Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 IA 50



98 Ia 50

9. Urteil vom 2. Februar 1972 i.S. Ernst Kunz AG gegen Einwohnergemeinde
Olten und Regierungsrat des Kantons Solothurn. Regeste

    Gesetzliche Grundlage für Beschränkungen der Handels- und
Gewerbefreiheit.

    1.  Für kantonale Beschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit ist
von Bundesrechts wegen nur eine gesetzliche Grundlage im materiellen Sinn
erforderlich. Die Kantone können jedoch vorsehen, dass derartige Eingriffe
einer besonderen, formellen oder sonstwie qualifizierten Gesetzesgrundlage
bedürfen (Erw. 2).

    2.  Nach der solothurnischen Verfassung (Art. 12 Ziff. 2 und 31
Ziff.11) müssen nicht nur die den ganzen Kanton betreffenden, sondern
auch die im Bereiche der Gemeinden notwendig werdenden Beschränkungen der
Handels- und Gewerbefreiheit in einer kantonsrätlichen Verordnung oder
in einem kantonalen Gesetz vorgesehen sein (Erw. 3). Wieweit sind die
solothurnischen Gemeinden befugt, die Ausführung von Hausinstallationen
gewerbepolizeilichen Beschränkungen zu unterstellen ? (Erw. 4).

Sachverhalt

    A.- Am 25. August 1967 erliess der Gemeinderat der Stadt Olten ein
"Reglement über die Erteilung von Bewilligungen für Elektrizitäts-,
Gas-, Wasser- und Abwasserinstallationen" (im folgenden mit "Reglement"
abgekürzt). Laut § 1 ist zur Ausführung derartiger Hausinstallationen
eine Bewilligung des zuständigen städtischen Werkes erforderlich;
die Werke haben überdies das Recht, bewilligungspflichtige Arbeiten
durch ihre Installationsabteilungen selber ausführen zu lassen. §
2 nennt die Voraussetzungen, unter denen die Bewilligung an private
Installationsbetriebe erteilt werden kann. Diese müssen u.a. ihren Sitz in
der Gemeinde Olten oder in einer von den städtischen Werken mit Gas oder
Wasser versorgten Gemeinde haben; an Firmen in "benachbarten Gemeinden"
kann die Bewilligung erteilt werden, wenn sie sich bereit erklären, sich
an einem in § 17 des Reglementes vorgesehenen Pikettdienst "angemessen"
zu beteiligen.

    B.- Am 29. Juni 1970 stellte die Firma Ernst Kunz AG, Wohlen
(Kanton Aargau), beim Wasserwerk der Stadt Olten das Gesuch, es sei
ihr für einen Neubau in Olten die Bewilligung für die Ausführung der
Sanitärinstallationen zu erteilen. Nachdem die zuständige Werkkommission
am 1. Juli das Gesuch und am 12. August ein Wiedererwägungsgesuch der
Firma abgelehnt hatte, führte diese beim Gemeinderat der Stadt Olten
Beschwerde, welche am 2. Oktober 1970 abgewiesen wurde, im wesentlichen
mit der Begründung, die Wegstrecke zwischen Wohlen und Olten sei zu gross
und verunmögliche einen reibungslosen Reparaturdienst der Firma an den von
ihr erstellten Wasser- und Abwasserinstallationen. Der Regierungsrat des
Kantons Solothurn, bei dem die Firma Ernst Kunz AG daraufhin Beschwerde
eingereicht hatte, schützte mit Entscheid vom 16. Juli 1971 den Standpunkt
des Gemeinderates der Stadt Olten.

    C.- Gegen den Entscheid des Regierungsrates führt die Firma Ernst Kunz
AG rechtzeitig staatsrechtliche Beschwerde, mit der sie eine Verletzung
von Art. 12 Ziff. 2 KV und Art. 31 BV rügt. Art. 12 Ziff. 2 KV bestimme,
dass Verordnungen, welche die Handels- und Gewerbefreiheit beschränkten,
vom Kantonsrat auszugehen hätten. An einer derartigen speziellen
Rechtsgrundlage fehle es im vorliegenden Fall. Ausserdem verletze
der angefochtene Entscheid materiell die in Art. 31 BV gewährleistete
Handels- und Gewerbefreiheit. Der Beschwerdeantrag lautet dahin, es sei
der angefochtene Entscheid aufzuheben und der Regierungsrat anzuweisen,
die nachgesuchte Bewilligung zu erteilen.

    D.- Unter Hinweis auf die Erwägungen des angefochtenen Entscheides
beantragt der Regierungsrat Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Einwand, es fehle dem beanstandeten Reglement an der in Art. 12
Ziff. 2 KV geforderten besonderen rechtlichen Grundlage, wird erstmals in
der staatsrechtlichen Beschwerde erhoben. Doch sind neue Vorbringen auch
bei Beschwerden, welche die Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges
voraussetzen, grundsätzlich zulässig, wenn die letzte kantonale Instanz,
wie dies hier anzunehmen ist, freie Kognition besass und das Recht von
Amtes wegen anzuwenden hatte; eine Ausnahme gilt nur für Beschwerden wegen
Willkür und solche, bei denen die Rüge, eine andere Verfassungsbestimmung
sei verletzt, mit derjenigen der Willkür zusammenfällt (BGE 94 I 132
Erw. 5, 655 oben, mit Hinweisen auf frühere Entscheide). Diese Ausnahme
trifft hier, wie aus den folgenden Erwägungen hervorgeht, nicht zu,
weshalb auf die erwähnte neue Rüge einzutreten ist.

Erwägung 2

    2.- Nach dem Grundsatz der Gesetzmässigkeit der Verwaltung müssen
die der Freiheit des Bürgers gezogenen Schranken auf gesetzlicher
Grundlage beruhen, d.h. sich auf eine generellabstrakte Norm stützen,
die ihrerseits verfassungsmässig ist (BGE 91 I 462 Erw. 3 a, 90 I 323
Erw. 3). Für kantonale Beschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit
verlangt Art. 31 Abs. 2 BV lediglich eine gesetzliche Grundlage im
materiellen Sinn. Den Kantonen bleibt es aber unbenommen, weiterzugehen und
vorzusehen, dass derartige Anordnungen einer besonderen, formellen oder
sonstwie qualifizierten gesetzlichen Grundlage bedürfen (BGE 91 I 463,
87 I 453 Erw. 4).

    Der Kanton Solothurn hat von dieser Möglichkeit Gebrauch
gemacht. Art. 12 Ziff. 2 der Kantonsverfassung vom 23. Oktober 1887
(KV) lautet:

    "Art. 12 Nach Massgabe und in Ausführung der Bundesverfassung werden
ausdrücklich gewährleistet:

    2. Die Freiheit des Handels und der Gewerbe (Art. 31 BV).

    Die dem Kanton diesfalls gestatteten beschränkten (richtig wohl:
beschränkenden) Verordnungen haben vom Kantonsrat auszugehen. Einzelne
Verfügungen des Regierungsrates sollen sich genau in den Schranken der
Verfassung und dieser Verordnungen bewegen."

    Dementsprechend wird in Art. 31 KV, welcher die Befugnisse und
Obliegenheiten des Kantonsrates aufzählt, dieser u.a. als zuständig erklärt
zum "Erlass der den Kantonen zustehenden beschränkenden Verordnungen
betreffend die Ausübung von Handel und Gewerbe" (Ziff.11).

Erwägung 3

    3.- Die Auslegung kantonalen Verfassungsrechts prüft das Bundesgericht
grundsätzlich frei (BGE 97 I 32 Erw. 4 a, mit Hinweisen). Vorweg stellt
sich die Frage, ob der Verfassungsgeber den Erlass sämtlicher die
Handels- und Gewerbefreiheit beschränkenden Vorschriften dem Kantonsrat
übertragen wollte oder ob er in Art. 12 Ziff. 2 und Art. 31 Ziff. 11 KV
lediglich die den ganzen Kanton betreffenden Beschränkungen im Auge hatte
und die autonome Rechtssetzungsbefugnis der Gemeinden unberührt lassen
wollte. Die übrigen Verfassungsbestimmungen geben hierüber keine Auskunft,
insbesondere auch nicht Art. 54 KV, welcher die Gemeinden zur selbständigen
Rechtssetzung "innerhalb der Schranken der Verfassung und der Gesetze"
ermächtigt. Sinn und Wortlaut von Art. 12 Ziff. 2 KV sprechen gegen
eine einschränkende Auslegung zugunsten der Gemeinden. Unmittelbar vor
der fraglichen Vorschrift erwähnt die Kantonsverfassung die in Art. 31
BV gewährleistete Handels- und Gewerbefreiheit. Dies legt die Annahme
nahe, dass der solothurnische Verfassungsgeber, wenn er anschliessend
von den "dem Kanton" gestatteten Beschränkungen sprach, dabei nicht an
eine innerkantonale Kompetenzabgrenzung gegenüber den Gemeinden dachte,
sondern unter "Kanton" das kantonale Staatswesen in seiner Gesamtheit
verstand; er wollte offenbar für sämtliche Beschränkungen der Handels- und
Gewerbefreiheit, die die Bundesverfassung den Kantonen überhaupt gestattet,
eine besondere gesetzliche Grundlage vorschreiben. Diese Auslegung wird
bestätigt durch den Wortlaut der entsprechenden Kompetenzvorschrift in
Art. 31 Ziff. 11 KV, wo von den den "Kantonen" zustehenden Beschränkungen
der Handels- und Gewerbefreiheit die Rede ist.

    Demnach muss auch für die im Bereiche der Gemeinden notwendig werdenden
Beschränkungen die in Art. 12 Ziff. 2 KV geforderte besondere Grundlage
vorhanden sein.

    Aus den erwähnten Verfassungsbestimmungen geht andererseits auch
hervor, dass die Handels- und Gewerbefreiheit beschränkende Vorschriften
nicht notwendigerweise auf dem Wege der formellen Gesetzgebung erlassen
werden müssen, sondern dass der Kantonsrat auf diesem Gebiet ein
selbständiges Verordnungsrecht besitzt.

Erwägung 4

    4.- Das beanstandete Reglement der Einwohnergemeinde Olten, welches
die Ausführung von Hausinstallationen durch private Installateure
als bewilligungspflichtig erklärt und grundsätzlich nur einheimische
Installateure zu solchen Arbeiten zulässt, berührt unmittelbar die
Handels- und Gewerbefreiheit; es bedarf daher der Grundlage in einer
kantonsrätlichen Verordnung (oder in einem formellen Gesetz). Ob
eine derartige Grundlage vorhanden ist, prüft das Bundesgericht,
da es um die Tragweite von Art. 12 Ziff. 2 und 31 Ziff. 11 KV geht,
frei. Solothurnische Gemeindereglemente der vorliegenden Art bildeten im
übrigen schon wiederholt Gegenstand von staatsrechtlichen Beschwerden
(BGE 94 I 18 ff; ZBl 1960, S. 242 ff; nicht veröffentl. Entscheid vom
5. Dezember 1956 i.S. Crivelli), doch ist eine Verletzung der soeben
genannten Verfassungsbestimmungen bis anhin nie gerügt worden, so dass
sich aus jenen Entscheiden für die hier zu beurteilende Frage nichts
ableiten lässt.

    Die Gemeindeordnung von Olten, auf die sich das Reglement
formell stützt, reicht als Grundlage nicht aus. Auch das kantonale
Gemeindegesetz vom 27. März 1949 und die dazugehörige, vom Kantonsrat
genehmigte Vollziehungsverordnung vom 13. September 1949 enthalten
keine, jedenfalls keine ausdrückliche Norm, auf die sich ein kommunales
Hausinstallationsmonopol stützen liesse oder die die Gemeinden im Bereich
der Hausinstallationen zu gewerbepolizeilichen Beschränkungen ermächtigen
würde. Der Regierungsrat hat in seiner Vernehmlassung zu der in der
staatsrechtlichen Beschwerde erstmals aufgeworfenen Frage der gesetzlichen
Grundlage keine Stellung genommen. Hingegen hat er im angefochtenen
Entscheid auf § 32 des kantonalen Wasserrechtsgesetzes vom 27. September
1959 verwiesen. Danach können die Einwohnergemeinden den Anschluss an die
kommunale Wasserversorgung als obligatorisch erklären; eine gleichartige
Regel, die sich auf Kanalisation und Wasserversorgung bezieht, findet
sich in § 7 Ziff. 3 des kantonalen Baugesetzes vom 10. Juni 1906. Diese
Bestimmungen verleihen den Gemeinden insoweit ein faktisches Monopol,
als sie neben den kommunalen Anlagen keine privaten Wasserversorgungs-
und Kanalisationsnetze zu dulden brauchen; ein solches Monopol besitzen
sie übrigens weitgehend schon als Eigentümer des öffentlichen Grundes (BGE
95 I 148 Erw. 3). Die genannten kantonalrechtlichen Vorschriften sagen
jedoch nichts aus über die hier strittige Frage, wer die Erstellung und
den Unterhalt der am kommunalen Verteilernetz angeschlossenen Leitungen
und Anlagen im Innern der Häuser, d.h. die sogenannten Hausinstallationen,
zu besorgen habe. Insbesondere räumen sie den Gemeinden keine Kompetenz
ein, auch auf diesem Gebiet ein Monopol für sich zu beanspruchen oder
die Ausführung von Hausinstallationen durch Private gewerbepolizeilichen
Beschränkungen zu unterstellen. Würde die solothurnische Kantonsverfassung,
wie dies in den meisten andern Kantonen zutrifft, für Eingriffe in
die Handels- und Gewerbefreiheit keine besondere gesetzliche Grundlage
verlangen, so liesse sich die Zuständigkeit der Gemeinden zum Erlass
derartiger Vorschriften wohl aus ihrer autonomen Rechtssetzungsbefugnis
ableiten. Nach solothurnischem Verfassungsrecht liegt jedoch diese
Zuständigkeit ausschliesslich beim Kantonsrat (bzw. beim kantonalen
Gesetzgeber), der auch die im Wirkungskreis der Gemeinden notwendig
werdenden Beschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit ausdrücklich
vorsehen muss. An einer solchen kantonalrechtlichen Norm fehlt es
hier; jedenfalls ist ihr Vorhandensein weder von der Gemeinde noch vom
Regierungsrat dargetan worden.

Erwägung 5

    5.- Schon aus diesem vorgenannten Grunde ist der gestützt auf das
fragliche Reglement ergangene Beschwerdeentscheid des Regierungsrates
aufzuheben, ohne dass noch zu prüfen wäre, ob er materiell mit der in
Art. 31 BV gewährleisteten Handels- und Gewerbefreiheit im Einklang
steht. In diesem Sinne ist die Beschwerde gutzuheissen.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Soweit auf die Beschwerde einzutreten ist, wird sie im Sinne der
Erwägungen gutgeheissen und der angefochtene Entscheid wird aufgehoben.