Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 IA 409



98 Ia 409

66. Urteil vom 17. Mai 1972 i.S. Züst gegen Gemeinde Berneck und
Regierungsrat des Kantons St. Gallen. Regeste

    Gestaltung der amtlichen Publikation in den Gemeinden; Art. 4 BV,
Meinungsfreiheit, Vereinsfreiheit, persönliche Freiheit.

    1.  Wird der angefochtene Entscheid von der beschwerdebeklagten
Verwaltungsbehörde nachträglich ergänzt oder abgeändert, so prüft das
Bundesgericht im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren grundsätzlich nur
noch die Rechtslage, wie sie sich nach Erlass der zusätzlichen Verfügung
darbietet (E. 1).

    2.  Eine Gemeindevorschrift, welche zwei am Orte verbreitete
politische Tageszeitungen als amtliche Publikationsorgane bezeichnet,
verstösst nicht gegen Art. 4 BV, wenn sämtliche in den Zeitungen
erscheinenden öffentlichen Mitteilungen auch im Anschlagkasten der
Gemeinde veröffentlicht werden. Eine derartige Publikationsordnung ist
auch mit den Grundrechten der Meinungsfreiheit, der Vereinsfreiheit und
der persönlichen Freiheit vereinbar (E. 2-5).

Sachverhalt

    A.- Am 24. September 1971 fand in der Gemeinde Berneck eine
ausserordentliche Gemeindeversammlung statt, die von 220 stimmberechtigten
Einwohnern besucht wurde. Eines der Traktanden war der Erlass einer neuen
Gemeindeordnung; der Gemeinderat legte einen Entwurfvor, der abschnittweise
beraten wurde. Art. 3 des Entwurfs enthielt unter der Überschrift "Amtliche
Publikationsorgane" folgenden Text:

    "Amtliche Publikationsorgane sind:

    a) ,Der Rheintaler'

    b) ,Rheintaler Volksfreund' (Ostschweiz)."

    An der Versammlung stellte Lehrer Markus Züst den Antrag, es sei ein
gemeindeeigener Anzeiger zu schaffen, damit die amtlichen Publikationen
in einem politisch und konfessionell neutralen Blatt veröffentlicht werden
könnten. Dieser Gegenantrag wurde aber mit grosser Mehrheit abgelehnt. Die
Gemeindeordnung (GO) wurde am Schluss der Beratung mit allen gegen zwei
Stimmen angenommen.

    B.- Markus Züst focht Art. 3 GO mit Kassationsbeschwerde beim
Regierungsrat des Kantons St. Gallen an. Er rügte eine Verletzung
der Pressefreiheit, der Vereinsfreiheit, der Meinungsfreiheit, der
Rechtsgleichheit und der persönlichen Freiheit. Die beiden in Art. 3 GO
als einzige amtliche Publikationsorgane bezeichneten Zeitungen hätten
politischen Charakter, und zwar sei der "Rheintaler" eine freisinnige
und der "Rheintaler Volksfreund" (Kopfblatt der "Ostschweiz") eine der
christlichdemokratischen Volkspartei nahestehende Zeitung. Dadurch, dass
der Bürger praktisch gezwungen werde, eine dieser beiden Zeitungen zu
abonnieren, werde er in den erwähnten verfassungsmässigen Rechten verletzt.

    C.- Der Regierungsrat wies die Kassationsbeschwerde mit Entscheid
vom 25. November 1971 ab.

    D.- Hiegegen führt Markus Züst staatsrechtliche Beschwerde mit dem
Antrag, Art. 3 GO sowie der Beschwerdeentscheid des Regierungsrates
seien aufzuheben. Er rügt eine Verletzung der Meinungsfreiheit,
der Vereinsfreiheit, der persönlichen Freiheit sowie des Art. 4
BV. In der Beschwerdebegründung weist er u.a. darauf hin, dass er die
"Ausschliesslichkeit der Publikation in den beiden Parteiorganen"
beanstande. Ein Verstoss gegen Art. 4 BV liesse sich vermeiden,
wenn die amtlichen Mitteilungen nicht bloss in den beiden Zeitungen,
sondern zusätzlich entweder in einem neutralen Gemeindeblatt oder an
einem Anschlagbrett publiziert würden, wobei im letztern Falle die
Publikationen jeweils an einem bestimmten Wochentag, etwa am Freitag,
zu erscheinen hätten.

    E.- Nachdem der Regierungsrat des Kantons St. Gallen von der
staatsrechtlichen Beschwerde Kenntnis erhalten hatte, wies er die
Gemeinde Berneck mit Beschluss vom 1. Februar 1972 an, "amtliche
Mitteilungen, die in den amtlichen Publikationsorganen erscheinen, auch
durch öffentlichen Anschlag zur allgemeinen Kenntnis zu bringen". Zur
Begründung des Beschlusses führte der Regierungsrat aus, zwar werde durch
den angefochtenen Art. 3 GO keines der angerufenen Verfassungsrechte
verletzt; doch könne die ausschliessliche Publikation amtlicher
Mitteilungen in den beiden Publikationsorganen faktisch zu rechtswidrigen
Zuständen und Rechtsunsicherheit führen, da die Möglichkeit bestehe, dass
im konkreten Falle eine amtliche Mitteilung nicht zur allgemeinen Kenntnis
und insbesondere auch nicht zur Kenntnis eines allfällig Betroffenen
gelange. Aus diesem Grunde erachte der Regierungsrat die erwähnte
Anweisung als zweckmässig. Den Ausführungen in der staatsrechtlichen
Beschwerde nach zu schliessen, könne sich auch der Beschwerdeführer mit
dieser Lösung einverstanden erklären.

    In seiner Vernehmlassung an das Bundesgericht stellte der Regierungsrat
den Antrag, es sei die staatsrechtliche Beschwerde "mit Rücksichtnahme
auf die getroffene Anordnung" abzuweisen. Der Gemeinderat Berneck schloss
sich der Stellungnahme des Regierungsrates an.

    F.- In einer Eingabe vom 16. Februar 1972 nahm der Beschwerdeführer zum
regierungsrätlichen Beschluss vom 1. Februar 1972 Stellung und erklärte,
dass er an der staatsrechtlichen Beschwerde festhalte, da auch die jetzt
geltende Regelung verfassungswidrig sei.

Auszug aus den Erwägungen:

Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Im kantonalen Verfahren hat der Beschwerdeführer lediglich die
durch Art. 3 GO erfolgte Bezeichnung zweier Zeitungen als amtliche
Publikationsorgane angefochten, ohne dabei je geltend zu machen,
dass die Publikationen am Anschlagbrett ungenügend seien. Für den
Regierungsrat bestand daher kein Anlass, diese Frage im Rahmen des
Kassationsverfahrens näher zu prüfen. Der Einwand, dass jedenfalls die
Publikationen am Anschlagbrett zu vervollständigen seien, wird erstmals
in der staatsrechtlichen Beschwerde erhoben, und auch die Mitteilung
der Gemeindekanzlei Berneck vom 23. Dezember 1971, aus der hervorgeht,
dass gewisse Publikationen bis anhin nur in den Zeitungen erschienen,
lag dem Regierungsrat bei der Beurteilung der Kassationsbeschwerde nicht
vor. Neue Vorbringen sind im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren
nur unter gewissen Voraussetzungen zulässig (BGE 94 I 132 E. 5, 655
oben, mit Hinweisen). Wie es sich vorliegend verhält, kann indessen
dahingestellt bleiben. Entscheidend ist, dass der Regierungsrat selber
jenem neuen Einwand Rechnung getragen hat, indem er die Gemeinde
nachträglich anwies, alle in den Zeitungen erscheinenden amtlichen
Mitteilungen auch am Anschlagbrett zu publizieren. Das hat zur Folge,
dass das Bundesgericht nurmehr noch die Rechtslage prüft, wie sie sich
nach Erlass dieser Anweisung darbietet. Sie steht mit den erhobenen
Verfassungsrügen in einem unmittelbaren Zusammenhang; ob die Wahl der
beiden Tageszeitungen als amtliche Publikationsorgane verfassungsrechtlich
zulässig war, hängt u.a. davon ab, welche anderen Publikationsmittel der
Gemeinde zur Verfügung stehen und von ihr benützt werden. Insoweit führt
die ergangene Anweisung wenn nicht zu einer Abänderung, so doch zu einer
Ergänzung des angefochtenen Beschwerdeentscheides. Ob dieser auch ohne
die zusätzliche Anweisung vor den erhobenen Verfassungsrügen standhalten
würde, kann offen bleiben, da der Beschwerdeführer an der Beantwortung
dieser Frage kein genügendes aktuelles Interesse mehr hat (BIRCHMEIER,
Bundesrechtspflege, S. 376).

Erwägung 2

    2.- Den im kantonalen Verfahren erhobenen Vorwurf der
Verletzung der Pressefreiheit hält der Beschwerdeführer nicht mehr
aufrecht. Hingegen rügt er eine Verletzung der Meinungsfreiheit.
Als Meinungsbildungsfreiheit schütze dieses Grundrecht den Bürger
auch davor, bestimmte Informationen zwangsweise zur Kenntnis nehmen zu
müssen. Wer in den beiden Publikationsorganen der Gemeinde Berneck nach
amtlichen Mitteilungen suche, komme nicht darum, auch den politischen
Teil der Zeitungen oder jedenfalls andere als amtliche Inserate zur
Kenntnis zu nehmen. Dies verstosse gegen die Meinungsbildungsfreiheit,
die, ebenso wie die Meinungsäusserungsfreiheit, vom Bundesgericht als
ungeschriebenes Grundrecht der Bundesverfassung anerkannt werden müsse.

    Dieser Rüge ist durch die regierungsrätliche Anweisung, wonach alle in
den beiden Zeitungen erscheinenden amtlichen Mitteilungen auch öffentlich
anzuschlagen sind, der Boden entzogen worden. Der behauptete Zwang,
eine politische Zeitung abonnieren und lesen zu müssen, besteht damit
nicht mehr. Zwar beanstandet der Beschwerdeführer, dass der Regierungsrat
die Gemeinde nicht auch angewiesen habe, die Mitteilungen jeweils an
einem bestimmten Wochentag im Anschlagkasten zu publizieren, so dass
der interessierte Bürger sich nur einmal je Woche an den Anschlagkasten
begeben müsste, was, auch nach Auffassung des Beschwerdeführers, eine
zumutbare Belastung wäre. Dieser nachträgliche Einwand ist indessen
gegenstandslos. Auch wenn der Regierungsrat bezüglich Zeitpunkt und
Dauer der öffentlichen Anschläge keine bestimmte Anweisung gegeben hat,
versteht es sich doch von selbst, dass die Anschläge eine gewisse Zeit,
jedenfalls mindestens eine Woche, im Anschlagkasten zu belassen sind. In
gewissen Fällen ist eine längere Dauer des Anschlags sogar ausdrücklich
vorgeschrieben (vgl. z.B. Art. 154 der Zivilstandsverordnung). Daraus
folgt, dass ein wöchentlicher Gang an den Anschlagkasten genügt, um von
sämtlichen amtlichen Mitteilungen Kenntnis zu erhalten. Dass ihm hiezu
die Zeit fehle, hat der Beschwerdeführer nicht behauptet, und zur Rüge,
es werde die Meinungsfreiheit anderer Personen verletzt, fehlt ihm die
Legitimation. Unter diesen Umständen besteht für das Bundesgericht
kein Anlass, sich zur Frage zu äussern, ob die als ungeschriebenes
Grundrecht anerkannte Meinungsfreiheit nicht nur das Recht der freien
Meinungsäusserung umfasst, sondern darüber hinaus auch jenen negativen
Inhalt hat, den ihr der Beschwerdeführer beilegt (vgl. BGE 97 I 896 E. 4,
96 I 592 E. 6, 224, 91 I 486, 87 I 117; SALADIN, Grundrechte imWandel,
S.74 ff.).

Erwägung 3

    3.- Dasselbe gilt sinngemäss für die Rüge der Verletzung der
Vereinsfreiheit. Dass der "Rheintaler" eine freisinnige und der
"Rheintaler Volksfreund" (Kopfblatt der "Ostschweiz") eine der CVP
nahestehende Zeitung ist, ist unbestritten. Der Beschwerdeführer
qualifiziert die Abonnementskosten als indirekte Vereinsbeiträge an die
politischen Parteien, denen diese Blätter dienen. Er macht geltend, die
Vereinsfreiheit umfasse nicht nur das Recht auf freie Vereinsbildung,
sondern auch die Freiheit, keinem Verein beitreten und keinen solchen
finanziell oder sonstwie in seiner Tätigkeit unterstützen zu müssen.

    Wie es sich damit verhält, braucht das Bundesgericht nicht weiter
zu prüfen, da der Beschwerdeführer, wie dargelegt, weder rechtlich noch
tatsächlich gezwungen ist, eine der beiden politischen Zeitungen zu
abonnieren oder zu lesen.

    Der Beschwerdeführer wirft dem Regierungsrat in diesem Zusammenhang
eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs vor, da der Einwand, die
Abonnementskosten stellten indirekte Vereinsbeiträge dar, in den Erwägungen
des angefochtenen Beschwerdeentscheides übergangen worden sei. Die Rüge ist
unbegründet. Der Regierungsrat ging im angefochtenen Entscheid davon aus,
dass die Vereinsfreiheit lediglich das Recht umfasse, sich mit andern zu
einem Verein zusammenzuschliessen; den vom Beschwerdeführer behaupteten
negativen Gehalt des Grundrechtes lehnte er ab. Damit war dem Einwand,
durch die angeblich erzwungene Unterstützung politischer Parteien werde
die Vereinsfreiheit verletzt, zum vornherein der Boden entzogen, so dass
sich der Regierungsrat, wenn er die erwähnte Rüge nicht mehr ausdrücklich
behandelte, keiner Gehörsverweigerung schuldig machte. Ob die Auffassung
des Regierungsrates richtig war, kann nach dem Gesagten offen bleiben.

Erwägung 4

    4.- Auch die Rüge der Verletzung der persönlichen Freiheit erweist
sich als unbegründet. Von einem unmittelbaren staatlichen Eingriff in die
persönliche Integrität des Einzelnen, wie er zum Beispiel bei zwangsweisem
Blutentzug, Verhaftung oder Anstaltseinweisung vorliegt, kann hier zum
vornherein keine Rede sein, weshalb sich auch die vom Beschwerdeführer
aufgeworfene Frage der gesetzlichen Grundlage und des öffentlichen
Interesses gar nicht stellt. Es könnte sich höchstens fragen, ob die
angefochtene Regelung mittelbar oder faktisch einen Zustand zur Folge
hat, der mit der Grundidee der persönlichen Freiheit unvereinbar wäre
(vgl. dazu BGE 97 I 49 ff., 90 I 34 ff.). Auch dies ist ohne weiteres zu
verneinen. Der Gemeindeeinwohner, der die amtlichen Mitteilungen erfahren
will, ist nicht gezwungen, eine politische Zeitung zu abonnieren; er kann
die Mitteilungen auch am Anschlagkasten ablesen, und ein wöchentlicher Gang
zur Gemeindekanzlei ist demjenigen, der die amtlichen Bekanntmachungen aus
irgendeinem Grunde nicht den beiden Zeitungen entnehmen will, unter dem
Gesichtspunkt der persönlichen Freiheit durchaus zumutbar. Der Einzelne
kann im übrigen auch darauf verzichten, von den amtlichen Mitteilungen
Kenntnis zu nehmen, oder sich über diese nur durch Drittpersonen in
Kenntnis setzen lassen, wenn er die damit verbundenen Nachteile in
Kauf nehmen will. Eine unzulässige Beeinträchtigung der persönlichen
Entfaltungsmöglichkeiten liegt offensichtlich nicht vor.

Erwägung 5

    5.- Zu prüfen ist, ob die angefochtene Regelung vor Art. 4 BV
standhält.

    a) Der Beschwerdeführer macht zunächst geltend, dass sie Sinn und
Zweck von Art. 27 Abs. 1 Ziff. 4 des kantonalen Organisationsgesetzes vom
29. Dezember 1947 widerspreche. Durch diese Bestimmung in Verbindung mit
Art. 26 Abs. 2 des genannten Gesetzes werden die Gemeinden verpflichtet,
die "amtlichen Publikationsorgane" zu bezeichnen. Andere allgemeine
Vorschriften über die Form der amtlichen Bekanntmachungen in den Gemeinden
bestehen offenbar nicht (Vernehmlassung des Regierungsrates, S. 3);
auch der Beschwerdeführer hat keine anderweitige Bestimmung angerufen.

    Unter diesen Umständen kann von einem offensichtlichen Verstoss
gegen übergeordnetes kantonales Recht nicht die Rede sein. Das kantonale
Organisationsgesetz setzt zwar voraus, dass die Gemeinden ihre amtlichen
Mitteilungen auch auf dem Wege der Presse bekannt geben; es überlässt es
jedoch, wie der Regierungsrat mit Grund annehmen durfte, den einzelnen
Gemeinden, ob ein neutrales, gemeindeeigenes Mitteilungsblatt geschaffen
oder ob die Publikation in bereits bestehenden, d.h. gegebenenfalls auch
politischen Zeitungen erfolgen soll. Im übrigen ist es den Gemeinden
durch das kantonale Recht keineswegs verwehrt, auch andere Mittel zur
Bekanntmachung zu verwenden; für bestimmte Fälle sind anderweitige
Arten der Publikation sogar ausdrücklich vorgeschrieben (öffentliche
Auflage, öffentlicher Anschlag; vgl. S. 4/5 des angefochtenen
Beschwerdeentscheides). Wieweit diese besonderen Vorschriften in der
Gemeinde Berneck im einzelnen eingehalten worden sind, steht hier nicht
in Frage. Wesentlich ist einzig, dass das kantonale Recht den Gemeinden
bei der Gestaltung des allgemeinen Publikationssystems einen weiten
Spielraum belässt, und dass die in der Gemeinde Berneck geltende Regelung
diese positivrechtlich gesetzten Grenzen der Gestaltungsfreiheit nicht
überschreitet.

    b) Zu untersuchen bleibt die Frage, ob die Publikationsordnung der
Gemeinde Berneck im Hinblick auf die konkreten Verhältnisse auch materiell
vor Art. 4 BV standhält. Dabei ist vorweg zu beachten, dass sich die
Beschwerde gegen eine Vorschrift der Gemeindeordnung, also gegen einen
gesetzgeberischen Erlass richtet. Ein solcher ist aber mit Art. 4 BV erst
dann unvereinbar, wenn er sinn- oder zwecklos ist oder wenn er rechtliche
Unterscheidungen trifft, für die ein vernünftiger Grund nicht ersichtlich
ist. Der Verfassungsrichter hat nicht sein Ermessen an Stelle desjenigen
des Gesetzgebers zu setzen, und er kann insbesondere eine gesetzliche
Regelung nicht schon deshalb aufheben, weil sie auf Erwägungen beruht,
die er für unzutreffend hält (BGE 97 I 801 mit Hinweisen).

    Der Beschwerdeführer rügt in erster Linie eine Verletzung der
Rechtsgleichheit; er macht geltend, dass durch Art. 3 GO die Abonnenten
der beiden fraglichen Zeitungen gegenüber den Nichtabonnenten bevorzugt
würden. Dieser Einwand hat durch die nachträgliche Anweisung des
Regierungsrates, wonach sämtliche in den Zeitungen erscheinenden
Mitteilungen auch am Anschlagbrett zu publizieren sind, zwar stark an
Bedeutung verloren. Doch lässt sich nicht von der Hand weisen, dass
auch nach der jetzigen Regelung diejenigen Gemeindeeinwohner, die der
freisinnigen oder christlichdemokratischen Partei nahestehen und daher
ohnehin eine der beiden Zeitungen halten, gegenüber den übrigen Einwohnern,
die beide Zeitungen aus politischen Gründen ablehnen, besser gestellt
sind. Während die ersten die amtlichen Mitteilungen im Rahmen ihrer
ohnehin beabsichtigten täglichen Zeitungslektüre auf bequeme Weise zur
Kenntnis nehmen können, steht die zweite Gruppe vor der Wahl, entweder
sich periodisch zur Gemeindekanzlei zu begeben, um die Mitteilungen vom
Anschlagkasten abzulesen, oder aber - womöglich zusätzlich zu andern
Tageszeitungen - eine Zeitung zu abonnieren, die sie aus politischer
Überzeugung ablehnen. Die Schlechterstellung dieser letzteren Gruppe
beruht jedoch auf vernünftigen, sachlichen Gründen. Sicher wäre es
wünschbar, dass jeder Gemeindeeinwohner die amtlichen Mitteilungen
ohne besonderen Aufwand an Zeit und Geld zur Kenntnis nehmen kann, wie
dies der Beschwerdeführer offenbar verlangt, und die ideale Lösung wäre
zweifellos die Schaffung eines gemeindeeigenen Mitteilungsblattes, das
unentgeltlich an alle Einwohner verteilt wird. Aus Art. 4 BV lässt sich
jedoch kein dahingehender Anspruch des Einzelnen ableiten. Die meisten
Gemeinden in der Schweiz verfügen über keine eigenen Publikationsorgane,
sondern lassen ihre Anzeigen in den am Ort am stärksten verbreiteten
Zeitungen erscheinen, welche in der Regel nicht gratis erhältlich
sind. Auch die amtlichen Publikationsorgane des Bundes und der Kantone
werden nicht unentgeltlich abgegeben; so kostet das Bundesblatt zusammen
mit der Sammlung der eidgenössischen Gesetze Fr. 44.- und das Amtsblatt
des Kantons St. Gallen mit der Gesetzessammlung Fr. 45.- im Jahr.
Es ist somit keineswegs ungewöhnlich, dass dem Bürger, der über die
amtlichen Erlasse unterrichtet sein will und es ablehnt, sie in einer
Kanzlei, in Wirtschaften, bei Nachbarn oder sonstwie aus zweiter Hand zu
vernehmen, ein gewisser finanzieller Aufwand zugemutet wird. In kleineren
Gemeinden stellen sich zudem besondere Probleme. Bei der Herausgabe
eines gemeindeigenen Mitteilungsblattes sind die Druckkosten wegen der
kleinen Auflage unverhältnismässig hoch. Derartige Gemeindeanzeiger
erscheinen daher in der Regel nicht täglich oder wöchentlich, sondern
nur in grösseren Abständen. Ein einmal im Monat erscheinender Anzeiger,
wie zum Beispiel das vom Beschwerdeführer vorgelegte Thaler Gemeindeblatt,
vermag indessen den praktischen Bedürfnissen kaum gerecht zu werden, weil
gewisse Publikationen dringlich oder sonst zeitlich gebunden sind (z.B. die
Ankündung einer Gemeindeversammlung). Bei einem nur in längeren Abständen
erscheinenden Anzeiger müssten sich die Termine nach dem Erscheinungsdatum
des Blattes richten. Es ist daher in einer kleineren Gemeinde wie Berneck
sachlich vertretbar, auf die Herausgabe eines eigenen Gemeindeanzeigers
zu verzichten und die amtlichen Mitteilungen stattdessen in den beiden am
Ort verbreiteten Tageszeitungen zu publizieren. Auf diese Weise können
die Mitteilungen mit geringstmöglichem Aufwand in kürzester Zeit der
überwiegenden Mehrzahl der Gemeindeeinwohner bekanntgegeben werden. Dass
nicht alle Bürger die beiden Tageszeitungen lesen bzw. lesen wollen, ist
zwar ein Nachteil dieser Lösung, der jedoch, da jedermann die amtlichen
Publikationen auch am Anschlagbrett zur Kenntnis nehmen kann, Art. 4 BV
nicht verletzt.