Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 I 349



97 I 349

50. Auszug aus dem Urteil vom 25. Juni 1971 i.S. Erben der Anna Bader und
Mitbeteiligte gegen Staat Zürich und Verwaltungsgericht des Kantons Zürich.
Regeste

    Verzinsung von Entschädigungen wegen materieller Enteignung nach
zürcherischem Recht; Art. 4 BV (Willkür).

    Es ist nicht willkürlich, auf altrechtliche Fälle die Bestimmung von §
183bis EG/ZGB analog anzuwenden, welche einen gleitenden Zinssatz vorsieht.

Sachverhalt

    Mit Urteil vom 10. Juni 1970 sprach das Verwaltungsgericht des
Kantons Zürich einer Anzahl der von der zürcherischen Verordnung zum
Schutz der Katzenseen vom 12. Juli 1956 (in Kraft getreten am 3. August
1956) betroffenen Grundeigentümer Entschädigungen wegen materieller
Enteignung zu. In Ziffer 2 des Dispositivs wurde über die Verzinsung
der entsprechenden Beträge wie folgt entschieden:

    "Die Entschädigungen sind vom Kläger wie folgt zu verzinsen:

    ab 3. August 1956 bis 31. März 1958 zu 31/2%

    ab 1. April 1958 bis 31. Dezember 1964 zu 33/4%

    ab 1. Januar 1965 bis 31. Dezember 1966 zu 4 %

    ab 1. Januar 1967 bis 31. Dezember 1967 zu 41/4%

    ab 1. Januar 1968 bis 31. Dezember 1968 zu 41/2%

    ab 1. Januar 1969 bis 31. März 1970 zu 43/4%

    ab 1. April 1970 bis zum Auszahlungstag zu 5 %

    bei Auszahlung nach dem 31. März 1971

    ab 1. April 1971 bis zum Auszahlungstag zu 51/4%."

    Die Erben der Anna Bader und des Ernst Bodmer sowie 20 Mitbeteiligte
führen staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV mit
dem Antrag, Ziff. 2 des erwähnten Urteils sei aufzuheben. Sie machen
geltend, die ihnen zuerkannten Entschädigungsbeträge seien in Anlehnung
an § 54 des zürcherischen Gesetzes über die Abtretung von Privatrechten
(AbtrG) vom 30. November 1879 durchwegs mit 5% zu verzinsen. Sie halten
dafür, die im angefochtenen Urteil vorgesehene gleitende Verzinsung im
Sinne von § 183 bis EG/ZGB (Zinsfuss der Zürcher Kantonalbank für erste
Hypotheken) sei willkürlich und verstosse überdies gegen den Grundsatz
der Rechtsgleichheit, da sich das Obergericht in seinem parallelen
Katzensee-Urteil vom 16. Dezember 1969 unter analoger Anwendung von §
54 AbtrG für einen einheitlichen Zinsfuss von 5% entschieden habe und
das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts insoweit im Widerspruch
zur konstanten zürcherischen Rechtsprechung stehe. Die Beschwerdeführer
verweisen in diesem Zusammenhang auf näher bezeichnete Entscheidungen
des Bezirksgerichts und der Schätzungskommission sowie auf das Urteil
des Verwaltungsgerichts vom 23. November 1965 i.S. Bäggli betr.
Forchschutzverordnung.

    Der Staat Zürich und das Verwaltungsgericht beantragen, die Beschwerde
abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne. Ihre Vorbringen
ergeben sich, soweit wesentlich, aus den nachfolgenden Erwägungen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aau den Erwägungen:

    Die Parteien sind sich darüber einig, dass die zugesprochenen
Entschädigungsbeträge zu verzinsen sind. Ebenso ist unbestritten,
dass hiefür weder die Vorschrift von § 54 AbtrG noch jene des § 183
bis EG/ZGB formell angewendet werden kann, weil das Abtretungsgesetz
lediglich Bestimmungen über die formelle Enteignung enthält und § 183
bis EG/ZGB auf altrechtliche Fälle keine Anwendung findet (vgl. BGE 93
I 139 ff.). Dass im Kanton Zürich Ansprüche aus materieller Enteignung
vom Zeitpunkt der Entstehung an auf Grund von Gewohnheitsrecht zu einem
bestimmen Satz zu verzinsen wären, wird ferner zu Recht von keiner Seite
behauptet. Die Beschwerdeführer machen jedoch geltend, die zürcherischen
Behörden, insbesondere das Obergericht, lehnten sich an die Vorschrift
von § 54 AbtrG an und sähen einen Zinsfuss von 5% vor. Der Staat Zürich
und das Verwaltungsgericht gehen demgegenüber davon aus, ein gleitender
Zinssatz im Sinne von § 183 bis EG/ZGB lasse sich auch für altrechtliche
Fälle und damit auch im angefochtenen Urteil sachlich rechtfertigen.

    Wie in den Beschwerdeantworten überzeugend ausgeführt wird,
besteht im Kanton Zürich keine feststehende Praxis in dem von den
Beschwerdeführern behaupteten Sinn. Die in der Beschwerde genannten
Entscheidungen beziehen sich entweder auf das Verfahren der formellen
Enteignung oder lassen - vom Urteil des Obergerichts vom 16. Dezember
1969 abgesehen - eine eingehende Erörterung des Problems vermissen. Die
Beschwerdeführer vermögen insbesondere aus dem verwaltungsgerichtlichen
Entscheid vom 23. November 1965 (Forchschutzverordnung) nichts zu ihren
Gunsten abzuleiten, da - wie das Verwaltungsgericht mit Recht ausführt -
für eine nähere Prüfung der Zinsfrage aus prozessualen Gründen kein
Anlass bestand. Der sog. Albispassentscheid des Bezirksgerichts
Zürich vom 8. Juli 1960 hilft den Beschwerdeführern schliesslich
ebenfalls nicht, denn der Staat Zürich hat damals den Zinsanspruch
der Kläger "ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und ohne Präjudiz"
bejaht. Das Verwaltungsgericht hatte erstmals im angefochtenen Entscheid
Gelegenheit, sich eingehend mit der Verzinsung von altrechtlichen
Entschädigungsansprüchen aus materieller Enteignung auseinanderzusetzen.
Damit ist dem Vorwurf der verfassungswidrigen Praxisänderung der
Boden entzogen, denn von einer rechtsungleichen Behandlung kann
im vorliegenden Fall schon deshalb keine Rede sein, weil nach dem
Gesagten kein vergleichbarer Entscheid der gleichen Instanz vorliegt
(vgl. BGE 90 I 8, 226). Wohl hat das Bundesgericht seine Rechtsprechung
über die Zulässigkeit von Praxisänderungen in BGE 91 I 172 und 93 I 321
Erw. 4 präzisiert. Die damit vorgenommene Erweiterung des Rechtsschutzes
hilft jedoch den Beschwerdeführern nicht, denn die hiefür umschriebenen
Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall offensichtlich nicht gegeben;
das Obergericht, auf dessen Entscheid sich die Beschwerdeführer berufen,
und das Verwaltungsgericht haben als staatsrechtlich gleichgestellte
letztinstanzliche Gerichte in zwei voneinander unabhängigen Verfahren
selbständig eine Lücke des kantonalen Rechts ausgefüllt und sind
in richterlicher Rechtsfindung zu verschiedenen Resultaten gelangt,
welche nach dem Gesagten keineswegs im Widerspruch zu einer ständigen
Praxis der andern Instanz stehen. Eine präjudizielle Wirkung, welche den
angefochtenen Entscheid des Verwaltungsgerichts unter dem Gesichtswinkel
der Rechtsgleichheit als verfassungswidrig erscheinen liesse, kommt dem
Urteil des Obergerichts vom 16. Dezember 1969 somit nicht zu.

    Zu prüfen bleibt demnach bloss, ob der angefochtene Entscheid
gegen das Willkürverbot verstösst. Willkür liegt indessen nur vor,
wenn der Entscheid nicht nur unrichtig, sondern darüber hinaus
schlechthin unhaltbar ist, namentlich wenn er einen allgemeinen
Rechtsgrundsatz offensichtlich schwer verletzt oder in stossender
Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 96 I 627 Erw. 4,
93 I 6/7 mit Verweisungen). Davon kann im vorliegenden Fall keine Rede
sein, denn die Betrachtungsweise des Verwaltungsgerichts entspricht
der im Jahre 1959 geschaffenen gesetzlichen Ordnung (§ 183 bis EG/ZGB),
deren Verfassungsmässigkeit die Beschwerdeführer ausdrücklich anerkennen
(Beschwerdeschrift S. 19). Das Verwaltungsgericht hat seinen Entscheid
im übrigen unter Hinweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur
Zinspflicht nach öffentlichem Recht überzeugend begründet; das angefochtene
Urteil gäbe dem Bundesgericht mithin auch bei freier Prüfung keinen Anlass
zu Kritik, denn die Anwendung des Hypothekarzinsfusses für Entschädigungen
aus materieller Enteignung erscheint sachlich richtig und entspricht der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum Begriff des "üblichen Zinsfusses"
im Sinne von Art. 76 Abs. 2 und Art. 88 Abs. 1 EntG (vgl. BGE 87 I 91).

    Auch das Gebot der rechtsgleichen Behandlung spricht im übrigen für
die vom Verwaltungsgericht getroffene Entscheidung, denn es ist nicht
einzusehen, weshalb die neue Ordnung des § 183 bis EG/ZGB nicht auch auf
altrechtliche Fälle anwendbar sein soll, zumal die Frage der Verzinsung
bisher nicht gesetzlich geregelt war.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.