Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 I 112



97 I 112

20. Auszug aus dem Urteil vom 3. März 1971 i.S. Baumann gegen Gemeinden
Horgen und Hirzel sowie Verwaltungsgericht des Kantons Zürich. Regeste

    Entschädigung für materielle Enteignung.

    Der Umstand, dass Bauerwartungsland, das in ein Naturschutzgebiet
einbezogen wird, an den Wald grenzt und Bauten auf diesem Land einen
Waldabstand einzuhalten hätten, darf bei der Bestimmung des Verkehrswerts
des Landes als wertvermindernder Faktor berücksichtigt werden.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    Die Gemeinderäte von Horgen und Hirzel haben mit Beschlüssen vom
9. bzw. 11 Juli 1962 gestützt auf §§ 1-3 der kantonalen Verordnung
betreffend den Natur- und Heimatschutz vom 9. Mai 1912 Vorschriften zum
Schutze des Bergweihers und dessen Umgebung erlassen. Im Schutzgebiet
ist insbesondere untersagt,

    "a)  Hoch- und Tiefbauten aller Art auszuführen sowie Mauern und
Einfriedungen zu erstellen;

    b)  Abgrabungen und Aufschüttungen vorzunehmen;

    c)  Kehricht, Fabrikationsrückstände, Bauschutt und andere Materialien
abzulagern;

    d)  Lagerplätze anzulegen..."

    Die Beschlüsse der Gemeinderäte über die Schaffung des Schutzgebietes
wurden erfolglos an die obern kantonalen Instanzen weitergezogen.

    Bei dem in der Folge eingeleiteten Schätzungsverfahren zur Festsetzung
der den betroffenen Grundeigentümern für das Bauverbot zu leistenden
Entschädigungen wurde u.a. streitig, wie die Wiesen zu bewerten seien,
die Eigentum des Emil Baumann sind und von denen einige an den Wald
grenzen. Die Gemeindebehörden bestritten jede Entschädigungspflicht für
diejenigen Teile dieser Wiesen, die innerhalb des in der Bauordnung auf
30 m festgesetzten Waldabstandes liegen und ohnehin nicht überbaut werden
dürften. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich als letzte kantonale
Instanz nahm für die an den Wald grenzenden Wiesen einen einheitlichen
Verkehrswert an und führte aus, die Waldnähe sei im allgemeinen als ein
Umstand zu berücksichtigen, der den Verkehrswert des ganzen Grundstücks
mindere; dabei rechtfertige es sich aber in der Regel nicht, ein teilweise
durch die Waldabstandsvorschrift belastetes Grundstück in verschiedene
Wertzonen aufzuteilen, da nicht anzunehmen sei, dass der Eigentümer das
Waldabstandsgebiet je allein in den Handel gebracht hätte.

    Baumann hat gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts insoweit,
als die Grundstücke mit Waldabstand tiefer als anderes Land bewertet
sind, staatsrechtliche Beschwerde wegen Willkür und Verletzung der
Eigentumsgarantie erhoben.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Dass die Vorschriften über das Schutzgebiet Bergweiher
enteignungsähnliche Eigentumsbeschränkungen enthalten und dass
der Beschwerdeführer als betroffener Grundeigentümer Anspruch auf
volle Entschädigung der durch die Eigentumsbeschränkung bewirkten
Werteinbusse hat, ist unbestritten. Auch der Zeitpunkt für die massgebende
Schätzung, der sich aus § 183 bis Abs. 3 EG/ZGB ergibt (vgl. hiezu BGE
93 I 133 ff), ist nicht streitig. Der Beschwerdeführer lässt ferner
die vom Verwaltungsgericht bei der Schätzung angewandten allgemeinen
Grundsätze gelten. Der auf Grund von Preisvergleichen festgelegte Rahmen
von. Fr. 8.-/m2 bis Fr. 15.-/m2 für die Bestimmung des Verkehrswertes und
der einheitliche Ansatz von Fr. 3.-/m2 für den Restwert landwirtschaftlich
nutzbaren Wieslandes werden nicht beanstandet. In diesem Verfahren
ist lediglich die Frage zu entscheiden, ob die Berücksichtigung des
Waldanstosses als eines den Wert der Parzelle mindernden Umstandes gegen
eine Verfassungsvorschrift verstösst.

    Die von den kantonalen Behörden bei der Festlegung von Entschädigungen
angewandten Bewertungsmethoden und das Ergebnis der Schätzungen prüft das
Bundesgericht nur unter dem Aspekt der Willkür (BGE 93 I 138/139). Die
auf dem Wege von Schätzungen festgestellte Entschädigung ist als
verfassungswidrig aufzuheben, wenn sie als mit sachlichen Gründen nicht
haltbar erscheint.

    a) Aus dem angefochtenen Entscheid ergibt sich, dass das
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich in Übereinstimmung mit der
Schätzungskommission die durch die Schutzvorschriften betroffenen
Grundstücke als sogenanntes Bauerwartungsland betrachtet, d.h. als Land,
dessen Überbauung noch in unbestimmter Zukunft liegt, dessen Wert aber doch
schon den Preis reinen Kulturlandes übersteigt und eine wesentliche, durch
die Möglichkeit künftiger Überbauung bestimmte Komponente enthält. Über
diese Qualifikation des Wieslandes als Bauerwartungsland sind sich die
Beteiligten einig. In der Beschwerdeschrift wird zutreffend ausgeführt,
der Verkehrswert solchen Landes hänge von verschiedenen heute schon
feststellbaren Faktoren ab, wie Lage, Besonnung, Aussicht, Grösse der
Parzelle usw.; es wird hingegen in Abrede gestellt, dass auch die Tatsache
des Waldanstosses wertvermindernd wirke. Die Waldnähe und die Vorschrift,
dass Bauten einen Waldabstand von 30 m einzuhalten haben, ist jedoch bei
jeder vorhandenen Parzelle ein Umstand, der sich heute schon feststellen
lässt und der auch bei einem Handel auf dem Liegenschaftsmarkt nicht
unbeachtet bliebe. Dass man bei einer künftigen Überbauung durch geschickte
Einteilung versuchen würde, die zulässige Ausnützungsziffer trotz der
Waldnähe zu erreichen, hebt die wertvermindernde Wirkung des Waldanstosses
nicht auf. Wer an einem Waldrand gelegenes Bauerwartungsland kaufen will,
der wird die durch die Waldabstandsvorschrift geschaffene Erschwerung
der Überbauung und den Schattenwurf des Waldes auf künftige Gärten oder
Anlagen in Rechnung stellen, auch wenn er hofft, bei der Realisierung
eines Bauprojektes die nachteiligen Auswirkungen der Waldnähe auf ein
Minimum reduzieren zu können. Dass das Verwaltungsgericht bei seiner
Schätzung der einzelnen Parzellen neben den andern Faktoren wie Lage,
Grösse usw. den Waldabstand wertmindernd in Betracht zog, beruht somit
auf realistischen, sachlichen Überlegungen. Damit wird weder gegen die
Eigentumsgarantie noch gegen Art. 4 BV verstossen.

    b) Es trifft zu, dass künftige, heute noch nicht feststehende
Einschränkungen der Baufreiheit durch Zonenvorschriften, Baulinien
usw. in der Regel nicht zu einer Differenzierung in der Bewertung
von Bauerwartungsland führen können; denn dabei handelt es sich
um Faktoren, die heute noch völlig unbestimmt sind und sich nicht
feststellen lassen. Der Waldanstoss aber ist ein klar erkennbarer,
wegen des Rodungsverbotes grundsätzlich unveränderlicher Umstand,
dessen tatsächliche und rechtliche Auswirkungen die Preisbildung
beeinflussen. Feststehende entschädigungslose Eigentumsbeschränkungen
sind bei der Bestimmung des Verkehrswertes (als Wertminderungsfaktoren)
zu erfassen (WIEDERKEHR, Die Expropriationsentschädigung, Winterthur 1966,
S. 80/81; MEIER-HAYOZ/ROSENSTOCK, Zum Problem der Grünzonen, Bern 1967,
S. 76 f).

    c) Aus BGE 96 I 129, in welchem erklärt wurde, Waldabstandsvorschriften
dienten der Gefahrenabwehr und seien polizeilich begründet, folgert
der Beschwerdeführer, diese Vorschriften seien somit von den übrigen
baupolizeilichen Vorschriften nicht wesensverschieden, und da Grenz- und
Gebäudeabstandsvorschriften auf den Verkehrswert von Bauerwartungsland
keinen Einfluss haben könnten, sei es willkürlich, den Waldabstand
als Minderungsfaktor zu beachten. Nun können aber Vorschriften über
Grenz- und Gebäudeabstände, Ausnützungsziffern usw. nur deswegen keine
differenzierende Bewertung von Bauerwartungsparzellen zur Folge haben,
weil diese die künftige Preisbildung beeinflussenden Faktoren noch
nicht bekannt sind. Mit der polizeilichen Natur solcher Vorschriften
hat dies nichts zu tun. Soweit polizeiliche Beschränkungen bereits
feststehen - wie der Waldabstand oder auch der in einem kantonalen Gesetz
vorgeschriebene Abstand von öffentlichen Gewässern - beeinflussen sie
den Wert der betroffenen Grundstücke und sind auch bei der Festsetzung
der Entschädigung für ein Bauverbot zu beachten.

    d) Zum Beweis dafür, dass der Waldanstoss den Verkehrswert von
Bauerwartungsland nicht beeinflusse, erwähnt der Beschwerdeführer zwei
Liegenschaftskäufe der Gemeinde Horgen, welche Grundstücke mit Waldanstoss
betreffen. Er behauptet, in den vereinbarten Quadratmeterpreisen von
Fr. 24.- und Fr. 18.- sei ein Minderwert wegen des Waldabstandsgebietes
nicht berücksichtigt.

    Die erwähnten Preise zeigen, dass es sich dabei um Bauerwartungsland
handelt, das aus irgendwelchen Gründen, die sich den Akten nicht
entnehmen lassen, einer andern Preisklasse angehört als das Land im
Schutzgebiet Bergweiher. Ob die Lage, der Grad der Erschliessung, die
grössere Wahrscheinlichkeit einer baldigen Überbauung oder irgendein
anderer Faktor für den wesentlich höhern Verkehrswert ausschlag gebend
ist, muss hier offen bleiben. Beide Käufe wurden von der Vorinstanz
unbestritten nicht als vergleichstauglich betrach tet. Aus den von der
Gemeinde bezahlten Preisen ergibt sich übrigens noch nicht, dass der
Waldanstoss ohne Belang war; erst der Nachweis, dass Bauerwartungsland
von in jeder Hinsicht gleicher Qualität, aber ohne Waldanstoss keinen
höhern Preis erzielte, könnte den Standpunkt des Beschwerdeführers von
der Bedeutungslosigkeit des Waldabstandsgebietes für die

    Preisbildung stützen. Ein solcher Beweis dafür, dass - entgegen den
oben dargelegten Erwägungen - die Tatsache des Waldanstosses generell
vom Käufer einer Bauerwartungspar zelle nicht beachtet wird, fehlt jedoch.