Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 I 524



97 I 524

72. Auszug aus dem Urteil vom 22. September 1971 i.S. Gemeinde Flims
gegen Schweiz. Eidgenossenschaft (PTT-Betriebe) und Verwaltungsgericht
des Kantons Graubünden. Regeste

    Erstellung von Telephonleitungen.

    Die Vorschriften der Art. 5-7 des eidg. Elektrizitätsgesetzes über die
Erstellung von Telephonlinien enthalten nicht nur öffentlichrechtliche
Eigentumsbeschränkungen, sondern auch eine Befreiung vom kantonalen und
kommunalen Baupolizeirecht. Die Gemeinden können daher die Aufstellung
von Telephonstangen nicht von einer Baubewilligung abhängig machen.

Sachverhalt

                      Aus dem Sachverhalt:

    A.- Zur Bedienung neuer Hotel- und Skiliftanlagen auf dem Crap
Sogn Gion (Gemeinde Falera) und im Gebiet Nagiens (Gemeinde Flims)
erstellte die Kreistelephondirektion Chur (KTD) im Jahre 1969 eine neue
Telephonleitung. Diese schliesst im Gebiet von La Runca an eine im Boden
verkabelte Leitung an und führt zunächst verkabelt durch offenes Land
und dann als Freileitung durch Wald.

    Mit Schreiben vom 27. Februar 1969 an die Generaldirektion der
PTT-Betriebe in Bern verlangte der Gemeinderat Flims unter Hinweis
auf Art. 7 ElG und das Gemeindebaugesetz vom 19. März 1968 (BauG) ein
"Mitspracherecht bei der Linienführung und der Zuführungsart (unterirdisch
oder oberirdisch)". Die Generaldirektion der PTT-Betriebe antwortete am
22. April 1969, für den Bau von Telephonleitungen sei ausschliesslich
Bundesrecht massgebend; die KTD werde sich im Falle der Benützung von
öffentlichem Boden mit dem Gemeinderat "ins Einvernehmen" setzen; sollte
es zu keiner Verständigung kommen, so werde der Bundesrat entscheiden.

    Nachdem im Gebiet Stretg fünf Telephonstangen auf privatem Boden der
Bürgergemeinde Flims aufgestellt worden waren, beschloss die Baubehörde
Flims, der KTD wegen Nichteinholung der nach Art. 44 BauG erforderlichen
Baubewilligung gemäss Art. 75 BauG eine Busse von Fr. 1'000.--
aufzuerlegen.

    Hiegegen erhob die Generaldirektion der PTT-Betriebe namens der
Schweiz. Eidgenossenschaft Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden. Dieses hiess die Beschwerde mit Entscheid vom 29. April
1970 gut und hob die Bussenverfügung auf, im wesentlichen aus folgenden
Gründen: Telephonfreileitungen seien keine "Bauten" im Sinne des BauG. Für
eine Unterstellung solcher Leitungen unter das BauG bestehe auch kein
Bedürfnis, da für sie in der Regel öffentlicher Boden beansprucht werden
müsse und insoweit die Interessen der Gemeinde durch Art. 7 ElG gewahrt
seien. Wenn der Bund den Bau und Betrieb des öffentlichen Telephon.. netzes
zur Bundesaufgabe gemacht und die dafür erforderlichen rechtlichen Normen
aufgestellt habe, könnten die Kantone und Gemeinden die Verwirklichung
dieser Aufgabe nicht durch eigenes öffentliches Recht in Frage stellen,
denn Bundesrecht breche kantonales Recht.

    B.- Gegen dieses Urteil des Verwaltungsgerichts hat die Gemeinde
Flims staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Sie beantragt Aufhebung des
Urteils und macht geltend, es verletze die Gemeindeautonomie und sei
offensichtlich willkürlich.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Im Kanton Graubünden fällt das öffentliche Baurecht, wie das
Bundesgericht in den letzten Jahren wiederholt festgestellt hat, in den
Autonomiebereich der Gemeinden (BGE 97 I 138 E. 2 und dort angeführte
frühere Urteile). Das Baugesetz der Gemeinde Flims stellt somit autonomes
Gemeinderecht dar. Nach der neuern Rechtsprechung des Bundesgerichts kann
die Gemeindeautonomie auch dadurch verletzt werden, dass die zuständige
kantonale Behörde eine autonome Norm der Gemeinde willkürlich auslegt
oder anwendet (BGE 95 I 33 ff., insbesondere 37/38; 97 I 522). Die
Beschwerdeführerin wirft dem Verwaltungsgericht eine solche Verletzung
vor, weil seine Auffassung, dass Telephonfreileitungen keine "Bauten"
im Sinne von Art. 44 BauG seien und es daher für ihre Erstellung keiner
Baubewilligung bedürfe, mit dem Wortlaut und Zweck des BauG unvereinbar
sei. Die Frage der Auslegung des BauG kann indes offen bleiben, wenn
das ElG, wie das Verwaltungsgericht und die Beschwerdegegnerin annehmen,
den Sachverhalt umfassend regelt und deshalb die Anwendung des BauG nach
dem Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts ausgeschlossen
ist. Wie es sich hiemit verhält, ist daher vorweg zu prüfen.

Erwägung 4

    4.- Die Beschwerdeführerin beruft sich auf BGE 92 I 205
ff. und schliesst daraus, dass das Gemeindebaupolizeirecht auch auf
Telephonfreileitungen anwendbar sei. Dieses Urteil betraf jedoch einen
andern Sachverhalt. Das Bundesgericht prüfte dort, ob die PTT-Betriebe
für ihre Bauten aufgrund des Art. 36 BV von den materiellen und formellen
Bestimmungen des kantonalen Baupolizeirechts befreit seien. Es hat dies
im Gegensatz zu einem Gutachten des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements
aus dem Jahre 1930 (VEBB 1930 Nr. 6) verneint. Dabei wurde die Frage nicht
berührt, ob solches Recht auf Telephonleitungen der PTT anwendbar sei. Beim
Entscheid hierüber sind vor allem die Art. 5-12 ElG zu berücksichtigen,
welche eingehende Vorschriften über Telephonlinien enthalten, während in
BGE 92 I 205 ff. einzig Art. 36 BV in Betracht fiel.

    a) Art. 5 ElG ermächtigt den Bund, für die Erstellung von ober-
und unterirdischen Telephonlinien näher bezeichnete öffentliche Sachen
unentgeltlich in Anspruch zu nehmen. Eine entsprechende Befugnis räumt
Art. 6 ElG dem Bund gegenüber privatem Grundeigentum ein, jedoch nur für
das Ziehen von Drähten im Luftraum. Im Anschluss daran verpflichtet Art. 7
Abs. 1 ElG die eidgenössische Verwaltung, sich vor dem Bau der Linien
mit den betreffenden Behörden oder Privaten ins Einvernehmen zu setzen
und ihren Begehren so weit entgegenzukommen, als die zweckentsprechende
Ausführung der Linien es erlaubt. Ferner bestimmt Art. 7 Abs. 2 ElG, dass
dann, wenn eine Verständigung über die Art der Ausführung der Linie nicht
erzielt werden kann, der Bundesrat innert der in Art. 5 und 6 gezogenen
Schranken entscheidet.

    Aus dieser Ordnung ergibt sich, dass im Normalfall "die eidgenössische
Verwaltung", d.h. die Organe der PTT-Betriebe, und im Streitfall der
Bundesrat über die Führung der Telephonlinien entscheidet. Dass sich
die Verwaltung zunächst mit den "betreffenden Behörden oder Privaten"
ins Einvernehmen zu setzen hat, bedeutet offensichtlich, dass bei
Inanspruchnahme von öffentlichen Sachen (Art. 5 ElG) die Behörden zu
begrüssen sind, denen die Verfügung darüber zusteht, bei Inanspruchnahme
von Privateigentum (Art. 6 ElG) dagegen die Eigentümer. Dass Behörden,
namentlich Gemeindebehörden, die kein Verfügungsrecht über das in Anspruch
genommene Eigentum haben, angehört werden, schreibt Art. 7 Abs. 1 ElG nicht
vor, schliesst es aber auch nicht ausdrücklich aus. Auf keinen Fall aber
steht solchen Gemeindebehörden der Entscheid über "die zweckentsprechende
Ausführung der Linie" zu; hierüber entscheidet im Falle der Einigung
mit dem Betroffenen "die eidgenössische Verwaltung" und im Streitfall
der Bundesrat.

    b) Die Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung, die in den
Art. 5-7 ElG enthaltene Ordnung beziehe sich lediglich auf das Verhältnis
zwischen den PTT-Betrieben und den betroffenen Grundeigentümern und
habe mit der baupolizeilichen Bewilligungspflicht nicht das geringste
zu tun. Dabei stellt sie indes einseitig auf den Wortlaut der Art. 5
und 6 ElG ab und verkennt die Tragweite des Art. 7 ElG. Die Art. 5 und
6 enthalten öffentlichrechtliche gesetzliche Eigentumsbeschränkungen
(BGE 42 I 165 E. 3; HESS, Das Enteignungsrecht des Bundes S. 332/3);
sie setzen fest, inwieweit öffentliches und privates Grundeigentum
unentgeltlich und ohne Durchführung des sonst nach Art. 12 und 42
ElG erforderlichen Enteignungsverfahrens vom Bund für die Erstellung
von Telephonlinien in Anspruch genommen werden darf. Nach ihrem Sinn
und Zweck geht die in den Art. 5-7 ElG enthaltene Ordnung indessen
weiter und enthält auch eine Befreiung vom kantonalen Baupolizeirecht
(vgl. EDWIN HAUSER, Die Bindungen des Bundes an das kantonale Recht,
Diss. Zürich 1962 S. 57 und 94). Art. 7, wonach über die Linienführung im
Normalfall die Verwaltung und im Streitfall der Bundesrat entscheidet,
hätte kaum eine praktische Bedeutung, wenn nach diesem Entscheid noch
ein Baubewilligungsverfahren durchzuführen wäre und die kantonalen oder
kommunalen Baupolizeibehörden eine andere Linienführung anordnen oder
den PTT-Betrieben Vorschriften über die Erstellung von Leitungsmasten,
die Anlage von Kabelgräben usw. machen könnten. In Wirklichkeit würden
dann nicht die in Art. 7 ElG genannten Behörden des Bundes, sondern die
Gemeindebehörden, die kantonalen Rechtsmittelinstanzen und schliesslich
das Bundesgericht darüber entscheiden, wo und wie Telephonleitungen gebaut
oder nicht gebaut werden dürfen.

    Dass das nicht der Sinn der Art. 5-7 ElG sein kann, ergibt sich
noch aus einer weiteren Überlegung. Sind Gebäude für Telephonzentralen
und dergleichen zu erstellen, so rechtfertigt sich die Unterstellung
der PTT-Betriebe unter das kantonale und kommunale Baupolizeirecht,
weil solche Gebäude den örtlichen Verhältnissen angepasst, grösser,
kleiner, länger, breiter oder höher, mit Satteldach oder Flachdach,
mit mehr oder weniger Abstand von den Nachbarbauten errichtet werden
können. Eme Ausnahme ist daher, wie in BGE 92 I 210 bemerkt wurde,
nur zu machen für den Fall, dass "durch die Anwendung des kantonalen
oder kommunalen Rechts die Erfüllung der verfassungsmässigen Aufgaben
des Bundes verunmöglicht oder erheblich erschwert wird". Ganz anders
verhält es sich bei den Telephonleitungen. Hier überwiegt das im
ElG umschriebene elektrizitätspolizeiliche Interesse, das in der
Abwehr von Gefahren und Schädigungen für Menschen und Sachen und in der
Sicherstellung eines störungsfreien Betriebs besteht. Ferner ist Art. 2 des
PTT-Organisationsgesetzes vom 6. Oktober 1960 (AS 1961 S. 17) zu beachten,
wonach die PTT-Betriebe unter Rücksichtnahme auf die Landesinteressen
"nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen" zu führen sind, was bedeutet,
dass alle neuen Telephonleitungen so rationell wie möglich in das
bestehende Leitungsnetz eingefügt und so angelegt werden, dass unter
Ausschluss vermeidbarer Kosten der grösstmöglichste Nutzen für das ganze
Land erzielt wird. Bei solcher Verpflichtung ist es ausgeschlossen,
dass sich die PTT-Verwaltung bei der Erstellung von Telephonlinien
den Anordnungen von 3000 Gemeinden zu fügen oder sie mit den dagegen
zulässigen Rechtsmitteln anzufechten hätte. Insbesondere wäre in Kantonen,
in denen wie in Graubünden jede Gemeinde ihr eigenes Baupolizeirecht hat,
die einheitliche und kostensparende Schaffung eines Telephonnetzes nicht
mehr möglich. Den Interessen der betroffenen Gemeinden wird durch die
den PTT-Betrieben in Art. 7 Abs. 1 ElG vorgeschriebene Fühlungnahme mit
den Behörden hinreichend Rechnung getragen. Das gilt namentlich auch
inbezug auf den Schutz des Orts- und Landschaftsbildes, um den es der
Beschwerdeführerin offenbar hauptsächlich geht. Die Rücksichtnahme auf das
"landschaftliche Bild" ist den PTT-Betrieben durch Art. 12 der Verordnung
vom 7. Juli 1933 über Schwachstromanlagen (BS 4 S. 779) sowie durch Art. 3
des Bundesgesetzes vom 1. Juli 1966 über den Natur- und Heimatschutz
(AS 1966 S. 1637) vorgeschrieben und muss auch für den allfällig vom
Bundesrat nach Art. 7 Abs. 2 ElG zu treffenden Entscheid gelten.

    Bezüglich der Telephonleitungen ist daher dem erwähnten Gutachten des
EJPD (VEBB 1930 Nr. 6) beizupflichten, dass das ElG über die Erstellung
solcher Leitungen Vorschriften aufstellt, welche kantonale Kompetenzen
ausschliessen. Infolgedessen verstösst jeder Versuch der Gemeindebehörden
von Flims, sich selber aufgrund des autonomen Gemeinderechts eine
Entscheidungsbefugnis beizulegen, gegen die derogatorische Kraft des
Bundesrechts. Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet.