Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 IB 21



98 Ib 21

4. Urteil vom 28. Januar 1972 i.S. A. gegen Eidg. Steuerverwaltung.
Regeste

    Warenumsatzsteuer: Steuerpflicht eines Bildhauers.  Rechtsungleiche
Behandlung?

Sachverhalt

    A.- A. betreibt ein Bildhaueratelier. Er ist im Handelsregister
eingetragen. Er hat der Eidg. Steuerverwaltung (EStV) für die Jahre 1968
und 1969 folgende Umsätze gemeldet:

    1968: 1969

    Fr.: Fr.

    Grabmale: 25'610.--: 26'971.50

    Plastiken für öffentliche Plätze: 48'631.--: 64'992.40

    "freie" Plastiken und Bilder: -: 10'350.--

    74'241.--: 102'313.90

    Gestützt auf diese Angaben hat die EStV entschieden, dass A. seit
dem 1. Januar 1969 als Grossist (Hersteller) im Sinne von Art. 9
Abs. 1 lit. b WUStB steuerpflichtig sei. Sie hat ihren Befund durch
Einspracheentscheid vom 6. Juli 1971 bestätigt.

    B.- Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt A.,
dieser Entscheid sei aufzuheben. Er bestreitet, dass er der
Warenumsatzsteuerpflicht unterliege. Zur Begründung macht er geltend,
er stelle nicht Waren, sondern Kunstwerke her, und er übe seine Tätigkeit
auch nicht gewerbsmässig aus. Seines Wissens sei bis heute kein anderer
Bildhauer der Warenumsatzsteuerpflicht unterstellt worden.

    Die EStV schliesst auf Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 8 Abs. 1 lit. a WUStB ist steuerpflichtig, wer
als Grossist im Inland Waren liefert. Als Grossist gilt u.a. der
Hersteller, der jährlich für mehr als 35'000 Franken solche Lieferungen
ausführt (Art. 9 Abs. 1 lit. b). Massgebend ist der Umsatz im letzten
der Steuerperiode vorangegangenen Kalenderjahr (Art. 9 Abs. 2). Als
Hersteller gilt, wer gewerbsmässig Waren oder Bauwerke herstellt (Art. 10
Abs. 2). Als Ware gilt u.a., was Gegenstand eines Fahrniskaufes sein kann
(Art. 17). Wer eine von ihm hergestellte Ware einem Käufer oder Besteller
abgibt, führt damit eine Lieferung aus (Art. 15). Der Warenlieferung ist
die Ausführung baugewerblicher Arbeiten für fremde Rechnung gleichgestellt
(Art. 15 Abs. 2 in der Fassung, die bis Ende 1971 in Kraft war; s. nun
Art. 15bis und Art. 18bis).

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer macht in erster Linie geltend, er stelle
nicht Waren, sondern Kunstwerke her. Der Wert des vom bildenden Künstler
geschaffenen Werkes liege nicht "im Grundelement oder im Stoff", sondern
"in der künstlerischen, geistigen Gestaltung", durch die etwas Einmaliges
erzeugt werde. Es ist jedoch klar, dass auch solche Erzeugnisse Gegenstand
eines Fahrniskaufes und damit Waren im Sinne des Art. 17 WUStB sein
können. Das Werk, das der Bildhauer oder der Kunstmaler aus Rohmaterial
(Steinen usw.) schafft, ist das Produkt einer Herstellung (Art. 10 Abs. 2
Satz 2 WUStB). Die Herstellung besteht eben in der "künstlerischen,
geistigen Gestaltung", von welcher der Beschwerdeführer spricht. Ist das
so hergestellte Kunstwerk eine bewegliche Sache und kann es daher Objekt
eines Fahrniskaufes sein, so gilt es nach der Regel des Art. 17 WUStB als
Ware. Die in dieser Bestimmung aufgezählten Ausnahmen (bestimmungsgemäss
verwendete Wertpapiere, Banknoten usw.) kommen im vorliegenden Fall
nicht in Betracht. Die Werke der bildenden Kunst sind auch nicht in der
Freiliste aufgeführt, die in Art. 14 Abs. 1 lit. b WUStB aufgestellt
ist. Eine Ordnung, welche die Lieferung solcher Werke allgemein von der
Umsatzsteuer ausnähme, wäre übrigens praktisch kaum durchführbar, da die
Unterscheidung zwischen Kunstwerken und anderen Erzeugnissen unsicher
ist und die ständige Mitwirkung von Sachverständigen erfordern würde.

    Wenn der Beschwerdeführer von ihm hergestellte bewegliche oder
unbewegliche Erzeugnisse (Grabsteine, Plastiken für öffentliche
Gebäude oder Plätze usw.) einem Käufer oder Besteller abgibt,
führt er somit "Warenlieferungen" im Sinne des WUStB aus. Alle seine
Werke können Gegenstand solcher Lieferungen sein. Wenn sie samt
und sonders als Kunstwerke zu betrachten sind, so ist dies nach dem
Warenumsatzsteuerbeschluss gleichgültig.

Erwägung 3

    3.- Steuerpflichtiger Grossist kann der Hersteller nur werden, wenn
er sich "gewerbsmässig" betätigt, einen "Geschäftsbetrieb" führt (Art. 10
Abs. 2 WUStB). Als gewerbsmässig ist eine selbständige und nachhaltige,
auf Erzielung von Einnahmen gerichtete Tätigkeit anzusehen (WELLAUER,
Warenumsatzsteuer, 1959, N. 86 ff.; vgl. Art. 52 Abs. 3 HRegV).

    Der Beschwerdeführer bestreitet, dass er eine solche Tätigkeit
ausübe. Er führt aus, bei seiner Arbeit stehe nicht die Erzielung eines
kalkulierbaren Ertrages im Mittelpunkt. Der Preis eines Kunstwerkes richte
sich nach der Qualität des künstlerischen Ausdrucks. Der Staat gewähre
den Künstlern, vor allem den Anfängern, finanzielle Beihilfe, womit
er nicht die Wirtschaft, sondern die Kultur fördere. Wenn ein Künstler
schliesslich Erfolg habe, werde er dadurch nicht zum "gewerbsmässigen
Kunstproduzenten". Ob er auf Bestellung oder aus freiem Willen arbeite,
sei nicht massgebend. "So wie sich jeder Bürger ein Kunstwerk schaffen
lassen kann - die grossen Werke früherer Meister sind meistens auch auf
Bestellung entstanden -, drängt es oft den Kunstschaffenden zu einem Werk,
mit dem er seine geistige Ansicht, seine Überzeugung oder sein Gegenwarts-
oder Zukunftsverständnis zum Ausdruck bringen will." Dieses Schaffen habe
mit gewerbsmässiger Warenherstellung nichts zu tun.

    Offenkundig ist, dass der Beschwerdeführer selbständig und dauernd als
Bildhauer arbeitet. Es lässt sich aber auch nicht mit Grund bestreiten,
dass seine Tätigkeit auf Erzielung von Einnahmen gerichtet ist. Zwar wird
zutreffen, dass ein Bildhauer oder Kunstmaler bei seiner Arbeit in der
Regel nicht in erster Linie an den finanziellen Erfolg denkt. Übt er seine
Kunst selbständig und dauernd aus und will er damit den Lebensunterhalt
bestreiten oder wesentlich dazu beitragen, so muss aber doch auch ihm
daran gelegen sein, für seine Werke zahlende Abnehmer - Besteller oder
Käufer - zu finden. Gelingt ihm das, so nimmt er als Lieferer von ihm
hergestellter Waren oder Bauwerke am Wirtschaftsleben teil. So verhält
es sich hier. Der Beschwerdeführer räumt denn auch ein, dass er sich mit
seinem Schaffen eine Existenz aufgebaut hat. Unter den gegebenen Umständen
muss angenommen werden, dass er im Sinne des Warenumsatzsteuerbeschlusses
gewerbsmässig tätig ist (vgl. den einen Kirchenmaler betreffenden Entscheid
der EStV vom 3. März 1950, ASA Bd. 19 S. 41 f.).

    Nach den Berechnungen der EStV, die sich auf Angaben des
Beschwerdeführers stützen und von ihm nicht bestritten werden, steht
fest, dass seine für die Bestimmung der subjektiven Steuerpflicht
massgebenden Umsätze in jedem der beiden Jahre 1968 und 1969 den Betrag
von 35'000 Franken überstiegen haben. Daher ist nicht zu beanstanden,
dass der Beschwerdeführer nach Art. 9 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 WUStB mit
Wirkung ab 1. Januar 1969 steuerpflichtig erklärt worden ist. Er bleibt
steuerpflichtig, solange die massgebenden Umsätze über den genannten
Betrag hinausgehen.

Erwägung 4

    4.- Der Beschwerdeführer wendet schliesslich ein, ausser ihm sei
kein anderer Bildhauer der Warenumsatzsteuerpflicht unterstellt worden;
der angefochtene Entscheid verletze daher das Gebot der Rechtsgleichheit.

    Demgegenüber stellt die EStV in der Vernehmlassung zur Beschwerde fest,
dass Mitte 1971 bei ihr 231 "Inhaber von Grabstein- und Bildhauerbetrieben"
als Grossisten eingetragen waren. "Von diesen" - sagt sie - "bezeichnen
sich 105 als Grabsteingeschäfte, Grabmalkunst u.ä., 90 als Bildhauer oder
Bildhauereien und bei 36 ist die Geschäftsbezeichnung eine Kombination
beider Begriffe; reine Steinhauer-, Steinmetz- oder Kunststeingeschäfte
sind in diesen Zahlen nicht enthalten... Zwar ist einzuräumen, dass es eine
Reihe von Bildhauern geben wird, welche sich, obwohl eintragungspflichtig,
noch nicht als Grossisten angemeldet haben (Art. 30 Abs. 1 WUStB)
und von der EStV auch noch nicht als solche ermittelt worden sind. Eine
Dunkelziffer nicht eingetragener Grossisten kommt in den meisten Branchen
vor." Mit diesen Feststellungen ist aber die Rüge der Verletzung des
Art. 4 BV nicht erledigt. Es fragt sich noch, ob sie deshalb begründet sei,
weil die EStV in ihrer bisherigen Praxis angenommen hat, dass der "frei
schaffende" bildende Künstler, "welcher Kunstwerke ausschliesslich um ihrer
selbst willen herstellt", nicht als Grossist steuerpflichtig werden könne.

    Die EStV meint, der Beschwerdeführer könne sich nicht auf diese Praxis
berufen, da er sich nicht "ausschliesslich" dem "freien Schaffen" widme,
sondern ausserdem Grabsteine produziere. Sein Grabsteingeschäft sei ein
Gewerbebetrieb, in welchem er Grabsteine gewerbsmässig herstelle. Die
bildhauerischen Werke, die er im übrigen als "freier" Künstler "um ihrer
selbst willen" schaffe, seien aber Waren gleicher Gattung wie Grabsteine;
könnten doch Erzeugnisse der Bildhauerkunst, mit oder ohne Figuren,
in vielen Fällen ebensogut eine Grabstätte wie einen öffentlichen
Platz, eine Parkanlage oder ein Bauwerk schmücken. Daher seien alle vom
Beschwerdeführer geschaffenen Erzeugnisse als gewerbsmässig hergestellt zu
betrachten; denn Zweck seines Geschäftsbetriebs sei die Herstellung für
fremde Rechnung und die Veräusserung "solcher" Produkte (Art. 10 Abs. 2,
letzter Satz WUStB). Die EStV nimmt deshalb an, der Beschwerdeführer
müsse sich seinen gesamten Umsatz anrechnen lassen, nicht nur den auf
das Grabsteingeschäft entfallenden Teil - der in den Jahren 1968 und 1969
den Betrag von Fr. 35'000 nicht erreicht hat.

    Die erwähnte Praxis der EStV beruht auf der Überlegung, dass als
gewerbsmässiger Hersteller im Sinne des Art. 10 Abs. 2 WUStB nach dem Zweck
der Warenumsatzsteuer, die als Wirtschaftsverkehrssteuer ausgestaltet
sei, nur "der im eigentlichen Wirtschaftsleben tätige gewerbliche oder
industrielle Hersteller" angesehen werden könne. Der Meinung der EStV,
ein sich auf das "freie Schaffen" beschränkender bildender Künstler könne
nicht ein solcher Hersteller sein, kann jedoch nicht zugestimmt werden. Ist
er selbständig und nachhaltig tätig und will er mit seinem Schaffen
Einnahmen erzielen, so nimmt eben auch er, als gewerbsmässig Handelnder,
am "eigentlichen Wirtschaftsleben" teil. Es kann nicht darauf ankommen,
ob ein Bildhauer nur Werke herstellt und absetzt, welche die EStV als
Erzeugnisse "freien Schaffens" betrachtet, oder ob er - ausserdem oder
ausschliesslich - das Grabsteingeschäft betreibt, das die EStV nicht zum
"freien Schaffen" rechnet.

    Wie die EStV selbst sagt, gehören ja alle vom Bildhauer hergestellten
Werke - Grabsteine und andere - zur gleichen Gattung. Nach der
einleuchtenden Darstellung des Beschwerdeführers kommt es vielfach vor,
dass ein Bildhauer am Anfang seines selbständigen Wirkens, zur Sicherung
seiner Existenz, regelmässig Grabsteine herstellt, dagegen später, nachdem
er sich durchgesetzt hat, nicht mehr oder nur noch gelegentlich. Gerade
der Beschwerdeführer hat nach seinen Angaben eine solche Entwicklung
durchgemacht. Die bisherige Praxis der EStV könnte dazu führen, dass
ein Bildhauer in seinen Anfängen, als Hersteller von Grabsteinen, der
Warenumsatzsteuerpflicht unterstellt wäre, später aber, als erfolgreicher
"Freischaffender" mit nicht geringerem oder sogar höherem Umsatz, nicht
mehr. Das kann nicht der Sinn der gesetzlichen Ordnung sein. Die Bildhauer,
welche sich mit dem Grabsteingeschäft befassen, und diejenigen, welche
im Sinne der Ausführungen der EStV "ausschliesslich frei schaffen",
müssen bezüglich der Warenumsatzsteuerpflicht gleich behandelt werden.

    Würde die EStV an ihrer bisherigen Praxis festhalten, also die
"ausschliesslich frei schaffenden" selbständigen Bildhauer weiterhin
nicht als gewerbsmässig tätige Hersteller betrachten, so wäre daher
die Unterstellung des Beschwerdeführers unter die Steuerpflicht mit
dem Grundsatz der Rechtsgleichheit nicht vereinbar (vgl. BGE 90 I 167,
226/7). Die EStV äussert indessen selber Zweifel an der Gesetzmässigkeit
jener Praxis. Sie erklärt denn auch nicht, dass sie daran festhalten
wolle. Sie wird die Praxis ändern müssen. Die vom Beschwerdeführer
erhobene Rüge der rechtsungleichen Behandlung dringt deshalb nicht durch.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.