Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 IA 43



98 Ia 43

8. Auszug aus dem Urteil vom 1. März 1972 i.S. Neth und Felber gegen
Baukonsortium Kreuzbühl, Gemeinderat Meggen und Regierungsrat des Kantons
Luzern Regeste

    Bau privater Quartierstrassen, Eigentumsgarantie, derogatorische
Kraft des Bundesrechts

    Kantonale Ordnung, wonach private Strassen zur Erschliessung von
Bauland mangels Einigung der beteiligten Grundeigentümer auf deren
Kosten von der Gemeinde erstellt werden können und dieser dafür das
Enteignungsrecht erteilt werden kann.

    -  Diese Ordnung verstösst nicht gegen Bundesrecht (Erw. 2 c).

    - Die zweckmässige Erschliessung von Bauland kann auch dann im
öffentlichen Interesse liegen, wenn sie den privaten Interessenten
überlassen wird (Erw. 3).

    -   Zulässigkeit der Erteilung des Enteignungsrechts an Private
(Erw. 4).

Sachverhalt

                      Aus dem Sachverhalt:

    Das Strassengesetz des Kantons Luzern vom 15. September 1964 (StrG)
regelt die öffentlich-rechtlichen Verhältnisse an den öffentlichen
und privaten Strassen. Gemäss seinem § 2 gibt es verschiedene
Arten von Strassen, u.a. öffentliche sowie private Quartierstrassen
(Ziff. 4). Quartierstrassen sind vorwiegend dem Ortsverkehr sowie
der Erschliessung und Überbauung dienende öffentliche oder private
Strassen, die Teile einer Ortschaft miteinander oder mit Kantons- und
Gemeindestrassen verbinden (§ 10). Öffentliche Quartierstrassen stehen
im Eigentum der Gemeinde und diese trägt dafür die Strassenbaulast (§
45). § 48 bestimmt:

    "Neubau und Korrektion privater Quartierstrassen erfolgen auf Grund
genehmigter Bebauungs- und Strassenpläne, und zwar:

    1. durch die beteiligten Grundeigentümer nach den Normalien und unter
Aufsicht des Gemeinderates,

    2. durch die Gemeinde, wenn sich die beteiligten Grundeigentümer
nicht verständigen können und ein begründetes Begehren eines oder mehrerer
Beteiligter vorliegt. "

    Träger der Strassenbaulast für die privaten Quartierstrassen sind die
Grundeigentümer, denen durch die Anlage der Strasse Vorteile erwachsen
(§ 49).

    Strassenbauprojekte sind öffentlich bekannt zu machen und es kann
gegen sie beim Gemeinderat Einsprache erhoben werden. Einsprachen sind vom
Regierungsrat zu behandeln, der allenfalls den Plan auch zu genehmigen
hat (§ 76 in Verbindung mit §§ 68 und 69). Ferner bestimmt § 77 unter
dem Marginale "Enteignung" in der Fassung des Enteignungsgesetzes vom
29. Juni 1970:

    "Mit der Genehmigung des Strassenprojektes wird dem Träger der
Strassenbaulast das Enteignungsrecht erteilt, soweit eine Enteignung
zur Erfüllung der Aufgaben aus der Strassenbaulast erforderlich und eine
Verständigung nicht möglich ist.

    Die für den Erwerb der erforderlichen Rechte zu leistende Entschädigung
wird, sofern keine gütliche Einigung zustande kommt, im Schätzungsverfahren
gemäss Enteignungsgesetz festgesetzt."

    B. - Franz Felber und Hans Neth sind Eigentümer zweier benachbarter
Grundstücke in Meggen. Über die beiden Grundstücke führt als Abzweigung
der Schlösslistrasse, einer öffentlichen Strasse, ein Privatsträsschen,
der Kreuzbühlweg, der die beiden genannten Grundstücke erschliesst. Ein
aus sieben Mitgliedern bestehendes "Baukonsortium Kreuzbühl", hat in
einiger Entfernung eine grössere Liegenschaft erworben und sie zum
Teil bereits gemäss einem von der Gemeinde Meggen genehmigten privaten
Bebauungsplan überbaut. Mit dieser Genehmigung hatte der Gemeinderat
die Auflage verbunden, der Kreuzbühlweg sei auf eine Fahrbahnbreite
von 5,50 m mit Trottoir als private Quartierstrasse auszubauen. Soweit
das Konsortium Kreuzbühl dazu in der Lage war, hat es die Strasse
auflagegemäss gebaut. Das vorderste, über die Grundstücke Felber und
Neth führende Teilstück konnte es noch nicht ausführen, da es sich mit
den beiden Eigentümern nicht einigen konnte. Neth hätte ungefähr 120 m2
seines Grundstückes zu Strassenareal abzutreten, Felder ca. 90 m2. Das
Konsortium erstellte auf diesem Abschnitt neben dem bestehenden Weg eine
provisorische Baustrasse. In der Folge arbeitete es ein Strassenprojekt aus
und unterbreitete es der Gemeinde mit dem Ersuchen, es sei zu genehmigen
und die Strasse in Anwendung von § 48 Ziff. 2 StrG von der Gemeinde zu
bauen. Der Gemeinderat beschloss daraufhin am 1. März 1971, das noch
fehlende Teilstück der privaten Quartierstrasse Kreuzbühlweg werde nach
§ 48 Ziff. 2 StrG durch die Gemeinde auf Kosten der Grundeigentümer,
denen durch die Strasse Vorteile erwachsen, gebaut; ferner ordnete er
die öffentliche Bekanntmachung des Strassenprojektes an.

    Einen von Neth und Felder gegen diesen Gemeinderatsbeschluss
eingereichten Rekurs wies der Regierungsrat des Kantons Luzern am
8. Oktober 1971 ab. Er stellte fest, der geplante Weg erschliesse
ein Baugebiet mit etwa 30 Einfamilienhäusern, verbinde diese mit
der Schlösslistrasse, einer Gemeindestrasse, und sei somit eine
Quartierstrasse. Das Vorgehen nach § 48 Ziff. 2 StrG setze nicht voraus,
dass alle Eigentümer mit der geplanten Strasse einverstanden seien. Der
Zweck der Bestimmung bestehe darin, die Erschliessung von Bauland zu
fördern und zu verhindern, dass Eigentümer, deren Land für den Strassenbau
beansprucht werden müsse, dies verunmöglichten oder zur Durchsetzung
übersetzter Landpreise und Entschädigungsforderungen ausnützten. Es liege
im öffentlichen Interesse, dass das in Frage stehende Land strassenmässig
vernünftig erschlossen werden könne. Werde das Strassenprojekt vom
Regierungsrat genehmigt, sei damit dem Träger der Strassenbaulast das
Enteignungsrecht eingeräumt, das von der Gemeinde stellvertretend ausgeübt
werden könne.

    Mit der staatsrechtlichen Beschwerde beantragen Hans Neth und Franz
Felder, der Entscheid des Regierungsrates sei aufzuheben. Sie machen
Verletzung der Eigentumsgarantie nach § 9 KV, des Art. 4 BV und des Art. 2
der Übergangsbestimmungen zur BV geltend.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Die gesetzliche Pflicht, die Strassenbaulast für den Bau und
Unterhalt einer privaten Quartierstrasse auch ohne ein entsprechendes
Einverständnis übernehmen oder für den Bau wenigstens Grundeigentum
zur Verfügung stellen zu müssen, stellt eine öffentlich-rechtliche
Eigentumsbeschränkung dar, und zwar auch insoweit, als sie die Beteiligung
an einem an sich privaten Unternehmen verlangt. Öffentlich-rechtliche
Eigentumsbeschränkungen dürfen nach Art. 22ter BV dem Eigentümer
nur auferlegt werden, wenn für sie eine gesetzliche Grundlage besteht
und sie im öffentlichen Interesse liegen. Sie müssen, falls sie in
ihren Wirkungen einer Enteignung gleichkommen, gegen Entschädigung
erfolgen. § 9 der Staatsverfassung des Kantons Luzern vom Jahre 1875,
den die Beschwerdeführer anrufen, hat keinen über die bundesrechtliche
Eigentumsgarantie hinausgehenden Inhalt und ist deshalb neben Art.
22ter BV ohne selbständige Bedeutung.

    b) Ob eine gesetzliche Grundlage für einen staatlichen Eingriff in das
Eigentum vorhanden ist, prüft das Bundesgericht frei, wenn der Eingriff
besonders schwer ist, im übrigen aber nur auf Willkür hin (BGE 96 I
133 E. 3). Der zwangsweise Einbezug in ein Unternehmen, das die Anlage
einer privaten Strasse bezweckt, die auch dem Betroffenen selbst dient,
wie § 48 Ziff. 2 StrG ihn vorsieht, stellt im allgemeinen keinen schweren
Eingriff in die Rechte des Eigentümers dar. Das ist umsoweniger der Fall,
als eine damit allenfalls verknüpfte Enteignung nur gegen Entschädigung
erfolgen darf, wie das im vorliegenden Fall unbestritten ist (vgl. auch den
Einbezug in eine Baulandumlegung, BGE 96 I 133, E. 3). Ob eine gesetzliche
Grundlage für den Einbezug in ein Unternehmen nach § 48 Ziff. 2 StrG
besteht, ist daher an sich nur unter dem Gesichtspunkt der Willkür zu
überprüfen. Dagegen stellt der zwangsweise Entzug von Grundeigentum in
der Regel einen schweren Eingriff in die Rechtsstellung des betroffenen
Eigentümers dar. Da das Verfahren nach § 48 Ziff. 2 StrG eine Voraussetzung
für eine allenfalls notwendige Enteignung und mit dem Verfahren nach §
76 f. ein funktionelles Ganzes bildet, rechtfertigt es sich, frei zu
prüfen, ob der angefochtene Entscheid, der aller Voraussicht nach zu
einer Enteignung führen wird, auf einer gesetzlichen Grundlage beruht.

    c) Art. 702 ZGB stellt es in der Form eines unechten Vorbehaltes den
Kantonen anheim, Beschränkungen des Grundeigentums zum allgemeinen Wohl,
d.h. im öffentlichen Interesse, aufzustellen und zwar unter anderem
auch über das Strassenwesen. Art. 703 ZGB verhält die Kantone sodann,
für Bodenverbesserungen, zu denen auch die Anlage von Wegen gehört,
gegebenenfalls widerstrebende Einzelne in Zwangsgemeinschaften
einzubeziehen, sofern die in Abs. 1 dieses Artikels angeführten
Voraussetzungen gegeben sind. Nach Abs. 3 kann die kantonale Gesetzgebung
die Durchführung solcher Bodenverbesserungen darüber hinaus erleichtern
und die entsprechenden Vorschriften auf Baugebiet anwendbar erklären. Der
Kan.. ton Luzern hat von dieser Möglichkeit in § 48 Ziff. 2 StrG Gebrauch
gemacht, indem er in den Fällen, in denen Weganlagen im Baugebiet wegen
des Widerstandes einzelner Eigentümer scheitern würden, den Gemeinden
die Befugnis erteilt, den Bau zu Lasten der Eigentümer selber an die
Hand zu nehmen. Schon auf Grund dieser bundesrechtlichen Ordnung erledigt
sich die von den Beschwerdeführern vor allem mit Berufung auf Art. 64 BV
vorgebrachte Behauptung, der angefochtene Entscheid verletze Art. 2 der
Übergangsbestimmungen zur BV. § 48 Ziff. 2 StrG bezweckt nichts anderes
als eine bundesrechtlich erwünschte erleichterte Anlage von Wegen im
Baugebiet im Interesse einer angemessenen Erschliessung desselben. Dem
Bundesgesetzgeber ist es jedenfalls dabei nicht entgangen, dass auch
mit dem nachbarrechtlichen Anspruch auf einen Notweg eine minimale
Erschliessung erzwungen werden könnte; er ist aber bewusst darüber hinaus
gegangen. Die in § 48 Ziff. 2 StrG enthaltene kantonale Regelung als solche
ist daher nicht verfassungswidrig und stellt eine genügende gesetzliche
Grundlage für die den Beschwerdeführern auferlegte Verpflichtung dar,
die Strassenbaulast für das von der Gemeinde zu erstellende Teilstück
des Kreuzbühlweges zu übernehmen oder wenigstens Land dafür abzutreten.

    d) (Abweisung des Einwands, dass die Einleitung des Verfahrens nach
§ 48 Ziff. 2 StrG nur aufgrund von genehmigten Strassenplänen erfolgen
könne).

Erwägung 3

    3.- Das Bundesgericht prüft im weitern frei, ob öffentlichrechtliche
Eigentumsbeschränkungen oder Enteignungen durch das öffentliche
Interesse gedeckt sind (BGE 96 I 559 E. 3 a). Für die vorgesehene
Strassenanlage ist das öffentliche Interesse in zweifacher Hinsicht
gegeben. Die Strasse hat einmal der rationellen Erschliessung von
Bauland zu dienen. Die zweckmässige Erschliessung von Bauland gehört
aber heute zu den Aufgaben, die im öffentlichen Interesse liegen (BGE 90
I 332 E. 3 a a mit Hinweis; IMBODEN, Verwaltungsrechtsprechung Nr. 433
II a; MEYER-HAYOZ, Syst. Teil, N. 223 d). Das trifft selbst dann zu,
wenn die Erstellung von Erschliessungsstrassen zugleich auch die
privaten Interessen der Anstösser fördert. Bei Strassenbauten steht
das öffentliche Interesse im allgemeinen solange im Vordergrund, als
es mehrere Grundstücke zu erschliessen gilt oder die Erschliessung
im Hinblick auf die Schaffung einer grösseren Zahl von Wohnstätten
erfolgt. Vorsorge für eine zweckmässige Bodennutzung und Besiedlung
des Landes zu treffen, ist sogar eine Bundesaufgabe (Art. 22quater
BV). Im vorliegenden Fall soll die neue Strasse eine grössere Anzahl
von Wohnstätten erschliessen. Ob es sich dabei um Luxusbauten handelt,
wie die Beschwerdeführer behaupten und die Beschwerdegegner bestreiten,
kann, weil unwesentlich, dahingestellt bleiben. Die Beschwerdeführer haben
auch nicht nachgewiesen, dass der Einbezug in das Strassenbauunternehmen,
sei es als Träger der Strassenbaulast, sei es als blosse Enteignete,
sie unverhältnismässig belaste und dass eine andere Strassenführung sie
weniger schwer belasten würde. Sie können sich der Strassenführung zudem
noch im Strassenprojektverfahren widersetzen.

    Im weitern besteht aber auch ein öffentliches Interesse der Gemeinde
an einer genügenden und zweckmässigen Zufahrt zu dem im Bau begriffenen
Quartier mit Rücksicht auf die öffentlichen Dienste, wie z.B. Brandschutz,
Kehrichtabfuhr, Schneeräumung usw., die die Gemeinde den Bewohnern des
Quartiers zu erbringen hat. Die Gemeinde hat deshalb auch die Erschliessung
durch eine ordnungsgemässe Strassenanlage zur Bedingung für die Überbauung
gemacht und damit das öffentliche Interesse, das sie an der privaten
Quartierstrasse nimmt, bekundet.

    Die Beschwerdeführer wenden ein, wenn es tatsächlich mit dem
Strassenbau ein öffentliches Interesse zu befriedigen gelte, wäre es
Sache der Gemeinde, die Quartierstrasse als öffentliche Gemeindestrasse
zu bauen. Allein der Umstand, dass das StrG die Sorge für den Bau
von Quartierstrassen zum Teil den privaten Interessenten überlässt,
schliesst nicht aus, dass der Bau im öffentlichen Interesse liegt. Es
ist nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber, je nach der Bedeutung
der Strassenverbindung, die Strassenbaulast dem Gemeinwesen oder den
Privaten auferlegt. Ob die eine oder die andere Möglichkeit gewählt
werden muss, wird häufig von der wirtschaftlichen Kraft der Gemeinde
abhängen. Es ist dabei eine Stufenfolge von Gestaltungsmöglichkeiten
denkbar und statthaft. Auch wenn das Gemeinwesen den Strassenbau als eigene
Aufgabe betrachtet, steht es ihm z.B. frei, Privaten, die aus der Strasse
einen Vorteil ziehen, die Bau- und Unterhaltskosten ganz oder teilweise
aufzuerlegen (vgl. §§ 43 und 47 StrG). Das StrG stellt hier zutreffend
auf den Grad des an einer Strasse bestehenden öffentlichen Interesses
ab. So sieht z.B. § 50 vor, dass die Gemeinde an den Bau und Unterhalt
privater Quartierstrassen Beiträge leisten kann, sofern das öffentliche
Interesse daran ein erhebliches ist.

Erwägung 4

    4.- Die Beschwerdeführer beanstanden schliesslich, dass Private
Träger der Strassenbaulast und damit auch des Enteignungsrechtes werden
können. Abgesehen davon, dass im vorliegenden Fall die Enteignung durch
die Gemeinde, allerdings in einer Art Vertretung der Baulastträger,
durchgeführt wird, verstösst es nicht gegen die Eigentumsgarantie
oder gegen Art. 4 BV, wenn das Enteignungsrecht Privaten übertragen
wird. Erforderlich ist bloss, dass das von den Privaten zu erstellende
Werk im öffentlichen Interesse liegt (GRISEL, Droit administratif suisse,
S. 365, LAFONT, Die Subjekte der Enteignung, Diss. 1931, S. 12 ff.). Die
aus § 77 StrG in Verbindung mit § 48 Ziff. 2 StrG fliessende Ordnung
steht im übrigen auch in Einklang mit § 4 Abs. 2 des luzernischen
Enteignungsgesetzes vom 29. Juni 1970.