Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 IA 324



98 Ia 324

51. Auszug aus dem Urteil vom 12. Juli 1972 i.S. X. gegen Anklagekammer
und Obergericht des Kantons Bern. Regeste

    Verfahren, Prozessfähigkeit; Art. 40 OG, Art. 14 BZP.

    Unter welchen Voraussetzungen kann ein psychopathischer Querulant
für prozessunfähig erklärt werden?

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 40 OG in Verbindung mit Art. 14 BZP steht das Recht
zur staatsrechtlichen Beschwerde nur den handlungsfähigen Personen
zu. Die Prozessfähigkeit des Beschwerdeführers bildet somit eine
Sachurteilsvoraussetzung, die das Bundesgericht von Amtes wegen und mit
freier Kognition zu prüfen hat (vgl. BGE 96 I 547 Erw. 1 mit Verweisungen,
97 I 199 E. 2).

Erwägung 3

    3.- Die Prozessfähigkeit ist eine Wirkung der vom Bundesrecht
in Art. 12 ff. ZGB geordneten Handlungsfähigkeit im Prozess (vgl. die
bundesrätliche Botschaft zum Entwurf des BZP vom 14. März 1947, BBl 1947
I S. 1003). Sie setzt die Urteilsfähigkeit des Rechtsuchenden voraus
(M. GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, S. 115) und fehlt somit
der Prozesspartei, die nicht in der Lage ist, vernunftgemäss zu handeln
(Art. 16 ZGB). So verhält es sich namentlich beim psychopathischen
Querulanten (BGE 76 IV 143) d.h. beim Menschen, dessen abnorme Reaktionen
auf eine psychisch krankhafte Persönlichkeitsentwicklung zurückzuführen
sind und der das eigene, meist falsch beurteilte Recht in übertriebener
und rücksichtsloser Art und mit Rechtsbehelfen durchzusetzen versucht,
die in keinem angemessenen Verhältnis zum erreichbaren Ziel stehen (BGE
96 IV 55 mit Hinweisen auf die psychiatrische Fachliteratur).

    Die Urteilsfähigkeit ist zu vermuten (BGE 90 II 12 Erw. 3). Wie
diese Vermutung widerlegt werden kann, sagt das Gesetz nicht (BGE 91 II
338 Erw. 8, 74 II 205 Erw. 1). Wird, was im allgemeinen angezeigt ist,
ein medizinischer Sachverständiger zugezogen, so hat sich sein Bericht
darauf zu beschränken, den Geisteszustand des Untersuchten möglichst
genau zu beschreiben und aufzuzeigen, ob und in welchem Mass das geistige
Vermögen versagt (EGGER, N. 20 zu Art. 16 ZGB). Welche rechtlichen
Schlüsse aus dem Ergebnis der medizinischen Begutachtung zu ziehen sind,
entscheidet der Richter (BGE 91 II 338 Erw. 8; EGGER, N. 20 zu Art. 16
ZGB, J. M. GROSSEN, Das Recht der Einzelpersonen in: Schweizerisches
Privatrecht, II, S. 320). Beim Entscheid darüber, ob ein Rechtsuchender
als psychopathischer Querulant im soeben erwähnten Sinn bezeichnet werden
muss, kann indessen ausnahmsweise vom Beizug eines Psychiaters abgesehen
werden, wenn das langjährige, allgemein bekannte prozessuale Verhalten der
Partei zum zwingenden Schluss führt, dass die fraglichen Handlungen auf
keinerlei vernünftigen Überlegungen mehr beruhen, sondern schlechterdings
nur noch als Erscheinungsform einer schweren psychischen Störung gewürdigt
werden können (vgl. KURT EHRLICH, Behandlung des Querulanten, SJZ 48/1952,
S. 329 ff., insbesondere S. 334). Eine Querulanz, die in ihren Wirkungen
die Urteilsfähigkeit im Sinne von Art. 16 ZGB ausschliesst, darfindessen
nicht leichthin bejaht werden. Nicht jeder, der sein vermeintliches
Recht hartnäckig mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln und
gelegentlich unter Missachtung des gebotenen Anstandes durchzusetzen
versucht und auf diese Weise die Geduld von Gerichten und Behörden über
Gebühr in Anspruch nimmt, gilt als psychopathischer Querulant (BGE 96
IV 55; WYRSCH, Gerichtliche Psychiatrie, S. 225 ff., 248). Zu beachten
ist ferner. dass das schweizerische Recht keine abstrakte Feststellung
der Urteilsunfähigkeit kennt. Der Richter hat vielmehr stets zu prüfen,
ob die fragliche Person im konkreten Fall d.h. im Zusammenhang mit einer
bestimmten Handlung oder bei der Würdigung bestimmter tatsächlicher
Gegebenheiten als urteilsfähig angesehen werden kann (Grundsatz
der Relativität der Urteilsfähigkeit; BGE 90 II 12 oben; vgl. auch
EGGER, N. 6 zu Art. 16 ZGB, J. M. GROSSEN, aaO, S. 319, H. BINDER, Die
Urteilsfähigkeit in psychologischer, psychiatrischer und rechtlicher Sicht,
Zürich 1964, S. 30 ff., A. PETER, Die Urteilsfähigkeit, Diss. Zürich 1940,
S. 67). Insbesondere beim Querulanten kann die Prozessunfähigkeit auf einen
bestimmten, mehr oder weniger grossen Bereich von Rechtsstreitigkeiten
beschränkt bleiben (WYRSCH, aaO, S. 227/8, KURT EHRLICH, aaO, S. 334).

    Nach diesen Grundsätzen ist zu entscheiden, ob der Beschwerdeführer
im vorliegenden Fall als prozessfähig gelten kann.

    (Das Bundesgericht spricht dem Beschwerdeführer die Urteilsfähigkeit
nach einer Würdigung der von ihm während der vergangenen 12 Jahre beim
Bundesgericht angehobenen Verfahren ab und tritt auf die Beschwerde
nicht ein.)