Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 IA 627



98 Ia 627

90. Urteil vom 13. Dezember 1972 i.S. Stricker, Rinklin und Mitbeteiligte
gegen Grossen Rat des Kantons Basel-Stadt. Regeste

    Art. 85 lit. a OG, kantonale Wahlen.

    Anfechtung eines Validierungsbeschlusses des Grossen Rates von
Basel-Stadt betreffend Grossratswahlen. Auslegung von § 33 Abs. 2 KV über
die Amtszeitbeschränkung (Erw. 3 und 4). Rechtsgleichheit (Erw. 4 d). Ist
der Grundsatz von Treu und Glauben gegenüber dem Wähler verletzt, wenn die
Wahl einer Person nachträglich wegen Nichtwählbarkeit nicht validiert wird
(Erw. 6)?

Sachverhalt

    A.- § 33 der Kantonsverfassung (KV) des Kantons Basel Stadt lautet:

    "Die Amtsdauer der Mitglieder des Grossen Rates ist auf vier Jahre
festgesetzt. Zwischenwahlen für erledigte Grossratsstellen sind jährlich
einmal an einem gesetzlich zu bestimmenden Tage vorzunehmen.

    Wer dem Grossen Rat ununterbrochen während dreier Amtsperioden angehört
hat, ist für die nächstfolgende Amtsperiode nicht wählbar. Angebrochene
Amtsperioden werden vollen Amtsperioden gleichgestellt."

    B.- Am 3., 4. und 5. März 1972 wurde im Kanton Basel-Stadt die
Gesamterneuerungswahl der 130 Mitglieder des Grossen Rates für die
Amtsperiode 1972-1976 durchgeführt. Die Staatskanzlei veröffentlichte die
Ergebnisse im Kantonsblatt Nr. 23 vom 22. März 1972. Unter den dort als
gewählt bezeichneten Personen befinden sich Dr. Ernst Stricker von der
Liberal-demokratischen Bürgerpartei Basel-Stadt (Liste 3 des Wahlkreises
Gross-Basel West) und Rudolf Rinklin von der Bürgerlichen Mittelstand-
und Gewerbepartei Riehen (Liste 8 des Wahlkreises Riehen).

    Am 16. März 1972 erhob Dr. Tilmann Wernle bei der
Wahlprüfungskommission des Grossen Rates Einsprache und wies darauf hin,
dass Dr. med. Ernst Stricker und Rudolf Rinklin bereits während der
Amtsdauern 1960-1964, 1964-1968 und 1968-1972 dem Grossen Rat angehört
hätten, weshalb sie gemäss § 33 Abs. 2 KV für die Amtsdauer 1972-1976
nicht als Mitglieder dieses Rates wählbar seien.

    Auf Einladung der Wahlprüfungskommission prüfte das Justizdepartement
diese Angaben. Dabei stellte es folgendes fest:

    Dr. med. Ernst Stricker rückte im Januar 1963 in den Grossen Rat
nach. Er verblieb darin bis zum Ende der Amtsdauer im April 1964. Ende
März 1967 rückte er erneut nach und verblieb im Grossen Rat bis zum Ende
der Amtsdauer im April 1968. Hierauf wurde er wiedergewählt und gehörte
dem Kantonsparlament die ganze Amtsdauer 1968-1972 an.

    Rudolf Rinklin rückte am Ende der Legislaturperiode 1952-1956 in den
Grossen Rat nach und wurde bei der Gesamterneuerung von 1956 wiedergewählt.
Er gehörte dem Rat die ganze Amtsdauer 1956-1960 an. 1960 wurde er zum
zweiten Mal gewählt, doch verzichtete er im Dezember des gleichen Jahres
auf das Grossratsmandat, nachdem er in den Engern Gemeinderat von Riehen
gewählt worden war. Für die Amtsperiode 1964-1968 kandidierte er erneut für
den Grossen Rat, und im Januar 1968, d.h. kurz vor der Gesamterneuerung,
rückte er nach. Dem Kantonsparlament gehörte er hierauf die ganze Amtsdauer
1968-1972 an.

    Die Zugehörigkeit der Genannten zum Grossen Rat während der letzten
drei Amtsdauern lässt sich demnach wie folgt darstellen:

    Amtsdauer: Stricker: Rinklin

    1960-1964: 1 Jahr + 3 Monate: - 9 Monate

    1964-1968: 1 Jahr -: 3 Monate

    1968-1972: 4 Jahre: 4 Jahre

    Total: 6 Jahre + 3 Monate: 5 Jahre>

    Die Wahlprüfungskommission holte einen Bericht des
Justizdepartements und ein Gutachten von Prof. Dr. Kurt Eichenberger
ein. Das Justizdepartement kam in seinem Bericht vom 24. März 1972 zum
Ergebnis, bei den beiden betroffenen Personen liege weder Sesselkleberei
noch Missbrauch vor; es bestehe kein hinreichender Anlass, ihre Wahl
nicht zu validieren. Prof. Eichenberger gelangte in seinem Gutachten
zum gegenteiligen Schluss. Er erklärte, dass § 33 Abs. 2 KV keine
Ansätze für eine differenzierte Behandlung darbiete, dass eine solche
die Praktikabilität der Norm sehr stark erschweren würde und dass eine
allenfalls erwünschte Korrektur vom Gesetzgeber ausgehen müsste.

    Die Wahlprüfungskommission empfahl dem Grossen Rat einstimmig, die
Einsprache von Dr. Tilmann Wernle gutzuheissen und die Wahl der Kandidaten
Stricker und Rinklin nicht zu validieren. Der Grosse Rat folgte am
13. April 1972 diesem Antrag. Er stellte fest, dass die beiden Kandidaten
für die Legislaturperiode 1972-1976 der Amtszeitbeschränkung unterständen,
und er erklärte ihre Wahl vom 3./5. März 1972 für ungültig. An Stelle der
Herren Stricker und Rinklin wurdenje die nächstfolgenden Kandidaten mit
den höchsten Stimmenzahlen auf der Liste 3 des Wahlkreises Gross-Basel
West und auf der Liste 8 des Wahlkreises Riehen als gewählt erklärt, und
die Grossratswahlen wurden so bereinigt validiert (Kantonsblatt Nr. 29
vom 15. April 1972).

    C.- Gegen diesen Grossratsbeschluss vom 13. April 1972 haben Dr. Ernst
Stricker (Beschwerdeführer I) und drei Mitbeteiligte (Beschwerdeführer
II) sowie Rudolf Rinklin (Beschwerdeführer I) und acht Mitbeteiligte
(Beschwerdeführer II) je eine staatsrechtliche Beschwerde eingereicht. Mit
der ersten Beschwerde wird beantragt, es sei der Validierungsbeschluss
aufzuheben, soweit durch ihn der Kandidat Stricker als nicht wählbar
erklärt wurde. Ferner wird verlangt, es sei Dr. Stricker im Wahlkreis
Gross-Basel West auf der Liste 3 als gewählt zu erklären und der letzte
der im Grossratsbeschluss vom 13. April 1972 als gewählt Erklärte als
erster Nachrückender der Nichtgewählten zu bezeichenen; eventualiter sei
der Fall zu neuer Beschlussfassung an den Grossen Rat zurückzuweisen.

    In der zweiten Beschwerde wird ein analoges Begehren zugunsten des
Rudolf Rinklin gestellt.>

    Die Begründungen der beiden Beschwerden lauten gleich. Im wesentlichen
wird folgendes ausgeführt:

    a) Der Grosse Rat habe § 33 Abs. 2 KV unrichtig ausgelegt. Die
Bestimmung bezwecke, der Sesselkleberei Einhalt zu gebieten.
Niemand solle länger als 12 Jahre dem Grossen Rat angehören, ohne
mindestens 4 Jahre auszusetzen. Der zweite Satz in § 33 Abs. 2 habe
demgegenüber nur untergeordnete Bedeutung. Er stelle klar, dass in
Fällen, wo ein Mitglied noch nicht 12 Jahre dem Rat angehört habe, in
einer weitern Amtsperiode aber auf über 12 Jahre käme, die Wiederwahl
unzulässig sei. Wer schon über 8 Jahre dem Grossen Rat angehört habe,
könne daher ohne Unterbruch von mindestens 4 Jahren nicht neuerdings
gewählt werden. Für Kandidaten mit 8 Amtsjahren oder weniger stelle sich
das Problem überhaupt nicht. Dr. Stricker habe dem Parlament nur während
rund 6 Jahren angehört. Die Annahme der Nichtwiederwählbarkeit sei bei
ihm unhaltbar. Rudolf Rinklin habe in den 12 Jahren 1960-1972 dem Grossen
Rat 7 Jahre nicht angehört.

    b) Die Auslegung, die dem angefochtenen Validierungsbeschluss zugrunde
liege, führe zu unhaltbaren Ergebnissen, die nicht dem Sinn des § 33
Abs. 2 KV entsprächen. Nach der Auslegung des Grossen Rates könnte die
Nichtwiederwählbarkeit theoretisch schon eintreten bei jemandem, der
in 12 Jahren gesamthaft nur drei Tage (in jeder Amtsperiode einen Tag)
dem Grossen Rat angehört hätte. So aber dürfe die Ausnahmeregel des § 33
Abs. 2 KV nicht ausgelegt werden, sonst würde das passive Wahlrecht nahezu
auf Null reduziert. Es ergäbe sich das groteske Resultat, dass einzelne
Bürger nach 12 jähriger, andere aber nach nur 3tägiger Ratszugehörigkeit
ausscheiden müssten. Die Beschwerdeführer machten daher subsidiär auch
geltend, der angefochtene Beschluss verletze die Rechtsgleichheit. Diese
Folge sei durch sachgerechte Auslegung des § 33 Abs. 2 KV vermeidbar.

    c) Die Auffassung der Beschwerdeführer entspreche namentlich auch
dem Wortlaut des § 33 Abs. 2 KV. Die Nichtwiederwählbarkeit trete
erst ein, wenn jemand dem Grossen Rat "ununterbrochen" während dreier
Amtsdauern angehört habe. Die gegenteilige Auslegung beachte den Ausdruck
"ununterbrochen" nicht. Die vom Wortlaut abweichende Auslegung verstosse
übrigens auch gegen Sinn und Zweck der Norm, nämlich, der "Sesselkleberei"
Einhalt zu gebieten.>

    d) Der Grosse Rat habe mit seinem Beschluss vom 13. April 1973 den §
33 Abs. 2 KV erstmals in der angefochtenen Weise ausgelegt. 1968 seien
die Mandate von mindestens zwei Kandidaten validiert worden, die nach der
neuen Auslegung nicht wählbar gewesen wären. Einer der beiden Kandidaten
sei Rinklin selber gewesen, der schon 1956-1960 dem Grossen Rat angehört
habe. Der angefochten Beschluss stehe demnach auch im Widerspruch zur
bisherigen Praxis des Grossen Rates. Im übrigen handle es sich um einen
Zufallsentscheid, der unter Zeitdruck zustande gekommen sei. Das absolute
Mehr aller Grossratsmitglieder betrage 66 Stimmen, der Beschluss sei mit
58: 41 Stimmen bei 10 Enthaltungen gefasst worden. Es könne ihm deshalb
nicht die Vermutung der Richtigkeit zukommen.

    e) Die in beiden Beschwerden unter II aufgeführten Beschwerdeführer
hätten für die Kandidaten Stricker oder Rinklin gestimmt. Diese
Beschwerdeführer hätten aber ihre Stimmkraft anders eingesetzt,
wenn sie von der Nichtwiederwählbarkeit der beiden Kandidaten Kenntnis
gehabt hätten. Sie seien deshalb gegenüber andern Wählern, die für andere
Kandidaten gestimmt hätten, benachteiligt. Ihr Vertrauen in die Wählbarkeit
der Herren Stricker und Rinklin sei zu schützen. Dies umso mehr, als der
Chef des Polizeidepartements in der Debatte im Grossen Rat anerkannt habe,
sein Departement hätte die Wählbarkeitsvoraussetzungen nach § 33 Abs. 2
KV abklären müssen.

    D.- Der Grosse Rat des Kantons Basel-Stadt beantragt die Abweisung der
staatsrechtlichen Beschwerden. Der Inhalt der Vernehmlassung ergibt sich,
soweit nötig, aus den nachfolgenden Ausführungen.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerden ab.

Auszug aus den Erwägungen:

Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- (Vereinigung der beiden Beschwerden.)

Erwägung 2

    2.- Der Grosse Rat hat als erste und letzte kantonale Instanz
entschieden. Die staatsrechtlichen Beschwerden sind daher zulässig. Auf
die Begehren der Beschwerdeführer ist indessen nur insoweit einzutreten,
als sie eine teilweise Aufhebung des angefochtenen Grossratsbeschlusses
verlangen, nicht aber soweit sie darüber hinaus eine Validierung der
Wahl der beiden Beschwerdeführer I und anderes mehr beantragen. Denn
staatsrechtliche Beschwerden der vorliegenden Art sind rein kassatorischer
Natur (BGE 98 I a 69 E. 2, 94 I 124). Eine Ausnahme davon wäre nur dann
zu machen, wenn der verfassungsmässige Zustand nicht anders als mit einer
sachbezogenen Anordnung des Bundesgerichts hergestellt werden könnte (BGE
97 I 226 E. 1, 841 E. 1, 96 I 354/55). Das trifft hier nicht zu. Würde
die Beschwerde als begründet erklärt und der angefochtene Beschluss,
soweit angefochten, aufgehoben, so würde der Zustand wiederhergestellt,
wie er nach der Einsprache von Dr. Tilmann Wernle und vor dem
Validierungsbeschluss des Grossen Rates bestanden hat. Der Grosse Rat
hätte alsdann einen neuen Beschluss zu fassen und dabei den Erwägungen
des Bundesgerichts Rechnung zu tragen (BGE 95 I 516).

Erwägung 3

    3.- Gestritten wird über die Auslegung des § 33 Abs. 2 der KV von
Basel-Stadt. Dieser Text geht auf eine formulierte Verfassungsinitiative
zurück, die am 11. September 1966 durch das Volk angenommen wurde, wiewohl
der Regierungsrat und der Grosse Rat die Ablehnung des Initiativbegehrens
beantragt hatten. Das Bundesgericht ist in der Überprüfung der Auslegung
und Anwendung kantonalen Verfassungsrechts grundsätzlich frei. Es auferlegt
sich nur insofern eine gewisse Zurückhaltung, als es im Zweifel über zwei
mögliche Interpretationen sich derjenigen anschliesst, die vom obersten
zur Auslegung der Verfassung berufenen kantonalen Organ - in der Regel dem
Parlament - gegeben worden ist (BGE 98 Ia 205 E. 3, 97 I 32/33, 90 I 240).

    Stände der erste Satz von Absatz 2 des § 33 KV allein da, gäbe
es wohl keinen Zweifel darüber, dass eine Person erst dann für eine
Amtsperiode nicht mehr wiedergewählt werden dürfte, wenn sie dem Grossen
Rat "ununterbrochen" drei Amtsperioden angehört hätte. Das hätte aber zur
Folge, dass der Eintritt der vorübergehenden Nichtwiederwählbarkeit durch
Unterbrüche in der Zugehörigkeit verhindert werden könnte. Zweifellos
aus diesem Grunde bestimmt der zweite Satz von Art. 33 Abs. 2 KV,
dass angebrochene Amtsperioden den vollen gleichgestellt seien. Damit
soll offensichtlich die beschriebene Wirkung allfälliger Unterbrüche
ausgeschlossen werden. Das zwingt aber zur Annahme, dass sich das Wort
"ununterbrochen" auf die Aufeinanderfolge der Amtsperioden bezieht, wenn
man nicht annehmen will, die KV sei in sich selbst widerspruchsvoll. Nach §
33 Abs. 2 KV soll daher für eine Amtsperiode vom Grossen Rat ausgeschlossen
sein, wer ihm drei aufeinanderfolgende Amtsperioden angehört hat (so auch
EICHENBERGER, S. 6 des Gutachtens), gleichgültig, ob einzelne Amtsperioden
angebrochen waren oder nicht.

    Dass das der Sinn und die Wirkung des nicht sorgfältig redigierten
Initiativtextes sei, ist schon bei der von einer Kommission des Grossen
Rates durchgeführten Vorprüfung der Initiative gesehen worden, ohne dass
die extremen Auswirkungen vollständig erkannt worden wären. Im Bericht
der Kommission an den Grossen Rat vom 26. September 1963 heisst es auf
Seite 15:

    "Wenn man sich mit einer Amtszeit von 12 Jahren, d.h. 3 vollen
Amtsperioden, zur Not noch befreunden könnte, so bestehen anderseits grosse
Bedenken in bezug auf die Auswirkungen des Postulates, dass angebrochene
Amtsperioden vollen gleichgestellt werden sollen. Das heisst doch nichts
anderes, als dass ein Mitglied, das Ende einer Amtsperiode in den Rat
nachgerückt ist, nach etwas mehr als zwei vollen Amtsperioden, also nach
etwas mehr als 8 Jahren, bereits wieder aus dem Rat ausscheiden muss."

    Nun geht aber die Wirkung der Vorschrift, wie die hier streitigen
Fälle zeigen, noch weiter. Sie kann auch Leute treffen, die überhaupt nie
eine ganze Amtsperiode dem Rat angehört haben. Auch wenn man das von den
Beschwerdeführern erwähnte extreme Beispiel - Zugehörigkeit zum Grossen
Rat während je eines Tages in drei aufeinanderfolgenden Amtsperioden -
als unrealistisch ablehnt, so muss doch anerkannt werden, dass schon die
Zugehörigkeit von einigen Monaten in drei aufeinanderfolgenden Amtsperioden
dazu führen kann, dass sich jemand in einer vierten Amtsperiode nicht
mehr zur Wahl stellen darf. Das ist die Folge davon, dass die KV die
Zugehörigkeit zum Parlament nicht nach Jahren, sondern nach Amtsperioden
begrenzt. Diese Regelung mag als politisch unklug empfunden werden,
schliesst aber nicht aus, dass die Verfassungsvorschrift so beobachtet
wird, wie es ihr Wortlaut und Sinn gebieten. In einem Stadtstaat wie Basel,
wo der Prozentsatz der zur Ausübung eines Grossratsmandates geeigneten
Personen wohl grösser ist als anderswo, dürfte die strikte Einhaltung
der Vorschrift auch kaum ernsthafte Nachteile zur Folge haben.

Erwägung 4

    4.- Die Auslegung, die der Grosse Rat dem § 33 Abs. 2 KV gegeben hat,
ist - wie gezeigt - nicht nur mit dem Text der Vorschrift vereinbar,
sondern sie ist geradezu die einzig mögliche. Zu prüfen bleibt deshalb
nur noch, ob einer der von den Beschwerdeführern genannten Gründe genüge,
um im vorliegenden Fall von dieser Auslegung abzuweichen.

    a) Soweit die Beschwerdeführer behaupten, die Auslegung des Grossen
Rates verstosse gegen den Text des § 33 Abs. 2 KV, ist ihre Argumentation
durch die vorstehenden Überlegungen bereits widerlegt. Die Beschwerdeführer
reissen den Absatz 2 in Stücke, wobei der erste Satz die Hauptsache,
der zweite nur eine minder wichtige Hilfsvorschrift enthalten soll. Sie
interpretieren nicht den Text der KV, sondern das, was sie als Inhalt der
KV gern hätten. Insbesondere gehen sie darüber hinweg, dass die KV die
Zugehörigkeit des einzelnen Mitgliedes zum Grossen Rat nicht nach Jahren,
sondern nach Amtsperioden beschränkt.

    b) Der Versuch, den Text der KV durch deren ratio auszumanövrieren,
schlägt fehl. Gewiss liegt der Vorschrift die Absicht zugrunde, die
"Sesselkleberei" zu verunmöglichen. Aber darin erschöpft sie sich nicht. Es
ging seinerzeit den Initianten ebensosehr darum, die Ratsmitglieder durch
Beschränkung der Dauer ihrer Zugehörigkeit zum Parlament zu intensiverer
Arbeit anzutreiben, die Ämterkumulation zu bekämpfen sowie die Aufstellung
und Wahl neuer Kräfte, insbesondere durch Heranziehung des politischen
Nachwuchses, zu fördern (vgl. die Berichte des Regierungsrates vom 8.3.1962
und der Grossratskommission vom 26.9.1963 zur Verfassungsinitiative).

    Um die ratio gegen den Text ins Feld zu führen, hätten die
Beschwerdeführer dartun müssen, dass der Text dem Zweck der Vorschrift
zuwiderlaufe. Davon kann indessen keine Rede sein. Der Zweck der Vorschrift
wird zweifellos erreicht, wenn auch auf eine Weise, die man im Einzelfall
als unnötig hart erachten mag. Die Frage, ob sich der Zweck auch mit
einer andern, weniger einschneidenden Regel hätte erreichen lassen,
hätte sich der Verfassungsgeber stellen können und sollen. Es ist
dies keinesfalls eine Frage, die den Richter zu einer Korrektur an der
Verfassung veranlassen könnte.

    c) Härten kommen im politischen Leben immer wieder vor.  Durch den
angefochtenen Beschluss hat aber der Grosse Rat das passive Wahlrecht der
Kandidaten Stricker und Rinklin nicht "beinahe auf Null reduziert". Es ist
lediglich für 4 Jahre aufgehoben worden, nachdem die erwähnten Personen im
einen Fall über 6 Jahre, im andern Fall 5 Jahre dem kantonalen Parlament
angehört haben.

    d) Von den Beschwerdeführern wird subsidiär eine Verletzung der
Rechtsgleichheit geltend gemacht, weil es nicht angehe, dass einzelne
Grossräte erst nach 12 Jahren aus dem Grossen Rat ausscheiden müssten,
während andere theoretisch nach nur 3 Tagen Zugehörigkeit für 4 Jahre
nicht mehr wählbar seien.

    Ob die Beschwerdeführer damit nur die Auslegung anfechten wollen,
die der Grosse Rat der KV gegeben hat, oder aber die KV selber für den
Fall, dass sie richtig ausgelegt wurde, kann der Beschwerde nicht mit
Sicherheit entnommen werden. Nach der bisherigen, in der Wissenschaft
allerdings angefochtenen Praxis prüft das Bundesgericht die Übereinstimmung
eines kantonalen Verfassungssatzes mit der BV selbst dann nicht, wenn
die diesbezügliche Beschwerde im Anschluss an eine Anwendungsverfügung
erhoben wird (BGE 83 I 181 E. 6, 89 I 398; dazu AUBERT, Traité de droit
constitutionnel suisse, Bd. I Nr. 585). Ob an dieser Praxis festzuhalten
sei, braucht hier nicht erörtert zu werden; denn ein Verstoss gegen Art. 4
BV liegt ohnehin nicht vor.

    § 33 Abs. 2 KV trifft jede Person, die sich bei den Wahlen in den
Grossen Rat wiederholt um ein Mandat bewirbt. Wenn die direkt gewählten
Personen die grössere Aussicht haben, drei ganze aufeinanderfolgende
Amtsperioden dem Grossen Rat anzugehören, als ihre Mitbewerber, die bloss
auf der Liste der Nachrückenden erscheinen, so ist das die Folge davon,
dass jene in der Gunst der Wähler weiter vorn stehen als diese. Dass
aber auch die direkt Gewählten betroffen werden können, zeigt der Fall
des Rudolf Rinklin. 1960 hat er den Rat schon 9 Monate nach der Wahl aus
eigenem Entschluss verlassen und sich damit die Möglichkeit einer längern
Zugehörigkeit zum Parlament selber geschmälert.

    In der Demokratie gibt es Gewählte und Nichtgewählte, und bei
den Gewählten Leute mit verschieden langer Zugehörigkeit zu den
Behörden. Wichtig ist nur, dass für alle Bewerber und alle Gewählten
dieselben Kriterien der Wahl und der Wiederwählbarkeit angewandt
werden. Ein solches, für alle mehrmals Gewählten einheitliches
Kriterium enthält § 33 Abs. 2 der Basler KV. Von einer Verletzung der
Rechtsgleichheit kann hier nicht die Rede sein.>

Erwägung 5

    5.- Als selbständige Rüge machen die Beschwerdeführer geltend, mit
dem angefochtenen Beschluss widerspreche der Grosse Rat seiner eigenen
1968 praktizierten Auslegung des § 33 Abs. 2 KV. Richtig ist, dass Rudolf
Rinklin, der schon 1956-1960 im Grossen Rat gesessen hatte, diesem während
der Amtsperiode 1968-1972 nicht hätte angehören dürfen. Änderungen einer
als unrichtig erkannten Praxis verstossen indessen nicht gegen Art. 4 BV
(BGE 96 I 376 und dort erwähnte Entscheide). Ausserdem ist hier die Praxis
gar nicht geändert worden. 1968 lag keine Wahleinsprache vor, wie sie
Dr. Tilmann Wernle 1972 eingereicht hat, und da das Fehlen einer Einsprache
zusammenfiel mit einer Unaufmerksamkeit der Wahlprüfungskommission,
wurde die Frage, ob § 33 Abs. 2 KV dem einen oder andern Gewählten
entgegenstehe, überhaupt nicht aufgeworfen. Dagegen ist sie im Anschluss
an die Einsprache 1972 nicht nur für die Kandidaten Stricker und Rinklin,
sondern für alle Gewählten geprüft worden. Dabei nahm man auch in Aussicht,
entsprechende Untersuchungen künftig für alle Kandidaten von Amtes wegen
anzustellen. Das ist in Ordnung.

Erwägung 6

    6.- Schliesslich machen die in den beiden Beschwerden unter Ziffer II
aufgeführten Beschwerdeführer geltend, sie hätten ihre Stimmkraft anders
eingesetzt, wenn sie damit hätten rechnen müssen, dass die Kandidaten
Stricker und Rinklin dem Grossen Rat während der Amtsdauer 1972-1976
nicht angehören dürften. Sie verlangen, in diesem guten Glauben geschützt
zu werden.

    Eine Pflicht der Behörden zur Beachtung des Rechtsirrtums des Bürgers
besteht im allgemeinen dann, wenn der Bürger im Vertrauen auf Auskünfte
oder Zusicherungen, die er von der zuständigen Amtsstelle erhalten hat und
deren Unrichtigkeit er nicht ohne weiteres erkennen konnte, Dispositionen
getroffen hat, die nicht mehr rückgängig zu machen sind (BGE 98 Ia 432
E. 3, 96 I 15/16 und dort erwähnte frühere Urteile; vgl. auch GUENG,
Zur Verbindlichkeit verwaltungsrechtlicher Auskünfte und Zusagen, ZBl
71/1970 S. 449 ff.).

    Im vorliegenden Fall ist den Beschwerdeführern nichts versprochen
worden; sie wurden weder durch eine Auskunft noch durch eine ausdrückliche
Zusicherung getäuscht. Eine andere Frage ist die, ob sie aus der blossen
Tatsache, dass die Herren Stricker und Rinklin offiziell als Kandidaten
zur Wahl zugelassen wurden, schliessen durften, die Wählbarkeit dieser
Personen sei von den zuständigen Stellen überprüft worden und gegeben. Das
setzte aber doch wohl voraus, dass die Behörden verpflichtet wären, im
Vorwahlverfahren von Amtes wegen abzuklären, ob für jede vorgeschlagene
Person die Wählbarkeitsvoraussetzungen vorliegen. Ob sich eine solche
Pflicht aus § 40 des Gesetzes betreffend die Wahlen und Abstimmungen
vom 9. März 1911 herauslesen lässt, wie das die Beschwerdeführer meinen,
ist eher fraglich, wird doch in dieser Bestimmung das Polizeidepartement
lediglich beauftragt, dafür zu sorgen, dass ein Kandidat nicht auf mehreren
Wahlvorschlägen erscheint. Wie es sich damit verhält, kann indessen
dahingestellt bleiben. Käme man nämlich zum Schluss, es bestehe tatsächlich
eine solche amtliche Pflicht zur Prüfung der Wählbarkeitsvoraussetzungen
und der Wähler sei im vorliegenden Fall hinsichtlich der Wählbarkeit der
Herren Stricker und Rinklin getäuscht worden, könnte das gleichwohl nicht
- gleichsam zur Wiederherstellung des verletzten Vertrauens der Wähler -
zur Validierung der Wahl der beiden Kandidaten führen, wie das mit den
Beschwerden angestrebt wird. Vielmehr müsste eine solche Täuschung des
Wählers die Kassation der Grossratswahlen selbst (oder jedenfalls eines
Teils derselben) zur Folge haben. Ein Rechtsbegehren, das auf die Kassation
der Wahlen ginge, haben die Beschwerdeführer aber nicht gestellt. Somit
braucht nicht weiter untersucht zu werden, ob sie in ihrem berechtigten
Vertrauen auf die Wählbarkeit der Herren Stricker und Rinklin verletzt
worden seien.

    Die Beschwerden erweisen sich demnach in allen Punkten als unbegründet.