Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 IA 568



98 Ia 568

83. Urteil vom 29. November 1972 i.S. Gemeinde Murten gegen Kanton Freiburg
und Rekurskommission in Steuersachen des Kantons Freiburg. Regeste

    Art. 4 BV. Kantonales Steuerrecht.

    Voraussetzungen für die Nichtigkeit einer Verwaltungsverfügung
(Erw. 4).

    Voraussetzungen für die Revision eines rechtskräftigen
Steuerentscheides; kein Revisionsgrund liegt vor, wenn der Entscheid auf
einer unzureichenden gesetzlichen Grundlage beruhte (Erw. 5).

Sachverhalt

    A.- Das freiburgische Einführungsgesetz zum Bundesgesetz vom 12. Juni
1951 über die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes vom 25. November
1952 (EG z. EGG) bestimmte in seiner ursprünglichen Fassung in Art. 2,
dass der Kanton bei Veräusserungsgeschäften, die eine Verminderung des
Kulturlandes zur Folge haben, einen der Verminderung entsprechenden und
nach Quadratmetern berechneten Ausgleichsbetrag zugunsten des Fonds für
Bodenverbesserungen erhebt; die Einzelheiten dieser Leistung sollte der
Staatsrat in einer Ausführungsverordnung bestimmen. Gestützt darauf hatte
der Staatsrat des Kantons Freiburg zwischen 1954 und 1969 hintereinander
sieben verschiedene Ausführungsverordnungen und Beschlüsse erlassen, in
denen der Pflichtige bezeichnet und der Steuersatz festgelegt sowie die
Rechtsmittel genannt wurden. Die letzte Ausführungsverordnung erging am 31.
Oktober 1969.

    Gestützt auf die damals in Kraft stehende Vollziehungsverordnung
vom 19. Dezember 1967 wurde die Familienstiftung de Zurich-de
Reynold wegen verschiedener Grundstückverkäufe zur Ausgleichsabgabe
herangezogen. Sie focht die Veranlagungsverfügung zunächst erfolglos
beim Staatsrat des Kantons Freiburg und hernach mit staatsrechtlicher
Beschwerde beim Bundesgericht an. Mit Urteil vom 19. Mai 1971 wurde die
staatsrechtliche Beschwerde gutgeheissen mit der Begründung, dass die
in Art. 2 EG z. EGG enthaltene Delegation an den Staatsrat zu ungenau
sei und die Ausführungsverordnung vom 19. Dezember 1967 somit keine
hinreichende gesetzliche Grundlage für die beanstandete Abgabe darstelle
(BGE 97 I 344 ff.).

    Auf diesen Bundesgerichtsentscheid hin wurde Art. 2 EG z. EGG durch
Gesetz vom 18. November 1971 geändert. Die Person des Pflichtigen, die
Berechnungsweise der Abgabe, die zuständige Instanz und die Rechtsmittel
sind nunmehr in dieser Gesetzesbestimmung selbst enthalten.

    B.- Am 22. Februar 1971 erhob der Grundbuchverwalter von Murten
gestützt auf die Ausführungsverordnung vom 31. Oktober 1969 zum EG z.
EGG von der Gemeinde Murten den Ausgleichsbetrag für einen im Dezember
1970 getätigten Landerwerb. Die Gemeinde Murten focht die Abgabeerhebung
nicht an und bezahlte den Betrag.

    Mit Schreiben vom 5. Januar 1972 an die kantonale Behörde für
Grundstückverkehr verlangte die Gemeinde Murten die Rückerstattung
des von ihr bezahlten Ausgleichsbetrags. Sie berief sich auf
den Bundesgerichtsentscheid in Sachen de Zurich- de Reynold vom
19. Mai 1971, wonach die Erhebung des durch Staatsratsbeschluss vom
31. Oktober 1969 verfügten Ausgleichsbetrags zugunsten des Fonds für
Bodenverbesserungen ungesetzlich sei. Das Begehren wurde an die kantonale
Rekurskommission in Steuersachen - die nach dem neuen Art. 2 EG z. EGG
zuständige Rechtsmittelinstanz - weitergeleitet, die es am 16. Juni
1972 abwies. Die Rekurskommission stellte sich auf den Standpunkt, dass
namentlich im Steuerrecht nicht ohne Rechtsgrund geleistet sei, was man in
Erfüllung einer rechtskräftigen Verfügung erbracht habe, selbst wenn diese
gesetzwidrig gewesen sein sollte. Die Rückerstattung einer bezahlten Steuer
könne nur verlangt werden, soweit die Verfügung abgeändert werden könne,
was einzig auf dem Wege der Revision möglich sei. Dafür lägen im Falle
der Gemeinde Murten weder neue erhebliche Tatsachen noch Beweismittel vor.

    C.- Die Gemeinde Murten führt staatsrechtliche Beschwerde wegen
Verletzung von Art. 4 BV mit dem Antrag, den Entscheid der kantonalen
Rekurskommission in Steuersachen vom 16. Juni 1972 aufzuheben. Die
Begründung der Beschwerde ergibt sich, soweit nötig, aus den nachstehenden
Erwägungen.

    D.- Die kantonale Rekurskommission in Steuersachen (nachfolgend
kurz Rekurskommission genannt) beantragt Abweisung der Beschwerde, und
die Finanzdirektion schliesst sich namens des Kantons Freiburg ihren
Ausführungen an.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- (Legitimation).

Erwägung 2

    2.- In der Beschwerde wird eingehend dargetan, weshalb die
Veranlagungsverfügung vom 22. Februar 1971 bzw. die ihr zugrundeliegende
Ausführungsverordnung vom 31. Oktober 1969 zum EG z. EGG verfassungswidrig
sei, wobei auch das in Art. 45 KV verankerte Prinzip der Gewaltentrennung
angerufen wird. Diese Vorbringen sind jedoch, abgesehen davon, dass
sie im Anschluss an die Abgabeerhebung geltend zu machen gewesen wären
und heute verspätet sind, unerheblich. Denn die Verfassungswidrigkeit
der Veranlagungsverfügung vom 22. Februar 1971 ist nicht streitig. Der
Kanton Freiburg anerkennt, dass die der Verfügung zugrundeliegende
Ausführungsverordnung vom 31. Oktober 1969 aus den gleichen Gründen wie
diejenige vom 19. Dezember 1967, worauf die von der Familienstiftung de
Zurich-de Reynold verlangte Ersatzabgabe sich stützte, verfassungswidrig
ist. Der Streit geht hier einzig darum, ob die aufgrund einer
unangefochten gebliebenen Veranlagungsverfügung geleistete Abgabe
zurückzuerstatten ist, wenn sich hinterher herausstellt, dass die
Verfügung auf einer unzureichenden gesetzlichen Grundlage beruhte. In
diesem Zusammenhang ruft die Beschwerdeführerin mit Recht nur Art. 4 BV
an; die Frage ist nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür
zu prüfen.

Erwägung 3

    3.- In Rechtsprechung und Lehre ist allgemein anerkannt, dass die
Steuerveranlagung, die unangefochten geblieben oder durch Entscheid
der Steuerjustizbehörde bestätigt bzw. abgeändert worden ist, mit der
formellen grundsätzlich auch die materielle Rechtskraft erlangt. Die
Festsetzung der Steuerschuld wird damit für den Steuerpflichtigen wie
für das Gemeinwesen endgültig und verbindlich ohne Rücksicht darauf, ob
sie materiell richtig ist. Dies ist ein Gebot der Rechtssicherheit und
ergibt sich auch daraus, dass der Steuerpflichtige bei der Veranlagung
oder zumindest deren Kontrolle auf dem Rekursweg selbst mitwirken
kann. Auf einen Veranlagungsentscheid kann deshalb nur ausnahmsweise
zurückgekommen werden, nämlich dann, wenn die Voraussetzungen einer
Revision erfüllt sind (BGE 81 I 7 mit Verweisungen; BLUMENSTEIN, System des
Steuerrechts, 3. neubearb. Aufl. Zürich 1971, S. 296, 366; A. GRISEL, Droit
administratif suisse, Neuchâtel 1970, S. 214 f.; IMBODEN, Schweizerische
Verwaltungsrechtsprechung, 4. unver. Aufl., Basel 1971, Nr. 322 III c;
E. KÄNZIG, Kommentar zur Wehrsteuer, Basel 1962, N 2 zu Art. 126 WstB).

Erwägung 4

    4.- Die von der Beschwerdeführerin bezahlte Ausgleichsabgabe müsste
zurückerstattet werden, wenn sie, wie sinngemäss geltend gemacht wird,
aufgrund einer nichtigen und damit der Rechtskraft nicht fähigen
Verfügung erhoben worden wäre. Nach Lehre und Rechtsprechung ist die
Nichtigkeit, d.h. die absolute Unwirksamkeit einer Verwaltungsverfügung
nur ausnahmsweise anzunehmen. Eine Verfügung wird als nichtig erklärt,
wenn der ihr anhaftende Mangel besonders schwer und offensichtlich oder
zumindest leicht erkennbar ist und zudem die Rechtssicherheit dadurch
nicht ernsthaft gefährdet wird (BGE 92 IV 197, 83 I 5, 71 I 198 Erw. 1;
GRISEL, aaO S. 202ff.; IMBODEN, aaO Nr. 326 II). Diese Voraussetzungen sind
bei der Veranlagungsverfügung vom 22. Februar 1971 nicht gegeben. Sie
stützte sich auf eine gesetzliche Grundlage, die wegen unzulässiger
Delegation ungenügend war. Diese Verfassungswidrigkeit kann aber weder
als offensichtlich noch als besonders schwer betrachtet werden. Solange
die Ausführungsverordnung zum EG z. EGG nicht aufgehoben oder, wie im
Fall de Zurich-de Reynold aufgrund akzessorischer richterlicher Prüfung
als nicht anwendbar erklärt war, haftete den gestützt darauf ergangenen
Veranlagungsverfügungen bloss ein verdeckter Mangel an. Zudem wäre es
unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit nicht tragbar, wenn schon
Verwaltungsakte, die sich mangels einer gesetzlichen Grundlage als
verfassungswidrig erweisen, als absolut unwirksam und nicht bloss nur
anfechtbar gelten würden. Der Rekurskommission kann daher keine Willkür
vorgeworfen werden, wenn sie die Veranlagungsverfügung nicht als nichtig
betrachtete.

Erwägung 5

    5.- Eine Rückerstattung der von der Beschwerdeführerin geleisteten
Ersatzabgabe kann nach dem Gesagten einzig auf dem Wege einer Revision
der Veranlagungsverfügung vom 22. Februar 1971 in Frage kommen.

    a) Das freiburgische Steuerrecht sieht die Möglichkeit einer Revision
von Steuerveranlagungen nicht ausdrücklich vor. Es fragt sich deshalb,
ob unter diesen Umständen der Steuerpflichtige eine Revision überhaupt
verlangen kann. Bei Willkürbeschwerden im Zusammenhang mit kantonalen
und kommunalen Steuern hat sich das Bundesgericht zu dieser Frage
zunächst zurückhaltend gezeigt, indem es den Fall eines die Revision
rechtfertigenden Irrtums kaum je als gegeben erachtete (BGE 75 I 311). Mehr
und mehr hat es sich jedoch von den bei freier Überprüfungsbefugnis in
Bundessteuersachen entwickelten Grundsätzen leiten lassen (BGE 87 I 179),
ohne jedoch die Gelegenheit gehabt zu haben, klar festzulegen, unter
welchen minimalen Voraussetzungen der Pflichtige gestützt auf Art. 4
BV eine Revision verlangen kann. Die Frage braucht aber auch hier nicht
weiter verfolgt zu werden, da die Rekurskommission nicht nur ohne Willkür,
sondern zu Recht das Vorliegen eines Revisionsgrundes verneint hat.

    b) Nach der Lehre und der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu den
Bundessteuern ist die Revision einer Steuerveranlagung auch ohne eine
entsprechende Gesetzesvorschrift zulässig, wenn die Veranlagung unter
Verletzung wesentlicher prozessualer Vorschriften zustande gekommen ist,
wenn, ohne dass der Pflichtige dies hätte verhindern können, Tatsachen
unberücksichtigt geblieben sind, die amtlichen Akten hätten entnommen
werden können, oder wenn der Pflichtige Tatsachen oder Beweismittel
vorbringt, deren Geltendmachung ihm im früheren Verfahren nicht möglich
war, ferner auch dann, wenn die Steuerbehörde den Pflichtigen über Inhalt
oder Anwendung der gesetzlichen Vorschriften in einen Irrtum versetzt oder
ihm über massgebliche Umstände eine unrichtige Auskunft erteilt hat. Die
Revision ist dagegen nicht gegeben, um einen Rechtsirrtum zu beheben oder
eine andere Rechtsauffassung durchzusetzen, auch nicht, um eine neue
Würdigung der beim Entscheid bekannten Tatsachen herbeizuführen. Eine
Änderung der Praxis oder Rechtsprechung sowie das Vorbringen von Gründen,
die der Pflichtige bereits im Rekursverfahren gegen den Entscheid hätte
geltend machen können, sind kein Anlass zur Revision (BGE 87 I 179, 78 I
201 f., 77 I 241, 75 I 311 ff., 74 I 407 f., 70 I 170; BLUMENSTEIN, aaO,
S. 367 f.; GRISEL, aaO, S. 215; IMBODEN, aaO, Nr. 324 IV; KÄNZIG, aaO,
N. 8 zu Art. 126 WstB).

    Was die Beschwerdeführerin zur Begründung ihres
Rückerstattungsbegehrens vorbringt, genügt im Lichte dieser Grundsätze
nicht für eine Revision der Veranlagungsverfügung vom 22. Februar
1971. Dass die Ausführungsverordnung vom 31. Oktober 1969 keine
hinreichende gesetzliche Grundlage für die Abgabeerhebung darstellte,
hätte sie auf dem Rekurswege geltend machen können, wie dies im
Falle de Zurich-de Reynolds auch getan wurde. Wenn es ihr damals an
der nötigen Aufmerksamkeit gebrach, um auf diesen Mangel zu stossen,
so hat sie das selbst zu vertreten. Der Umstand, dass nachträglich ein
Bundesgerichtsurteil erging, welches die Ausführungsverordnung vom 17.
Dezember 1967 als verfassungswidrig erklärte und demzufolge auch die
der Besteuerung der Beschwerdeführerin zugrundeliegende Verordnung
vom 31. Oktober 1969 als verfassungswidrig gelten muss, ist keine neue
Tatsache im Sinne eines Revisionsgrundes. Diese Tatsache ist erst nach
dem Veranlagungsverfahren eingetreten und hätte von der Behörde damals
noch gar nicht berücksichtigt werden können (BGE 88 II 64).

    Von den dargelegten Grundsätzen könnte allenfalls dann
ausnahmsweise abgewichen werden, wenn sie zu einem stossenden und dem
Gerechtigkeitsgefühl zuwiderlaufenden Ergebnis führen würden. Davon kann im
hier zu beurteilenden Falle nicht die Rede sein. Die Beschwerdeführerin
beruft sich denn auch zu Unrecht auf den Fall Destefani (BGE 78 I
191), in welchem solche Überlegungen mitgespielt haben mögen. Das
Bundesgericht hat dort auf direkte verwaltungsrechtliche Klage hin das
Rückerstattungsbegehren einer Witwe, die eine ihr zustehende Rente der
eidg. Militärversicherung als steuerbares Einkommen deklariert und
versteuert hatte, gutgeheissen. Es nahm an, dass ein entschuldbarer
Rechtsirrtum seitens der Pflichtigen vorliege; mit Rücksicht auf die
derogatorische Kraft des Bundesrechts gingen zudem die von diesem
angeordneten Steuerbefreiungsgründe auch dort vor, wo nach kantonalem
Recht Rechtskraft anzunehmen wäre (Erw. 3). Selbst wenn man von den hinter
dem Entscheid Destefani allenfalls stehenden Billigkeitsgründen absieht,
so unterscheidet sich jener Fall dennoch wesentlich von demjenigen der
Beschwerdeführerin. In jenem Fall griff eine materiellrechtliche Vorschrift
des Bundes ein, welche bei der Veranlagung zugunsten des Steuerpflichtigen
unbedingt zu beachten war. Wenn die Beschwerdeführerin glaubt, dies
treffe auch hier zu, indem sie auf das Prinzip der Gesetzmässigkeit
der Steuer hinweist, so verkennt sie dabei, dass die Missachtung dieses
verfassungsmässigen Prinzips grundsätzlich nur zur Anfechtbarkeit des
betreffenden Verwaltungsaktes führen kann. Zudem war aus den Akten
ersichtlich, dass es sich um eine Rente der eidg. Militärversicherung
handelte, und die Behörde hätte diese Tatsache bei der Veranlagung
berücksichtigen sollen. Soweit der Entscheid den Rückerstattungsgrund
in einem entschuldbaren Rechtsirrtum der Steuerpflichtigen sah, müsste
man sich fragen, ob er nach der heutigen Auffassung, die darin keinen
Revisionsgrund mehr sieht, nicht überholt sei. An den geltenden Regeln
über die Revision von Steuerveranlagungen ändert er jedenfalls nichts.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.