Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 I 107



97 I 107

19. Auszug aus dem Urteil vom 5. Mai 1971 i.S. X gegen Dr. Y, Staatsanwalt
und Obergericht des Kantons Luzern. Regeste

    Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde. Art. 4 BV.  Kantonales
Strafprozessrecht.

    Der Privatkläger kann, obwohl in der Sache selbst nicht legitimiert,
mit staatsrechtlicher Beschwerde rügen, die Klage sei aus einer Erwägung,
die offensichtlich der kantonalen StPO widerspricht, von der Hand gewiesen
worden.

    Es ist nicht willkürlich, die Strafklage von der Hand zu weisen,
wenn die geltend gemachte Tat zwar unter Strafe gestellt ist, es aber
offensichtlich an einem hinreichenden Verdacht fehlt.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    A.- Gegen X wurde ein Strafverfahren wegen gewerbsmässigen
Betrugsversuchs und Urkundenfälschung durchgeführt. Nachdem sich X in
dieser Angelegenheit selbst mehrmals an die Presse gewandt hatte, erteilte
der die Untersuchung führende Staatsanwalt Dr. Y zur Klarstellung gewisser
Behauptungen einem Journalisten Auskunft, der darüber einen Zeitungsartikel
veröffentlichte.

    B.- X reichte gegen Dr. Y Strafklage wegen übler Nachrede, eventuell
Verleumdung und Kreditschädigung ein. Darin machte er geltend, Dr. Y
habe ihm in diesem Zeitungsartikel wahrheitswidrig vorgeworfen, er hätte
mit Betrugsabsicht gehandelt. Der Amtsstatthalter wies die Klage von der
Hand. Ein Rekurs des X an die Staatsanwaltschaft hatte insoweit Erfolg,
als der ausserordentliche Staatsanwalt den Entscheid des Amtsstatthalters
aufhob und diesen anwies, die Untersuchung durchzuführen. Auf Beschwerde
von Dr. Y hob das Obergericht des Kantons Luzern den Entscheid des
a.o. Staatsanwalts auf und bestätigte den Entscheid des Amtsstatthalters,
womit dieser die Strafklage des X von der Hand gewiesen hatte.

    Zur Begründung führte das Obergericht im wesentlichen aus: Nach
konstanter Praxis der luzernischen Strafrechtspflegebehörden gelte es
als eine Voraussetzung der Strafverfolgung, dass sich die Anschuldigung
nicht von vorneherein als haltlos erweise. Treffe dies zu, so habe der
Strafkläger kein schützenswertes Interesse an der Untersuchung; vielmehr
habe dann der Angeschuldigte von Verfassungs wegen Anspruch darauf, dass
die Einleitung des Strafverfahrens unterbleibe. Der Untersuchungsrichter
müsse deshalb jeweils auf Grund des materiellen Strafrechts - sozusagen
vorfrageweise - prüfen, ob die den Gegenstand der Klage bildende Tat mit
Strafe bedroht sei, bevor er ein Strafverfahren einleite; er dürfe auch
berücksichtigen, ob ein Rechtfertigungsgrund vorliege. Freilich dürfe
der Untersuchungsrichter eine Strafklage nur dann von der Hand weisen,
wenn ausser Zweifel stehe, dass sich der Angeschuldigte nicht strafbar
gemacht habe. Im vorliegenden Fall habe Dr. Y im Rahmen der ihm vom Gesetz
verliehenen Befugnisse gehandelt; er habe die beanstandete Auskunft
berechtigterweise erteilt. Es habe sogar ein öffentliches Interesse
bestanden, dass Dr. Y die zur Klarstellung der Sachlage erforderliche
Auskunft erteilt habe. Die Anklage gegen X laute tatsächlich zur Hauptsache
auf Betrugsversuch, und aus dem Zeitungsartikel gehe klar hervor, dass X
im Prozess Betrugsversuch vorgeworfen werde; die Verbindung zu dem noch
nicht abgeschlossenen gerichtlichen Verfahren gehe wie ein roter Faden
durch den ganzen Bericht. Die Auskunft habe somit der Wahrheit entsprochen;
auch sei sie auf das Wesentliche beschränkt gewesen. Selbst wenn das eine
oder andere Tatbestandsmerkmal der Ehrverletzung oder Kreditschädigung
gegeben sein sollte, würde es, ganz abgesehen von der Schuld, an der
Rechtswidrigkeit fehlen. Der Amtsstatthalter habe deshalb die Strafklage
zu Recht von der Hand gewiesen.

    C.- Gegen diesen Entscheid hat X staatsrechtliche Beschwerde erhoben.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Das Obergericht hat die Strafklage des X in Bestätigung
des Entscheids des a.o. Amtsstatthalters von der Hand gewiesen, indem
es annahm, es sei von vorneherein klar, dass sich Dr. Y nicht der
Ehrverletzung oder Kreditschädigung schuldig gemacht habe, wie ihm das
in der Strafklage vorgeworfen wurde. Der Beschwerdeführer behauptet -
freilich in unklarer Weise - eine Strafklage dürfe nicht deshalb von
der Hand gewiesen werden, weil der Amtsstatthalter bzw. das Obergericht
annehme, es bestehe von vorneherein kein Verdacht, dass der Beschuldigte
die Tat begangen habe.

    Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts (BGE 94 I 555) ist auf
die Beschwerde einzutreten, soweit damit behauptet wird, aus dem vom
Obergericht herangezogenen Grund dürfe eine Strafklage überhaupt nicht
von der Hand gewiesen werden. Der Privatkläger hat einen Anspruch darauf,
dass einer Strafklage Folge gegeben und ein Strafverfahren eröffnet wird,
wenn die gesetzlichen Voraussetzungen dafür gegeben sind, und es kommt
einer Verweigerung des rechtlichen Gehörs gleich oder zumindest nahe,
wenn die Strafklage aus einer Erwägung, die ganz klar und offensichtlich
der Strafprozessordnung widerspricht, von der Hand gewiesen wird. Das
entspricht denn auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts
(nichtveröffentlichte Urteile vom 23. Dezember 1970 i.S. Max Hommel &
Co. und vom 19. Januar 1971 i.S. Brun).

    b) § 59 StPO lautet:

    "1 Ist die angezeigte Handlung nicht mit Strafe bedroht oder fehlen
andere Voraussetzungen der Strafverfolgung, so gibt der Amtsstatthalter
der Anzeige keine Folge.

    2 Eine Klage wird in diesem Falle von der Hand gewiesen und der
Entscheid dem Privatkläger eröffnet. Dieser trägt in der Regel die Kosten.

    3 Der Privatkläger kann gegen den Entscheid beim Staatsanwalt Rekurs
einlegen."

    Es ergibt sich daraus, dass entgegen den Ausführungen des
Beschwerdeführers für die Strafanzeige und für die Klage eines
Privatklägers im wesentlichen die gleiche Ordnung gilt. Der Strafanzeige
wird keine Folge gegeben, die Klage wird von der Hand gewiesen, was
beides bedeutet, dass es der Amtsstatthalter ablehnt, ein Strafverfahren
zu eröffnen. Es ist klar, dass eine Strafklage von der Hand zu weisen ist,
wenn die Tat, so wie sie vom Privatkläger geschildert wird, gar nicht mit
Strafe bedroht ist. Fraglich ist dagegen, ob eine Strafklage auch dann von
der Hand gewiesen werden darf, wenn die Tat zwar allenfalls unter Strafe
gestellt ist, aber sich bei Prüfung der Klage von vorneherein zeigt, dass
diese grundlos ist. So kann es beispielsweise offenkundig sein, dass sich
ein Vorfall nicht so abgespielt haben kann, wie er in der Klage dargestellt
ist, oder es kann sich zeigen, dass der in der Klage ausgesprochene
Verdacht einer strafbaren Handlung klarerweise nicht vorhanden ist. Der
Beschwerdeführer ist der Meinung, es müsse in solchen Fällen der Klage
Folge gegeben werden, doch ist es nicht unhaltbar, wenn das Obergericht
den § 59 StPO anders auslegt. Damit jemand gerichtlich verfolgt werden
darf, bedarf es nach allgemeiner Lehre eines gewissen Verdachts, dass
er eine mit Strafe bedrohte Tat begangen hat (BGE 96 I 27). Es ist unter
diesem Gesichtspunkt zulässig, dass der Untersuchungsrichter eine Anzeige
oder Klage prüft und die Eröffnung eines Strafverfahrens ablehnt, wenn
es offensichtlich an einem hinreichenden Verdacht fehlt. Das liegt im
Interesse des Beschuldigten, der nicht grundlos in ein Strafverfahren
einbezogen werden soll. Zudem soll sich die Strafverfolgungsbehörde
nicht mit Fällen beschäftigen müssen, in denen eine Bestrafung von
vorneherein nicht in Frage kommt. Es geht indessen nicht an, dass der
Untersuchungsrichter eine Klage von der Hand weist, wenn ein gewisser
Verdacht vorliegt, indem er in subtiler Erwägung darüber befindet, ob es
voraussichtlich zu einer Verurteilung kommen könnte oder nicht. Er darf,
wenn die in der Klage genannte Tat an sich allenfalls mit Strafe bedroht
ist und die formellen Prozessvoraussetzungen erfüllt sind, die Klage nur
von der Hand weisen, wenn sie offensichtlich grundlos ist, wenn es also
klarerweise an einem die Eröffnung des Strafverfahrens rechtfertigenden,
sog. hinreichenden Verdacht mangelt. Besteht ein gewisser, wenn auch
nicht schwerwiegender Verdacht, so muss die Untersuchung eingeleitet
werden (vgl. die erwähnten Urteile i.S. Hommel & Co. und Brun). So
wendet das Obergericht den § 59 StPO an, und diese Auslegung ist nach dem
Gesagten nicht willkürlich. Sie stützt sich zudem, wie im angefochtenen
Entscheid ausgeführt wird, auf eine mehrjährige kantonale Praxis und auf
die Entstehungsgeschichte der Norm. Ferner entspricht sie der Regelung
anderer Strafprozessordnungen (§ 80 Abs. 1 der solothurnischen StPO
vom 7. Juni 1970; vgl. LENZLINGER, Nichtanhandnahme und Einstellung der
Untersuchung, in: Kriminalistik, 1965, S. 158). Der Strafkläger ist bei
dieser Auslegung des § 59 StPO nicht der Willkür des Amtsstatthalters
ausgesetzt, wie der Beschwerdeführer behauptet. Er kann sich mit einem
Rekurs an den Staatsanwalt wenden, wenn er glaubt, der Amtsstatthalter
habe seine Klage zu Unrecht von der Hand gewiesen. Einen abweisenden
Entscheid des Staatsanwalts kann er an das Obergericht weiterziehen.