Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 I 890



97 I 890

128. Urteil vom 2. November 1971 i.S. X. gegen Verwaltungskommission
des Obergerichts des Kantons Zürich. Regeste

    Art. 4 BV; zürcherische Fähigkeitsprüfung für Rechtsanwälte,
Anforderungen an die praktische Tätigkeit als Zulassungsbedingung.

Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die zürcherische Verordnung über die Fähigkeitsprüfung für den
Rechtsanwaltsberuf vom 8. Juli 1938 (Prüfungsverordnung) bestimmt in §
4, dass die Bewerber um die Zulassung zur Prüfung sich unter anderem über
folgende Zulassungsbedingungen auszuweisen haben:

    "....

    7. ausreichende Rechtsstudien, in der Hauptsache an schweizerischen
Universitäten;

    8. praktische Tätigkeit während mindestens eines Jahres bei einem
zürcherischen Bezirksgericht oder beim Obergericht als Richter,
Gerichtsschreiber, Substitut, vollbeschäftigter Auditor oder als
vollbeschäftigter Substitut bei einem zürcherischen Rechtsanwalt oder
sonst in einer vom Obergericht als gleichwertig anerkannten Stellung."

Erwägung 2

    2.- X., geboren 1942, promovierte am 2. Mai 1970 zum Lizentiaten
der Rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität
Zürich. Während des Studiums hatte er in den Sommerferien 1967 ein
dreimonatiges Praktikum auf einem zürcherischen Anwaltsbüro absolviert. Vom
5. März bis 10. Mai und vom 21. Juni bis 2. August 1968 war er Auditor
am Bezirksgericht Dielsdorf. Nach dem Erwerb des Lizentiats machte er
vom 12. Oktober 1970 an ein sechsmonatiges Auditoriat am Bezirksgericht
Winterthur.

    Am 21. April 1971 ersuchte X. das Obergericht des Kantons Zürich um
Zulassung zur Anwaltsprüfung. Mit Schreiben vom 19. Mai 1971 eröffnete
ihm die Verwaltungskommission des Obergerichts, dass er zur Prüfung
vorderhand nicht zugelassen werden könne, weil es an der vorgeschriebenen
praktischen Tätigkeit von mindestens einem Jahr im Sinne von § 4 Ziff. 8
der Prüfungsverordnung fehle. Seine Tätigkeit auf dem zürcherischen
Anwaltsbüro sowie am Bezirksgericht Dielsdorf in den Jahren 1967 und
1968 könne ihm nämlich nicht angerechnet werden, denn sie falle noch
in die Zeit während des Studiums, da ihm nicht die verantwortungsvollen
Arbeiten hätten anvertraut werden können, die üblicherweise einem voll
ausgebildeten Juristen übertragen würden. Die genannte Bestimmung der
Prüfungsverordnung meine offensichtlich eine praktische Tätigkeit als
voll ausgebildeter Jurist.

Erwägung 3

    3.- X. führt gegen diesen Entscheid der Verwaltungskommission des
Obergerichts des Kantons Zürich, der die Voraussetzungen des Art. 87 OG
erfüllt, staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV. Er
beantragt, die Beschwerde gutzuheissen und das Obergericht des Kantons
Zürich anzuweisen, ihn zum Examen zuzulassen. Auf dieses Beschwerdebegehren
ist jedoch nicht einzutreten, soweit damit eine Sachentscheidung
verlangt wird, denn die staatsrechtliche Beschwerde ist grundsätzlich
rein kassatorischer Natur und führt im Falle der Gutheissung nur zur
Aufhebung des angefochtenen Entscheides (BGE 97 I 333 E. 2, 96 I 2).

Erwägung 4

    4.- Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht eine willkürliche
Auslegung und Anwendung des § 4 Ziff. 8 der Prüfungsverordnung vor, weil
es in der Annahme, die in dieser Bestimmung vorgeschriebene praktische
Tätigkeit sei auf einen voll ausgebildeten Juristen zugeschnitten, seine in
die Zeit des Studiums fallende Tätigkeit auf einem Anwaltsbüro sowie als
Auditor nicht anrechnete. Was er gegen die Bestimmung selbst vorbringt,
deckt sich mit dieser Rüge.

    a) § 4 Ziff. 8 der Prüfungsverordnung hält zwar nicht ausdrücklich
fest, dass das vorgeschriebene Praktikum nur anzuerkennen ist, soweit
der Kandidat dabei bereits über eine volle juristische Ausbildung
verfügte. Schon der Wortlaut der Vorschrift lässt jedoch erkennen, dass ein
solches Praktikum eine vollständige juristische Ausbildung erfordert, ist
dieses doch als Richter, Gerichtsschreiber, Substitut eines Anwalts oder
Gerichts, Auditor oder in gleichwertiger Stellung zu absolvieren. Dieser
Sinn ergibt sich auch aus der Systematik der Prüfungsverordnung, wonach
an erster Stelle von ausreichenden Rechtsstudien und erst darnach von der
praktischen Tätigkeit gesprochen wird. Im übrigen liegt es auf der Hand,
dass die Tätigkeit in einer solchen Stellung selbst schon umfangreiche
und vertiefte juristische Kenntnisse voraussetzt, wie sie normalerweise
erst in den obern Semestern erworben werden (vgl. GOTTFRIED WEISS,
Die Gestaltung des Rechtsstudiums, in ZSR N.F. 68/1949 S. 232 a; GUHL,
Die neuen Reglemente über die Fürsprecher und Notariatsprüfungen, in
ZBJV 72/1936 S. 375 f.). In diesem Sinne hat auch das Bundesgericht
ausgeführt, das Praktikum bei einem Anwalt sei eine Übergangszeit
zwischen dem Universitätsstudium und der freien Berufsausübung als
Anwalt (BGE 50 I 29). Die beanstandete Auslegung von § 4 Ziff. 8 der
Prüfungsverordnung lässt sich mit sachlichen Überlegungen vertreten
und widerspricht auch dem Sinn der zürcherischen Vorschriften über die
Zulassung zur Anwaltsprüfung nicht. Sie ist daher nicht willkürlich (BGE
96 I 36). Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, ist unbehelflich.

    b) Ob es unter dem Gesichtswinkel der Willkür mit § 4 Ziff. 8 der
Prüfungsverordnung vereinbar wäre, wenn das Obergericht ganz allgemein
und ohne Rücksicht auf die Verhältnisse der einzelnen Kandidaten nur ein
nach Abschluss des juristischen Studiums absolviertes Praktikum anerkennen
und mithin nur Kandidaten mit Studienabschluss zulassen würde, was aus
dem angefochtenen Entscheid geschlossen werden könnte, braucht hier nicht
geprüft zu werden. Denn im Falle des Beschwerdeführers ist es jedenfalls
nicht unhaltbar, dessen in die Jahre 1967 und 1968 fallende Tätigkeit
auf einem Anwaltsbüro sowie als Auditor am Bezirksgericht Dielsdorf von
je nur drei Monaten bzw. etwas darüber als vollwertiges Praktikum im oben
umschriebenen Sinne anzuerkennen. In den betreffenden Berichten über die
Leistungen des Beschwerdeführers wird darauf hingewiesen, dass man ihn
entsprechend dem damaligen Stand seiner fachlichen Kenntnisse einsetzte.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.