Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 I 479



97 I 479

65. Auszug aus dem Urteil vom 9. Juli 1971 i.S. Kramer gegen Eidg. Justiz-
und Polizeidepartement. Regeste

    Die Bindung des Bundesgerichts an die Sachverhaltsfeststellung der
Vorinstanz nach Art. 105 Abs. 2 OG.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes durch
die Vorinstanz bindet das Bundesgericht bei der Beurteilung
einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde nur, wenn als Vorinstanz eine
Rekurskommission oder ein kantonales Gericht entschieden hat und der
Sachverhalt weder offensichtlich unrichtig oder unvollständig noch
unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde
(Art. 105 Abs. 2 OG).

    Der Entwurf des Bundesrates zu diesem Artikel nannte als Vorinstanzen,
an deren Sachverhaltsfeststellung das Bundesgericht grundsätzlich gebunden
ist, die eidgenössischen Rekurs- und Schiedskommissionen, die kantonalen
Gerichte und die kantonalen Rekurskommissionen (Botschaft des Bundesrates
an die Bundesversammlung über den Ausbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit im
Bunde, BBl 1965 II 1338). Seine heutige Fassung erhielt Art. 105 Abs. 2
OG durch die Kommission des Nationalrates. Im Unterschied zum Entwurf
sind darin die eidgenössischen Schiedskommissionen nicht mehr erwähnt,
was heissen muss, dass sie ausgeschieden wurden. Die übrigen Änderungen
des Wortlautes gegenüber dem Entwurf scheinen lediglich redaktioneller
Art zu sein, wurde doch der Artikel ohne weitere Erläuterungen oder
Diskussionen von beiden Räten angenommen (vgl. insbesondere StenBull StR
1968 S. 203). Unter "Rekurskommissionen" im Sinne von Art. 105 Abs. 2
OG sind deshalb sowohl die eidgenössischen als auch die kantonalen
Rekurskommissionen zu verstehen, die in zweiter Instanz entscheiden
(vgl. GRISEL, Droit administratif suisse, S. 505).

    Durch die in Art. 105 Abs. 2 OG vorgesehene Regelung soll das
Bundesgericht in jenen Fällen vor zeitraubenden Ermittlungen verschont
werden, in denen die erstinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen bereits
durch ein Gericht oder eine gerichtsähnliche Instanz vollständig überprüft
werden können (vgl. Botschaft BBl 1965 II 1324). Über den vorliegenden Fall
hat in zweiter Instanz die st.gallische Verwaltungsrekurskommission,
eine kantonale Rekurskommission also, entschieden. Ihre
Sachverhaltsfeststellungen binden aber das Bundesgericht nicht direkt,
denn die Verwaltungsgerichtsbeschwerde richtet sich nicht gegen ihren
Entscheid, sondern gegen den Entscheid des EJPD, das in dritter Instanz
geurteilt hat und die Sachverhaltsfeststellungen der Rekurskommission
frei überprüfen konnte. Wenn aber die Sachverhaltsfeststellungen des EJPD,
wie im vorliegenden Falle, mit jenen der Rekurskommission übereinstimmen,
so muss nach dem Zwecke von Art. 105 Abs. 2 OG das Bundesgericht nach
Massgabe dieser Vorschrift daran gebunden sein. Diese Einschränkung
der Kognitionsbefugnis des Bundesgerichts rechtfertigt sich umso mehr,
als das Bundesgericht in diesen Fällen als vierte Instanz urteilt;
die Vielzahl der Instanzen, die sich mit der Sache befassen, macht es
allein schon wahrscheinlich, dass der Sachverhalt vollständig und richtig
festgestellt wird.

    Das Bundesgericht ist hier also an die Sachverhaltsfeststellungen des
EJPD gebunden, sofern der Sachverhalt weder offensichtlich unrichtig oder
unvollständig noch unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt worden ist.