Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 I 60



97 I 60

10. Urteil vom 29. Januar 1971 i.S. X. gegen Regierungsrat des Kantons
Zürich. Regeste

    Art. 100 lit. b und Art. 101 lit. d OG; Art. 10 ANAG.

    Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Verweigerung
vorübergehender Aufhebung der gestützt auf Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG
erlassenen Ausweisung; Verbindlichkeit des rechtskräftigen Entscheides über
die Ausweisung trotz strafrechtlicher Rehabilitation des Gesuchstellers
(Erw. 1 und 2).

    Fehlt ein völkerrechtlicher Anspruch auf Wiedereinreise, so ist die
Behörde auch beim Entscheid über vorübergehende Aufhebung der Ausweisung
auf das pflichtgemässe Ermessen verwiesen; Überprüfung des Entscheides
auf Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens (Erw. 3); für die
Interessenabwägung massgebende Gesichtspunkte (Erw. 4).

Sachverhalt

    A.- Das Divisionsgericht 8 verurteilte den deutschen Staatsangehörigen
X. am 10. Dezember 1942 wegen versuchter Anstiftung zur Verletzung
militärischer Geheimnisse, politischen Nachrichtendienstes und
Nachrichtendienstes gegen fremde Staaten im Abwesenheitsverfahren zu
acht Jahren Zuchthaus und fünfzehn Jahren Landesverweisung. Das Urteil
erwuchs in Rechtskraft. Ferner verurteilte das Territorialgericht
3 A den Beschwerdeführer am 26. Oktober 1944 wegen Versuches der
Verletzung militärischer Geheimnisse, militärischen Nachrichtendienstes
bzw. Anstiftung hiezu sowie wegen versuchter Anstiftung zur Verletzung
militärischer Geheimnisse im Abwesenheitsverfahren zu einer Zusatzstrafe
von zwei Jahren Zuchthaus. Die Strafurteile konnten wegen des Aufenthalts
des Beschwerdeführers in Deutschland nicht vollstreckt werden.

    Am 11. Februar 1943 hat die Polizeidirektion des Kantons Zürich den
Beschwerdeführer auf Grund von Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG dauernd aus
der Schweiz ausgewiesen. Diese Verfügung konnte dem Beschwerdeführer
erst am 24. April 1968 zugestellt werden, als er sich in einem Hotel
in B. aufhielt. Am 16. Mai 1968 ersuchte der Beschwerdeführer um die
Aufhebung der Ausweisung. Die Polizeidirektion wies das Begehren
ab. Das Militärkassationsgericht hat am 17. Juli 1968 die gegen den
Beschwerdeführer ergangenen Strafurteile im Strafregister gelöscht. Den
Rekurs des Beschwerdeführers gegen die Verfügung der Polizeidirektion
hat der Regierungsrat am 30. Januar 1969 abgewiesen.

    Am 11. November 1969 ersuchte der Beschwerdeführer die Eidgen.
Fremdenpolizei, ihm die Einreise in die Schweiz für die Dauer einer Woche
zu gestatten. Die Fremdenpolizei überwies das Gesuch zuständigkeitshalber
der Polizeidirektion des Kantons Zürich. Diese wies das Begehren
ab. Den Rekurs dagegen hat der Regierungsrat des Kantons Zürich am
12. März 1970 abgewiesen, im wesentlichen mit der Begründung: der
Beschwerdeführer habe keinen Rechtsanspruch auf vorübergehende Einstellung
der Ausweisung. Diese könnte nur aufgehoben werden, wenn feststünde,
dass ein öffentliches Interesse daran festzuhalten nicht mehr vorhanden
sei. Bis zum Jahre 1961 habe der Regierungsrat von Personen, die seinerzeit
der nationalsozialistischen Weltanschauung zum Durchbruch verhelfen
wollten, erklärt, sie seien selbst dann weiterhin unerwünscht, wenn ihre
Anwesenheit für die Schweiz keine Gefahr mehr bedeuten würde. Erst damals
habe er Richtlinien für eine Lockerung dieser Rechtsprechung erlassen
und die Polizeidirektion ermächtigt, Ausweisungsbeschlüsse gegenüber
leichter belasteten Nationalsozialisten auf Gesuch hin aufzuheben. Der
Beschwerdeführer erfülle die Voraussetzungen für die Anwendung dieser neuen
Praxis nicht. Auch der Zeitablauf und die Rehabilitation könnten nicht
massgebend sein. Der Beschwerdeführer sei immer noch unerwünscht, auch für
einen kürzeren Aufenthalt. Er plane übrigens für später weitere Aufenthalte
in der Schweiz. Geschäftliche Interessen vermöchten einen gegenteiligen
Entscheid nicht zu rechtfertigen. Das Interesse der Öffentlichkeit an der
Fernhaltung eines Verräters überwiege. Eine besondere Härte sei für den
Beschwerdeführer mit der Abweisung des Gesuches nicht verbunden. Auch das
Legalitätsprinzip sei nicht verletzt. Die Ausweisung auf unbestimmte Dauer
wäre sinnlos, wenn sie auf den Zeitpunkt der Verjährung der Strafe und der
Rehabilitierung des Täters aufgehoben werden müsste. Nach dem Willen des
Gesetzgebers solle die Ausweisung für immer gelten und dieser Grundsatz
nur in seltenen Ausnahmefällen durchbrochen werden. Die Landesverweisung
verfolge von der administrativen Wegweisung verschiedene Ziele.

    B.- Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt X., die Ausweisung
für die Dauer einer Woche aufzuheben.

    Die Begründung des Antrages ergibt sich soweit notwendig aus den
nachfolgenden Erwägungen.

    C.- Der Regierungsrat des Kantons Zürich beantragt die Abweisung
der Beschwerde.

    Das Eidgen. Justiz- und Polizeidepartement schliesst ebenfalls auf
Abweisung.

    D.- Über die Zuständigkeit zur Behandlung der Beschwerde hat das
Bundesgericht einen Meinungsaustausch mit dem Bundesrat durchgeführt. Darin
wurde die Zuständigkeit des Bundesgerichts zur Behandlung der Beschwerde
festgestellt.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Auf dem Gebiet der Fremdenpolizei ist die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht zulässig gegen Verfügungen über die
Einreiseverweigerung, die Einreisebeschränkung und die Einreisesperre
(Art. 100 lit. b Ziff. 1 OG); gleiches gilt für Verfügungen über das
Asylrecht (Ziff. 2), die Erteilung oder Verweigerung von Bewilligungen,
auf die das Bundesrecht keinen Anspruch gibt (Ziff. 3), sowie gegen die
Ausweisung, welche sich auf Art. 70 BV stützt und gegen die Wegweisung
(Ziff. 4). Die Beschwerde ist dagegen zulässig gegen die Ausweisung,
die von einer kantonalen Behörde auf Grund von Art. 10 f. ANAG, also
z.B. dann angeordnet wird, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens oder
Vergehens gerichtlich bestraft wurde (Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG; Botschaft
des Bundesrates zur Revision des OG, BBl 1965 II 1306; GRISEL, Droit
administratif suisse S. 500 lit. b). Aus der Ausweisung im Sinn von Art. 10
ANAG ergibt sich begriffsnotwendig eine implicite Einreisesperre für die
Dauer der Ausweisung. Sie ist nicht identisch mit der Einreisesperre im
Sinn von Art. 100 lit. b Ziff. 1 OG. Denn als solche hat die Sperre zu
gelten, die sich aus Art. 13 ANAG oder aus Art. 2 des BRB vom 10. April
1946 über Einreise und Anmeldung der Ausländer ergibt. Wird die Ausweisung
eingestellt, die sich aus Art. 10 ANAG ergibt, so zieht die Einstellung
die Aufhebung der mit der Ausweisung verbundenen Einreisesperre nach sich
und bildet deren notwendige Folge. Sie charakterisiert sich als Widerruf
und unterliegt nach Art. 101 lit. d OG der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

    Da die angefochtene Einreisesperre auch von einer
letztinstanzlichen kantonalen Behörde ausgeht, steht dem Betroffenen die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde zur Verfügung.

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer verweist darauf, dass der Regierungsrat
das Gesuch um gänzliche Aufhebung der Ausweisung abgewiesen hat, obwohl
das Militärkassationsgericht die Strafen mittlerweile im Strafregister
gelöscht hatte. Er macht aber mit Recht nicht geltend, dass sich die
Gutheissung der Beschwerde automatisch aus der Rehabilitation ergebe. Jene
Entscheidung ist in Rechtskraft erwachsen und kann in diesem Verfahren
nicht überprüft werden. Die Frage stellt sich deshalb nicht, ob eine
Löschung im Strafregister ohne weiteres die Aufhebung der sich auf die
strafgerichtliche Verurteilung stützenden administrativen Ausweisung
nach sich zieht. Das Bundesgericht ist an den Entscheid der Ausweisung in
diesem Verfahren gebunden, solange er nicht von der zuständigen Behörde
aufgehoben wird.

    Wenn sowohl die gesetzliche Grundlage als der Zweck der administrativen
Ausweisung von einander verschieden sind (HOFMANN, Das Verhältnis
der gerichtlichen Landesverweisung als Nebenstrafe zur administrativen
Ausweisung, SJZ Bd. 53 1957 S. 313), darf übrigens angenommen werden, dass
auch der Hinfall der gerichtlichen Landesverweisung durch Rehabilitation
nicht automatisch den Wegfall der administrativen Ausweisung zur
Folge haben muss. Auch für andere Gebiete gilt der Grundsatz, dass die
Verwaltungsbehörde die Verwaltungsgesetze unabhängig vom Strafrecht
anzuwenden hat, jedenfalls wenn sich der Entscheid im Rahmen des der
Verwaltung zustehenden Ermessens hält, sofern das Gesetz sie auf dieses
verweist.

Erwägung 3

    3.- Nach Art. 10 ANAG kann der Ausländer u.a. dann ausgewiesen werden,
wenn er wegen eines Verbrechens oder Vergehens gerichtlich bestraft wurde.
Doch soll die Ausweisung nur angeordnet werden, wenn sie nach den gesamten
Umständen als angemessen erscheint. Was für die Ausweisung selber gilt, ist
auch für die Einstellung und die damit verbundene Einreisesperre rechtens.

    Der Charakter der Bestimmung als Kann-Vorschrift und die Anweisung
an die Behörde, die sämtlichen Umstände zu berücksichtigen, machen
klar, dass es sich um einen Entscheid handelt, den die Behörde nach
pflichtgemässem Ermessen zu treffen hat, vom Falle immerhin abgesehen,
wo ein völkerrechtlicher Anspruch auf Wiedereinreise besteht (BBl
1965 II 1307, 1315; GRISEL aaO). Auf einen derartigen Anspruch aus
Staatsvertragsrecht kann sich der Beschwerdeführer nicht berufen. Mit der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann deshalb ausser der Rüge unrichtiger
oder unvollständiger Tatbestandsfeststellung und derjenigen der Verletzung
von Bundesrecht nur die Rüge der Überschreitung oder des Missbrauchs des
behördlichen Ermessens, nicht auch der Unangemessenheit der Verfügung
erhoben werden (Art. 104 OG). Der Beschwerdeführer behauptet einen
derartigen Ermessensmissbrauch.

Erwägung 4

    4.- Die angefochtene Entscheidung wird damit begründet, dass, weil der
Beschwerdeführer keinen Anspruch auf Einreise in die Schweiz, d.h. auf
Einstellung der Ausweisung besitze, darüber wie bei der Gewährung eines
Aufenthalts grundsätzlich nach freiem Ermessen zu entscheiden und deshalb
nur der Grundsatz der Rechtsgleichheit zu berücksichtigen sei. Dieser
Grundsatz werde durch die Verweigerung der vorübergehenden Einstellung
nicht verletzt. Demgegenüber macht der Beschwerdeführer geltend, der
Entscheid dürfe nicht nur danach ausgerichtet werden; es habe vielmehr
eine Interessenabwägung Platz zu greifen und die Behörde habe den Grundsatz
der Verhältnismässigkeit zu beachten.

    Die Einstellung der Ausweisung ist mit dem angefochtenen Entscheid
jedoch nicht bloss deshalb verweigert worden, weil der Beschwerdeführer
damit nicht rechtsungleich behandelt werde. Sie wird damit begründet, dass
das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers schwer, und dass unsicher
sei, ob die Verurteilung ohne den Vollzug der Strafe die verschiedenen
Strafzwecke erreicht habe; ferner damit, dass der Beschwerdeführer den
Aufenthalt in der Schweiz wiederholen wolle und dass die geschäftlichen
Besprechungen, für welche die Einreisebewilligung verlangt werde, diese
nicht zu rechtfertigen vermöchten.

    Dass der Beschwerdeführer bei gleichen tatsächlichen Verhältnissen
mit der Verweigerung der Einreisebewilligung anders, schlechter
behandelt worden sei als andere Gesuchsteller, wird von ihm nicht
behauptet. Er gehört nicht zu den Personen, auf welche die neuere Praxis
des Regierungsrates zutrifft. Die Verbrechen, wegen deren er verurteilt
worden ist, sind nicht leicht, sondern müssen als schwer bezeichnet
werden, objektiv sowohl als subjektiv, auch wegen ihrer Häufung und
Wiederholung. Dass er im Abwesenheitsverfahren verurteilt wurde, sich vor
dem Strafrichter nicht stellte, ist nicht erheblich. Er behauptet nicht,
dass bestimmte, zu seinen Gunsten sprechende Umstände nicht gewürdigt
wurden. Er hätte sich dies auch selbst zuzuschreiben gehabt. Dasselbe
gilt von der Behauptung, die während des Krieges gefällten Urteile seien
aus der damaligen Zeit und Mentalität zu verstehen und die Verurteilung
wäre unter veränderten Verhältnissen möglicherweise anders ausgefallen.
Von welcher Intensität die verbrecherische Gesinnung des Täters, und
ob das begangene Verbrechen objektiv schwer war, beurteilt sich nach
dem Zeitpunkt der Urteilsfällung. Es durfte auch berücksichtigt werden,
dass der Beschwerdeführer sich dem Vollzug der Urteile zu entziehen wusste.

    Ob dem Umstand Bedeutung zukommt, dass der Beschwerdeführer gegenwärtig
für die Sicherheit des Landes keine Gefahr darstellen dürfte, mag auf
sich beruhen. Jedenfalls brauchte hierauf nicht entscheidend abgestellt
zu werden. Der Ausländer, der in einer für die Unabhängigkeit des
Gastlandes schweren Zeit wegen Verletzung militärischer Geheimnisse und
verbotenen Nachrichtendienstes verurteilt worden ist, und der sich der
Strafe entzogen hat, ist auch unerwünscht, wenn sich die politischen
Verhältnisse inzwischen geändert haben und eine Wiederholung des
Verbrechens nicht mehr zu befürchten ist. Das öffentliche Interesse an
seiner Fernhaltung dauert fort, sofern nicht ganz gewichtige Interessen
des Ausgewiesenen die Aufhebung der Einreisesperre rechtfertigen. Ein
solcher Grund liegt nicht vor.

    Der Beschwerdeführer hat das Gesuch damit begründet, dass er
zur schweizerischen Industrie enge Beziehungen habe und dass die
Zusammenarbeit mit einer Firma einlässliche Verhandlungen erfordere,
welche seine persönliche Anwesenheit in der Schweiz notwendig machen. Er
würde auch persönlich untragbar, wenn er an Verhandlungen und Sitzungen
nicht mehr teilnehmen könnte.

    Der Beschwerdeführer hat unterlassen, diese Behauptungen glaubhaft zu
machen. Weder ergibt sich aus seinen Vorbringen, dass die vorgesehenen
geschäftlichen Verhandlungen nicht in Deutschland oder in einem andern
Lande möglich sind, noch dass sie in der Schweiz nicht durch andere
Organe, oder dass sie nicht schriftlich oder telephonisch geführt werden
können. Dafür, dass es sich nicht um die Interessen einer einzelnen
schweizerischen Fabrik handeln kann, spricht der Umstand, dass der
Beschwerdeführer bereits in B. Besprechungen und Verhandlungen geführt
hat. Warum er sich nicht durch jemand anders vertreten lassen kann,
ist ebenfalls nicht ersichtlich. Das blosse wirtschaftliche Interesse
an der Ausdehnung der Geschäftstätigkeit, von der nicht feststeht, dass
sie für den Beschwerdeführer wichtig ist, vermag dasjenige, dass der
Beschwerdeführer im Hinblick auf seine Verurteilung die Schweiz nicht
mehr soll betreten können, nicht aufzuwiegen.

    Es stellt deshalb weder einen Ermessensmissbrauch noch eine
Überschreitung des Ermessens dar, wenn die kantonale Behörde die
Einstellung der Ausweisung auch nicht vorübergehend auf gehoben hat.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.