Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 IA 460



98 Ia 460

73. Urteil vom 22. November 1972 i.S. Zuberbühler gegen Regierungsrat
des Kantons Zürich. Regeste

    Art. 4 BV; Grundsatz von Treu und Glauben, rechtliches Gehör.

    Treu und Glauben: Die Auskunft eines Sachbearbeiters ohne
Entscheidungsbefugnis über den Stand eines Gesuchs bindet die Behörde
nicht.

    Rechtliches Gehör: Anforderungen an die Begründungspflicht im
Verwaltungsverfahren unter dem Gesichtspunkt von Art. 4 BV.

Sachverhalt

    A.- § 17a der zürcherischen Verordnung über die Anstellung und
Besoldung der Lehrer der kantonalen Mittelschulen vom 28. Juni 1948
(im folgenden kurz "Besoldungsverordnung" genannt) lautet:

    "Die gewählten Lehrer haben ihren Wohnsitz im Gebiete des Kantons
Zürich zu nehmen. Der Regierungsrat kann aus wichtigen Gründen
ausnahmsweise die Wohnsitznahme ausserhalb des Kantons bewilligen."

    Dr. phil. Rolf Zuberbühler ist seit 1967 Hauptlehrer für Deutsch und
Latein am Kantonalen Gymnasium Winterthur und wohnt in Rumikon/Russikon ZH.
Am 3. Dezember 1971 reichte er bei der Erziehungsdirektion des Kantons
Zürich das Gesuch ein, ihm die Wohnsitznahme im Kanton Thurgau zu
bewilligen. Zur Begründung brachte er vor, dass er sich verheiraten
wolle, auf ruhige Arbeitsverhältnisse angewiesen sei und daher ein
eigenes Haus zu bauen gedenke. In dem 12 Kilometer von Winterthur
entfernten Gerlikon/TG habe er günstiges Bauland erwerben können. Im
Kanton Zürich habe er trotz langwierigen Nachforschens nichts gefunden,
was hinsichtlich Preis, Lage oder Bauvorschriften vergleichbar gewesen
wäre. Zudem gewähre ihm die Thurgauische Kantonalbank, in deren Dienst
sein Vater jahrelang gestanden habe, grosszügige Kreditbedingungen. So
könne er sich bei seinen beschränkten finanziellen Mitteln in Gerlikon
mit äussersten Einschränkungen ein eigenes Fertighaus gerade noch leisten,
während dies in der näheren Umgebung von Winterthur nicht mehr möglich se1.

    B.- Vor Einreichung seines schriftlichen Gesuchs hatte sich Rolf
Zuberbühler beim zuständigen Sachbearbeiter bei der Erziehungsdirektion,
Verwaltungsassistent Richard Brand, über das Vorgehen erkundigt. Dieser
hatte ihm erklärt, dass für die Erteilung der Bewilligung der Regierungsrat
zuständig sei und dass sein Gesuch Aussicht auf Genehmigung habe. Am
24. Dezember 1971 erteilte Brand auf telephonische Anfrage Zuberbühlers
hin Auskunft über den Stand des Gesuches; es lag ein formeller Antrag
des Erziehungsdirektors, Regierungsrat Gilgen, an den Regierungsrat vom
21. Dezember 1971 vor, der auf Gutheissung lautete.

    C.- Am 7. März 1972 richtete die Erziehungsdirektion des Kantons
Zürich folgendes Schreiben an Zuberbühler:

    "Zu unserem Bedauern müssen wir Ihnen mitteilen, dass der Regierungsrat
es abgelehnt hat, Ihnen die Bewilligung zur Wohnsitznahme in Gerlikon/TG
zu erteilen.

    Es tut uns leid, Ihnen keinen bessern Bescheid geben zu können."

    Den entsprechenden Beschluss hatte der Regierungsrat des Kantons
Zürich bereits am 20. Januar 1972 gefasst.

    D.- Dr. Rolf Zuberbühler ficht diesen Beschluss des Regierungsrats des
Kantons Zürich vom 20. Januar/7. März 1972 mit staatsrechtlicher Beschwerde
wegen Verletzung von Art. 4 BV an mit dem Antrag, ihn aufzuheben. Die
Begründung der Beschwerde ergibt sich, soweit wesentlich, aus den
nachstehenden Erwägungen.

    Der Regierungsrat des Kantons Zürich hat sich mit dem Antrag auf
Abweisung der Beschwerde vernehmen lassen.

    E.- Auf ein Wiedererwägungsgesuch vom 29. März 1972 hin verweigerte
der Regierungsrat mit begründetem Entscheid vom 7. Juni 1972 Zuberbühler
erneut die beantragte Wohnsitzverlegung und trat auf das Gesuch nicht ein.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- (Prozessuales)

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer macht hauptsächlich eine Verletzung des
Grundsatzes von Treu und Glauben geltend, welche er darin sieht, dass der
Regierungsrat sein Gesuch entgegen der ihm vom zuständigen Sachbearbeiter
erteilten Zusicherung abgewiesen habe.

    Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist der Grundsatz von
Treu und Glauben, wie er in Art. 2 Abs. 1 ZGB verankert ist, auch im
Verwaltungsrecht zu beachten. Es handelt sich dabei um einen unmittelbar
aus Art. 4 BV folgenden, für die gesamte staatliche Tätigkeit geltenden
Grundsatz, nach welchem der Bürger Anspruch auf Schutz des berechtigten
Vertrauens auf behördliche Zusicherungen hat. Eine selbst unrichtige
Auskunft oder Zusicherung, welche eine Behörde dem Bürger erteilt
und auf die er sich verlassen hat, ist unter gewissen Umständen
bindend. Voraussetzung dafür ist, dass die Amtsstelle, welche die
Auskunft gab, für die Auskunfterteilung zuständig war, dass der Bürger
die Unrichtigkeit des Bescheids nicht ohne weiteres hat erkennen können
und dass er im Vertrauen auf die Auskunft eine nicht wieder rückgängig
zu machende Disposition getroffen hat (BGE 96 I 15 f. mit Verweisungen).

    Der Beschwerdeführer hat nach seiner Ansicht in den Auskünften des
Verwaltungsassistenten Brand die verbindliche Zusicherung erblicken
dürfen, dass ihm die beantragte Wohnsitzverlegung bewilligt werde. Dem
kann nicht gefolgt werden. Brand hat ihn auf seine Anfragen hin jeweils
bloss über den Stand der Sache orientiert. Dabei hat er anerkanntermassen
nie den Eindruck erweckt, dass er selbst oder der Erziehungsdirektor
allein für die Erteilung der Bewilligung zuständig sei, sondern stets
darauf hingewiesen, dass die Entscheidung beim Regierungsrat liege. Als
der Beschwerdeführer am 24. Dezember 1971 vom befürwortenden Antrag des
Erziehungsdirektors an den Regierungsrat Kenntnis erhielt, so konnte ihm
dies wohl die Hoffnung geben, dass im Sinne dieses Antrags entschieden und
mithin seinem Gesuch stattgegeben werde, nicht aber ihn glauben machen,
die Sache sei bereits so entschieden oder der Regierungsrat werde an
diesen Antrag gebunden sein. Eine Zusicherung, aufgrund welcher er in
guten Treuen seinen Auftrag zum Hausbau hätte erteilen können, wurde ihm
nicht gegeben. Die Rüge erweist sich somit als unbegründet.

Erwägung 3

    3.- § 17a der Besoldungsverordnung, worauf der angefochtene Entscheid
sich stützt, setzt für die ausnahmsweise Bewilligung der Wohnsitznahme
ausserhalb des Kantons das Vorliegen wichtiger Gründe voraus, deren
Kriterien nicht näher bestimmt sind; zudem handelt es sich um eine
Kannvorschrift. Die Bestimmung räumt somit dem Regierungsrat einen sehr
weiten Spielraum des Ermessens ein. Entscheiden nach Ermessen heisst aber
nicht Entscheiden nach Belieben. Die Behörde ist an die aus Sinn und Zweck
der gesetzlichen Ordnung sich ergebenden Kriterien sowie an allgemeine
Rechtsgrundsätze gebunden. Eine pflichtgemässe Ermessensbetätigung
verlangt, dass alle in der Sache erheblichen Interessen berücksichtigt
und sorgfältig gegeneinander abgewogen werden (BGE 95 I 209 E. 3 mit
Verweisungen; GYGI, Verwaltungsrechtspflege und Verwaltungsverfahren im
Bund, Bern 1969, S. 148; IMBODEN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung,
4. unver. Aufl., Basel 1971, Nr. 221, 222; GRISEL, Droit administratif
suisse, Neuchâtel 1970, S. 171).

Erwägung 4

    4.- Der angefochtene Entscheid vom 20. Januar/7. März 1972 ist nicht
begründet. Somit kann ihm nicht entnommen werden, von welchen tatsächlichen
Gesichtspunkten und rechtlichen Überlegungen der Regierungsrat sich bei
der Abweisung des Gesuchs des Beschwerdeführers hat leiten lassen. Es
fragt sich deshalb, ob der Entscheid nicht schon deshalb aufzuheben ist.

    Die fehlende Begründung wird in der staatsrechtlichen Beschwerde
allerdings nicht gerügt. Dazu bestand für den Beschwerdeführer
jedoch nicht zwingend Anlass. Denn angesichts der Bestimmung des
Art. 93 Abs. 2 OG konnte er davon ausgehen, dass der Regierungsrat die
Entscheidungsgründe in der Vernehmlassung darlegen werde und er hierauf in
einer Beschwerdeergänzung dazu Stellung nehmen könne, womit eine Rüge der
Gehörsverweigerung hinfällig würde. Es kann ihm deshalb nicht vorgehalten
werden, die Beschwerde sei mangels einer entsprechenden Beanstandung
ungenügend substantiiert (Art. 90 OG). Auf die Frage ist daher einzutreten.

Erwägung 5

    5.- Ob eine kantonale Behörde ihre Verfügungen und Entscheide
zu begründen hat, ist vorab eine Frage des kantonalen Rechts. Das
zürcherische Verwaltungsrechtspflegegesetz sieht in § 10 - im Gegensatz
zu den entsprechenden Erlassen einer Anzahl anderer Kantone - keine
Begründungspflicht vor. Die züricherische Rechtsprechung nimmt an, eine
solche Pflicht bestehe nur insoweit, als sie im positiven Recht vorgesehen
sei (BGE 96 I 723 mit Verweisungen). Dass der angefochtene Entscheid
nicht begründet ist, steht demnach nicht im Widerspruch zum kantonalen
Recht. Somit ist bloss zu prüfen, ob sich eine Begründungspflicht
unmittelbar aus Art. 4 BV ableiten lässt (BGE 98 Ia 129).

    a) Es entspricht allgemeinen rechtsstaatlichen Prinzipien
und insbesondere dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs, dass die
Entscheidungsgründe dem Betroffenen bekannt sein sollen. Denn ohne die
Kenntnis der Tatsachen und Rechtsnormen, welche für die entscheidende
Behörde massgeblich waren, kann er sich oft kein Bild über die Tragweite
der Entscheidung machen. Zudem kann er sie nicht sachgemäss anfechten,
denn weder er noch die angerufene Rechtsmittelinstanz vermögen sie auf
ihre Richtigkeit hin zu überprüfen (KLAUS REINHARDT, Das rechtliche
Gehör in Verwaltungssachen, Diss. Zürich 1968 S. 230 ff.; TINNER,
Das rechtliche Gehör, in ZSR 83/1964 II S. 356/7; BGE 96 I 723 mit
Verweisungen). Daraus muss jedoch nicht zwingend gefolgert werden,
dass schlechthin jeder Entscheid die Begründung zu enthalten habe.
Den genannten Forderungen kann hinreichend entsprochen sein, indem die
Entscheidungsgründe auf andere Weise eröffnet werden. Der Anspruch des
Einzelnen auf rechtliches Gehör, wie er sich unmittelbar aus Art. 4 BV
ergibt, ist in der Regel als gewahrt zu betrachten, wenn ihm die Behörde
die Gründe ihrer Entscheidung sonstwie zur Kenntnis bringt. So kann
z.B. den Parteien aufgrund vorausgegangener Verhandlungen oder des offen
zutage liegenden Beweisergebnisses zum vornherein bekannt sein, weshalb
die Behörde so und nicht anders entschieden hat (BGE 96 I 724 f.). Bei
einer Verfügung, welche die Behörde aufgrund gesetzlicher Vorschriften
zu fällen hat, die ihr keinerlei Beurteilungsspielraum oder Ermessen
belassen, kann schon der blosse Hinweis auf diese Gesetzesvorschriften
für die Kenntnis der Entscheidungsgrundlagen genügen (BGE 93 I 120). Der
bundesrechtliche Gehörsanspruch darf ferner dann als gewahrt betrachtet
werden, wenn die Instanz, die den Entscheid gefällt hat, ihre Erwägungen
in der Stellungnahme zu einem dagegen ergriffenen Rechtsbehelf darlegt
und der Betroffene sich dazu äussern kann. In diesem Sinn sieht denn auch
Art. 93 Abs. 2 OG vor, dass in Fällen, da die Entscheidungsgründe erst
in der Vernehmlassung der Behörde enthalten sind, dem Beschwerdeführer
Gelegenheit zur Beschwerdeergänzung gegeben werden kann.

    b) Aus der Besoldungsverordnung selbst ergibt sich nicht, welche
tatsächlichen Voraussetzungen als wichtige Gründe für eine ausserkantonale
Wohnsitznahme gelten und unter welchen Gesichtspunkten von der Möglichkeit
einer Ausnahmebewilligung Gebrauch zu machen ist. Die Tatsachen und
rechtlichen Kriterien, die der Regierungsrat bei der Behandlung eines
Gesuchs als massgeblich erachtet, müssen deshalb im Entscheid genannt
sein. Denn nur so kann überprüft werden, ob der Regierungsrat sich von
sachlich haltbaren Überlegungen hat leiten lassen bzw. sein Ermessen
pflichtgemäss ausgeübt hat. Im Falle des Beschwerdeführers muss die
fehlende Begründung jedenfalls als Verstoss gegen Art. 4 BV angesehen
werden, weil dessen Gesuch im Unterschied zu früher behandelten
Gesuchen anderer kantonaler Mittelschullehrer abgelehnt wurde; in der
Beschwerde wird auf acht Fälle von Bewilligungserteilungen hingewiesen,
die nicht bestritten werden. Der negative Entscheid lässt sich demnach
nur damit erklären, dass der Regierungsrat entweder die tatsächlichen
Verhältnisse beim Beschwerdeführer anders beurteilte oder seine Praxis
änderte. Weshalb aber gerade der Beschwerdeführer anders behandelt
wird, das zu erfahren hat er im Rechtsstaat Anspruch. Ohne entsprechende
Begründung des angefochtenen Beschlusses kann nicht überprüft werden, ob
die Gründe für eine unterschiedliche Behandlung, die der Regierungsrat
in den tatsächlichen Verhältnissen gesehen haben mochte, oder die
Überlegungen, mit denen er eine Praxisänderung hat rechtfertigen wollen,
sachlich vertretbar sind (BGE 96 I 16 E. 3, 37 E. 3, 376 E. 6 b je mit
Verweisungen). Der Regierungsrat legt auch in seiner Vernehmlassung
vom 12. Juli 1972 nicht dar, aus welchen Gründen er das Gesuch des
Beschwerdeführers abgewiesen hat, sondern verweist bloss auf das ihm
zustehende Ermessen. Der angefochtene Entscheid ist deshalb aufzuheben.

Erwägung 6

    6.- Will der Regierungsrat in einem neuen, begründeten, Entscheid das
Gesuch des Beschwerdeführers wiederum abweisen, so wird er darin Gründe
anzuführen haben, mit denen sich dessen unterschiedliche Behandlung
vor Art. 4 BV halten lässt. Was im Wiedererwägungsentscheid vom
7. Juni 1972, der zwar nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens
ist, vorgebracht wird, kann nicht genügen. Entweder muss gesagt werden,
dass und inwiefern beim Beschwerdeführer die persönlichen Verhältnisse
anders liegen als in den erwähnten Fällen, in denen die ausserkantonale
Wohnsitznahme bewilligt wurde, oder es müssen, fall eine Praxisänderung
gewollt ist, sachliche Argumente vorgebracht werden, die eine solche
rechtfertigen. Eine Praxisänderung lässt sich aber nicht begründen mit dem
allgemeinen Hinweis auf die gewünschte Verbundenheit des Mittelschullehrers
mit dem Arbeitgeberkanton und dem Interesse der Öffentlichkeit an dessen
Steuerleistungen. Denn diese Gedanken liegen schon im Sinn und Zweck der
in § 17 a Besoldungsverordnung vorgeschriebenen Residenzpflicht und waren
somit bereits für die Behandlung der Gesuche der genannten Berufskollegen
massgeblich. Es müssten vielmehr die besonderen Gründe angeführt werden,
die Anlass zur Aufgabe der bisherigen Praxis geben.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Regierungsrates
des Kantons Zürich vom 20. Januar 1972/7. März 1972 aufgehoben.