Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 I 769



97 I 769

112. Urteil vom 22. Dezember 1971 i.S. von Däniken gegen Graubünden,
Staatsanwaltschaft und Kleiner Rat. Regeste

    Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde. Beweis der
Rechtzeitigkeit des Strafantrags.

    Der Privatkläger ist legitimiert, mit staatsrechtlicher Beschwerde
geltend zu machen, dass die Untersuchungsbehörde das Strafverfahren
offensichtlich zu Unrecht wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung
eingestellt habe (Erw. 1).

    Frist zum Strafantrag; Beginn, Beweislast (Erw. 2, 3).

    Eine Untersuchungsbehörde, die ein Ehrverletzungsverfahren mangels
rechtzeitigen Strafantrags einstellt, ohne die vom Kläger für die
Rechtzeitigkeit angebotenen Beweise abzunehmen, verweigert dem Kläger
das rechtliche Gehör (Erw. 4).

Sachverhalt

    A.- Erich von Däniken wurde im November 1968 wegen Vermögensdelikten
verhaftet und am 13. Februar 1970 nach zehntägiger Verhandlung vom
Kantonsgericht Graubünden zu 3 1/2 Jahren Zuchthaus verurteilt. Seither
befand er sich in der Strafanstalt Regensdorf. Sein Verteidiger,
Rechtsanwalt H., hat ihn dort am 2. und 14. April, 23. Mai und 1. Juli
1970 besucht.

    Am 13. Juli 1970 reichte Rechtsanwalt H. für von Däniken beim
Kreisamt Davos gegen den in Davos wohnhaften Peter Roth Klage wegen
Verleumdung, eventuell übler Nachrede ein. Er behauptete, Roth habe
dem Wiener Journalisten Heinrich Grün am 29. Oktober 1969 u.a. erklärt,
von Däniken habe nicht nur Vermögensdelikte begangen, sondern solle auch
kleine Kinder verführt haben. Ferner habe Roth dem Journalisten Michael
Dickoff, Kriens, in einem nicht bekannten Zeitpunkt erklärt, von Däniken
sei homosexuell, habe es mit minderjährigen Kindern getrieben und habe
als Voyeur an Orgien teilgenommen.

    Auf die Aufforderung des Kreisamtes, die Rechtzeitigkeit des
Strafantrages nachzuweisen, reichte Rechtsanwalt H. am 22. Juli 1970
eine Eingabe ein, in der er im wesentlichen ausführte: Ihm (Rechtsanwalt
H.) sei kurz vor dem Prozess im Februar 1970 zu Ohren gekommen, dass sich
Roth ehrverletzend über von Däniken geäussert haben könnte, wobei ihm auch
die Namen der in der Strafklage als Zeugen angerufenen Journalisten Grün
und Dickoff genannt worden seien. Zuverlässige Kenntnis vom Täter und vom
Inhalt seiner Äusserungen habe er aber erst im April 1970 erhalten, nämlich
durch eine persönliche Unterhaltung mit Dickoff in Zürich am 2. April
nach seinem ersten Besuch bei von Däniken und durch ein am 13. April in
Wien aufgegebenes Schreiben Grüns an ihn. Diese Mitteilungen Dickoffs
und Grüns habe er von Däniken erst anlässlich seines letzten Besuchs in
Regensdorfam 23. Mai 1970 bekannt gegeben. Zum Beweis berief sich H. auf
den Brief Grüns vom 13. April 1970, auf die Eheleute Grün, Dickoff und Frau
von Däniken als Zeugen und auf die Kanzlei der Strafanstalt Regensdorf.

    Das Kreisamt Davos erkundigte sich bei der Direktion der
StrafanstaltRegensdorf über den Zeitpunkt der Besuche Rechtsanwalts H. bei
von Däniken und stellte dann das Verfahren mit Verfügung vom 7. Dezember
1970 ein mit der Begründung: Da die Behauptung des Anwalts, dem Kläger
erst am 23. Mai 1970 von der Ehrverletzung Kenntnis gegeben zu haben,
eine reine Parteibehauptung sei und nicht als Beweis gelten könne, fehle
der Nachweis eines rechtzeitigen Strafantrages und damit eine notwendige
Prozessvoraussetzung.

    Von Däniken erhob gegen diese Einstellungsverfügung beim Kleinen
Rat des Kantons Graubünden verfassungsrechtliche Beschwerde wegen
Rechtsverweigerung, wurde aber mit Entscheid vom 22. März 1971
abgewiesen, im wesentlichen aus folgenden Gründen: Die dreimonatige
Antragsfrist des Art. 29 StGB beginne erst vom Moment an zu laufen,
in dem der Antragsberechtigte persönlich (nicht etwa sein Anwalt) Tat
und Täter kenne, wobei dann, wenn zwischen Tat und Strafantrag mehr als
drei Monate lägen, der Antragsberechtigte zu beweisen habe, dass ihm der
Täter nicht mehr als drei Monate vor seinem Strafantrag bekannt geworden
sei. Es sei zu prüfen, ob das Kreisamt diesen Beweis zu Recht als nicht
erbracht betrachtet oder ob es pflichtwidrig die ihm angebotenen Beweise
nicht erhoben habe. Nun habe Rechtsanwalt H. selber erklärt, schon im
Februar 1970 kurz vor dem Prozess Kenntnis von ehrverletzenden Äusserungen
Roths gegenüber Grün und Dickoff erhalten zu haben. Er hätte daher ohne
weiteres die Möglichkeit gehabt, seinen Klienten noch während nahezu zwei
Monaten von Tat und Täter in Kenntnis zu setzen. Der Beweis dafür, dass er
dies nicht getan habe, aber auch dafür, dass von Däniken nicht etwa auf
andere Weise vor dem 13. April 1970 vom eingeklagten Tatbestand Kenntnis
erhalten habe, sei nicht erbracht und könne wohl auch nicht erbracht
werden, da von Däniken in den Verhandlungspausen der Hauptverhandlung
vor Kantonsgericht verschiedentlich Gelegenheit gehabt habe, mit der
"Aussenwelt", insbesondere mit den sehr zahlreich anwesenden Presseleuten,
unkontrolliert Kontakt aufzunehmen. Aus dem Schreiben Grüns vom 13. April
1970, dessen Absendedatum übrigens unbekannt und jedenfalls nicht belegt
sei, gehe zudem unmissverständlich hervor, dass sich Grün schon früher
mit dem Rechtsanwalt des Beschwerdeführers in dieser Angelegenheit
genauestens unterhalten habe und es sich bei jenem Schreiben lediglich
um die schriftliche Bestätigung dieser Unterredung handle. Selbst wenn
aber dem Rechtsanwalt die näheren Umstände des eingeklagten Tatbestands
erst nach dem 14. April 1970 im Detail bekannt geworden wären, so wäre
damit noch nicht bewiesen, dass auch sein Klient nicht schon vor diesem
Datum Kenntnis von Tat und Täter wenigstens im gleichen Umfange wie
sein Rechtsvertreter hatte. Bei dieser Sachlage müsse ein rechtzeitig
gestellter Strafantrag als nicht erbracht gelten und sei das Verfahren
zu Recht eingestellt worden. Auch das Befragen der beiden Journalisten
hätte daran nichts zu ändern vermocht, weshalb ohne weiteres darauf habe
verzichtet werden können.

    B.- Mit der staatsrechtlichen Beschwerde stellt Erich von Däniken den
Antrag, der Entscheid des Kleinen Rates vom 22. März 1971 sei aufzuheben
und die zuständige Strafverfolgungsbehörde über den Kleinen Rat zu
verpflichten, die am 13. Juli 1970 eingereichte Ehrverletzungsklage zu
behandeln und die Strafuntersuchung durchzuführen. Er macht Verletzung
des Art. 4 BV geltend und wirft dem Kleinen Rat Willkür und formelle
Rechtsverweigerung vor. Die Begründung dieser Rügen ergibt sich, soweit
wesentlich, aus den nachstehenden Erwägungen.

    C.- Der Kleine Rat des Kantons Graubünden beantragt unter Hinweis
auf die Akten und die Erwägungen des angefochtenen Entscheids Abweisung
der Beschwerde und verzichtet auf weitere Vernehmlassung. Das Kreisamt
Davos beantragt ebenfalls Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach der durch BGE 69 I 18 eingeleiteten und zuletzt in BGE
96 I 599 E. 2 nach nochmaliger Überprüfung bestätigten Rechtsprechung
des Bundesgerichts ist der durch eine angeblich strafbare Handlung
Geschädigte grundsätzlich nicht legitimiert, gegen die Einstellung des
Strafverfahrens oder gegen ein freisprechendes Urteil staatsrechtliche
Beschwerde zu erheben. Und zwar gilt dies auch für Ehrverletzungsklagen,
gleichgültig, ob die Ehrverletzung nach dem kantonalen Recht im Straf- oder
im Zivilprozess zu verfolgen ist (BGE 69 I 90, 72 I 293). Dagegen ist der
Geschädigte, obwohl ihm die Legitimation in der Sache selbst abgeht, nach
der neuern Rechtsprechung legitimiert, mit staatsrechtlicher Beschwerde
die Verletzung solcher Rechte zu rügen, die ihm das kantonale Recht wegen
seiner Stellung als am Strafverfahren beteiligter Partei einräumt und deren
Missachtung einer formellen Rechtsverweigerung gleich- oder nahekommt (BGE
94 I 554 E. 2). Eine solche Verletzung von Parteirechten liegt z.B. vor,
wenn im Kanton Luzern eine Privatklage ohne Durchführung der Untersuchung
offensichtlich zu Unrecht wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung (§
59 StPO) von der Hand gewiesen wird, da der Privatkläger dann weder die
ihm bei der Durchführung der Untersuchung zustehenden Rechte geltend
machen noch die ihm gegen die Einstellung der Untersuchung zustehenden
Rechtsmittel ergreifen kann (nicht veröffentlichtes Urteil vom 23. Dezember
1970 i.S. Max Hommel & Co. S. 5/6; vgl. auch BGE 97 I 109).

    Im vorliegenden Falle hat das Kreisamt Davos das vom Beschwerdeführer
durch die Klageschrift vom 13. Juli 1970 eingeleitete Strafverfahren
mangels rechtzeitigen Strafantrags, also wegen Fehlens einer
Prozessvoraussetzung, eingestellt, und der Kleine Rat hat diese Verfügung
geschützt. Mit der staatsrechtlichen Beschwerde wird geltend gemacht,
hierin liege eine formelle Rechtsverweigerung, weil den zum Beweis
der Rechtzeitigkeit gestellten Anträgen nicht entsprochen und aus dem
Schreiben Grüns vom 13. April 1970 ein willkürlicher Schluss gezogen
worden sei. Zu dieser Rüge ist der Beschwerdeführer legitimiert. Er
hat einen Anspruch darauf, dass das Strafverfahren beim Vorliegen der
gesetzlichen Voraussetzungen durchgeführt wird, und darf nicht mit
einer in unhaltbarer Weise begründeten Einstellung des Verfahrens wegen
Fehlens einer solchen Voraussetzung, nämlich der Rechtzeitigkeit des
Strafantrags, um das Recht gebracht werden, die Frage der Rechtzeitigkeit
des Strafantrags dem zuständigen Richter zu unterbreiten und gegen dessen
Entscheid nötigenfalls die kantonale Berufung und die eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde zu ergreifen.

    Auf die Beschwerde ist somit grundsätzlich einzutreten. Nicht
einzutreten ist auf sie lediglich insoweit, als der Beschwerdeführer
mehr als die Aufhebung des angefochtenen Entscheids verlangt, denn
staatsrechtliche Beschwerden haben, von hier nicht in Betracht fallenden
Ausnahmen abgesehen, rein kassatorische Funktion (BGE 96 I 634 E. 2a
mit Verweisungen).

Erwägung 2

    2.- Das Antragsrecht erlischt nach Art. 29 StGB nach Ablauf
von drei Monaten. Diese Frist beginnt mit dem Tage, an welchem dem
Antragsberechtigten der Täter und (was Art. 29 nicht ausdrücklich
sagt, sich aber von selbst versteht) die Tat bekannt wird (BGE 80 IV
3). Erforderlich ist dabei eine sichere, zuverlässige Kenntnis, die
ein Vorgehen gegen den Täter als aussichtsreich erscheinen lässt; das
Kennenmüssen oder ein blosser Verdacht genügt nicht (BGE 76 IV 6, 80 IV
4). Die Frist beginnt sodann, wie der angefochtene Entscheid zutreffend
feststellt, erst zu laufen, wenn der Verletzte persönlich, nicht schon,
wenn sein bevollmächtigter Vertreter die Tat und den Täter kennt (BGE 80
IV 213).

    Der vorliegende, am 13. Juli 1970 gestellte Strafantrag ist demnach
rechtzeitig, wenn dem Beschwerdeführer selber Tat und Täter nicht vor
dem 14. April 1970 bekannt geworden sind. Der Beschwerdeführer hat dies
behauptet, indem er geltend machte, er habe die erforderliche Kenntnis erst
am 23. Mai 1970 durch die Mitteilung seines Verteidigers anlässlich eines
Besuches in der Strafanstalt Regensdorf erhalten. Beim vorangegangenen
Besuch vom 2. April 1970 habe ihm sein Verteidiger deshalb keine Kenntnis
geben können, weil dieser selbst die Äusserungen Roths gegenüber Grün wie
gegenüber Dickoff erst nach jenem Besuch erfahren habe. Zum Beweis für
diese Sachdarstellung hat sich der Beschwerdeführer u.a. auf den Brief
Grüns vom 13. April 1970 und auf die Zeugen Grün und Dickoff berufen.

Erwägung 3

    3.- Der Kleine Rat ist der Auffassung, die Rechtzeitigkeit des
Strafantrages, deren Beweis dem Beschwerdeführer obliege, sei deshalb
unbewiesen und auch unbeweisbar, weil selbst dann, wenn der Verteidiger
ihm seine Informationen erst am 23. Mai 1970 weitergegeben haben sollte,
die Möglichkeit bestehe, dass der Beschwerdeführer auf andere Weise schon
vor dem 13. April 1970 vom eingeklagten Tatbestand Kenntnis erhalten habe.

    Sofern der Kleine Rat damit sagen will, die Antragsfrist beginne
mit der blossen Möglichkeit der Kenntnisnahme, so läge hierin eine mit
dem klaren Wortlaut und Sinn unvereinbare Auslegung des Art. 29 StGB,
denn wenn eine sichere, zuverlässige Kenntnis des Verletzten von Tat
und Täter erforderlich ist und das Kennenmüssen nicht genügt (BGE 76 IV
6, 80 IV 4), so kann noch weniger die blosse Möglichkeit der Kenntnis
genügen. Sollten die Ausführungen des Kleinen Rates dagegen dahin zu
verstehen sein, der Verletzte habe nicht nur zu beweisen, wann er vom
eingeklagten Tatbestand Kenntnis erhalten habe, sondern überdies, dass er
ihn nicht schon früher gekannt habe, so würde auch hierin eine unhaltbare,
auf eine formelle Rechtsverweigerung hinauslaufende Auslegung des Art. 29
StGB liegen. Der Verletzte wird meist in der Lage sein, anzugeben und
Beweise dafür anzubieten, bei welcher Gelegenheit er Kenntnis von Tat und
Täter erhalten hat. Dagegen wird ihm der Beweis, bis dahin keine Kenntnis
erhalten zu haben, kaum je gelingen, ist doch der Beweis einer negativen
Tatsache in der Regel unmöglich (vgl. BGE 66 II 147, 74 IV 94). Vom
Verletzten diesen negativen Beweis zu verlangen, bedeutet praktisch nichts
anderes, als die Antragsfrist im Widerspruch zu Art. 29 StGB nicht von
der Kenntnis des Verletzten von Tat und Täter, sondern schon von der Tat
an laufen zu lassen. Wenn der negative Beweis, wie der Kleine Rat meint,
vom Beschwerdeführer nicht erbracht werden kann, der während der ganzen
Zeit zwischen der Tat und der Einreichung der Strafklage verhaftet war,
ist es undenkbar, dass ihn ein während dieser Zeit in Freiheit befindlicher
Verletzter erbringen kann. Offenbar im Hinblick auf die Unmöglichkeit
des negativen Beweises hat das Walliser Kantonsgericht entschieden,
bei Ehrverletzungen obliege es dem Beschuldigten, die Verspätung des
Strafantrages zu beweisen (Rechtsprechung in Strafsachen 1953 S. 4
Nr. 12). Selbst wenn man nicht so weit gehen will, hat doch, wie GERMANN
(StGB mit kurzen Erläuterungen, 8. Aufl. 1966 S. 56) ausführt, im Zweifel
die Frist als eingehalten zu gelten, wenn keine ernsthaften Anhaltspunkte
dafür vorliegen, dass dem Antragsberechtigten Tat und Täter schon früher
bekannt waren. Unter diesem Gesichtspunkt ist daher zu prüfen, ob der
Kleine Rat den Strafantrag des Beschwerdeführers aufgrund der Akten als
verspätet betrachten durfte oder durch Nichtabnahme angebotener Beweise
dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör verweigert hat.

Erwägung 4

    4.- Gegenstand der Ehrverletzungsklage des Beschwerdeführers sind
zwei zu verschiedenen Zeitpunkten erfolgte und inhaltlich verschiedene
Äusserungen Roths, die eine gegenüber Grün, die andere gegenüber
Dickoff. Sind sie ehrverletzend, so ist jede für sich strafrechtlich
verfolgbar, weshalb die Rechtzeitigkeit des Strafantrags inbezug auf jede
dieser Äusserungen gesondert abzuklären ist.

    a) Der Beschwerdeführer hat geltend gemacht, sein Verteidiger habe
von den Äusserungen Roths gegenüber Grün erstmals durch das Schreiben
vom 13. April 1970 zuverlässige Kenntnis erhalten. Dieser Brief beweist
in der Tat, dass der Verteidiger frühestens am 14. April 1970 genaue
Kenntnis von den eingeklagten Äusserungen und damit die Möglichkeit der
Information des Beschwerdeführers erhalten hat, vorausgesetzt, dass der
Brief nicht nachdatiert ist und nicht die Bestätigung einer früheren
mündlichen Mitteilung enthält. Über beides kann offenbar nur der vom
Beschwerdeführer als Zeuge angerufene Briefverfasser Grün Auskunft
geben. Die Weigerung, ihn als Zeugen einzuvernehmen, stellt daher eine
Verweigerung des rechtlichen Gehörs dar, falls nicht triftige Gründe
bestehen, aus denen von der Einvernahme Grüns abgesehen werden darf.

    Inbezug auf den im angefochtenen Entscheid angedeuteten Zweifel
am Absendedatum des Briefes hat der Kleine Rat nichts vorgebracht,
was die Einvernahme Grüns als überflüssig erscheinen liesse. Sofern der
Kleine Rat ernstlich mit der Möglichkeit einer Nachdatierung des Briefes
rechnet, erweist sich daher die Einvernahme Grüns über das Absendedatum
als unerlässlich.

    Sie ist es auch, soweit der Kleine Rat die Möglichkeit einer früheren
mündlichen Mitteilung Grüns an Rechtsanwalt H. in Betracht zieht. Er
behauptet freilich, aus dem Brief Grüns ergebe sich unmissverständlich,
dass es sich dabei lediglich um eine schriftliche Bestätigung einer
früheren mündlichen Unterredung handle. Von einer solchen Unterredung ist
aber in diesem Brief mit keinem Worte die Rede. Sollte der Kleine Rat wegen
des im Brief verwendeten Ausdrucks "bestätigen", im Hinblick auf die im
Briefeingang erwähnte, nicht bei den kantonalen Akten befindliche Anfrage
H. vom 6. März 1970 oder aus andern Gründen mit der Möglichkeit rechnen,
das Schreiben Grüns enthalte die Bestätigung einer früheren mündlichen
Mitteilung, so hat der Beschwerdeführer aufgrund von Art. 4 BV Anspruch
auf Abklärung dieser Zweifel durch die Einvernahme Grüns. Hievon kann,
entgegen der Auffassung des Kleinen Rates, nicht etwa deswegen abgesehen
werden, weil es nicht ausgeschlossen ist, dass der Beschwerdeführer
"auf andere Weise" (als durch die Mitteilung seines Verteidigers vom
23. Mai 1970), etwa durch die Kontaktnahme mit Presseleuten während
der Verhandlungspausen des Prozesses vor Kantonsgericht anfangs Februar
1970, zuverlässige Kenntnis vom eingeklagten Tatbestand erhalten haben
könnte. Diese blosse Möglichkeit vermag nach dem in Erw. 3 Gesagten die
Einstellung des Verfahrens mangels rechtzeitigen Strafantrags keinesfalls
zu rechtfertigen. Es müssten mindestens ernsthafte Anhaltspunkte
für eine solche mehr als drei Monate vor Einreichung der Strafklage
erfolgte Kenntnisnahme vorliegen. Solche Anhaltspunkte könnten sich,
da die ehrverletzenden Äusserungen Roths gegenüber Grün erfolgten, wohl
am ehesten aus der Befragung Grüns darüber ergeben, ob, wann und welchen
Personen er die angeblichen Äusserungen Roths mitteilte und ob dies auch
gegenüber dem Beschwerdeführer geschah, was wiederum die Einvernahme Grüns
vor der Einstellung des Strafverfahrens als unumgänglich erscheinen lässt.

    b) Was die Äusserungen Roths gegenüber Dickoff betrifft, so hat
der Beschwerdeführer geltend gemacht, sein Verteidiger habe davon erst
am Abend des 2. April 1970 zuverlässige Kenntnis erhalten und sie dem
Beschwerdeführer ebenfalls am 23. Mai 1970 bekannt gegeben. Zum Beweis
dafür hat er sich auf Dickoff als Zeugen berufen. Da der Zeitpunkt
der Mitteilung Dickoffs an den Verteidiger im Hinblick auf die
Rechtzeitigkeit der Strafklage wiederum von entscheidender Bedeutung
ist, hat der Beschwerdeführer auch Anspruch auf Einvernahme dieses
Zeugen, wenn der Kleine Rat mit der Möglichkeit einer früheren Kenntnis
des Beschwerdeführers rechnet. Die Einstellung des Verfahrens mangels
rechtzeitigen Strafantrages ohne diese Einvernahme stellt aus den hievor
zum Falle Roth/Grün dargelegten Gründen ebenfalls eine Verweigerung des
rechtlichen Gehörs dar, die zur Aufhebung des angefochtenen Entscheides
führt.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Soweit auf die Beschwerde einzutreten ist, wird sie im Sinne der
Erwägungen gutgeheissen und der Entscheid des Kleinen Rates des Kantons
Graubünden vom 22. März 1970 aufgehoben.