Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 I 488



97 I 488

67. Urteil vom 10. August 1971 i.S. Associazione Calcio Bellinzona
gegen das Komitee der Nationalliga des Schweiz. Fussballverbandes und
Appellationshof des Kantons Bern. Regeste

    Art. 84, 86 OG, Vollstreckung von Schiedssprüchen.

    Anfechtbarkeit des Urteils über eine kantonale Nichtigkeitsbeschwerde
gegen ein Schiedsurteil. Beschränkung der Kognition.

    Der Schiedsspruch ist einem in der ganzen Schweiz vollstreckbaren
Zivilurteil gleichzustellen, sofern das Schiedsgericht Gewähr für
unabhängige Rechtsprechung bietet. Fehlen dieser Voraussetzung, wenn es
Verbandsorgan ist. Anwendung auf einen Sportverband?

Sachverhalt

    Das Komitee der Nationalliga des Schweiz. Fussballverbandes,
welche als Verein organisiert ist, erteilte der Associazione
Calcio (A.C.) Bellinzona am 5. Dezember 1970 einen Verweis, weil sie
anlässlich des Fussball-Meisterschaftsspiels vom 27. September 1970 den
Ordnungsdienst ungenügend organisiert habe, und wies sie u.a. an, für
die Zukunft Sicherheitsvorkehren zu treffen. Die Betroffene rekurrierte
an das Rekursgericht der Liga, welches die Sache zunächst an das Komitee
zurückwies und hernach auf Rekurs der A.C. Bellinzona neu entschied. Es
wies ausserdem den Rekurs gegen einen Strafentscheid des Komitees
ab. Die A.C. Bellinzona erhob dagegen beim bernischen Appellationshof
Nichtigkeitsklage. Dieser lehnte das Eintreten darauf ab, weil die Klage
den Entscheid eines Schiedsgerichts voraussetzen würde, das Rekursgericht
der Liga aber als Verbandsgericht diese Voraussetzung nicht erfülle. Mit
der staatsrechtlichen Beschwerde hiegegen beantragt die A.C. Bellinzona,
den Entscheid des Appellationshofes aufzuheben und die Sache zu
materieller Entscheidung an die kantonale Instanz zurückzuweisen. Sie
rügt eine willkürliche Anwendung von Art. 295 bern. ZPO, wonach gegen
ein Schiedsgerichtsurteil die Nichtigkeitsklage in den Formen und Fristen
wie gegen Urteile der ordentlichen Gerichte zulässig ist.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Das Schiedsgerichtsurteil ist der gestützt auf eine Vereinbarung
der Parteien ergangene Entscheid einer ausserstaatlichen Instanz
über eine privatrechtliche Streitigkeit. Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichts zu Art. 61 BV, wonach die rechtskräftigen Zivilurteile,
die in einem Kanton gefällt werden, in der ganzen Schweiz vollzogen
werden können, liegt ein derartiges Schiedsgerichtsurteil nur vor,
wenn das urteilende Schiedsgericht genügende Gewähr für eine unabhängige
Rechtsprechung bietet. Diese Voraussetzung fehlt, wenn bei der Bestellung
des Schiedsgerichts einer Partei eine Vorzugsstellung zukommt.
Eine derartige Vorzugsstellung kommt einer Partei dann zu, wenn das
Schiedsgericht selber Verbandsorgan ist oder von einem solchen ernannt
wird, und zwar sowohl dann, wenn das Verhältnis zwischen dem Verband und
einem Mitglied, als wenn dasjenige zwischen einem Mitglied und einem
Nichtmitglied in Frage steht (BGE 80 I 340 mit Hinweisen auf frühere
Urteile). Die Urteile betreffen Schiedsgerichte von Wirtschaftsverbänden,
aber auch von Vereinen mit wirtschaftlichen Zwecken (BGE 67 I 211, 72 I
87, 78 I 112). Im Urteil BGE 81 I 328 wurde entgegen der Behauptung der
Beschwerdeführerin keme gegenteilige Auffassung vertreten. Es wurde dort
bloss darauf hingewiesen, dass auch ein Verbandsgericht einen wie ein
staatliches Urteil vollstreckbaren Entscheid fällen könne, nämlich dann,
wenn das Verbandsgericht für eine unabhängige Rechtsprechung durch die
Art und Weise der Bestellung Gewähr biete. Das war dort deshalb der Fall,
weil das Schiedsgericht sich zusammensetzte aus von kantonalen Gerichten
gewählten Berufsrichtern und ebenso vielen Mitgliedern der Industrie,
die miteinander selbst den Obmann wählten.

    Die Nationalliga ist kein Wirtschafts-, sondern ein Sportverband,
und die dem Schiedsgericht zum Entscheid übertragene Frage betraf kein
Geschäft des Privatrechts. Doch wird in der Beschwerde nicht behauptet,
der Entscheid des Appellationshofes verstosse deshalb gegen Art. 4 BV, weil
solche Voraussetzungen fehlten. Über die Frage, ob die Nichtigkeitsklage
habe von der Hand gewiesen werden dürfen, ist auch nicht in einer gestützt
auf Art. 61 BV erhobenen Beschwerde zu befinden; sie ist deshalb auch
nicht frei zu prüfen. Das Bundesgericht hat vielmehr bloss darüber zu
entscheiden, ob die von der Beschwerdeführerin gegenüber dem Urteil
erhobenen Einwendungen genügten, um dieses als willkürlich erscheinen zu
lassen (Art. 90 OG).

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführerin macht geltend, es sei bedeutungslos, dass
die Statuten der Nationalliga in Art. 8 das Rekursgericht zu seinen
Organen zähle. Der angefochtene Entscheid anerkenne dies übrigens,
wenn er das Vorhandensein hinreichender Gewähr für die Unabhängigkeit
des Schiedsgerichts des Schweiz. Fussballverbandes gelten lasse, der in
Art. 18 der Statuten ebenfalls ein Schiedsgericht einsetze. Wenn damit die
Beschwerdeführerin eine widersprüchliche Entscheidung des Appellationshofes
rügen wollte, wäre diese Rüge nicht begründet. Der Appellationshof
betrachtete das Schiedsgericht des Schweiz. Fussballverbandes gemäss Art. 2
des Rechtspflegereglementes nicht deshalb als unabhängiges Schiedsgericht,
weil seine Mitglieder vom Verband ernannt werden, sondern weil es aus einem
Obmann und vier Mitgliedern besteht, wobei jede Partei zwei Mitglieder
bezeichnen und die Schiedsrichter gemeinsam den Obmann bestimmen.
So wird aber das Rekursgericht der Liga nicht gebildet. Es ist vielmehr
ein Organ der Nationalliga (Art. 8 der Statuten) und besteht aus dem
Präsidenten, zwei Vizepräsidenten und mindestens sechs Richtern, die durch
die Generalversammlung auf drei Jahre gewählt werden und Mitglieder von
Vereinen der Liga sein müssen, die keinem Vereinsvorstand der Nationalliga
angehören (Art. 23 der Statuten). Das Rekursgericht erfüllt also gerade
jene Voraussetzungen nicht, die das Bundesgericht für Schiedsgerichte von
Wirtschaftsverbänden fordert. Es ist Organ der Liga und wird von deren
Generalversammlung ernannt.

Erwägung 3

    3.- Die Beschwerdeführerin macht ferner geltend, um beurteilen
zu können, ob das Rekursgericht genügend unabhängig sei, damit seine
Entscheide als gerichtliche Entscheide anerkannt werden könnten, müssten
die einzelnen Tatumstände, welche bei der Ernennung eine Rolle spielen,
wie Zusammensetzung und Funktionieren des Gerichts geprüft werden. Dabei
ergebe sich aus Art. 23 der Statuten der Liga, dass deren Rekursgericht
die Voraussetzungen erfülle, die die Rechtsprechung des Bundesgerichts
von unabhängigen Schiedsgerichten fordere.

    In der kantonalen Nichtigkeitsklage wurden derartige Rügen nicht
erhoben. Bei Beschwerden wegen Verletzung von Art. 4 BV sind aber nach
ständiger Rechtsprechung neue tatsächliche Behauptungen und Bestreitungen
oder Beweismittel unzulässig und es kann auch der Beschwerdegrund selber
nur geltend gemacht werden, wenn dies im kantonalen Verfahren bereits
geschehen ist, es sei denn, die letzte kantonale Instanz besitze freie
Prüfungsbefugnis und habe das Recht von Amtes wegen anzuwenden (BGE 90
I 148). Das trifft für die bernische Nichtigkeitsklage nicht zu.

    Übrigens vermöchten diese Einwendungen gegen das Urteil Willkür
desselben nicht darzutun. Denn wenn, wie ohne Willkür angenommen werden
durfte, massgebend ist, ob das Schiedsgericht nicht unter Bevorzugung
einer Partei bestellt wurde, also nicht genügend unabhängig ist, um
als urteilendes Gericht anerkannt zu werden, falls es Organ des als
Partei auftretenden Verbandes und von diesem gewählt ist, so kommt es
nicht entscheidend darauf an, dass die Richter den drei Sprachgebieten
der Schweiz entnommen (Art. 23 Abs. 1), dass sie auf drei Jahre gewählt
werden (Abs. 2), dass nur Mitglieder von Vereinen wählbar sind, die keinem
Vereinsvorstand der Liga angehören (Abs. 3) oder dass das Gericht aus 22
Personen zusammengesetzt ist, was eine gewisse Auswahl ermöglicht. Ebenso
wenig ist massgebend, dass der Liga selbst eine bloss beschränkte Zahl
von Mitgliedern angehört und diese Beschränkung es ausschliessen würde,
dass ein Organ oder eine Gruppe von Mitgliedern die Liga kontrollieren
könnte. Auch die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Mitglieder des
Rekursgerichts von den Parteien ist keine Garantie dafür, dass sie
dem Verband gegenüber in anderer, insbesondere sportlicher Hinsicht
die nötige Unabhängigkeit besitzen. Und wenn es zutreffen mag, dass
durch die Vorschrift über die Ausstandspflicht eines Mitgliedes des
Rekursgerichts bei unmittelbarem Interesse desselben oder des Vereins,
dem es angehört, dafür gesorgt wird, dass Verstösse gegen elementarste
prozessuale Grundsätze unterbleiben sollen, heisst das noch nicht,
dass das Schiedsgericht, in dem keine derart unmittelbar interessierten
Richter sitzen, gegenüber der Liga die Unabhängigkeit besitzt, die für
ein richterliches Urteil kennzeichnend sein muss.

    Es ist deshalb auch nicht willkürlich, wenn das angefochtene Urteil
auf die von der Beschwerdeführerin relevierten Umstände nicht abstellt.