Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 IV 25



97 IV 25

6. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 14. Januar 1971 i.S. Vago
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Regeste

    Art. 191 Ziff. 2 StGB. Unzüchtige Handlung.

    Umstände, unter denen das Bestasten der Brust eines 12-bis 13jährigen
Mädchens unzüchtig ist.

Sachverhalt

    A.- Anlässlich einer Vergnügungsfahrt mit dem Auto im Jahre 1966 oder
1967 griff Anton Vago während des Fahrens der am 5. August 1954 geborenen
Ruth X. über den Kleidern an die Brust.

    B.- Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte Vago am
29. September 1970 wegen Unzucht mit einem Kinde im Sinne von Art. 191
Ziff. 2 Abs. 1 StGB zu einem Monat Gefängnis, abzüglich vier Tage
Untersuchungshaft.

    C.- Vago führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil
des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an
die Vorinstanz zurückzuweisen. Er macht geltend, er habe die Brust des
Mädchens nur in harmloser Weise "angetippt"; weder nach dem Volksempfinden
noch nach den Umständen habe seine Handlung den geschlechtlichen Anstand
verletzen können.

    D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt, die
Nichtigkeitsbeschwerde sei abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- In konstanter Rechtsprechung hat das Bundesgericht den Begriff
der sogenannten "andern unzüchtigen Handlung" stets dahin ausgelegt,
dass eine Handlung dann unzüchtig ist, wenn sie den geschlechtlichen
Anstand verletzt, indem sie in nicht leicht zu nehmender Weise gegen
das Sittlichkeitsgefühl verstösst. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich
nach den gesamten Umständen des Einzelfalles (BGE 78 IV 163 Erw. 1 mit
Verweisungen, 83 IV 24, 91 IV 71). Unerheblich ist dabei, ob jemand an
der Handlung tatsächlich Anstoss genommen habe, da nicht das Gefühl der
Beteiligten oder einzelner Dritter Massstab ist; ob einer Handlung ein
unzüchtiger Charakter zukommt, bemisst sich vielmehr nach objektiven
Gesichtspunkten (BGE 91 IV 71).

    Das Bundesgericht hat sich verschiedentlich mit der Frage
auseinandergesetzt, ob das Betasten der Brüste einer Frau als so leicht zu
nehmender Verstoss gelten könne, dass ein Mensch von durchschnittlichem
Empfinden diese Handlung bloss auf oder jedenfalls nur knapp jenseits
der Grenze des Anstandes sieht, nicht aber für strafbar hält (BGE 78 IV
164 Erw. 2 mit Verweisungen). Im unveröffentlichten Urteil vom 14. Juli
1959 i.S. Hiltbrunner äusserte es sich unter Hinweis auf ein Urteil aus
dem Jahre 1944 dahin, dass die besagte Handlung nicht in einem Masse gegen
den geschlechtlichen Anstand verstosse, dass der Strafrichter in jedem
Falle einschreiten müsste. Es bejahte jedoch den objektiv unzüchtigen
Charakter im Hinblick auf die Tatumstände. In BGE 78 IV 164 beurteilte
es den Griff des Lehrers nach der Brust einer Schülerin ebenfalls als
eindeutig unzüchtig.

Erwägung 2

    2.- Im vorliegenden Falle stellt die Vorinstanz verbindlich fest,
dass Ruth X. bei der besagten Autofahrt das Handschuhfach öffnete,
wobei ihr dort aufbewahrte Aktfotos in die Hände fielen. Als sie diese
neugierig betrachtete, erklärte ihr Vago, die Fotos seien für sie gar nicht
interessant, da sie selbst schon "Holz vor dem Hause" habe. Zugleich langte
er nach der Brust des Mädchens, um ihm zu zeigen, wo es das "Holz" habe.

    Die Vorinstanz schliesst aus den gesamten Umständen des Falles, dass
Vago in nicht leicht zu nehmender Weise gegen das Sittlichkeitsgefühl
verstossen habe. Dem ist zuzustimmen. Vago wird nicht nur eine derbe
Vertraulichkeit unter Erwachsenen vorgeworfen, die je nach den Umständen
nicht notwendigerweise unzüchtig zu sein braucht. Es handelte sich auch
nicht um eine ganz beiläufige Berührung ohne einen für das Kind erkennbaren
Bezug auf ein geschlechtliches Moment. Dadurch, dass Vago dem Mädchen
an die Brüste griff, als dieses mehrere Aktfotos betrachtete, stellte er
eine unmittelbare Beziehung zwischen den nackten Brüsten der abgebildeten
Frauen und dem eigenen Körper der Ruth X. her. Das aber war geeignet,
das sittliche Empfinden eines heranwachsenden Mädchens zu verletzen. Ein
solches Verhalten liegt daher nicht nur auf oder knapp jenseits der
Grenzen des Anstandes, sondern ist vielmehr als objektiv unzüchtig zu
betrachten. Dass Vago die Brust des Mädchens nur kurz berührte, lässt
sein Verschulden als eher leicht erscheinen, vermag aber den Charakter
der Handlung selbst nicht zu ändern.