Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 V 28



97 V 28

7. Auszug aus dem Urteil vom 29. März 1971 i.S. Bundesamt für
Sozialversicherung gegen Starrfräsmaschinen AG und Versicherungsgericht
des Kantons St. Gallen Regeste

    Art. 5 Abs. 2 und 9 Abs. 1 AHVG. Die dem Erfinder zufliessenden
Lizenzgebühren können Vermögensertrag oder Erwerbseinkommen sein
(Bestätigung der Rechtsprechung).

    Art. 156 Abs. 1 und 2 und 159 Abs. 2 OG.

    -  Dem Bundesamt für Sozialversicherung dürfen in der Regel keine
Gerichtskosten auferlegt werden.

    - Die beigeladenen obsiegenden Personen haben Anspruch auf
Parteientschädigung.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Nach der geltenden Praxis (vgl. EVGE 1957 S. 178 sowie 1958 S. 105
und 1966 S. 206) lässt sich die Frage, ob die einem Lizenzgeber zustehenden
Lizenzvergütungen Erwerbseinkommen im Sinn der Art. 4 bis 9 AHVG oder
beitragsfreien Kapitalertrag darstellen, nicht generell beantworten.
Gemäss Art. 4 AHVG und Art. 6 Abs. 1 AHVV sind jene Einkünfte zum
Erwerbseinkommen zu zählen, die einem Versicherten aus einer Tätigkeit
zufliessen und dadurch seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhöhen. Im
Einzelfall ist daher von den Beziehungen der Lizenzeinnahmen zur Person des
Bezügers und dessen erwerblicher Betätigung auszugehen. Der Inhaber einer
Erfindung kann sich zwar durch die Einräumung einer ausschliesslichen
Lizenz derart von seinem Recht loslösen, dass er keinen Einfluss mehr
auf Auswertung und Weiterentwicklung und auch kein Mitspracherecht mehr
besitzt. Alsdann stellen die Lizenzgebühren nur noch die Entschädigung für
die Abtretung eines Rechts dar, also den Gegenwert für eine gleichsam vom
Lizenzgeber entäusserte Sache, und werden als Kapitalertrag betrachtet
(EVGE 1957 S. 179). Das Eidg. Versicherungsgericht hat bisher in einem
einzigen Fall auf Kapitalertrag erkannt (ZAK 1951 S. 262). In den übrigen
Fällen wurde auf Erwerbseinkommen geschlossen.

    Erwerbseinkommen bilden die Lizenzgebühren nur dann, wenn über den
Abschluss des Lizenzvertrages hinaus eine persönliche Tätigkeit des
Erfinders fortbesteht, die ihn mit der Ausbeutung verbindet. Daher ist
nicht jener Vertragsabschluss, sondern der Charakter dieser fortgesetzten
Tätigkeit dafür entscheidend, ob die Lizenzgebühren zum Einkommen
aus selbständiger oder unselbständiger Tätigkeit gehören (EVGE 1957
S. 181). Nach der Praxis ist Erwerbseinkommen aus unselbständiger Tätigkeit
insbesondere gegeben, wenn der Erfinder verpflichtet ist, im Betrieb
des Lizenznehmers in abhängiger Stellung an der Auswertung der Erfindung
persönlich mitzuarbeiten. Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit
ist namentlich anzunehmen, wenn eine patentierte Erfindung vom Erfinder
selber ausgebeutet wird, allein oder als Teilhaber jener ausbeutenden
Personengesellschaft; selbständige Erwerbstätigkeit liegt auch vor,
wenn ein Dritter Patente gewerbsmässig verwertet. Beim berufsmässigen
Erfinder zählt jede berufliche Bemühung zur Erwerbstätigkeit, wenn mit dem
Arbeitsprodukt Einkommen erzielt wird; in solchen Fällen braucht nicht wie
sonst geprüft zu werden, ob der Erfinder an der Auswertung der Erfindung
persönlich in irgend einer Form beteiligt ist (EVGE 1966 S. 206 und dort
zitierte Urteile)...

Erwägung 3

    3.- Das Bundesamt vertritt die Auffassung, die vom Erfinder bezogenen
Lizenzgebühren seien immer Erwerbseinkommen. Das Gericht hat sich schon
in EVGE 1966 S. 158 zu dieser bereits früher vom Bundesamt aufgeworfenen
Frage geäussert, ohne jedoch näher auf sie einzugehen. Heute begründet das
Bundesamt seinen Standpunkt folgendermassen: Jede Erfindung setze eine
schöpferische Tätigkeit voraus, durch die geistiges Eigentum geschaffen
werde. Der Erfinder könne dieses von ihm geschaffene immaterielle Gut
verkaufen oder durch einen Dritten verwerten lassen. Verfüge er in dieser
Weise über sein Recht, so stelle die Gegenleistung, die er erhalte, -
privatrechtlich - im ersten Fall Verkaufspreis, im zweiten Fall Pachtzins
("Lizenzgebühr") dar. AHV-rechtlich sei aber entscheidend, dass dieser
Vermögenswert durch eigene Arbeit geschaffen worden sei. Die Gegenleistung
erscheine daher - wie das Einkommen, das der Hersteller von Waren aus
deren Verkauf erziele - als Entgelt für die Arbeit, die zur Erfindung
geführt habe und damit als Erwerbseinkommen.

    Diese These besticht zunächst durch ihre theoretische Einfachheit
und ihre Übereinstimmung mit der steuerrechtlichen Doktrin, welche den
Ertrag eines vom Steuerpflichtigen selber geschaffenen immateriellen
Gutes als Einkünfte aus einer Tätigkeit betrachtet (vgl. KÄNZIG,
Die Eidg. Wehrsteuer, N. 16 und 74/75 zu Art. 21 WStB). Allein diese
theoretische Einfachheit wirkt sich keineswegs in ebenso einfachen
praktischen Lösungen aus, wie weiter unten noch ausgeführt werden
wird. Auch ist die Frage im Steuerrecht praktisch bedeutungslos, weil
hier Erwerbseinkommen und Vermögensertrag eine Gesamtheit bilden. So
fallen die Lizenzgebühren entweder unter Art. 21 Abs. 1 lit. a WStB als
Erwerbseinkommen oder unter lit. c desselben Artikels als Vermögensertrag;
somit gehören sie jedenfalls zum steuerbaren Einkommen.

    Die Auffassung des Bundesamtes findet scheinbar eine Stütze auch in der
Tatsache, dass bisher kein einziges Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts
die bezogenen Lizenzgebühren in ihre beiden Komponenten aufgeteilt hat,
nämlich einerseits in das Entgelt für die schöpferische Arbeit, die zur
Erfindung führte, und anderseits in die Entschädigung für die Arbeit,
welche bei der spätern Ausbeutung dieser Erfindung geleistet wird. Das
Gericht hat aber das Prinzip einer solchen Unterscheidung keineswegs
verworfen, sondern bloss festgestellt, dass in den von ihm beurteilten
Fällen der Beweis eines Steuerwertes des Patentes, dessen Zins als
Kapitalertrag vom Betrag der Lizenzgebühren abgezogen werden könnte,
nicht erbracht sei.

    Schliesslich bildet die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
dargelegte These das Gegenstück zur Rechtsprechung betreffend die
Pflicht des Arbeitgebers zur Entrichtung der Beiträge auf dem erst nach
Beendigung des Dienstverhältnisses bezahlten Lohn. Die Rechtsprechung
unterscheidet zwischen der Beitragsschuld und ihrer Fälligkeit (vgl. dazu
EVGE 1969 S. 89). Sie bezieht sich aber auf paritätische Beiträge,
wo der Zusammenhang zwischen der Tätigkeit und dem Lohn klar gegeben
ist, die Zeitspanne zwischen der Beendigung der Tätigkeit und der
Bezahlung des Entgeltes nicht gross sein kann und zudem Art. 14 Abs. 1
AHVG die Fälligkeit der Beiträge ordnet. Hiervon unterscheiden sich
wesentlich die Regeln des Art. 14 Abs. 2 AHVG und der entsprechenden
Verordnungsbestimmungen über die Festsetzung und Entrichtung der
Beiträge vom Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit. Wenn die
Tätigkeit massgebend wäre, die zur Erfindung führte, von deren Verwertung
sich der Erfinder losgelöst hat, so müssten sämtliche Lizenzgebühren,
welche der Erfinder in allen spätern Jahren erhalten hat, auf die Dauer
dieser Tätigkeit bezogen werden, was zu störenden Konsequenzen führen
würde. Und wollte man - ähnlich wie beim Goodwill - auf den Wert der
Erfindung abstellen im Moment, da die schöpferische Tätigkeit aufhört,
so liesse sich dieser Wert mangels Anhaltspunkten zur Bemessung künftiger
Lizenzgebühren kaum ohne Willkür ermitteln.

Erwägung 4

    4.- Der These des Bundesamtes kann überdies aus folgenden Gründen
nicht beigepflichtet werden: Wäre ausschliesslich diejenige Tätigkeit
entscheidend, die zur Erfindung geführt hat, so müsste folgerichtig
jede mögliche Beziehung zur spätern Tätigkeit ausser acht gelassen
werden. Nun ist diese schöpferische Tätigkeit meistens selbständig. Die
Lizenzgebühren wären also, selbst wenn sie vom Arbeitgeber ausbezahlt
würden, nicht Lohnbestandteil und müssten als Einkommen aus selbständiger
Erwerbstätigkeit qualifiziert werden.Ausnahmenwären nur in jenen Fällen
möglich, in denen der Erfinder die schöpferische Tätigkeit im Rahmen
einer entlöhnten Arbeit entfaltet hätte. Diese Fälle sind umso seltener,
als der Gewinn aus der Erfindung alsdann regelmässig dem Arbeitgeber
zukommt. In einem solchen Ausnahmefall würde übrigens die Situation bei
einem Stellenwechsel des Erfinders unentwirrbar.

    Zudem würde der Wert der Erfindung, d.h. der als Gegenleistung für
die Verwertung bezahlte Betrag, allein der ursprünglichen schöpferischen
Tätigkeit zugemessen. Eine derartige Konzeption wäre gekünstelt; denn
die spätere Mitarbeit des Erfinders an der Entwicklung und technischen
Anwendung seiner Erfindung übt auf deren Wert, somit auf die Höhe der
Lizenzgebühren, einen öfters beträchtlichen Einfluss aus. Oder sollen
dann die Lizenzgebühren in ihre beiden Komponenten aufgeteilt werden,
nämlich in den Ertrag aus der schöpferischen Tätigkeit einerseits
und die Entschädigung für die Mitwirkung bei der Weiterentwicklung
anderseits? Dies entspräche zwar einer Unterscheidung, welche die
Rechtsprechung grundsätzlich nicht verworfen hat, praktisch aber nie
vorgenommen werden konnte. Sie würde in jedem Einzelfall eine schwierige,
meistens willkürliche Schätzung jenes Teils der Lizenzgebühren erfordern,
die von der (im allgemeinen selbständigen) ursprünglichen schöpferischen
Tätigkeit stammen, und jenes andern Teils, welcher der (im allgemeinen
unselbständigen) spätern Tätigkeit zuzurechnen ist.

    Es ergibt sich somit, dass die bisherige Rechtsprechung auf
dem Gebiet der Lizenzgebühren den wirtschaftlichen und rechtlichen
Gegebenheiten gerechter wird als die vom Bundesamt verfochtene These,
deren praktische Anwendung zudem fast unlösbare Probleme aufwirft. Daher
ist die Rechtsprechung zu bestätigen...

Erwägung 5

    5.- Nach dem auch in Sozialversicherungsstreitigkeiten anwendbaren
Art. 156 OG (vgl. Art. 135 OG) werden die Gerichtskosten in der Regel der
unterliegenden Partei auferlegt (Abs. 1). Hingegen dürfen nach Abs. 2
desselben Artikels dem Bund, den Kantonen und Gemeinden, die in ihrem
amtlichen Wirkungskreis und ohne eigene Vermögensinteressen das Eidg.
Versicherungsgericht in Anspruch nehmen, in der Regel keine Gerichtskosten
auferlegt werden.

    In Streitigkeiten über Versicherungsbeiträge sind von der
unterliegenden Partei grundsätzlich Kosten zu erheben (Art. 134
OG). Dennoch dürfen dem in der heutigen Beitragsstreitigkeit unterliegenden
Bundesamt keine Gerichtskosten auferlegt werden. weil das Bundesamt
bzw. der von ihm vertretene Bund am Ausgang des Verfahrens kein eigenes
Vermögensinteresse hat.

    Hingegen hat das Bundesamt der obsiegenden Beschwerdegegnerin für das
gegenwärtige Verfahren eine Parteientschädigung auszurichten (Art. 159 OG)
Angesichts der in prozessualer und materieller Hinsicht parteiähnlichen
Stellung des im heutigen Verfahren beigeladenen, durch einen Anwalt
vertretenen Erfinders R. G. steht auch diesem gegenüber dem Bundesamt
ein Anspruch auf Parteientschädigung zu.