Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 I 320



97 I 320

46. Urteil vom 9. Juni 1971 i.S. Dr. G. gegen Generalprokurator und
Obergericht des Kantons Bern sowie G. A. und Konsorten. Regeste

    Kantonales Strafverfahren. Ausschluss eines Sachverständigen.  Willkür.

    Der Sachverständige, der mit einem andern, im gleichen Prozess wegen
Befangenheitsanschein ausgeschlossenen Experten enge Kontakte unterhalten
und dabei auch die im Prozess zu beantwortende Gutachterfrage erörtert
hat, erweckt den Anschein der Befangenheit, welcher für den Experten
nach bernischem Strafprozessrecht einen von Amtes wegen zu beachtenden
Unfähigkeitsgrund darstellt.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    A.- Das 1950 geborene Mädchen B.A., welches seit seiner Geburt
hüftleidend war, wurde am 12. September 1963 im Bezirksspital
Grosshöchstetten am rechten Hüftgelenk operiert. Infolge eines
Narkosezwischenfalls, der eine Hirnschädigung herbeiführte, starb
B.A. am 6. März 1964, ohne je aus ihrer Bewusstlosigkeit erwacht zu
sein. Am Operationsgeschehen beteiligt waren u.a. Dr. S. als Operateur,
Dr. G. als Assistent und Schwester H.S. Gegen diese drei Personen wurde
in der Folge ein Strafverfahren eingeleitet.

    B.- Der Vater des Mädchens, welcher Anzeige erstattet und Privatklage
erhoben hatte, reichte am 1. April 1966 der Untersuchungsbehörde ein in
seinem Auftrag von Prof. Hossli aus Zürich erstelltes Privatgutachten vom
15. März 1966 ein. Dieses kam zum Schluss, es seien den drei beteiligten
Personen für den Unfall kausale Fehler unterlaufen.

    C.- In der Hauptverhandlung vor dem Strafamtsgericht Konolfingen
vom 25./26. Juni 1968 wurde Prof. Hossli zum gerichtlichen Experten
bestellt. Anlässlich einer zweiten Hauptverhandlung vom 4. Dezember 1968
erstattete er sein zweites, nunmehr amtliches Gutachten. Es deckte sich
in seinen Schlussfolgerungen mit seinem Privatgutachten vom 15. März 1966.

    Mit Urteil vom 28. Januar 1969 sprach das Strafamtsgericht Konolfingen
Schwester H.S. frei. Hingegen wurden Dr. S. und Dr. G. der fahrlässigen
Tötung schuldig befunden. Dr. S. wurde zu einer Busse von Fr. 500.--,
Dr. G. zu einer Busse von Fr. 800.-- verurteilt.

    Der Freispruch von Schwester H.S. blieb unangefochten und wurde
rechtskräftig.

    D.- Auf Appellation von Dr. S. und Dr. G. hin hob die II. Strafkammer
des Obergerichts des Kantons Bern am 20. März 1970 das Urteil des
Strafamtsgerichts Konolfingen vom 28. Januar 1969 - soweit nicht in
Rechtskraft erwachsen - zusammen mit dem vorausgegangenen Verfahren
bis und mit der Hauptverhandlung vom 25. Juni 1968 auf und überwies die
Sache zu neuer Verhandlung an das Strafamtsgericht Thun. Das Obergericht
begründete die Kassation des erstinstanzlichen Urteils damit, dass es
sich hauptsächlich auf das Gutachten von Prof. Hossli stütze, dessen
Einsetzung zum gerichtlichen Sachverständigen aber gegen Art. 151
in Verbindung mit Art. 32 Ziff. 6 und Art. 33 des Gesetzes über das
Strafverfahren des Kantons Bern (StrV) verstossen habe, weil in seiner
Person Unfähigkeitsgründe im Sinne dieser Bestimmungen bestanden hätten.

    E.- Im Verfahren vor dem Strafamtsgericht Thun wurde am 28. Juli 1970
Prof. Hutschenreuter aus Homburg-Saar (Deutschland) zum gerichtlichen
Experten bestellt. Am 11. September 1970 erstattete er sein schriftliches
Gutachten, das er in der Hauptverhandlung vom 22. September 1970 mündlich
ergänzte. Sowohl im schriftlichen wie im mündlichen Gutachten führte er,
wenn auch mit unterschiedlicher Begründung, den Narkosezwischenfall auf
Fehler der beiden angeschuldigten Ärzte zurück. Ein an der Hauptverhandlung
vom 21. September 1970 von der Verteidigung vorfrageweise gestellter
Antrag auf Absetzung dieses Experten wegen Befangenheit wurde abgewiesen.

    Mit Urteil vom 24. September 1970 erklärte das Strafamtsgericht
Thun Dr. S. und Dr. G. der fahrlässigen Tötung schuldig und verurteilte
sie zu Bussen von je Fr. 500.--.

    F.- Dr. S. und Dr. G. erhoben Appellation gegen das Urteil des
Strafamtsgerichts Thun vom 24. September 1970. Mit ihrem Hauptantrag
verlangten sie gestützt auf Art. 323 StrV Aufhebung des angefochtenen
Urteils sowie des gesamten erstinstanzlichen Verfahrens wegen Verletzung
von Prozessvorschriften. Sie rügten insbesondere die Überlassung von
Akten des aufgehobenen Verfahrens vor dem Strafamtsgericht Konolfingen
an den neu ernannten gerichtlichen Experten Prof. Hutschenreuter. Weiter
machten sie geltend, dieser habe sowohl vor als auch nach Übernahme des
Expertenauftrages mit Prof. Hossli Kontakte unterhalten, was ihn ebenfalls
als befangen erscheinen lasse.

    Mit Entscheid vom 4. Dezember 1970 wies die II. Strafkammer des
Obergerichts den Antrag auf Kassation ab, sprach sodann Dr. S. von
der gegen ihn erhobenen Anklage frei, verurteilte hingegen Dr. G. wegen
fahrlässiger Tötung zu einer Busse von Fr. 500.--, bei Bewährung löschbar
nach 2 Jahren.

    G.- Dr. G. erhebt gegen das Urteil der II. Strafkammer des
Obergerichtes vom 4. Dezember 1970 staatsrechtliche Beschwerde wegen
Verletzung von Art. 4 BV; er verlangt Aufhebung dieses Entscheides.

    Die Begründung des angefochtenen Urteils und die vom Beschwerdeführer
hiegegen erhobenen Rügen gehen, soweit erforderlich, aus den nachfolgenden
Erwägungen hervor.

    H.- Das Obergericht verzichtet auf Vernehmlassung; die Privatkläger
beantragen Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 151 StrV werden vom Richter nur solche Personen
als Sachverständige ernannt, die nicht nach Massgabe der Art. 32 und 33
StrV als Richter abgelehnt werden können. Nach Art. 33 kann ein Richter
abgelehnt werden,

    "wenn Tatsachen vorliegen, welche geeignet sind, ihn als befangen
erscheinen zu lassen und Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu
erregen."

    Der Befangenheitsanschein, der beim Richter einen blossen
Ablehnungsgrund darstellt, ist somit beim Sachverständigen ein von Amtes
wegen zu beachtender Unfähigkeitsgrund. Die Einsetzung eines im Sinne
von Art. 33 StrV befangenen Sachverständigen ist, auch nach Auffassung
des Obergerichtes, eine kausale Prozessrechtsverletzung, welche nach
Art. 323 StrV zur Aufhebung des Urteils der unteren Instanz führen muss,
sofern - was hier zutrifft - die Folgen dieser Rechtsverletzung in oberer
Instanz nicht behoben werden können. Dabei ist nach den Ausführungen des
Obergerichts in seinen beiden Urteilen vom 20. März 1970 und 4. Dezember
1970 nicht eine objektive Befangenheit erforderlich. Es genüge vielmehr,
"wenn Tatsachen vorliegen, die beim Rekusanten den Eindruck einer - wenn
auch tatsächlich nicht vorhandenen - Befangenheit erwecken können." Doch
dürfe, wie im zweiten Urteil vom 4. Dezember 1970 unter Hinweis auf die
Kommentare WAIBLINGER zu Art. 33 StrV und LEUCH zum gleich lautenden
Art. 11 Ziff. 5 ZPO ergänzend beigefügt wird, das Misstrauen nicht
lediglich im Glauben der Parteien wurzeln, sondern es müsse durch
vernünftige Gründe gerechtfertigt sein. Treffe dies zu, so müsse die
Ablehnung selbst dann gutgeheissen werden, wenn der entscheidende Richter
überzeugt sei, dass keine objektive, wirkliche Befangenheit vorliege.

    Nach Auffassung des Beschwerdeführers hat das Obergericht das
Vorhandensein vernünftiger Gründe für den Anschein der Befangenheit Prof.
Hutschenreuters willkürlich verneint.

Erwägung 2

    2.- Nach den Feststellungen in den beiden Urteilen des Obergerichts vom
20. März 1970 und 4. Dezember 1970 ist das erste in dieser Sache ergangene
Urteil, das jenige des Strafamtsgerichts Konofingen vom 28. Januar 1968,
aufgehoben worden wegen Mitwirkung des den Anschein der Befangenheit
erweckenden gerichtlichen Experten Prof. Hossli, auf dessen Gutachten
sich das Urteil entscheidend stützte. Der Befangenheitsanschein ergab
sich daraus, dass Prof. Hossli vor seiner Bestellung zum Gerichtsexperten
der Privatklägerschaft als Privatexperte Rat erteilt und sich auch in der
Folge in einer Weise eingesetzt hatte, "die bei den Angeschuldigten die
Vermutung zu erwecken vermochte, in Prof. Hossli einen persönlichen Gegner
zu haben." Im darauffolgenden Verfahren vor dem Strafamtsgericht Thun sind
dem neuen gerichtlichen Sachverständigen Prof. Hutschenreuter Akten des
aufgehobenen Konofinger Verfahrens, insbesondere das gerichtliche Gutachten
Prof. Hossli und das motivierte Urteil des Strafamtsgerichtes Konolfingen,
übergeben worden. Weiter steht fest, dass Prof. Hutschenreuter, wie später
noch näher darzulegen sein wird, vor und nach Annahme des Expertenauftrages
mit dem früheren Sachverständigen Prof. Hossli eine Reihe telefonischer und
persönlicher Kontakte gehabt hat, wobei auch über den Fall B.A. diskutiert
worden ist. Dagegen hat sich herausgestellt, dass Prof. Hutschenreuter,
entgegen einer Protokollnotiz des Präsidenten des Strafamtsgerichtes Thun,
nie Schüler von Prof. Hossli gewesen und seine Bemerkung, er könne sich
nicht zu einem "Gegengutachten" bereit finden, auf ein Missverständnis
zurückzuführen ist.

    Zur Beurteilung steht die Frage, ob das Obergericht angesichts dieses
Sachverhaltes ohne Willkür annehmen konnte, es liege inbezug auf Prof.
Hutschenreuter kein Ablehnungsgrund im Sinn des Art. 33 StrV vor.

Erwägung 3

    3.- Im angefochtenen Entscheid vom 4. Dezember 1970 vertritt
das Obergericht die Auffassung, die Herausgabe des Bestandteil des
aufgehobenen Verfahrens bildenden Gerichtsgutachtens Prof. Hosslis
sowie des kassierten Urteils des Amtsgerichts Konolfingen an
Prof. Hutschenreuter stelle wohl eine Prozessrechtsverletzung dar,
doch sei dieser Fehler nicht geeignet gewesen, bei den Angeschuldigten
Misstrauen in die Unparteilichkeit Prof. Hutschenreuters zu erregen. Denn
das von Prof. Hossli erstattete Privatgutachten, das zu keinen andern
Schlüssen komme als dessen gerichtliches Gutachten, habe zu den Akten
des nicht aufgehobenen Verfahrensteils gehört und sei deshalb dem neuen
Sachverständigen ohne Prozessrechtsverletzung zugänglich gewesen. Es
würde daher reinen Formalismus bedeuten, die beiden Gutachten in ihrem
Aussagewert unterscheiden zu wollen. In diesem Lichte gesehen verliere
auch die Aushändigung der kassierten Urteilsbegründung an Bedeutung, stütze
sich doch dieses Urteil voll und ganz auf die Thesen von Prof. Hossli. Sei
es zulässig gewesen, dass Prof. Hutschenreuter die Ansicht Prof. Hosslis
bekannt werde, so habe ihm die Urteilsbegründung keine neuen Aspekte
aufzuzeigen vermocht.

    Diese Auffassung verstösst nicht gegen Art. 4 BV. Zwar darf nicht
übersehen werden, dass ein Privatgutachten einen blossen Bestandteil der
Parteivorbringen, eine gerichtliche Expertise dagegen ein Beweismittel
darstellt, und insoweit daher die prozessrechtliche Bedeutung der beiden
Gutachten Prof. Hosslis verschieden ist. Für die Frage, wieweit ein
wissenschaftlicher Sachverständiger durch andere in der gleichen Sache
bereits erstattete Gutachten beeinflussbar sei, kommt es indessen weniger
auf die prozessrechtliche Bedeutung, sondern in erster Linie auf das
wissenschaftliche Gewicht jener früheren Gutachten an. Dass diesbezüglich
zwischen den beiden Expertisen Prof. Hosslis ein Unterschied bestehe,
ist nicht behauptet worden. War es zulässig, dass Prof. Hutschenreuter vom
Privatgutachten Prof. Hosslis Kenntnis erhielt, so ist es nicht unhaltbar,
daraus zu folgern, dass auch die - prozessrechtswidrige - Überlassung des
im wesentlichen gleichlautenden Gerichtsgutachtens Prof. Hosslis und des
darauf gestützten Urteils an Prof. Hutschenreuter für sich allein keinen
Ablehnungsgrund im Sinne von Art. 33 StrV bilde.

Erwägung 4

    4.- Als mit sachlichen Gründen nicht mehr vertretbar erweist sich
das angefochtene Urteil dagegen hinsichtlich der Würdigung der zwischen
den beiden Experten stattgefundenen Kontakte. An der Hauptverhandlung des
Amtsgerichts Thun vom 22. September 1970 hierüber befragt, erklärte Prof.
Hutschenreuter folgendes:

    "Prof. Hossli sah ich letztmals am vergangenen Sonntag, auf meiner
Hinreise nach Thun. Ich hatte in Bern eine Besprechung mit Herrn Tschirren,
bei welcher auch Prof. Hossli anwesend war. Ich weiss, dass die Experten
keinen Kontakt mit mir aufnehmen sollten... Bei der Zusammenkunft in Bern
wurde der Fall zwar diskutiert, jedoch nicht nur in Bern."

    An der obergerichtlichen Hauptverhandlung vom 4. Dezember 1970 ergänzte
Prof. Hutschenreuter diese Aussage wie folgt:

    "Ich habe mit Prof. Hossli vor Annahme des Expertenauftrages
gesprochen. In einem ersten Telefongespräch vor Erhalt des
Expertenauftrages hat Prof. Hossli mich angerufen, ob ich einen
Expertenauftrag annehmen würde. Ich weiss nicht, in wessen Auftrag
Prof. Hossli mich angefragt hat...

    Nachdem ich den Expertenauftrag angenommen hatte, habe ich noch
einmal telefonisch mit Prof. Hossli gesprochen. Gesprächsthema war der
Fortbildungskurs in Hamburg, anlässlich welchem Prof. Hossli über den
vorliegenden Fall referieren wollte. Anlässlich des ersten Telefonates hat
mich Prof. Hossli kurz über den Fall orientiert. Er hat mir auch gesagt,
weshalb das Urteil kassiert worden ist. Seine Schlüsse hat er mir nicht
eindeutig bekannt gegeben. Er hat lediglich, wie Prof. Wiemert, von einer
falschen Intubation gesprochen.

    Im August war ich im Schwarzwald in Bayersbronn im Urlaub, wo mich
Herr Prof. Hossli aufsuchte. Der wesentliche Grund war, dass nächstes
Jahr hier in Bern unter Leitung von Prof. Tschirren die Tagung der
Schweiz.-österreichischen und deutschen Anaesthesiegesellschaften
stattfindet. Prof. Hossli hat mir dann auch noch Einzelheiten über den
Fall B.A. vorgetragen...

    Das zweite Telephongespräch war nach Annahme des Expertenauftrages;
Grund des Telefonates war nicht der Fall B.A.; ich sagte lediglich, dass
ich den Auftrag angenommen hatte. Das war vor dem Besuch von Prof. Hossli
in Bayersbronn.

    Ich habe mich am Sonntag, vor der Verhandlung in Thun, gegen
Abend, mit den Prof. Tschirren und Hossli getroffen. Prof. Tschirren
hat mir das Inselspital gezeigt; wir haben uns auch über den Fall
B.A. unterhalten. Unser Hauptthema war jedoch die Tagung vom nächsten
Jahr, ohne welche ich nicht in Bern Station gemacht hätte. In Bezug auf
den Prozess sprachen wir über die Konsequenzen von Sauer(stoff)mangel. Ich
sagte, wenn der Sachverhalt mir richtig dargestellt worden sei, sei die
Schlussfolgerung Hosslis bestimmt zutreffend."

    a) Das Obergericht führt hiezu u.a. aus, es sei zwar nicht ganz
verständlich, dass Prof. Hossli, wegen dessen Mitwirkung das Verfahren
vor Amtsgericht Konolfingen aufgehoben worden sei, sich nachträglich
erneut der Angelegenheit angenommen habe. Doch gehe es nicht an, deswegen
andere Fachleute zum vornherein als befangen zu bezeichnen. Es sei denn
auch in keiner Weise erwiesen, dass diese Kontakte die Gutachtertätigkeit
Prof. Hutschenreuters auch nur im geringsten beeinflusst hätten. Die Kammer
sei aufgrund der in der obergerichtlichen Verhandlung durchgeführten
Einvernahme Prof. Hutschenreuters im Gegenteil davon überzeugt, "dass
dieser Experte bemüht war, sein Gutachten sachlich und nach bestem
Wissen und Gewissen zu erstatten." Damit beurteilt das Obergericht
diese Kontakte mit Bezug auf die Befangenheit des Experten nach ihrer
tatsächlichen Wirkung bzw. Wirkungslosigkeit und nicht nach ihrer möglichen
Wirkung bzw. dem Wirkungsanschein. Nach dem Wortlaut von Art. 33 StrV
und der eigenen Auslegung dieser Bestimmung durch das Obergericht kommt
es nicht darauf an, ob eine objektive, wirkliche Befangenheit besteht,
sondern nur darauf, ob Tatsachen vorliegen, die den Eindruck einer - wenn
auch tatsächlich nicht vorhandenen - Befangenheit erwecken können. Indem
das Obergericht diese Bestimmung in einer mit ihrem klaren Wortlaut und
Sinn unvereinbaren Weise angewendet und sich überdies zu seiner eigenen
Auslegung in Widerspruch gesetzt hat, hat es gegen Art. 4 BV verstossen
(BGE 95 I 371, 93 I 7, 90 I 139).

    b) Dass die Kontakte mit Prof. Hossli an sich tauglich waren,
Prof. Hutschenreuter zu beeinflussen und beim Beschwerdeführer Misstrauen
in dessen Unparteilichkeit hervorzurufen, steht ausser Zweifel und kann
schlechterdings nicht verneint werden. Es bleibt lediglich die Frage,
ob dieses Misstrauen durch vernünftige Gründe gerechtfertigt war.

    Das Obergericht führt dazu aus, es könne zwar nicht übersehen werden,
dass die erwähnten Tatsachen bei den Angeschuldigten den Eindruck erwecken
konnten, der neue Sachverständige sei nicht mehr unparteilich. Allein dies
genüge nicht, um die Befangenheit des Experten Prof. Hutschenreuter und
damit dessen Ablehnung zu begründen, denn diese Tatsachen allein böten
keinen vernünftigen und objektiven Grund, den allfälligen Eindruck der
Befangenheit des Experten bei den Angeschuldigten zu rechtfertigen. In
der Person von Prof. Hutschenreuter liege somit kein Unfähigkeitsgrund.

    Diese Begründung krankt an einem unüberbrückbaren, echten Widerspruch
und ist nicht haltbar (BGE 93 I 7 mit Verweisungen). Einerseits führt
das Obergericht selbst aus, dass die beanstandeten Tatsachen beim
Beschwerdeführer den Eindruck der Parteilichkeit Prof. Hutschenreuters
erregen konnten, was eine vernünftige und objektive Beurteilung dieser
Tatsachen durch das Obergericht voraussetzt. Andererseits verneint es
gleichzeitig ohne jede Begründung das Vorhandensein eines vernünftigen
Grundes zur Rechtfertigung dieses Eindruckes beim Beschwerdeführer. Dies
ist schlechterdings unvereinbar.

    c) Das Obergericht weist zwar an anderer Stelle darauf hin, dass
die Anaesthesiologie ein relativ neuer medizinischer Berufszweig
sei und infolgedessen die sich damit beschäftigenden Gelehrten des
deutschsprachigen Raumes einander alle persönlich bekannt seien und
miteinander in dauernder Verbindung stünden. Es gehe daher nicht an, Prof.
Hutschenreuter wegen seiner mit Prof. Hossli unterhaltenen Kontakte
als Sachverständigen auszuschliessen; andernfalls könnte der gleiche
Ablehnungsgrund auch gegenüber jedem anderen überragenden Experten der
Anaesthesiologie geltend gemacht werden.

    Dieser Einwand ist unhaltbar. Die fraglichen Gespräche zwischen
den beiden Experten hatten keineswegs lediglich den Charakter von
Kontakten, wie sie zwischen Wissenschaftern des gleichen Faches mit
Bezug auf die allgemeinen Belange ihrer Tätigkeit notwendig und üblich
sind. Vielmehr betrafen sie, wie aus den vorstehend wiedergegebenen
Aussagen Prof. Hutschenreuters hervorgeht, zum Teil unmittelbar dessen
Gutachteraufgabe im vorliegenden Prozess, und es wurde unbestrittenermassen
der Fall B.A. bis in seine Einzelheiten besprochen. Dies legt den
Schluss nahe, dass es zwischen den beiden Experten zu einem eigentlichen
Meinungsaustausch gekommen ist. Gegen die Möglichkeit einer derartigen
Beeinflussung Prof. Hutschenreuters liesse sich dann nichts einwenden, wenn
Prof. Hossli ein am Verfahren unbeteiligter Dritter wäre. Da er jedoch in
der gleichen Sache bereits als Gutachter tätig gewesen und in der Folge aus
schwerwiegenden Gründen wegen Befangenheitsanscheins abgelehnt worden war,
bildeten diese Kontakte für die Beschuldigten einen durchaus vernünftigen
Grund, auch an der Unbefangenheit des neuen Experten zu zweifeln. Wenn im
Strafverfahren ein Experte nach Art. 151 StrV ausgeschlossen wurde und
der Beschuldigte erfährt, dass der zweite Experte mit dem ersten, wegen
Anscheins der Befangenheit ausgeschlossenen derart enge Kontakte hatte, wie
es hier der Fall war, so wird der Beschuldigte durchaus verständlicherweise
an der Unbefangenheit des zweiten Experten zweifeln, und zwar wird das
ohne weiteres auch ein ganz vernünftig denkender Beschuldigter tun,
nicht bloss ein übertrieben misstrauischer.

    d) Zu diesem Schluss kommt, zum Teil allerdings im Widerspruch zu
seinen Erwägungen, auch das Obergericht, wenn es feststellt, dass die
erwähnten Tatsachen den Eindruck der Befangenheit des neuen Experten Prof.
Hutschenreuter erwecken konnten. Damit aber war der Unfähigkeitsgrund des
Art. 33 StrV ohne Zweifel gegeben. Denn die richterliche Feststellung, es
bestehe der Eindruck der möglichen Befangenheit, umfasst die Feststellung,
dass dieser Emdruck objektiv, durch vernünftige Gründe gerechtfertigt
ist. Alsdann sind, auch nach der eigenen Rechtsauffassung des Obergerichts,
die Voraussetzungen des Art. 33 StrV erfüllt. Indem das Obergericht
trotzdem das Vorliegen eines Unfähigkeitsgrundes verneinte und die
Kassation des unter Mitwirkung Prof. Hutschenreuters zustandegekommenen
Urteils des Strafamtsgerichtes Thun ablehnte, verstiess es gegen Art. 4
BV. Die Beschwerde ist daher gutzuheissen und der angefochtene Entscheid
aufzuheben.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil der II. Strafkammer
des Obergerichtes des Kantons Bern vom 4. Dezember 1970 aufgehoben.