Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 I 423



97 I 423

57. Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. Mai 1971 i.S. Badische Anilin-
und Soda-Fabrik Aktiengesellschaft gegen Eidgenössisches Amt für geistiges
Eigentum. Regeste

    Erfindung neuer Kristallformen, Patentschutz.

    1.  Zurückweisung von Patentgesuchen gemäss Art. 59 Abs. 1 und 2 PatG
(Erw. 1).

    2.  Art. 2 Ziff. 4 und 53 PatG. Begriff des chemischen Stoffes:
Kennzeichnendes Merkmal ist die Beschaffenheit des Stoffes, nicht der
chemische Weg, auf dem er hergestellt wird (Erw. 2).

    3.  Schutzfähigkeit einer Erfindung, die darin besteht, dass einem
chemischen Stoff durch besondere Eingriffe eine für ihn nicht bekannte
Kristallform verliehen wird (Erw. 3).

    4.  Art. 51 und 52 PatG. Bedeutung des Patentanspruches; Anforderungen
an dessen Inhalt, wenn für ein Erzeugnis Patentschutz verlangt wird
(Erw. 4).

Sachverhalt

    A.- Die Badische Anilin- und Soda-Fabrik Aktiengesellschaft reichte
am 31. Januar 1968 beim eidgenössischen Amt für geistiges Eigentum das aus
einer Teilung des Patentgesuches Nr. 9990/63 hervorgegangene Patentgesuch
Nr. 1456/68 ein, dessen Patentansprüche wie folgt lauten:

    "I. ss-Modifikation des Perylen-3,4,9,10-tetracarbonsäure-bis
[(4phenylazo)-phenylimid], gekennzeichnet durch ein
Röntgenbeugungsdiagramm, das bei einem Beugungswinkel von 6,5° und 19,3°
zwei Linien starker Intensität, bei 13,5° eine Linie mittlerer Intensität
und bei 7,4°, 11,0°, 13,0°, 15,2°, 16,4°, 17,8°, 22,0°, 22,7°, 24,1°,
24,3°, 25,0°, 25,6°, 26,2°, 27,3°, 27,7° und 28,8° 16 Linien geringer
Intensität aufweist.

    II. Verwendung der ss-Modifikation des
Perylen-3,4,9,10-tetracarbonsäure-bis [(-phenylazo)-phenylimid] nach
Patentanspruch I als Pigmentfarbstoff."

    Am 6. August 1968 und 13. Juni 1969 beanstandete das Amt den
Patentanspruch I, weil Erfindungen chemischer Stoffe von der Patentierung
ausgeschlossen seien (Art. 2 Ziff. 4 PatG). In der zweiten Beanstandung
wies es "nebenbei" auch darauf hin, dieser Patentanspruch enthalte keine
"Lehre zum technischen Handeln", weil aus der Angabe der Kristallform nicht
geschlossen werden könne, wie diese zu erzielen sei. Die Gesuchstellerin
hielt indessen das Gesuch unverändert aufrecht. Das Amt wies es deshalb
am 30. Dezember 1970 "in Anwendung von Art. 13 Abs. 1 PatV I, gestützt auf
Art. 59 Abs. 2 PatG" zurück. Es führte aus, es habe nach wie vor keinen
Grund, von seiner Auffassung abzuweichen, wonach Patentanspruch I einen
chemischen Stoff im Sinne von Art. 2 Ziff. 4 PatG zum Gegenstand habe.

    B.- Die Gesuchstellerin führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem
Begehren, die Rückweisungsverfügung aufzuheben und das Amt anzuweisen,
die Prüfung des Patentgesuches nach Art. 59 Abs. 2 bis 4 PatG und Art. 13
Abs. 2 und 3 PatV I fortzusetzen.

    Das Amt beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Das Amt für geistiges Eigentum hat das Patentgesuch "in
Anwendung von Art. 13 Abs. 1 PatV I, gestützt auf Art. 59 Abs. 2 PatG"
zurückgewiesen.

    Diese Formel ist unklar. Art. 13 Abs. 1 PatV I weist das Amt an, ein
den Vorschriften von Art. 8 Abs. 1 und 2 dieser Verordnung entsprechendes
Patentgesuch zunächst darauf hin zu prüfen, ob es gemäss Art. 59 Abs.
1 PatG zurückzuweisen sei. Diese Bestimmung des Gesetzes gebietet die
Zurückweisung eines Gesuches, wenn es ausschliesslich eine gewerblich
nicht anwendbare oder eine durch Art. 2 PatG von der Patentierung
ausgeschlossene Erfindung betrifft. Art. 59 Abs. 2 PatG dagegen spricht
von der Zurückweisung von Gesuchen, die den in Art. 9 oder 49 bis 55 des
Gesetzes oder den in der Vollziehungsverordnung enthaltenen Bestimmungen
nicht entsprechen. Gegen welche dieser Bestimmungen das Gesuch verstosse,
sagt die angefochtene Verfügung nicht. Ihre Begründung erschöpft sich
darin, das Amt könne nicht von seiner Auffassung abweichen, wonach der
Patentanspruch I einen chemischen Stoff im Sinne von Art. 2 Ziff. 4 PatG
zum Gegenstand habe. Insbesondere wirft die Verfügung diesem Patentanspruch
nicht mehr vor, er gebe keine "Lehre zum technischen Handeln".

Erwägung 2

    2.- Das Patentgesetz verwendet den Begriff des chemischen Stoffes
in Art. 2 Ziff. 4, wo es Erfindungen solcher Stoffe von der Patentierung
ausschliesst, jedoch beifügt, die Bestimmung erstrecke sich nicht auf
Legierungen. Es gebraucht ihn ferner in Art. 53, aus dem sich ergibt,
dass Patentansprüche für Verfahren zur Herstellung von chemischen Stoffen
zulässig sind, aber nur ein bezüglich des chemischen Vorganges bestimmtes
Verfahren definieren dürfen.

    a) Zu Art. 2 Ziff. 4 PatG wurde in der Botschaft des Bundesrates
vom 25. April 1950 ausgeführt, die Vorschrift über die Legierungen
sei neu. Falls bei einer Legierung eine chemische Reaktion auftrete,
könne man sich fragen, ob die Legierung ein chemischer Stoff im Sinne
des Gesetzes sei. Weil Legierungen ihrer Natur nach jedoch aus mehreren
Stoffen beständen, habe das Amt für geistiges Eigentum sie seit Jahren
durchwegs nicht als chemische Stoffe behandelt; die neue Vorschrift solle
diese Praxis des Amtes sanktionieren und eine einheitliche Behandlung
der Erfindungen von Legierungen durch die Patenterteilungsbehörde und
die Gerichte sicherstellen (BBl 1950 I 1007). Daraus folgt, dass sich
die gesetzgebenden Behörden der Auffassung des Amtes für geistiges
Eigentum anschliessen wollten, wonach die chemische Reaktion, die
bei der Herstellung eines Erzeugnisses auftreten kann, dieses nicht
notwendigerweise zum "chemischen Stoff" macht.

    Zu Art. 2 Ziff. 2 und 3 PatG bemerkte die Botschaft, das jetzige
Gesetz schliesse die Erfindungen von Arzneimitteln von der Patentierung
aus, falls die Arzneimittel chemische Stoffe seien oder auf anderem als
auf chemischem Weg hergestellt werden. Bei dieser Ordnung seien dagegen
Arzneimittelerfindungen patentierbar, wenn das Arzneimittel auf chemischem
Weg gewonnen werde, aber kein chemischer Stoff sei. Für diese Ausnahme
liessen sich indessen keinerlei triftige Gründe anführen; es liege
offensichtlich eine Gesetzeslücke vor, deren Beseitigung angezeigt sei.
Erfindungen von Arzneimitteln seien daher künftig ohne Ausnahme von der
Patentierung ausgeschlossen (BBl 1950 I 1004). Die gleiche Lücke bestehe
bei Erfindungen von Nahrungsmitteln und Getränken, die keine chemischen
Stoffe seien, aber in einem chemischen Verfahren hergestellt werden; auch
hier rechtfertige es sich, die Lücke zu schliessen und den Stoffschutz
ohne Ausnahme zu versagen (BBl 1950 I 1006). Daraus erhellt ebenfalls,
dass nicht jeder "chemische Weg" zu einem "chemischen Stoff" im Sinne
des Gesetzes führt.

    Indem das schweizerische Gesetz das den "chemischen Stoff"
kennzeichnende Merkmal nicht im "chemischen Weg", sondern in der
Beschaffenheit des Stoffes selbst sieht, stimmt es mit der Praxis zu
den früheren deutschen Patentgesetzen überein; denn diese liessen in §
1 Abs. 2 Ziff. 2 für Erfindungen "von Stoffen, die auf chemischem Wege
hergestellt werden", nur Verfahrenspatente zu. Das Reichsgericht,
der Bundesgerichtshof und das Patentamt verstanden unter den "auf
chemischem Wege hergestellten" Stoffen aber nur chemische Individuen,
nämlich Verbindungen und Elemente (EGGERT, Chemische Sachpatente,
in Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht [GRUR] 1964 S. 592 f.;
vgl. auch REIMER, Patentgesetz, 3. Auflage, § 1 Anm. 90; W. BERNHARDT,
Lehrbuch des deutschen Patentrechts, München 1957, S. 52). Der "chemische
Weg", dessen sich der Erfinder bedienen mochte, schloss also die Erteilung
von Sachpatenten nicht notwendigerweise aus.

    Unter dem "chemischen Stoff" im Sinne des schweizerischen Rechtes ist
ebenfalls ein sogenanntes chemisches Individuum zu verstehen, d.h. das was
der Chemiker "chemische Verbindung" nennt und mit einer chemischen Formel
zu bezeichnen pflegt, sei es mit der Bruttoformel (z.B. für Acetylen C2H2),
sei es mit der Struktur- oder Konstitutionsformel (z.B. für Acetylen H-C=
C-H). Das Amt für geistiges Eigentum räumt dies ausdrücklich ein und
bemerkt mit Recht, der in Art. 2 Ziff. 4 und 53 PatG enthaltene Begriff
des chemischen Stoffes müsse so ausgelegt werden, dass er nach beiden
Bestimmungen sinnvoll sei. Die Erfindung eines chemischen Stoffes ist
somit nicht im Aufdecken einer chemischen Reaktion, die sich im Verlaufe
der Bildung eines neuen Erzeugnisses abspielen mag, zu erblicken; sie
besteht vielmehr im Auffinden einer Verbindung von Atomen zu bisher nicht
bekannt gewesenen Molekülen (vgl. BGE 82 I 208 Erw. 4, 91 I 222).

    b) Im vorliegenden Fall fragt sich deshalb nicht, ob im
Verlaufe der Erzeugung der im Patentanspruch I definierten
ss-Modifikation aus der a-Modifikation des chemischen Stoffes
"Perylen-3,4,9,10-tetracarbonsäure-bis [(4-phenylazo)-phenylimid]"
chemische Vorgänge stattfinden können. Solche allein würden die
ss-Modifikation nicht zu einen neuen chemischen Stoff machen. Das wird
vom Amt denn auch nicht behauptet.

Erwägung 3

    3.- a) Das Amt räumt der Beschwerdeführerin ein, dass die im
Patentanspruch I definierte ss-Modifikation in einer besonderen
Kristallform des daselbst genannten chemischen Stoffes besteht. Es
führt aus, das ergebe sich zwingend daraus, dass die im Patentanspruch
angegebenen physikalischen Daten das Röntgenbeugungsdiagramm beträfen,
wie es nur kristallisierten Körpern zukomme und jeweilen für die
Kristallart eines Körpers charakteristisch sei. Die Beschwerdeführerin
verlangt also Patentschutz nicht für den chemischen Stoff "Perylen-3,4,
9,10-tetracarbonsäure-bis [(4-phenylazo)-phenylimid]", sondern nur für
eine bestimmte Kristallform desselben, die sie erfunden haben will.

    Das Amt verweigert ihr diesen Schutz mit der Begründung, die
Kristallform gehöre zum Wesen des Stoffes; sie sei durch seine Natur
bedingt, gleich wie z.B. der Siedepunkt und der Schmelzpunkt chemischer
Stoffe. Das treffe jedenfalls dann zu, wenn ein Stoff nur in einer
einzigen Form kristallisieren könne, und es bestehe kein triftiger Grund,
das Auffinden einer neuen Kristallform (einer neuen "Modifikation")
eines in mehreren Formen kristallisierenden Stoffes anders zu behandeln.

    b) Diese Auffassung ist mit dem vom Amt selber anerkannten Begriff
des chemischen Stoffes nicht vereinbar. Wenn unter einem solchen das durch
eine Formel ausgedrückte chemische Individuum (die chemische Verbindung)
zu verstehen ist, kann die "Erfindung eines chemischen Stoffes" im Sinne
von Art. 2 Ziff. 4 PatG nur in der Schaffung eines neuen chemischen
Individuums, d.h. eines Stoffes mit neuer chemischer Formel bestehen,
nicht auch darin, dass man (durch eine schöpferische und technisch
fortschrittliche Leistung) einem bestehenden Stoff eine bisher für ihn
nicht bekannte Kristallform gibt. Erfunden ist in einem solchen Falle
nur die neue Kristallform, nicht der Stoff als solcher.

    c) Dass an einem bestimmten Stoffe wegen der Naturgesetze, die ihn
beherrschen, nicht beliebige Kristallformen geschaffen werden können,
ändert nichts. Das Patentgesetz steht nicht auf dem Boden, eine Erfindung
sei nur dann patentierbar, wenn sie vollständig willkürlich, frei von
allen natürlichen Gegebenheiten möglich ist. Das zeigt sich schon bei
den Verfahrenspatenten. Die Verfahren zur Herstellung chemischer Stoffe
sind nicht frei wählbar, sondern weitgehend durch die Natur bedingt, aber
dennoch patentierbar. Bei den Erzeugnispatenten ist es nicht anders. So
wurde in der Botschaft zum Patentgesetz die Beeinflussung physiologischer
Vorgänge auf dem Gebiete der Landwirtschaft und des Gartenbaues als
patentierbar erachtet (BBl 1950 I 998), und das Bundesgericht hat
sich dieser Auffassung angeschlossen (BGE 79 I 82). Auch hat das Amt
ein Erzeugnispatent z.B. für einen bei gewöhnlicher Temperatur duktilen
Wolframdraht für elektrische Glühlampen erteilt, obschon die Duktilität nur
auf der (mechanisch bewirkten) Überführung der inneren kristallinischen
Struktur des Wolframkörpers in ein faseriges Gefüge beruhte, also
vom Wesen dieses Stoffes abhing und in ihm seine Grenzen fand. Das
Bundesgericht hat dieses Patent grundsätzlich geschützt (BGE 49 II 507
ff.). Die Beschwerdeführerin behauptet sodann, nach ständiger Praxis des
Amtes würden auch für Erfindungen kolloidaler Systeme und fadenbildender
Polymerer Erzeugnispatente erteilt, obschon die Fähigkeit, solche Systeme
oder Fäden und Fasern zu bilden, natürliche Eigenschaften der verwendeten
chemischen Stoffe seien. Das Amt widerlegt das nicht, sondern entgegnet
nur, das Kristallsystem sei eine "durch die Natur des Stoffes bedingte
'Konstante' im Gegensatz zu mehr oder weniger willkürlich wählbaren
Merkmalen, wie etwa der künstlich erzeugten Form eines Stoffes". Dass die
Zahl der möglichen Kristallformen bei emem bestimmten chemischen Stoff
nur sehr klein ist, während die Natur dem Erfindergeist auf dem Gebiete
der Bildung kolloidaler Systeme und der Polymerisation angeblich mehr
Spielraum lässt, macht jedoch keinen Unterschied. Patente werden wegen
der in der Schaffung des neuen Erzeugnisses liegenden erfinderischen
Leistung und wegen des mit ihr verbundenen technischen Fortschrittes
erteilt. Ob das Auffinden eines neuen Erzeugnisses erfinderisch und
technisch fortschrittlich sei, hängt aber grundsätzlich nicht davon ab,
wie gross der Spielraum war, den die Natur dem Erfinder liess. Indem das
Amt die Zurückweisung des Gesuches damit begründet, die neue Kristallform
könne nicht Gegenstand eines Erzeugnispatentes sein, weil die Leistung
des Erfinders nur im Aufdecken einer "Konstanten der Natur" bestehe,
spricht es dieser Leistung in Wirklichkeit wegen angeblichen Ungenügens
ihres schöpferischen Grades oder ihres technischen Fortschrittes die
Eigenschaft einer Erfindung ab. Das ist nicht zulässig, da das vorliegende
Patent nicht der amtlichen Vorprüfung untersteht.

    Der Vergleich der Kristallform mit dem Siedepunkt und dem
Schmelzpunkt eines chemischen Stoffes ist nicht schlüssig. Diese
"Konstanten" sind nicht schutzfähig, weil sie bekannt oder ohne Leistung
von Erfindungshöhe feststellbar sind. Sollte es möglich sein, sie durch
neue schöpferische Einwirkungen auf den chemischen Stoff zu verändern und
dadurch technische Fortschritte zu erzielen, so könnten grundsätzlich
auch die neu geschaffenen Siede- bzw. Schmelzpunkte Gegenstand von
Erzeugnispatenten sein.

    d) Das Amt bringt noch vor, wenn ein Stoff nur in einer einzigen Form
kristallisiere, komme man nicht darum herum, auch den kristallisierten
Stoff als chemischen Stoff im Sinne des Patentgesetzes zu betrachten. Es
bestehe nun aber kein triftiger Grund, einem kristallisierten Stoff den
Charakter eines chemischen Stoffes dann abzusprechen, wenn er in mehr
als einer Form kristallisieren könne.

    Dem ist entgegenzuhalten, dass Patentschutz nicht für den Stoffals
solchen, sondern nur für seine Kristallform beansprucht wird. Ist nur
eine einzige Kristallform möglich, so kommt sie in der Natur vor und
braucht nur entdeckt zu werden, oder sie ist bereits bekannt oder ohne
erfinderische Leistung feststellbar. Im einen wie im andern Falle ist sie
nicht schutzfähig; insbesondere können für blosse Entdeckungen Patente
nicht erteilt werden (BLUM/PEDRAZZINI, Art. 1 Anm. 8 lit. c). Wenn
zwei oder mehr Kristallformen ein und desselben Stoffes in der Natur
vorkommen, ist von ihnen das gleiche zu sagen: sie sind bekannt oder
entdeckbar und können daher nicht Gegenstand eines Patentes sein. Das
ist kein Grund, auchjene Kristallformen nicht zu patentieren, die dem
Stoff durch schöpferische Eingriffe des Menschen zusätzlich zu den schon
bekannten oder in der Natur vorkommenden Formen verliehen werden. Wer
dank einer schöpferischen Leistung auf eine neue Kristallform stösst,
macht eine Erfindung, im Gegensatz zum Benützer einer schon bekannten
oder zum Entdecker einer in der Natur schon bestehenden Kristallform.

    Das Ergebnis einer solchen Leistung wäre nur dann nicht patentierbar,
wenn man Art. 2 Ziff. 4 PatG ausdehnend auslegen oder auf die Erfindung
blosser Eigenschaften chemischer Stoffe sinngemäss anwenden müsste. Weder
das eine noch das andere ist zulässig, da diese Bestimmung im Verhältnis
zu Art. 1 PatG, wonach für neue gewerblich anwendbare Erfindungen Patente
erteilt werden, Ausnahmenorm ist.

    e) Auch die schweizerische Lehre und das Schrifttum zum früheren
deutschen Recht halten die Erteilung von Sachpatenten für die Erfindung
neuer Kristallformen bereits bekannter chemischer Stoffe für zulässig,
so C. A. STEFFEN, Erfindungen von chemischen Verfahren und Arzneimitteln
nach schweizerischem Recht (1945) S. 65; BLUM/PEDRAZZINI, Art. 2 Anm. 23
S. 249; E. MÜLLER, Chemie und Patentrecht, 3. Auflage (1951) S. 24;
P. MEDIGER, Das Problem des Stoff- und Verfahrensschutzes im Patentrecht
(1953) S. 13; EGGERT in GRUR 1964 597. Einige dieser Autoren, so auch
BLUM/PEDRAZZINI, setzen voraus, dass die neue Kristallform durch besondere
Eingriffe, z.B. Impfen, herbeigeführt werde. Mit dem Argument, solche
Eingriffe dürften nur im Anspruch zu einem Verfahrenspatent ausgedrückt
werden, vermag das Amt für geistiges Eigentum diese Auffassungen nicht zu
entkräften. Gewiss gehört der Eingriff als solcher nur in die Definition
einer Verfahrenserfindung. Das schliesst aber nicht aus, dass der Erfinder
ausser dem Patentschutz für das Verfahren (oder statt desselben) den
Patentschtz für das Ergebnis verlangen kann.

    Nach deutschem Recht stellt sich diese Frage heute nicht mehr, weil
das Patentgesetz vom 2. Januar 1968 nun auch für die Erfindung chemischer
Stoffe Sachpatente (Stoffpatente) zulässt.

Erwägung 4

    4.- a) Das Amt für geistiges Eigentum kommt in der Vernehmlassung
zur Beschwerde unter Hinweis auf einen in "Schweizerisches Patent- und
Muster und Modellblatt" 1965 I 32 ff. veröffentlichten Entscheid seiner
Beschwerdeabteilung und auf das dort angeführte Schrifttum auf den Vorwurf
zurück, Patentansprüche müssten eine "Lehre zum technischen Handeln"
enthalten. Es vermisst eine solche im vorliegenden Patentanspruch I, weil
dessen physikalische Angaben den Fachmann nicht in die Lage versetzten,
die ss-Modifikation des "Perylen-3, 4, 9, 10-tetracarbonsäure-bis
[(4-phenylazo)-phenylimid]" zu erzeugen, eine Erfindung aber von vornherein
nur in der Art und Weise liegen könne, wie diese Modifikation zugänglich
sei.

    b) Der Patentanspruch ist massgebend für den sachlichen
Geltungsbereich des Patentes (Art. 51 Abs. 2 PatG). Er hat die Definition
der Erfindung zu enthalten (Art. 51 Abs. 1 PatG). Mehr verlangt das
Gesetz von ihm nicht. Die Darlegungen, die dem Fachmann erlauben,
die Erfindung auszuführen, brauchen nicht in den Patentanspruch
aufgenommen zu werden. Art. 50 Abs. 1 PatG verweist sie ausdrücklich
in die Beschreibung. Das gleiche tat schon Art. 26 Abs. 2 aPatG,
und auf demselben Boden stand der Wortlaut von Art. 16 Abs. 1 Ziff. 7
aPatG, wonach das Patent nichtig zu erklären war, wenn die Erfindung
"durch die Beschreibung" nicht so dargelegt wurde, dass Fachleute sie
ausführen konnten. Dass Art. 26 Abs. 1 Ziff. 3 des geltenden Gesetzes
hievon abweichend von der Darlegung "durch die Patentschrift" spricht,
hat nicht den Sinn, der Patentanspruch müsse Auskunft darüber geben,
wie die Erfindung ausgeführt werden könne. Mit dieser Fassung wollte der
Gesetzgeber nur sagen, es liege kein Nichtigkeitsgrund vor, wenn die die
Ausführung der Erfindung ermöglichenden Darlegungen sich statt aus der
Beschreibung aus den Zeichnungen oder sonstigen Beilagen oder aus dem
Patentanspruch ergäben (BLUM/PEDRAZZINI, Art. 26 Anm. 8 S. 123; TOLLER,
Immaterialgüterrecht II 715; DE MESTRAL, L'obtention et le maintien du
brevet, S. 275). Das Amt für geistiges Eigentum darf ein Patentgesuch
nicht mit der Begründung zurückweisen, der Patentanspruch gebe nicht
Aufschluss darüber, wie die Erfindung ausgeführt werden könne.

    Eine andere Auffassung lässt sich auch dem Schrifttum nicht entnehmen,
das im angerufenen Entscheid der Beschwerdeabteilung des Amtes angeführt
ist.

    Insbesondere sprechen sich BLUM/PEDRAZZINI in Anm. 6 zu Art. 1 S. 73
ff. und BLUM, Patentrecht, Marken-, Muster- und Modellschutz, 2. Auflage
S. 29, nicht über die Formulierung des Patentanspruches aus, sondern
darüber, was man allgemein unter einer Erfindung verstehe. Sie sagen,
die erfinderische Leistung liege "in der Aufstellung einer neuen Regel zum
technischen Handeln". Das heisst nicht, die Erfindung sei nur patentierbar,
wenn sie schon auf Grund ihrer Definition ausgeführt werden könne.

    Das gleiche ist von TROLLER, Immaterialgüterrecht I 152 (2. Auflage
I 165) zu sagen, wo vom "Merkmal der Erfindung als Regel, als Anleitung
zum technischen Handeln" die Rede ist.

    Auch WALLESER, Der Patentanspruch nach schweizerischem Recht S. 17
oben, äussert sich nur über den Begriff der Erfindung im allgemeinen,
indem er in ihr "eine Anleitung zum zweckmässigen Vorgehen in der Technik"
sieht. Wie eine konkrete Erfindung im Patentanspruch zu umschreiben sei
und in welchem Teil der Patentschrift dargelegt werden müsse, wie sie
ausgeführt werden könne, sagt er an der zitierten Stelle nicht.

    MATTER, ZSR 1944 S. 59a, sodann versteht unter der "Anweisung
zum technischen Handeln" die "technische Lehre". Er sagt von ihr, ein
anderer Autor (WILDHAGEN, Zur Frage der Patentauslegung, Abhandlungen
zum Arbeitsgebiet des Reichspatentamtes, Berlin 1927, 35 ff.) habe
vorgeschlagen, sie "aus dem Patent herauszuschälen", um der starren
technologischen Umschreibung des Patentanspruches zu entrinnen. Dass
das schweizerische Patentgesetz vom Patentanspruch mehr als die blosse
Definition der Erfindung verlange, erklärt Matter nicht.

    c) Gemäss Art. 52 Abs. 1 PatG kann unter anderem "ein Erzeugnis" als
Erfindung patentiert werden. Wird für ein solches Patentschutz beantragt,
so hat der Patentanspruch dieses Erzeugnis zu definieren.

    Das hat die Beschwerdeführerin im vorliegenden Falle getan,
indem sie im Patentanspruch I die zu patentierende Kristallform des
dort genannten chemischen Stoffes durch deren Röntgenbeugungsdiagramm
kennzeichnete. Sie war nicht verpflichtet, im Patentanspruch auszuführen,
wie diese Kristallform erzeugt werden könne, denn sie beantragt nicht
die Erteilung eines Verfahrenspatentes. Indem das Amt ihr vorwirft,
die jeder Erfindung eigene "Lehre zum technischen Handeln" könne im
vorliegenden Falle nur darin liegen, wie die erwähnte Kristallform
(sog. ss-Modifikation) zugänglich sei, geht es von der Auffassung aus,
nur ein Verfahren, nicht dagegen die Kristallform als Erzeugnis sei
patentierbar. Das ergibt sich auch daraus, dass es in anderem Zusammenhang
sagt, ein Erzeugnis-Patentanspruch solle frei sein von Merkmalen, die
ein Verfahren charakterisieren.

    Wie der Fachmann die Kristallform erzeugen kann, durfte die
Gesuchstellerin in der Patentbeschreibung ausführen. Dass sie das
dort nicht getan habe, wirft das Amt ihr vorläufig nicht vor und ist
angesichts der Ausführungen auf den S. 5 ff. des Patentgesuches für das
Bundesgericht nicht offensichtlich. Die Sache muss zu weiterer Behandlung
des Patentgesuches an das Amt zurückgewiesen werden.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen, die
Rückweisungsverfügung des Eidg. Amtes für geistiges Eigentum vom
30. Dezember 1970 aufgehoben und die Sache zu weiterer Behandlung des
Patentgesuches an das Amt zurückgewiesen.