Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 I 602



97 I 602

82. Auszug aus dem Urteil vom 17. März 1971 i.S. Sticher und Mitbeteiligte
gegen Einwohnergemeinde Müswangen. Regeste

    Art. 20 Abs. 1 EntG.

    Unter welchen Voraussetzungen kann bei der Ermittlung des Verkehrswerts
eine "bessere Verwendung" berücksichtigt werden?

Sachverhalt

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Die geschuldete Enteignungsentschädigung soll der Wertverminderung
entsprechen, welche die fraglichen Grundstücke infolge ihrer Belastung
mit einer Schiessdienstbarkeit erfahren (Art. 19 lit. b EntG). Diese
wirkt sich naturgemäss verschieden aus, je nachdem es sich bei den
betroffenen Grundstücken um landwirtschaftliches Kulturland oder um
Bauland handelt. Im ersten Fall haben die Enteigneten bloss Anspruch auf
Ausgleich der wertmässigen Beeinträchtigung ihrer landwirtschaftlich
genutzten Grundstücke. Stellen die belasteten Parzellen jedoch
Bauland dar, so hat die Enteignerin eine Entschädigung zu entrichten,
welche dem Unterschiedsbetrag zwischen dem im massgeblichen Zeitpunkt
realisierbaren Veräusserungspreis und dem landwirtschaftlichen Nutzungswert
entspricht; dabei ist - gleich wie im ersten Fall - die Wertverminderung
zu berücksichtigen, welche das Kulturland infolge des zeitlich beschränkten
Schiessbetriebs erfährt.

    Massgebend für Zuordnung und Bewertung der belasteten Grundstücke sind
die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des angefochtenen Entscheids
der Eidg. Schätzungskommission (BGE 92 I 247, 89 I 349). Als Stichtag für
die Bemessung der Enteignungsentschädigung gilt somit im vorliegenden Fall
der 31. Oktober 1967. Ob einer besseren Verwendung im Sinne von Art. 20
Abs. 1 EntG Rechnung zu tragen ist, beurteilt sich ebenfalls aufgrund
der damals bestehenden Verhältnisse. Die Enteigneten verkennen jedoch die
Tragweite dieser Bestimmung, wenn sie behaupten, das Bundesgericht habe
in diesem Zusammenhang sämtliche im Weiterziehungsverfahren getroffenen
Erschliessungsmassnahmen zu berücksichtigen. Die in Art. 20 Abs. 1 EntG
verankerte Verpflichtung des Enteignungsrichters will lediglich besagen,
dass bei der Ermittlung des Verkehrswerts nicht allein auf die zufällige
Verwendung im Zeitpunkt der Enteignung abgestellt werden darf, sondern
auch auf eine bessere Nutzung Rücksicht zu nehmen ist, wenn diese für
die nächste Zukunft feststeht oder sehr wahrscheinlich ist (HESS, N. 4 zu
Art. 20 EntG; A. GRISEL, Droit administratif suisse, S. 373; ZBl 69/1968,
S. 98). Dies trifft namentlich dann zu, wenn Grundstücke zu schätzen sind,
die noch landwirtschaftlich genutzt werden, obwohl sie im Baugebiet liegen,
und für die deshalb im Falle eines Verkaufs Baulandpreise erzielt werden
könnten (HESS, N. 5 zu Art. 20 EntG). Inwieweit enteignete Parzellen
einer besseren Verwendung im Sinne von Art. 20 Abs. 1 EntG zugänglich
sind, hat die Schätzungskommission aufgrund einer kritischen Würdigung
der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt ihres Urteils zu entscheiden.
Dabei steht ihr - und im Weiterziehungsverfahren auch dem Bundesgericht
- naturgemäss ein weiter Ermessensspielraum offen. Sind unerschlossene,
ausserhalb des Baugebiets liegende Parzellen zu bewerten, so darf eine
bessere Verwendung als Bauland nicht leichthin angenommen werden;
sie ist nur dann zu bejahen, wenn sichere Anzeichen auf eine in
Kürze bevorstehende Erschliessung hindeuten und überdies mit hoher
Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, dass im betreffenden Gebiet
in naher Zukunft gebaut worden wäre. Erschliessungsbestrebungen und
Planungsmassnahmen, die erst im Weiterziehungsverfahren erfolgt sind
und mit denen im Zeitpunkt des Entscheids der Schätzungskommission nicht
ernstlich zu rechnen war, vermögen keine bessere Verwendung im Sinne von
Art. 20 Abs. 1 EntG als glaubhaft erscheinen zu lassen, denn derartige
tatsächliche Veränderungen sind weitgehend zufällig und fallen bei
der Bestimmung des Verkehrswerts eines enteigneten Grundstücks ausser
Betracht, da die Enteignungsentschädigung nicht dazu bestimmt ist,
allenfalls realisierbare Spekulationsgewinne abzugelten (vgl. HESS,
N. 6 zu Art. 20 EntG; P. WIEDERKEHR, Die Expropriationsentschädigung,
Diss. Zürich 1966, S. 26; P. FREUDENREICH, Ausgewählte Fragen aus dem Recht
der Enteignungsentschädigung, Diss. Basel 1968 (Maschinenschrift), S. 70).