Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 IA 144



98 Ia 144

21. Urteil vom 29. März 1972 i.S. Dr. X. u. Kons. gegen
Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte im Kanton Zürich. Regeste

    Art. 4 und 31 BV; Disziplinarrecht des Anwaltes.

    Auslegung von § 10 des zürcherischen Anwaltsgesetzes, der eine
Beteiligung des Anwaltes am Prozesserfolg verbietet. Wann liegt in der
Einschaltung eines Dritten (hier: einer AG) zwischen Klient und Anwalt
eine Verletzung dieses Verbotes?

Sachverhalt

    A. - Im Februar 1971 gründete Rechtsanwalt Dr. X. die AG für
Rechtsschutz in Fusionssachen (Fusag) mit dem Zweck, im Auftrag von
Aktionären der Ursina-Franck AG gegen die geplante Fusion dieser
Gesellschaft mit der Nestlé Alimentana AG zu opponieren. Im März
1971 wurden die Aktionäre der Ursina-Franck AG durch Inserate in
der Presse aufgefordert, die Fusag mit der Wahrung ihrer Interessen
zu beauftragen. Mit einem im Inserat enthaltenen Coupon konnten die
Interessenten unter Angabe ihres Aktienbesitzes bei der Fusag einen
entsprechenden Vertragsentwurf verlangen.

    B. - Die Fusag, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. X., unterbreitete
den sich interessierenden Ursina-Franck-Aktionären einen Vertrag,
durch welchen diese die Fusag mit der Wahrung ihrer Interessen im
Zusammenhang mit der Fusion der Ursina-Franck AG mit der Nestlé
Alimentana AG beauftragten. Danach hatte die Fusag durch Vertretung
bei den entscheidenden Generalversammlungen vor allem einen besseren
Übernahmepreis für die Ursina-Franck-Aktien zu erzielen und hiezu
nötigenfalls die Generalversammlungsbeschlüsse gemäss Art. 706 OR
gerichtlich anzufechten. Ziff. 3 und 4 des Vertragstextes lauten:

    "3. Im Falle einer Anfechtungsklage nach Art. 706 OR übernimmt die
Beauftragte das gesamte Prozessrisiko allein. Sie klagt ausschliesslich in
eigenem Namen, gestützt auf eigenen Aktienbesitz, und zwar mit dem Antrag
auf Ungültigerklärung des betreffenden Generalversammlungsbeschlusses. Im
Vergleichsfalle verpflichtet sich die Beauftragte, das Ergebnis des
Vergleiches allen Auftraggebern gleichmässig zukommen zu lassen, nach
Massgabe der in diesem Vertrag aufgeführten Aktien und ohne Unterschied
zwischen Inhaber- und Namenaktien.

    4. Die Beauftragte berechnet lediglich im Erfolgsfalle eine
Entschädigung von 20% des nach Abzug der Spesen den Auftraggebern
zukommenden Mehrerlöses.

    Bei Widerruf dieses Auftrages vor der Klageeinleitung schuldet der
Auftraggeber der Beauftragten eine pauschale Entschädigung von Fr. 50.-
pro Aktie, nach der Klageeinleitung von Fr. 200.-- pro Aktie."

    Aus den Akten (S. 2 des angefochtenen Entscheides der
Aufsichtskommission) lässt sich entnehmen, dass Ziff. 4 des Vertrages
offenbar noch in einer etwas erweiterten Fassung existiert: Die
grundsätzliche Regelung der Entschädigungspflicht ist gleich; hingegen
wird eine Sicherstellung der Ansprüche der Fusag durch Einzahlung von
Fr. 50.- pro Aktie oder Hinterlegung der Aktien bei einer Bank verlangt.

    Einziges Mitglied des Verwaltungsrates und einziges Organ der Fusag war
zunächst Rechtsanwalt Dr. X. Rechtsanwalt Dr. Y. trat als bevollmächtigter
Anwalt der Fusag auf; für ein in Bern eingeleitetes Gerichtsverfahren
substituierte er einen Anwalt aus Bern.

    C. - Auf Anzeige des Appellationshofes des Kantons Bern leitete
die Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte im Kanton Zürich gegen
Dr. X. und Dr. Y. ein Disziplinarverfahren wegen Verletzung von § 10
des zürcherischen Anwaltsgesetzes vom 3. Juli 1938 (AG) ein. In einem
Entscheid vom 3. November 1971 erkannte die Aufsichtskommission, dass
die Mitwirkung bei der Gründung der Fusag und das Einschalten dieser
Aktiengesellschaft zwischen Ursina-Franck-Aktionäre als Auftraggeber
und bevollmächtigte Anwälte als Beauftragte der Fusag nicht gegen das
Anwaltsgesetz verstosse, weil nach den gesamten Umständen die Opposition
gegen den geplanten Zusammenschluss eine solche Organisation erfordere
und für die Anonymität einzelner Opponenten ein legitimes Interesse
bestehe. Hingegen hätten die beiden Rechtsanwälte gegen § 10 Abs. 1
AG verstossen, weil sie in Kenntnis der zwischen der Fusag und ihren
Auftraggebern getroffenen Vereinbarung über eine Erfolgsbeteiligung für
diese Gesellschaft tätig geworden seien. Auch wenn die Rechtsanwälte,
wie behauptet, von der Fusag laufend gemäss Anwaltstarif bezahlt
würden, so stehe doch fest, dass die Fusag dieses Honorar letzten Endes
aus dem mit ihren Auftraggebern vereinbarten Anteil am Prozessgewinn
begleichen werde. Die Anwälte seien daher indirekt Nutzniesser der mit
den Auftraggebern der Fusag vereinbarten Erfolgsbeteiligung, und auch
eine derart mittelbare Beteiligung am Prozessgewinn müsse als Verstoss
gegen § 10 Abs. 1 AG angesehen werden. Die Aufsichtskommission beschloss,
Dr. X. und Dr. Y. mit einer Ordnungsbusse von je Fr. 200.-- zu bestrafen.

    D. - Gegen diesen Beschluss reichten die beiden betroffenen
Rechtsanwälte sowie die AG für Rechtsschutz in Fusionssachen unter Berufung
auf Art. 31 und 4 BV staatsrechtliche Beschwerde ein mit dem Hauptantrag,
der angefochtene Entscheid sei vorbehaltlos aufzuheben. Zur Begründung
wird vor allem geltend gemacht, die beschuldigten Anwälte hätten kein
pactum de quota litis abgeschlossen, sondern seien von der Fusag gemäss
Tarif zu bezahlen. Die beanstandete Abmachung über ein Erfolgshonorar
bestehe zwischen der Fusag und ihren Auftraggebern, nicht aber zwischen
der Fusag und ihren Anwälten. Dass das Honorar der Anwälte eventuell aus
dem Prozessgewinn der Fusag bezahlt werden könnte, verstosse nicht gegen
das Anwaltsrecht; die Bezahlung des regulären Anwaltshonorars aus dem
Prozessgewinn komme häufig vor und sei nicht verboten.

    E. - In ihren Gegenbemerkungen zur staatsrechtlichen Beschwerde
bringt die Aufsichtskommission vor, die beiden Beschuldigten hätten
die Fusag selbst gegründet "- möglicherweise auf Anregung einzelner
Ursina-Franck-Aktionäre -", wobei die Rollen so verteilt worden seien,
dass Dr. X. als Gründer auftrat und einziger Verwaltungsrat wurde, während
Dr. Y. das Mandat übernahm. Durch die Schaffung der Fusag sei ihnen eine
Kundenwerbung möglich gewesen (Aufrufe in Zeitungsinseraten), welche dem
Anwalt persönlich nicht erlaubt sei. Dass es sich bei der Fusag um das
Werk der beiden Beschuldigten handle, zeige auch die weitere Entwicklung:
E. M. sei am 4. August 1971 anstelle von Dr. X. einziger Verwaltungsrat
geworden und L.M., der mit Dr. Y. befreundet sei und ihm für solche
Dienste zur Verfügung stehe, habe Einzelprokura erhalten. Wegen dieses
engen Verhältnisses der beiden Anwälte zur Fusag sei die von dieser
Gesellschaft mit den Auftraggebern vereinbarte Erfolgsbeteiligung als
Umgehung des für einen Anwalt geltenden Verbotes und daher als Verletzung
von § 10 Abs. 1 AG anzusehen.

    F. - Namens der Beschwerdeführer verlangte Dr. Y. die Anordnung eines
weiteren Schriftenwechsels. Diesem Begehren wurde nicht entsprochen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Dass die beiden Rechtsanwälte Dr. X. und Dr. Y. zur
staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert sind, steht ausser
Zweifel. Hingegen ist die AG für Rechtsschutz in Fusionssachen durch
den angefochtenen Entscheid nicht betroffen, da die disziplinarische
Bestrafung eines Rechtsanwaltes wegen Verstosses gegen das Anwaltsrecht
die Rechtsstellung seines Klienten grundsätzlich nicht berührt. Auf die
Beschwerde der Fusag ist daher nicht einzutreten. Doch ist dies ohne
Belang, da jedenfalls auf die Beschwerden der beiden Anwälte einzutreten
ist und ihre Rügen sich mit denjenigen der Fusag decken.

Erwägung 2

    2.- Gemäss § 10 Abs. 1 AG ist es dem Rechtsanwalt untersagt, "mit
seinem Auftraggeber die Abrede zu treffen, dass er im Falle des Obsiegens
in irgendwelcher Form am Prozessgewinn teilhabe oder einen ungünstigen
Ausgang des Prozesses auf sich nehme".

    a) In der Beschwerdebegründung wird nicht behauptet, dieses im
Anwaltsrecht der Schweiz allgemein übliche Verbot eines Erfolgshonorars
(pactum de quota litis) verstosse gegen Art. 31 BV. Offenbar wollen die
Beschwerdeführer lediglich geltend machen, die Annahme eines unzulässigen
pactum de quota litis im vorliegenden Fall sei willkürlich und verletze
die Handels- und Gewerbefreiheit.

    b) Die Abrede, welche die Fusag mit Ursina-Franck-Aktionären über die
Entschädigung traf (Ziff. 4 des Vertrages), ist an sich eine Vereinbarung,
welche gemäss § 10 Abs. 1 AG dem Rechtsanwalt untersagt ist. Denn
sie sieht vor, dass der Auftraggeber bei einem ungünstigen Ausgang des
Prozesses dessen Kosten nicht zu tragen hat, während im Falle des Erfolges
die Beauftragte (Fusag) eine Entschädigung von 20% des nach Abzug der
Spesen verbleibenden "Mehrerlöses" beanspruchen kann. In welcher Weise
als Ergebnis der Bemühungen der Fusag ein Gewinn erzielt werden könnte,
braucht hier nicht im einzelnen untersucht zu werden. Auf jeden Fall
zeigen der Aufruf an die Ursina-Franck-Aktionäre in Zeitungsinseraten
und der Vertragstext, dass man den Auftraggebern durch die Intervention
in der Fusionsfrage bestimmte finanzielle Vorteile zu verschaffen hoffte,
die Auftraggeber aber vom Kostenrisiko des Vorgehens befreite und lediglich
zur Überlassung von 20% des Mehrerlöses verpflichtete. Dass eine solche
Vereinbarung gemäss § 10 AG zwischen Anwalt und Klient unzulässig ist,
bedarf keiner weitern Begründung.

    c) Die eben erläuterte Vereinbarung über ein Erfolgshonorar
wurde indessen nicht zwischen Dr. X. und Dr. Y. einerseits und
Ursina-Franck-Aktionären oder der Fusag anderseits getroffen, sondern es
handelt sich hier um eine Abmachung aus dem Vertrag, welchen die Fusag
mit den einzelnen Interessenten (Ursina-Franck-Aktionären) schloss.

    Irgendeinem Privaten, der nicht Anwalt ist, wird durch § 10 AG nicht
verwehrt, für die Verfechtung bestimmter Interessen eine Gemeinschaft von
Betroffenen zu bilden, den Rechtsstreit jedoch in eigenem Namen und auf
eigenes Risiko zu führen und sich von den übrigen Interessenten lediglich
für den Erfolgsfall einen Gewinnanteil versprechen zu lassen. Wenn die
Initianten, Gründer und Träger der Fusag irgendwelche von den beteiligten
Anwälten völlig unabhängige Dritte wären, dann läge keine Verletzung
von § 10 AG vor, und zwar selbst dann nicht, wenn die bevollmächtigten
Anwälte Kenntnis von der zwischen der Fusag und ihren Auftraggebern
getroffenen Vereinbarung hätten, aber selber ohne Rücksicht auf den
Erfolg nach Tarif entschädigt würden. Es ist dem Anwalt, entgegen den
Ausführungen im angefochtenen Entscheid, nicht verboten, zu normalen
Bedingungen für einen Klienten zu arbeiten, der ihn im Erfolgsfall aus dem
Prozessgewinn zu bezahlen gedenkt. Verboten ist lediglich die Abhängigkeit
der Honorarberechnung vom Prozesserfolg; hingegen kann sich § 10 AG nicht
auf die häufige wirtschaftliche Tatsache beziehen, dass der Klient im
Falle des Obsiegens die Anwaltsrechnung aus dem Prozessgewinn begleicht.

    d) Im vorliegenden Fall ist den Rechtsanwälten Dr. X. und
Dr. Y. die Verabredung eines Erfolgshonorars zwischen der Fusag und ihren
Auftraggebern zur Last zu legen, sofern sie selber die Fusag gründeten, um
Ursina-Franck-Aktionäre als Kunden werben und indirekt ein Erfolgshonorar
vereinbaren zu können. Wenn die Beschwerdeführer die Initianten und
eigentlichen Träger der Fusag sind, wie in den Gegenbemerkungen zur
staatsrechtlichen Beschwerde behauptet wird, dann würde dies bedeuten,
dass Gewinne bzw. Verluste der Fusag sich unmittelbar auf sie und ihre
allfälligen Anwaltshonorarforderungen auswirkten. Je nach den konkreten
Verhältnissen und Abmachungen könnte es sein, dass bei einem Misserfolg der
Bemühungen die Bezahlung der Anwaltsrechnungen aus nicht aus dem Vermögen
der beiden Anwälte selber stammenden Mitteln gar nicht möglich wäre; die
Übernahme des Prozessrisikos durch die Fusag wäre dann im Ergebnis einer
nach § 10 AG verbotenen Übernahme des Prozessrisikos durch die beiden
Anwälte gleichzusetzen. Ebenso käme bei dieser Annahme ein allfälliges
Erfolgshonorar den Anwälten zugute; denn sie wären ja - offen oder durch
Strohmänner getarnt - die wirtschaftlichen Träger der Fusag; was der Fusag
zuflösse, flösse damit ihnen zu; ob es schliesslich als Anwaltshonorar,
Dividende, Tantième oder Liquidationsergebnis ausgeschüttet würde, ist
ohne Belang. Aber auch wenn von Dritten zur Verfügung gestellte Mittel der
Fusag vorhanden wären, welche im Falle eines Misserfolges die Bezahlung der
Anwaltsrechnungen erlauben würden, läge ein Verstoss gegen § 10 AG vor,
wenn die beiden Beschwerdeführer an einem Gewinn der Fusag direkt oder
indirekt beteiligt wären; denn § 10 AG verbietet selbstverständlich auch,
dass der Anwalt zwar seine Bemühungen nach Tarif verrechnet, aber darüber
hinaus am Erfolgshonorar eines Dritten (hier der Fusag) partizipiert.

Erwägung 3

    3.- Ob zwischen den beschuldigten Anwälten und der Fusag derart
enge rechtliche oder tatsächliche Bindungen bestehen, dass die
Honorarvereinbarungen der Fusag entsprechenden Vereinbarungen der
Anwälte gleichzusetzen sind, lässt sich dem angefochtenen Entscheid nicht
entnehmen. Die Feststellung, die Fusag wolle die Anwälte letzten Endes
aus ihrem Anteil am Prozessgewinn bezahlen, weshalb die Anwälte indirekt
Nutzniesser der Erfolgsbeteiligung seien, genügt nach dem Gesagten nicht,
um eine Verletzung von § 10 AG anzunehmen; denn damit besteht noch keine
Abhängigkeit der Honorarberechnung vom Erfolg. In ihren Gegenbemerkungen
scheint dies die Aufsichtskommission anzuerkennen; sie begründet die
Disziplinarstrafe nunmehr mit der im ursprünglichen Entscheid nicht
enthaltenen Behauptung, die Fusag sei von den Beschuldigten zur Umgehung
des Anwaltsgesetzes geschaffen worden und diese seien die eigentlichen
Träger der Gesellschaft. Auf diese neue Begründung, die mit Hinweisen
auf das Vorgehen von Dr. Y. in anderen Fällen gestützt wird, ist hier
nicht einzutreten, weshalb auch ein zweiter Schriftenwechsel über diese
Argumentation überflüssig war. Es ist Sache der Aufsichtskommission,
genau abzuklären, ob die im konkreten Fall gegebene Beteiligung der
Anwälte an der Fusag gegen das Anwaltsrecht verstösst.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    1.- Auf die Beschwerde der AG für Rechtsschutz in Fusionssachen wird
nicht eingetreten.

    2.- Die Beschwerden der Rechtsanwälte Dr. X. und Dr. Y. werden im
Sinne der Erwägungen gutgeheissen und der angefochtene Entscheid der
Aufsichtskommission vom 3. November 1971 wird aufgehoben.