Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 IV 224



97 IV 224

40. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 14. Oktober 1971
i.S. Jegge gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau. Regeste

    Art. 92 Abs. 2 SVG.

    Führerflucht liegt auch vor, wenn der Fahrzeugführer zunächst auf der
Unfallstelle bleibt, diese aber, unbekümmert um seine Verpflichtungen,
ohne triftigen Grund vor dem Eintreffen der Polizei verlässt.

Sachverhalt

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Nach Art. 92 Abs. 2 SVG wird ein Fahrzeugführer, der bei einem
Verkehrsunfall einen Menschen getötet oder verletzt hat und die Flucht
ergreift, mit Gefängnis bestraft.

    Beim Frontalzusammenstoss, den der Beschwerdeführer verursachte, ist
der Führer des andern Fahrzeuges, Alfred Lang, verletzt worden. Dass
die Verletzungen nicht schwerwiegender Natur waren und ambulant
behandelt werden konnten, ist unerheblich (BGE 95 IV 152 Erw. 1). Der
Beschwerdeführer hatte somit die nach Art. 51 SVG gebotenen Pflichten zu
erfüllen, insbesondere dem Verletzten die erforderliche Hilfe angedeihen
zu lassen, für die Benachrichtigung der Polizei zu sorgen und auf
der Unfallstelle zu bleiben, um bei der polizeilichen Feststellung
des Sachverhaltes mitzuwirken. Nach den verbindlichen Feststellungen
der Vorinstanz kam der Beschwerdeführer keiner dieser Pflichten nach;
er hat sich namentlich im Auto eines andern heimlich und vorzeitig vom
Unfallplatz entfernt, so dass er für die später eintreffende Polizei, die
vergeblich nach ihm fahndete, während rund 17 Stunden unerreichbar blieb.

    Der Beschwerdeführer bestreitet, objektiv den Tatbestand der
Führerflucht erfüllt zu haben, indem er geltend macht, dass ihm einzig
vorgeworfen werden könne, den Unfallort vorzeitig verlassen zu haben,
wofür er lediglich nach Art. 92 Abs. 1 SVG mit einer Übertretungsstrafe
belegt werden dürfe. Diese Auffassung hält nicht stand. Gewiss liegt
eine Führerflucht nicht vor, wenn der Fahrzeugführer, der den ihm
obliegenden Pflichten nach Möglichkeit nachgekommen ist, die Unfallstelle
aus einem triftigen Grund, z.B. um sich selber in ärztliche Behandlung
zu begeben, ohne Zustimmung der Polizei verlässt (vgl. BGE 95 IV 153
Erw. 3). Diese Voraussetzungen trafen hier aber nicht zu. Vom Vorwurf
der Pflichtverletzung kann sich der Beschwerdeführer nicht durch den
Hinweis entlasten, dass andere Personen ihm die Erfüllung der Pflichten
abgenommen hätten. Diese Helfer, die zufällig auf der Unfallstelle
angehalten hatten, handelten von sich aus, nicht auf Veranlassung des
Beschwerdeführers, der sich vorwiegend mit Schaulustigen unterhielt und
zusah, wie andere an seiner Stelle die erforderlichen Vorkehren trafen.
Selbst wenn richtig wäre, dass die Benachrichtigung der Polizei bereits
in die Wege geleitet war, als der Beschwerdeführer sie hätte veranlassen
können, so steht jedenfalls fest, dass er sich in Wirklichkeit um nichts
bekümmerte, auch nicht um das Befinden des Verletzten Lang, dem er zudem
weder Namen noch Adresse bekanntgab. Im letzten Punkt kann er den Vorwurf,
gegen Gesetz und Anstand verstossen zu haben, nicht damit abtun, dass
sein Wagen auf der Unfallstelle zurückblieb und er von anwesenden Helfern
erkannt worden sei; denn es kann einem Verletzten nicht zugemutet werden,
nach der Person des Unfallbeteiligten zu forschen, wozu er häufig gar nicht
in der Lage ist. Unter dem Gesichtspunkt des Art. 92 Abs. 2 SVG ist vor
allem von Bedeutung, dass der Beschwerdeführer das vorzeitige Verlassen
des Unfallortes entgegen seiner Darstellung nicht mit seinen eigenen
Verletzungen - Bruch der Zahnprothese, leichte Gehirnerschütterung
- rechtfertigen kann, die nach der verbindlichen Feststellung der
Vorinstanz nicht so geartet waren, dass sie ihn an der Erfüllung seiner
wichtigsten Verpflichtungen gehindert hätten, so namentlich auch nicht
bekanntzugeben, warum und wohin er sich vorzeitig entfernte. Wie wenig das
heimliche Verschwinden mit den eigenen Verletzungen im Zusammenhang stand,
beweist denn auch die Tatsache, dass der Beschwerdeführer das Anerbieten
verschiedener Automobilisten, ihn vom Unfallort zu einem Arzt zu führen,
vorerst durchwegs abgelehnt hat und dass er nach seinem Verschwinden
sich weder zum Arzt noch nach Hause begab, sondern die Nacht bei seiner
Schwester verbrachte und erst am folgenden Mittag ärztliche Betreuung
in Anspruch nahm. Durch diese Verhaltenweise hat er sich polizeilichen
Untersuchungsmassnahmen, die seine Person betrafen, entzogen und damit
eine umfassende und rasche Abklärung des Unfallherganges sowie die
Sicherung der Beweise, die im Interesse des Verletzten sofort an Ort und
Stelle hätte vorgenommen werden sollen, verunmöglicht. Die Vorinstanz hat
darum die verwerfliche Handlungsweise des Beschwerdeführers zu Recht als
Führerflucht im Sinne von Art. 92 Abs. 2 SVG gewürdigt.