Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 IA 659



98 Ia 659

96. Auszug aus dem Urteil vom 29. November 1972 i.S.
Immobiliengesellschaft Mühlenplatz Luzern AG gegen Regierungsrat des
Kantons Luzern. Regeste

    Eigentumsgarantie, Art. 22ter BV. Ehehaftes Tavernenrecht im Kanton
Luzern.

    1.  Das auf einem Haus ruhende Tavernenrecht ist notwendig mit dem
Grundstück verbunden und kann nicht losgelöst von diesem allein mit dem
Haus verknüpft sein (Erw. 4).

    2.  Das ehehafte Tavernenrecht ist nach der luzernischen
Gesetzgebung ein wohlerworbenes Privatrecht und steht unter dem Schutz
der Eigentumsgarantie. Voraussetzungen für dessen Aufhebung (Erw. 5).

Sachverhalt

    A.- Das luzernische Gesetz betreffend das Wirtschaftsgewerbe und den
Handel mit geistigen Getränken vom 16. Februar 1910, abgeändert und ergänzt
am 26. Januar 1937, lässt neben den Personalwirtspatenten (§ 10 ff.) noch
die alten Realwirtsrechte zu (§ 3 ff.). Das Realwirtsrecht enthält nach §
4 WG entweder die Befugnis zur Beherbergung und zum Betriebe aller übrigen
Zweige des Wirtschaftsgewerbes (Gasthäuser) oder das Recht bloss teilweiser
Ausübung des Gewerbes (Wein-, Most- und Bierschenken). § 5 lautet:

    "Neue Realwirtsrechte werden nicht mehr erteilt.

    Die alten Realwirtsrechte bleiben in ihrem bisherigen Rechtsbestande
anerkannt. Der Regierungsrat wird ermächtigt, die allmähliche Ablösung
derselben auf dem Wege der freiwilligen Übereinkunft mit den Inhabern
herbeizuführen.

    Die bezüglichen Verträge sind dem Grossen Rate zur Genehmigung
vorzulegen."

    § 7 WG regelt die Erweiterung der zu Wirtschaftszwecken benützten
Räumlichkeiten, welche nur mit Bewilligung des Regierungsrats statthaft
ist und einer Patenttaxe unterliegt. § 8 WG bestimmt:

    Die Übertragung eines Realrechtes auf ein anderes Gebäude ist
unstatthaft.

    Ausnahmsweise kann der Regierungsrat die Übertragung bewilligen,
wenn die in der gleichen Gemeinde befindlichen neuen Lokalitäten sich
für den Wirtschaftsbetrieb wesentlich besser eignen und ein Wechsel in
der Person des Wirts nicht eintritt.

    Sind die neuen Wirtschaftsräumlichkeiten grösser als die bisherigen,
so kommt die Bestimmung über die Erweiterung der Realrechte zur Anwendung."

    B.- Die Immobiliengesellschaft Mühlenplatz Luzern AG ist Eigentümerin
des Grundstücks Nr. 254 GB Luzern, rechtes Ufer. Die Liegenschaft
grenzt an den Mühlenplatz, die Rössligasse und den Löwengraben.
Das darauf stehende Gebäude trägt die Hausnummern Löwengraben 33 und 35,
Mühlenplatz 15 sowie Rössligasse 18 und 20. Früher befand sich auf diesem
Grundstück das Hotel Rössli, welches aufgrund eines Realwirtsrechts
als Realtaverne betrieben wurde. Das Hotel hatte im Erdgeschoss
und im ersten Stock 363 m2 Wirtschaftsräumlichkeiten , und mit den
Hotelräumlichkeiten von 981 m2 wies es eine totale Nutzfläche von 1344
m2 auf. Im Jahre 1947 wurde das Hotel Rössli abgebrochen, und an seiner
Stelle errichtete man ein Warenhaus. Das Gesuch der Grundeigentümerin,
aufgrund des alten Realtavernenrechts im neu erbauten Warenhaus ein
Selbstbedienungsrestaurant von 90 m2 Grundfläche betreiben zu dürfen,
wurde damals bewilligt. In der vom Staatswirtschaftsdepartement namens
des Regierungsrats erlassenen Verfügung vom 29. November 1947 wurde
das Realtavernenrecht zum Rössli als in seinem bisherigen Umfang von
1344 m2 nutzbarer Wirtschaftsfläche bestehend anerkannt. Sodann wurde
festgehalten, dass die beschränkte Ausübung dieses Realtavernenrechts
zum Rössli als Selbstbedienungsrestaurant im Warenhaus mit vorläufig 90
m2 Wirtschaftsfläche unter dem Vorbehalt der wirtschaftspolizeilichen
Vorschriften (§ 27 WG) sowie derjenigen über die Konzessionierung eines
fachlich ausgewiesenen Wirtes (§ 18 ff. WG) stehe. Die Durchführung eines
Translokationsverfahrens nach § 8 WG falle dahin.

    C.- Im Jahre 1970 liess die Immobiliengesellschaft Mühlenplatz
Luzern AG im Einvernehmen mit der Neuen Warenhaus AG (EPA) als Mieterin
das Warenhaus umbauen und erweitern. Zum Umbau gehörte die Beseitigung
des bisherigen Selbstbedienungsrestaurants im Erdgeschoss am Löwengraben
33. Dafür wurde im ersten Stock des Gebäudes Mühlenplatz 15/Rössligasse
18/20 ein neues Speiserestaurant mit 241 m2 Wirtschaftsfläche errichtet.

    D.- Über das Gesuch betreffend die Verlegung des Wirtschaftsbetriebes
entschied der Regierungsrat des Kantons Luzern am 20. März 1972, indem
er eine Übertragung des Realtavernenrechts z. Rössli vom Haus Löwengraben
33 auf das Haus Mühlenplatz 15/Rössligasse 18 und 20 abwies; zudem wurde
festgestellt, dass das Realtavernenrecht z. Rössli durch einseitigen
Verzicht der Rechtsinhaberin erloschen sei, was im Grundbuch von Amtes
wegen anzumerken sei; den Gesuchstellen wurde dafür die Erteilung
eines Wirtschaftspatentes nach § 10 lit. c. WG für den Betrieb des
neuen Warenhausrestaurants zugesichert (Beschluss Nr. 1038). Er ging
davon aus, dass die nachgesuchte Verlegung des Wirtschaftsbetriebs
einer sogenannten Translokationsbewilligung im Sinne von Art. 8 WG
bedürfe. Die Realwirtsrechte seien nämlich, entgegen der in der früheren
regierungsrätlichen Praxis vertretenen Auffassung, mit dem Hause und
nicht mit dem Grundstück verbunden. Werde über die Translokation befunden,
so sei dabei zu prüfen, ob das alte Realtavernenrecht noch so wie früher
bestehe. Das neue Warenhaus am Mühlenplatz/Rössligasse habe mit dem alten
Hotel Rössli nichts mehr gemein. Die alte Wirtschaft zum Rössli sei ein
Gasthaus mit dem Rechte der Beherbergung und zum Betriebe aller übrigen
Zweige des Wirtschaftsgewerbes mit einer Nutzfläche von 1344 m2 gewesen,
während die neue Wirtschaft bloss als Wein-, Most- und Bierschenke auf
etwa einem Fünftel der Nutzfläche betrieben werde. Da zum Realwirtsrecht
auch die Pflicht gehöre, das Recht in vollem Umfange auszuüben, liege
in dieser Änderung eine unzulässige Veränderung im Rechtscharakter
der Realtaverne und damit ein Verzicht auf das alte Realtavernenrecht
zum Rössli. Dieses Recht könne somit auch nicht mehr auf das Warenhaus
Mühlenplatz 15/Rössligasse 18/20 übertragen werden.

    E.- Die Immobiliengesellschaft Mühlenplatz Luzern AG hat gegen
diesen Entscheid des Regierungsrats des Kantons Luzern vom 20. März 1972
staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Sie macht Verletzungen von Art. 4
BV, wie insbesondere des rechtlichen Gehörs, und der Eigentumsgarantie
(Art. 22ter BV) geltend und beantragt die Aufhebung von Disp. Ziff. 1
und 2 des angefochtenen Entscheids. Die Begründung der Beschwerde wird,
soweit nötig, in den nachstehenden Erwägungen wiedergegeben.

    F.- Der Regierungsrat des Kantons Luzern beantragt, die Beschwerde
abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Der Regierungsrat bestreitet nicht, dass sich die Häuser
Löwengraben 33 und Mühlenplatz 15/Rössligasse 18/20 auf dem selben
Grundstück Nr. 254 befinden. Nach seiner Ansicht liegt jedoch auch dann
eine Übertragung des Realwirtsrechts im Sinne von § 8 WG vor und bedarf es
somit einer Translokationsbewilligung, wenn die Wirtschaft in ein anderes
Gebäude verlegt wird, das sich auf dem gleichen Grundstück befindet. Dies
aufgrund der Annahme, dass das Tavernenrecht nicht mit dem Grundstück,
sondern allein mit dem Gebäude verhaftet sei. Der Regierungsrat setzt sich
damit in Widerspruch zu seiner früheren Praxis, welche auch der Verfügung
vom 29. November 1947 betreffend die Umwandlung des alten Hotels Rössli
in ein Warenhausrestaurant zugrunde lag. Die Überlegungen, welche ihn im
Jahre 1970 zu dieser Praxisänderung veranlassten (Amtliche Übersicht 1970
Nr. 16) und die im angefochtenen Entscheid wiedergegeben sind, haben wohl
den Wortlaut von § 8 Abs. 1 WG für sich. Sie gehen jedoch an zwingenden
sachenrechtlichen Grundsätzen vorbei und sind deshalb unhaltbar. Nach
dem Akzessionsprinzip, welches auch im alten luzernischen Sachenrecht
galt (vgl. die Art. 241, 280 des Luzerner B.G.B. und Erläuterungen dazu
von Kasimir PFYFFER, insbes. N 1 zu Art. 280), umfasst das Eigentum an
Grund und Boden auch die Bauten. Ein auf einem Grundstück errichtetes
Gebäude wird kraft zwingenden Rechts dessen Bestandteil und hat kein
eigenes rechtliches Schicksal (MEIER-HAYOZ, Komm. zum Sachenrecht, Art.
667 B. S. 246, N 5 S. 250). Das auf einem Haus ruhende Tavernenrecht
ist deshalb notwendig mit dem Grundstück verbunden und kann nicht
losgelöst von diesem allein mit dem Haus verknüpft sein. Freilich
ist die Ausübung des Realwirtsrechts mit dem Haus verbunden, setzt
sie doch ein Wirtschaftsgebäude voraus. Das Recht selbst kann aber
nur an das Grundstück, zu welchem das Wirtschaftsgebäude zwingend
gehört, geknüpft sein (LIVER, aaO, Einleitung N 128; Oskar KORNER, Die
luzernischen Realwirtsrechte, Luzern 1915, S. 126; Gustav BILLETER, Die
ehehaften Tavernenrechte im Kanton Zürich, Diss. Zürich 1928, S. 98 ff.).
Eine Übertragung des Rechts liegt demnach einzig dann vor, wenn es auf ein
anderes Grundstück verlegt wird. Spricht § 8 Abs. 1 WG von der Übertragung
auf ein anderes Gebäude, so kann damit nur ein Gebäude auf einem anderen
Grundstück gemeint sein. Die Autoren, welche sich mit den ehehaften
Tavernenrechten befassen, verwenden denn auch in diesem Zusammenhang die
Begriffe Gebäude und Grundstück bzw. Liegenschaft als gleichbedeutend, was
der Regierungsrat verkennt (BILLETER, aaO, z.B. S. 104 f.; KORNER, aaO,
z.B. S. 122 f.). Werden die Wirtschaftsräumlichkeiten vom Löwengraben 33
auf das auf dem gleichen Grundstück Nr. 254 stehende Gebäude Mühlenplatz
15/Rössligasse 18/20 verlegt, so liegt darin keine Übertragung des
Realtavernenrechts zum Rössli. Die Verlegung untersteht somit nicht einer
Translokationsbewilligung nach § 8 WG. Das von der Beschwerdeführerin
unterbreitete Projekt ist nur daraufhin zu prüfen, ob eine Erweiterung
der Wirtschaftsräumlichkeiten im Sinne von § 7 WG vorliegt. Im übrigen ist
das Verlegungsgesuch allein unter wirtschaftspolizeilichen Gesichtspunkten
(§ 27 ff. WG) zu beurteilen. Disp. Ziff. 1 des angefochtenen Entscheids
ist daher aufzuheben.

Erwägung 5

    5.- Der Regierungsrat hat in Disp. Ziff. 2 des angefochtenen Entscheids
überdies verbindlich festgestellt, dass das Realtavernenrecht zum Rössli
durch einseitigen Verzicht der Rechtsinhaberin erloschen sei, und dessen
Löschung im Grundbuch angeordnet. Damit wurde über den Bestand des
Rechts endgültig entschieden. Auf die in diesem Zusammenhang erhobene
Rüge der Verletzung der Eigentumsgarantie ist daher einzutreten (BGE 80
I 244, 68 I 157 mit Verweisungen, nicht publ. Entscheid i.S. Brügger vom
20. Oktober 1971).

    a) Nach der für öffentliche Eigentumsbeschränkungen geltenden
Regel sind Eingriffe in wohlerworbene Privatrechte nur zulässig, wenn
sie auf gesetzlicher Grundlage beruhen und im öffentlichen Interesse
liegen; bei Eigentumsbeschränkungen, die einer Enteignung gleichkommen,
ist zudem volle Entschädigung zu leisten (BGE 97 I 795; 96 I 727 mit
Verweisungen). Eingriffe in die von der kantonalen Rechtsordnung als
Privatrechte anerkannten Realwirtsrechte sind deshalb nur unter diesen
Voraussetzungen mit Art. 22ter BV vereinbar. Indem der Regierungsrat das
Realwirtsrecht zum Rössli für erloschen erklärte und dessen Löschung im
Grundbuch anordnete, hat er es aufgehoben. Das stellt einen besonders
schweren Eingriff ins Eigentum dar. Das Bundesgericht prüft daher frei,
ob er auf einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage beruht (BGE 98 Ia
38 mit Verweisungen).

    b) "Gesetzlich" ist die Grundlage einer Eigentumsbeschränkung
dann, wenn sie in einem Gesetz im materiellen Sinne, d.h. in einer
allgemeinen, generell-abstrakten Norm enthalten ist, die sich ihrerseits
als verfassungsmässig erweist (BGE 97 I 796, 90 I 323 mit Verweisungen).

    Der Regierungsrat erklärt das Realwirtsrecht zum Rössli als
erloschen, weil es nicht mehr im gleichen Umfang wie früher ausgeübt
wird. Im alten Hotel zum Rössli wurde die zum Tavernenrecht gehörende
Befugnis zur Beherbergung ausgeübt, während im neuen Warenhaus nurmehr
eine Speisewirtschaft geführt wird. Eine Gesetzesvorschrift, welche
vorsieht, dass der Inhaber eines Realwirtsrechts dieses Rechts verlustig
geht, wenn er es nicht oder bloss teilweise ausübt, wird jedoch nicht
genannt und ist auch nicht zu finden. Nach § 5 Abs. 2 WG werden die
alten Realwirtsrechte in ihrem bisherigen Rechtsbestande anerkannt. Als
Möglichkeit ihrer Aufhebung ist einzig vorgesehen, dass der Regierungsrat
ihre allmähliche Ablösung auf dem Wege der freiwilligen Übereinkunft mit
den Inhabern herbeiführen kann. Dass die Rechte wegen gänzlicher oder
sogar nur teilweiser Nichtausübung untergehen können, bestimmt das Gesetz
weder ausdrücklich noch dem Sinne nach. Wenn der Regierungsrat sich auf
die zürcherische Rechtsprechung beruft, wonach in Anbetracht einer mit
dem Tavernenrecht verbundenen Pflicht zu Wirten die Nichtausübung des
Rechts dessen Verwirkung nach sich zieht, so verkennt er, dass im Kanton
Zürich diese Folge des Rechtsverlustes ausdrücklich im Gesetz vorgesehen
ist (§ 113 WG ZH; vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 29. September 1939,
in Zbl 40/1939 S. 559 f.).

    Der Regierungsrat sieht, offenbar im Bewusstsein, dass im luzernischen
Recht kein Rechtssatz die Verwirkung des Tavernenrechts wegen Nichtausübung
zulässt, in der nurmehr teilweisen Ausübung des Tavernenrechts zum Rössli
durch die Beschwerdeführerin einen einseitigen Verzicht auf das Recht. Er
nimmt wohl an, dass damit eine freiwillige Übereinkunft im Sinne von §
5 Abs. 3 WG vorliege, wobei allerdings übersehen würde, dass dazu die
Genehmigung des Grossen Rates nötig wäre. Wie man jedoch dazu kommen kann,
in einem teilweisen Verzicht auf die Ausübung eines Privatrechts eine
unzulässige Veränderung von dessen Rechtscharakter zu erblicken und dies
überdies als einen Verzicht auf das Recht selbst, und zwar auf das ganze,
zu betrachten, lässt sich mit keinen rechtlichen Überlegungen erklären.

    Der in Disp. Ziff. 2 des angefochtenen Entscheids ausgesprochenen
Aufhebung des Tavernenrechts, das durch einseitigen Verzicht der
Rechtsinhaberin für erloschen erklärt wird, fehlt die gesetzliche
Grundlage. Der Entscheid verstösst somit gegen Art. 22ter BV und ist
aufzuheben. Unter diesen Umständen kann dahingestellt bleiben, ob der
Entscheid nicht schon mit Rücksicht auf die Verfügung vom 29. November
1947, welche den Bestand des Tavernenrechts zugesichert hatte, unzulässig
gewesen wäre.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird gutgeheissen und Disp. Ziff. 1 und 2 des Entscheids
des Regierungsrats des Kantons Luzern vom 20. März 1972 werden aufgehoben.