Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 V 124



97 V 124

30. Auszug aus dem Urteil vom 12. Juli 1971 i.S. Rupp gegen Ausgleichskasse
der Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte und Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen Regeste

    Art. 156 Abs. 2 OG.

    Den im Beitragsprozess unterliegenden Ausgleichskassen können
Gerichtskosten auferlegt werden.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

    "Dem Bund, Kantonen oder Gemeinden, die in ihrem amtlichen
Wirkungskreis und ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt,
das Bundesgericht in Anspruch nehmen, oder gegen deren Verfügungen in
solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist, dürfen in der
Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden" (Art. 156 Abs. 2 OG). Das
Bundesamt für Sozialversicherung ist der Auffassung, diese Bestimmung sei
auch auf alle Ausgleichskassen anwendbar, da letztere, gleichgültig, ob
sie durch öffentliche Organe oder durch private Verbände errichtet worden
sind, öffentliches Bundesrecht anwendeten. Gestützt auf die Ergebnisse der
Beratung des Gesamtgerichts, dem diese Rechtsfrage unterbreitet worden ist,
hält die urteilende Kammer folgendes fest:

    Die Ausgleichskassen sind keine Bundesorgane. Dies wird vom
Bundesamt für Sozialversicherung auch nicht behauptet. Gegen das
Bestehen einer persönlichen oder auch nur funktionellen Identität
zwischen Ausgleichskassen und Bund spricht schon der Umstand, dass
diese, mit Ausnahmen (Schweizerische Ausgleichskasse und Eidgenössische
Ausgleichskasse), von den Kantonen oder den Verbänden getragen werden und
dass die Verbandsausgleichskassen befugt sind, sich selbst aufzulösen,
was bei Bundesorganen undenkbar wäre. Zu den Durchführungsorganen der
AHV gehören u.a. die Ausgleichskassen, nicht aber der Bund; diesem kommt
lediglich die Aufsicht über die AHV zu (Art. 49 AHVG). Schon aus diesem
Grunde kann Art. 156 Abs. 2 OG nicht auf die Ausgleichskassen Anwendung
finden. Wenn diese Bestimmung auch auf andere als Organe des Bundes, der
Kantone oder der Gemeinden anwendbar wäre, müsste sie anders lauten, so
etwa wie Art. 63 Abs. 2 VwG, wo von der Auflage der Verfahrenskosten bei
"anderen als Bundesbehörden, die Beschwerde führen", die Rede ist. Daraus,
dass Art. 159 Abs. 2 OG die Zusprechung von Parteientschädigungen an
"obsiegende Behörden oder mit öffentlichrechtlichen Aufgaben betraute
Organisationen" in der Regel ausschliesst, kann nicht gefolgert
werden, Art. 156 Abs. 2 OG wolle - implicite - den nicht zu Bund,
Kantonen oder Gemeinden gehörenden Institutionen, denen die Ausübung
öffentlichrechtlicher Aufgaben übertragen ist, für den Regelfall keine
Gerichtskosten auferlegen lassen. Art. 156 Abs. 2 des ab 1. Oktober 1969
in Kraft getretenen revidierten OG hätte sonst, gleich wie Art. 159 Abs. 2
desselben Gesetzes, ebenfalls neu gefasst werden müssen. Es besteht kein
Anlass zur Annahme, Art. 156 Abs. 2 OG weise eine Lücke auf. Ein Ausschluss
der Kostenauflage zu Lasten der im Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren
unterliegenden Ausgleichskassen ist somit schon deshalb nicht zulässig,
weil diese nicht als Organe des Bundes, der Kantone oder der Gemeinden
angesehen werden können. Die Kassen vertreten im Beschwerdeverfahren die
Vermögensinteressen des autonomen AHV-Fonds, die mit denjenigen von Bund,
Kantonen und Gemeinden nicht identisch sind. Funktionell ist mithin
die Tätigkeit sowohl der privatrechtlich als auch öffentlichrechtlich
organisierten Ausgleichskassen keinem der in Art. 156 Abs. 2 OG erwähnten
amtlichen Wirkungsbereiche zurechenbar. Auch aus diesem zusätzlichen
Grunde verbietet es diese Norm, in Beitragsprozessen unterliegende
Ausgleichskassen generell von der Gerichtskostentragung zu befreien.