde, beschloss am 27. September 1971, die
Staatskanzlei zu beauftragen, "allfälligen Interessenten Einblick in
die Wahlvorschläge und die Namen ihrer Unterzeichner zu gewähren". Zwei
Kantonsräte nahmen darauf Einsicht in die Liste der Unterzeichner des
Wahlvorschlags Nr. 4.

    Mit Eingabe vom 29. September 1971 beantragte Jean-Albert Fontana im
Namen des genannten Komitees dem Regierungsrat, "alle geeigneten Massnahmen
zu treffen, damit das Wahlgeheimnis gewahrt bleibt, und jene Personen, die
in die Liste 'Wir wollen wählen' Einsicht genommen haben, aufzufordern,
von ihrer Kenntnis keinen Gebrauch zu machen". Der Regierungsrat lehnte
das Begehren am 4. Oktober 1971 ab.

    B.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 26. Oktober 1971 beantragen
die vier erwähnten Unterzeichner der Liste Nr. 4, die genannten Beschlüsse
des Regierungsrates seien aufzuheben, und dieser sei anzuweisen, "die
Listen mit den Namen der Unterzeichner von Wahlvorschlägen betreffend
die Nationalratswahlen nicht öffentlich aufzulegen und Personen, die
in die Liste Nr. 4 Einsicht genommen haben, aufzufordern, von ihrer
Kenntnis keinen Gebrauch zu machen". Die Beschwerdeführer machen geltend,
die angefochtenen Beschlüsse verletzten das im Gesetz gewährleistete
Wahlgeheimnis.

    Das Gesuch der Beschwerdeführer, dem Regierungsrat sei durch
vorsorgliche Verfügung eine Weisung im Sinne des Beschwerdebegehrens
zu erteilen, ist vom Präsidenten der verwaltungsrechtlichen Kammer am
27. Oktober 1971 abgewiesen worden.

    C.- Der Regierungsrat des Kantons Schwyz und die Schweizerische
Bundeskanzlei beantragen die Abweisung der Beschwerde.

    Das Bundesgericht folgt diesem Antrag.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die angefochtenen Beschlüsse des Regierungsrates betreffen das
Vorverfahren im Sinne des Art. 12 des Bundesgesetzes vom 14. Februar 1919
über die Wahl des Nationalrates (NWG). Sie stellen Verfügungen gemäss
Art. 5 VwG dar, und zwar solche einer letzten kantonalen Instanz, wie sich
aus Art. 12 NWG ergibt. Daher ist hier nach Art. 97 und Art. 98 lit. g
OG die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig, wenn sie nicht durch eine
Ausnahmebestimmung ausgeschlossen ist. Eine solche Vorschrift besteht
jedoch nicht.

    Zwar hatte der Bundesrat in dem der Bundesversammlung mit Botschaft
vom 24. September 1965 (BBl 1965 II 1265 ff.) unterbreiteten Entwurf
für ein Bundesgesetz über die Änderung des OG vorgeschlagen, die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen "Verfügungen auf Grund von Bestimmungen
über die eidgenössischen Wahlen, Volksbegehren und Abstimmungen"
unzulässig zu erklären (Art. 99 lit. d Entw.); doch hat die Kommission
des Nationalrates diese Ausnahme abgelehnt, und dabei ist es geblieben.

    Art. 12 NWG behält indessen die "Befugnisse des Nationalrates"
vor. Dieser Vorbehalt ist durch die letzte Revision des OG nicht beseitigt
worden. Er bezieht sich auf die Zuständigkeit des Nationalrates zur
letztinstanzlichen Beurteilung von Anständen über die Gültigkeit einer
"zu Ende geführten" Nationalratswahl (vgl. Art. 10, 11, 25 und 29 des
Bundesgesetzes vom 19. Juli 1872 betreffend die eidgenössischen Wahlen
und Abstimmungen [WAG]; Art. 4 des Geschäftsreglements des Nationalrates
vom 2. Oktober 1962). Hier liegt aber nicht eine solche Streitigkeit
vor. Vielmehr handelt es sich um einen Anstand, der nach der früheren
Ordnung (Art. 125 Abs. 1 lit. b alt OG) an den Bundesrat als letzte Instanz
hätte gezogen werden können. Nach dem neuen Recht tritt in einem solchen
Fall das Bundesgericht als Beschwerdeinstanz an die Stelle des Bundesrates.

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die angefochtenen Verfügungen
des Regierungsrates des Kantons Schwyz wäre allerdings nicht unmittelbar
zulässig, wenn nach dem Bundesrecht zunächst Beschwerde bei einer
Vorinstanz im Sinne von Art. 98 lit. b-f OG hätte geführt werden können
(Art. 98 lit. g OG; vgl. auch Art. 102 lit. d ebenda). Eine solche
vorgängige Beschwerde ist jedoch im Bundesrecht für den hier gegebenen
Fall nicht vorgesehen. Insbesondere konnten die Verfügungen der Schwyzer
Regierung nicht an eine eidgenössische Mittelinstanz - in Betracht käme die
Bundeskanzlei - weitergezogen werden. Die automatische Kompetenzdelegation
an eine Mittelinstanz nach Art. 23 Abs. 2 und 4 des Bundesgesetzes über
die Organisation der Bundesverwaltung ist auf Materien beschränkt, in
denen der Bundesrat bisher als erste und einzige Instanz verfügte. Diese
Voraussetzung ist hier nicht erfüllt.

    Die vorliegende Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher zulässig,
wie im Meinungsaustausch zwischen dem Bundesgericht und der Bundeskanzlei
festgestellt worden ist.

    2./3. - (Weitere prozessuale Fragen).

Erwägung 4

    4.- Bei den Wahlen für den Nationalrat ist nach der Gesetzgebung
des Bundes das Abstimmungsgeheimnis zu beachten. Die grundlegende
Vorschrift findet sich in Art. 8 Abs. 1 WAG, wonach diese Wahlen
"mittels schriftlicher und geheimer Stimmabgabe" stattfinden. Das
Geheimnis wird nochmals im NWG erwähnt, welches in Ausführung des in
der Volksabstimmung vom 13. Oktober 1918 angenommenen Art. 73 BV das
Verfahren der Nationalratswahl nach dem Grundsatz der Proportionalität
ordnet. Art. 11 NWG enthält in Abs. 1 und 2 Vorschriften über die
Ausgestaltung der Wahlzettel und deren Verteilung an die Stimmberechtigten
und fügt in Abs. 3 bei: "Das Geheimnis der Abstimmung ist unter allen
Umständen zu wahren."

    Es ist klar, dass nach Art. 8 Abs. 1 WAG und Art. 11 Abs. 3 NWG auf
jeden Fall nicht bekanntgegeben werden darf, wem der einzelne Wähler in der
Wahlverhandlung - dem eigentlichen Wahlakt - seine Stimme gibt. Streitig
ist, ob nach der gesetzlichen Ordnung auch die Liste der Unterzeichner
eines Wahlvorschlages geheimzuhalten sei. Die Beschwerdeführer bejahen dies
mit der Begründung: Nur Stimmberechtigte seien befugt, einen Wahlvorschlag
zu unterzeichnen. Einzig die von den Unterzeichnern nominierten Kandidaten
könnten schliesslich vom Volk gewählt werden, und unter bestimmten
Voraussetzungen würden sie sogar ohne weiteres als gewählt erklärt. "Weil
die Unterzeichner in Ausübung ihres Stimmrechtes handeln, müssen sie
auch den Schutz des Abstimmungsgeheimnisses geniessen." Ohne diesen
Schutz müssten sie vielfach mit "Pressionen" oder "Vergeltungsschlägen"
politischer Gegner rechnen. Sie seien in einer ähnlichen Lage wie die
Unterzeichner von Initiativ- oder Referendumsbegehren, deren Namen denn
auch geheimzuhalten seien. Die Beschwerdeführer meinen, ihre Auffassung
entspreche dem "klaren Wortlaut" des Art. 11 Abs. 3 NWG und sei "nach
herrschender Lehre unbestritten".

    a) In Art. 8 Abs. 1 WAG ist von der "Stimmabgabe" die Rede; im
französischen Text steht dafür "scrutin", im italienischen "voto". Diese
Ausdrücke passen für die Willenskundgebung des Wählervolkes im eigentlichen
Wahlakt, dagegen kaum auch für die Unterzeichnung und Einreichung eines
Wahlvorschlages in dem erst durch das NWG eingeführten, der Verwirklichung
des Grundsatzes der Proportionalität dienenden Vorverfahren. Das in
Art. 11 Abs. 3 NWG verwendete Wort "Abstimmung" hat dem Anschein nach
die gleiche Bedeutung wie der Ausdruck "Stimmabgabe"; werden doch in den
romanischen Texten dieser Bestimmung wiederum die Ausdrücke "scrutin"
und "voto" gebraucht. Die Ausdrucksweise der beiden Bestimmungen lässt
eher darauf schliessen, dass nur die Wahlverhandlung - die Abstimmung
durch das Volk - und nicht auch schon das Vorschlagsverfahren unter dem
Schutze des Geheimnisses steht. Indessen ist noch zu prüfen, ob diese
wörtliche Auslegung dem wahren Sinn der gesetzlichen Ordnung entspricht.

    b) Aus den Gesetzesmaterialien ergeben sich keine Anhaltspunkte für
die Beurteilung der streitigen Auslegungsfrage. Insbesondere spricht sich
die Botschaft des Bundesrates zum NWG über die Tragweite des Art. 11 Abs. 3
Entw. (= Art. 11 Abs. 3 NWG) nicht näher aus (BBl 1918 V S. 132 Abs. 4).

    c) Die Beschwerdeführer berufen sich auf Ausführungen von
FLEINER/GIACOMETTI (Schweiz. Bundesstaatsrecht S. 500), B. M. SCHNEWLIN
(Das Verfahren zur Wahl des schweiz. Nationalrates, Berner Diss. 1946,
S. 28 und 122 f.), K. LAELY (Die stille Wahl in der Demokratie, Berner
Diss. 1951, S. 144) und M. USTERI (Ausübung des Stimm- und Wahlrechtes
nach freiheitsstaatlichen Prinzipien, ZSR 1959 Bd. II S. 424 a,
Ziff. 45). Diese Hinweise helfen jedoch den Beschwerdeführern nicht.

    FLEINER/GIACOMETTI bemerken aaO (in § 50, "Der Nationalrat"): "Das
ganze Wahlverfahren steht unter dem besonderen Schutz des schweizerischen
Strafgesetzbuches." Darauf lässt sich der Standpunkt der Beschwerdeführer
nicht stützen. Namentlich kann nichts zu ihren Gunsten daraus abgeleitet
werden, dass nach Art. 283 StGB ("Verletzung des Abstimmungs- und
Wahlgeheimnisses") bestraft wird, "wer sich durch unrechtmässiges Vorgehen
Kenntnis davon verschafft, wie einzelne Berechtigte stimmen oder wählen".
Gewiss wird durch diese Strafbestimmung auch das in Art. 8 Abs. 1 WAG und
Art. 11 Abs. 3 NWG verankerte Geheimnis der Nationalratswahl geschützt. Ob
sich dieses Geheimnis auch auf die Unterzeichnung der Wahlvorschläge
beziehe, ist aber gerade die hier zu entscheidende Frage. Die Lösung muss
sich aus der Auslegung des WAG und des NWG ergeben. FLEINER/GIACOMETTI
äussern sich zu der Frage, die zu beurteilen ist, gar nicht, auch nicht
etwa auf S. 451, wo sie vom Geheimnis der Stimmabgabe gemäss Art. 8 Abs. 1
WAG sprechen.

    SCHNEWLIN sagt auf S. 28 lediglich, dass die Unterschriften zwar
einen wesentlichen Bestandteil des Wahlvorschlages bilden, aber nicht zur
bereinigten Liste gehören und deshalb nicht veröffentlicht werden. Damit
erklärt er keineswegs, die Namen der Unterzeichner dürften überhaupt nicht,
auch nicht auf Anfrage hin, bekanntgegeben werden. Im gleichen Sinne sind
seine Ausführungen auf S. 123 zu verstehen.

    LAELY äussert sich ähnlich wie SCHNEWLIN; auch er nimmt zur Frage,
ob die Namen der Unterzeichner auf Anfrage bekanntgegeben werden dürfen,
nicht Stellung.

    USTERI erklärt aaO nur, dass das Prinzip der geheimen Stimmabgabe
auch für Initiativ- und Referendumsbegehren gelte, d.h. dass die Namen
der Unterzeichner solcher Begehren nicht veröffentlicht werden dürften
(dazu lit. h hiernach); vom Wahlvorschlagsrecht gemäss NWG ist dort
nicht die Rede.

    Dagegen berührt A. RUDOLF (Das eidg. Proportionalwahlrecht, 1922) die
hier streitige Frage. Er neigt aber offenbar der Auffassung zu, dass die
Namen der Unterzeichner eines Wahlvorschlages anderen "Vorschlagsgruppen"
auf Verlangen bekanntzugeben seien (S. 46, 62).

    d) Nach Art. 5 NWG muss jeder Wahlvorschlag von mindestens 15 im
Wahlkreis wohnhaften Stimmberechtigten eigenhändig unterzeichnet sein
(Abs. 1); ein Stimmberechtigter darf nicht mehr als einen Wahlvorschlag
unterzeichnen (Abs. 2). Die Kantonsregierung oder die von ihr bezeichnete
Amtsstelle hat die eingereichten Wahlvorschläge von Amtes wegen zu
prüfen (Art. 9 NWG) und dabei auch zu untersuchen, ob diese Vorschriften
eingehalten sind. Gegen Verfügungen unterer Instanzen hierüber kann nach
Art. 12 NWG Beschwerde bei der Kantonsregierung geführt werden. Das NWG
sagt nicht, wer zu dieser Beschwerde befugt ist. A. RUDOLF hält dafür, dass
in der Regel jeder stimmberechtigte Bürger dazu legitimiert sei (aaO S. 85
ff.). Das ist offenbar auch die Auffassung des Regierungsrates des Kantons
Schwyz. Wie es scheint, nimmt er an, dass die Einsicht in die Liste der
Unterzeichner eines Wahlvorschlags den anderen Stimmberechtigten schon
deshalb gestattet werden müsse, weil diese sonst nicht imstande wären,
wegen Verletzung der genannten Bestimmungen des Art. 5 NWG Beschwerde
bei der Kantonsregierung zu erheben. Wie es sich damit verhalte, kann
indessen offen gelassen werden, weil die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
auf jeden Fall aus anderen Gründen - auch nach Ansicht der Vorinstanz
und der Bundeskanzlei - nicht gutgeheissen werden kann.

    e) Nach Art. 8 NWG kann ein Vorgeschlagener bis am 30.  Tage vor
dem Wahltag die Erklärung abgeben, dass er eine Wahl ablehne. Für seinen
Entschluss kann entscheidend sein, von wem er vorgeschlagen worden ist. Er
muss daher verlangen können, dass ihm die Liste der Unterzeichner des
Wahlvorschlages zugänglich gemacht wird, wenn ihm die Identität der
Vorschlagenden nicht ohnedies schon bekannt ist.

    f) Im Proportionalwahlverfahren gemäss NWG ist den Unterzeichnern von
Wahlvorschlägen eine wichtige Rolle zugewiesen. Die zur Teilnahme an der
Wahlverhandlung aufgerufenen Wähler können in diesem Verfahren nur für
Personen stimmen, die in einem Wahlvorschlag als Kandidaten nominiert
worden sind, und dementsprechend auch nur für politische Parteien oder
Gruppen, welche Urheber eines solchen Vorschlags sind. Der Ausgang der
Wahl kann ferner dadurch beeinflusst werden, dass die Unterzeichner zweier
oder mehrerer Vorschläge diese miteinander verbinden (Art. 7 NWG). Von
besonderer Bedeutung ist sodann die Möglichkeit der "stillen Wahl":
Ist nur eine einzige Liste vorhanden oder überschreitet die Gesamtzahl
der Kandidaten aller Listen nicht die Zahl der zu wählenden Vertreter,
so werden alle Kandidaten einfach von der Kantonsregierung als gewählt
erklärt und findet nur für die allenfalls unbesetzt gebliebenen Sitze
eine Wahlverhandlung statt (Art. 22 Abs. 1 und 2 NWG). Bemerkenswert
ist auch, dass für Ergänzungswahlen zunächst ausschliesslich die
Unterzeichner derjenigen Liste, zu welcher die ausgeschiedenen Mitglieder
des Nationalrates gehörten, das Recht auf Einreichung eines Vorschlags
haben (Art. 25 Abs. 2 NWG).

    Wie schon diese Hinweise zeigen, kann es der Allgemeinheit
nicht gleichgültig sein, wer die Personen sind, welche vom Recht auf
Einreichung von Wahlvorschlägen Gebrauch machen und die damit verbundenen
weitreichenden Kompetenzen erhalten. Da die Funktionen, die das Gesetz
den Unterzeichnern von Wahlvorschlägen zuweist, die Rechte der gesamten
Aktivbürgerschaft berühren, drängt sich die Annahme auf, dass nicht
nur den zur Wahl Vorgeschlagenen, sondern jedem Stimmberechtigten auf
Verlangen die Liste der Unterzeichner bekanntgegeben werden muss.

    g) Zu beachten ist insbesondere, wozu das Geheimnis der Stimmabgabe
bestimmt ist. Es soll Gewähr dafür bieten, dass jeder stimmberechtigte
Bürger frei und unabhängig stimmen oder wählen kann (FLEINER/GIACOMETTI
aaO S. 451; J. CASTELLA, L'exercice du droit de vote, ZSR 1959 Bd. II
S. 572 a). Diesem Zweck der Geheimhaltungspflicht widerspräche es aber,
wenn sie so weit ausgedehnt würde, dass die Freiheit der Stimmabgabe
beeinträchtigt würde. Darauf ist bei der Auslegung des Art. 8 Abs. 1 WAG
und des Art. 11 Abs. 3 NWG Bedacht zu nehmen.

    Wie gesagt, können im Proportionalwahlverfahren gemäss NWG die an
der Wahlverhandlung teilnehmenden Bürger nur für Personen stimmen,
die in einem Wahlvorschlag als Kandidaten nominiert worden sind,
und auch nur für politische Parteien oder Gruppen, die hinter einem
Wahlvorschlag stehen. Es kommt indessen vor, dass einem Wähler die
politische Einstellung eines Kandidaten und der Gruppe, die diesen
Kandidaten vorgeschlagen hat, zunächst nicht bekannt oder nicht klar
ist. Die Bezeichnungen der Wahlvorschläge geben darüber nicht immer
Aufschluss. Sie sind im allgemeinen kurz und oft recht unbestimmt. Sie
können nach Belieben gefasst werden, vorausgesetzt, dass sie eine genügende
Unterscheidung der Vorschläge erlauben (Art. 5 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 NWG);
Phantasiebezeichnungen sind nicht ausgeschlossen. Um das Stimmrecht in
voller Freiheit und Unabhängigkeit ausüben zu können, muss aber jeder
Wähler die Möglichkeit haben, sich Klarheit über die politischen Absichten
der Vorgeschlagenen und der Vorschlagenden zu verschaffen. Ein dafür
geeignetes Mittel ist die Einsicht in die Liste der Vorschlagenden.
Wäre deren Identität geheimzuhalten, so wäre mancher Wähler unter
Umständen ausserstande, sich über die politische Einstellung der einen
oder anderen Gruppe von Unterzeichnern zu vergewissern, und wäre daher
die Abstimmungsfreiheit beeinträchtigt. Das ist ein gewichtiger Grund
für die Annahme, dass die Namen der Unterzeichner jedem Stimmberechtigten
auf Verlangen bekanntzugeben sind.

    h) Die Beschwerdeführer weisen darauf hin, dass die Namen der
Unterzeichner von Initiativ- und Referendumsbegehren geheimzuhalten
seien. Das scheint in der Tat ein in der Schweiz allgemein anerkannter
Grundsatz zu sein (vgl. Art. 4 Abs. 5 BG vom 23. März 1962 über das
Verfahren bei Volksbegehren auf Revision der Bundesverfassung; ZBl
60/1959 S. 58 und 140; M. USTERI aaO). Es ist jedoch zu bedenken,
dass der Geheimhaltung der Namen der Unterzeichner eines Initiativ-
oder eines Referendumsbegehrens keine schutzwürdigen Interessen der
Gesamtheit der Stimmberechtigten entgegenstehen. Insbesondere kann
die Abstimmungsfreiheit dadurch, dass diese Namen nicht bekanntgegeben
werden, unter keinen Umständen beeinträchtigt werden. Hinsichtlich der
Unterzeichner der im NWG vorgesehenen Wahlvorschläge verhält es sich
anders, wie oben ausgeführt ist.

    i) Die Beschwerdeführer machen geltend, dass die Personen, welche
einen Wahlvorschlag unterzeichnen und von den daraus sich ergebenden
Befugnissen Gebrauch machen, damit ihr Stimmrecht ausüben, was sich
namentlich im Fall der "stillen Wahl" zeige, und dass sie "Pressionen" zu
gewärtigen hätten, wenn die Unterzeichnerliste nicht geheimgehalten werden
müsste. Es trifft allerdings zu, dass die Funktionen der Unterzeichner in
ihrem Stimmrecht begründet sind, und es ist auch nicht ausgeschlossen,
dass die Unterzeichner ab und zu gewissen Unannehmlichkeiten ausgesetzt
sein könnten, wenn ihre Namen auf Verlangen bekanntzugeben sind. Weit
mehr Gewicht als das Interesse der Unterzeichner an der Geheimhaltung der
Listen hat aber das Interesse der Allgemeinheit an deren Zugänglichkeit;
insbesondere erfordert der Grundsatz der Abstimmungsfreiheit, dass die
Listen allen Stimmberechtigten offenstehen. Wer einen Wahlvorschlag
unterzeichnet und damit bedeutsame öffentlich-rechtliche Funktionen
übernimmt, muss sich der Öffentlichkeit stellen, auch wenn ihm dies
schwer fällt. Kommt es zu einer Wahlverhandlung - was die Regel ist -,
so geniessen die Unterzeichner wie alle anderen Stimmberechtigten den
Schutz des Geheimnisses, dem dieser Akt unterworfen ist.

    k) Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich das in Art. 8 Abs. 1
WAG und Art. 11 Abs. 3 NWG vorgeschriebene Geheimnis der Stimmabgabe
(Abstimmung) nach dem Wortlaut und Sinne dieser Bestimmungen nicht auch
auf die Listen der Unterzeichner von Wahlvorschlägen bezieht.