Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 IV 153



97 IV 153

30. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 18. November 1971
i.S. Achermann gegen Bachmann, Böschenstein, Lüönd und Petermann. Regeste

    1.  Art. 72 Ziff. 2 Abs. 2 StGB. Die Verfolgungsverjährung läuft über
den Zeitpunkt der Ausfällung eines freisprechenden oder das Verfahren
einstellenden letztinstanzlichen kantonalen Urteils hinaus weiter,
auch wenn der öffentliche oder der private Ankläger eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde erhoben hat (Erw. 2).

    2.  Art. 28 StGB. Inhalt und Form des Strafantrages gegen den Verfasser
eines Presseberichtes (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Anton Achermann betreibt in "Hofgalerie" genannten
Räumlichkeiten in Luzern den Handel mit Bildern. Im Juli 1967 kündigte
er eine Bilderausstellung als "Exposition van Gogh und französische
Impressionisten" an, die über 100 bisher unbekannte Gemälde und
Zeichnungen van Goghs und französischer Meister aus dem Besitz des
inzwischen verstorbenen holländischen Sammlers Jelle T. de Boer,
Amsterdam, zeige. In der Hofgalerie hingen während der am 7. Juli 1967
eröffneten Ausstellung 126 Bilder, die als Werke von van Gogh, Cézanne,
Toulouse-Lautrec, Chagall, Klee, Matisse und Manet bezeichnet waren. Die
Bilder waren käuflich. Die in den aufgelegten Listen genannten Preise
entsprachen echten Werken der genannten Künstler.

    Am 13. Juli 1967 richteten Mitglieder des Vorstandes des
Kunsthandelsverbandes der Schweiz ein Schreiben an Achermann, in welchem
sie diesen darauf aufmerksam machten, dass sämtliche in der Hofgalerie
ausgestellten Bilder gefälscht seien; es dränge sich deshalb eine möglichst
rasche Schliessung der Ausstellung auf. Als Achermann sich weigerte,
dieser Aufforderung nachzukommen, übergab der Kunsthandelsverband den
genannten Brief der Presse zur Veröffentlichung.

    Am 15. Juli 1967 erschien im Luzerner Tagblatt ein Bericht, der den
Brief des Kunsthandelsverbandes auszugsweise wiedergab. Verfasser des
mit pe gezeichneten Artikels war Dr. Roland Petermann.

    Am 22. Juli 1967 enthielt das Luzerner Tagblatt einen von Dr. Hans
Bachmann verfassten und mit vollem Namen gezeichneten Artikel, in
dem dieselbe Stelle aus dem Brief des Kunsthandelsverbandes wörtlich
wiedergegeben wurde wie im genannten Bericht von Dr. Petermann.

    Am 25. Juli 1967 erschien im Luzerner Tagblatt ein von Hermann
Böschenstein mit vollem Namen gezeichneter Bericht über die
Hofgalerie-Ausstellung und den damit verbundenen Skandal.

    In der gleichen Ausgabe des Luzerner Tagblattes schrieb Dr. Petermann
in einem mit pe gezeichneten Artikel "der Hofgalerie-Besitzer krebst";
Achermann habe auf die am 22. Juli 1967 veröffentlichte und zur Diskussion
gestellte Frage nach der strafrechtlichen Seite des Luzerner Kunstskandals
insofern reagiert, als er seine Unterlagen dem Amtsstatthalteramt
angeboten und erklärt habe, entweder unterlasse er jeglichen Verkauf
bis zur Abklärung des Expertenstreites oder er verkaufe nur mit dem
ausdrücklichen Hinweis auf diese Kontroverse.

    Am 26. Juli 1967 erschien im Luzerner Tagblatt ein weiterer,
von Dr. Petermann verfasster und mit pe gezeichneter Artikel, der die
Hofgalerie-Ausstellung zum Gegenstand hatte.

    Am 29. Juli 1967 veröffentlichte das Luzerner Tagblatt eine Mitteilung
des Amtsstatthalteramtes Luzern-Stadt, wonach gegen Achermann und de Boer
eine Strafuntersuchung eingeleitet worden sei. Im Anschluss daran schrieb
Dr. Petermann in einem mit pe gezeichneten Artikel über diese Massnahme.

    Am 14. August 1967 wurden die in der Hofgalerie ausgestellten Bilder
vom Amtsstatthalter beschlagnahmt.

    Am 16. August 1967 brachte das Luzerner Tagblatt einen mit vollem Namen
gezeichneten Bericht von Karl Lüönd über die Beschlagnahme der Bilder.

    Am 31. August 1967 erschien im Luzerner Tagblatt ein mit einem *
gezeichneter Artikel, der den Hofgalerie-Skandal zum Gegenstand hatte.

    Am 30. Dezember 1967 brachte das Luzerner Tagblatt eine
Jahresrückschau. Im allgemeinen Vermerk am Schlusse dieser Beilage wurde
als Verfasser Karl Lüönd erwähnt. In einem nicht gezeichneten Text über
den Monat Juli wurde unter dem Zwischentitel "falsche van Goghs - und
die Folgen" über den Hofgalerie-Kunstskandal berichtet.

    B.- Gestützt auf eine Ehrverletzungsklage des Achermann vom 21. Oktober
1967 hat das Amtsgericht Luzern-Stadt mit Urteil vom 12. November 1970 die
Angeklagten Böschenstein und Lüönd in allen Punkten von Schuld und Strafe,
die Angeklagten Dr. Bachmann und Dr. Petermann von der Anschuldigung
der Verleumdung und der Kreditschädigung freigesprochen; hingegen wurden
die Angeklagten Dr. Bachmann der üblen Nachrede und Dr. Petermann der
wiederholten üblen Nachrede gemäss Art. 173 StGB schuldig befunden. Dafür
wurde Dr. Bachmann mit Fr. 100.-- und Dr. Petermann mit Fr. 500.--
gebüsst; beiden Verurteilten wurde auf ein Jahr Probezeit die vorzeitig
bedingte Löschbarkeit zugebilligt. Dr. Petermann wurde zudem zur Leistung
einer Genugtuung von Fr. 500.-- an Achermann verurteilt und gegenüber
Dr. Bachmann und Dr. Petermann die einmalige Urteilsveröffentlichung
angeordnet.

    Auf Appellation stellte das Obergericht des Kantons Luzern mit Urteil
vom 28. Juni 1971 das Verfahren gegen die Angeklagten Dr. Bachmann,
Hermann Böschenstein und Karl Lüönd ein, gegen letztern mangels gültigen
Strafantrages. Den Angeklagten Dr. Petermann sprach es von Schuld und
Strafe frei.

    In den Erwägungen zu seinem Entscheid verneinte es das Vorliegen
einer Verleumdung gemäss Art. 174 StGB und nahm für einzelne Punkte der
eingeklagten Presseartikel lediglich üble Nachrede gemäss Art. 173 StGB als
erstellt an. Es bejahte jedoch die Zulässigkeit des Entlastungsbeweises
für alle Angeklagten gemäss Art. 173 Ziff. 3 StGB und erachtete den
Gutgläubigkeitsbeweis im Sinne von Art. 173 Ziff. 2 StGB von allen
Angeklagten als erbracht.

    C.- Gegen das obergerichtliche Urteil führt Achermann eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde mit u.a. folgenden Anträgen:

    a) Das angefochtene Urteil sei aufzuheben;

    b) die Sache sei zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen
mit der Weisung, alle vier Angeklagten der Verleumdung oder der üblen
Nachrede schuldig zu erklären und ihnen dafür eine angemessene Strafe sowie
eine ins richterliche Ermessen gestellte Genugtuungsleistung aufzuerlegen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 2

    2.- Die vom Beschwerdeführer als ehrverletzend eingeklagten
Presseartikel sind unter folgenden Daten und unter folgender
Verfasserschaft veröffentlicht worden:

    1. Artikel vom 15. 7.1967 von Dr. Petermann

    2. Artikel vom 22. 7.1967 von Dr. Bachmann

    3. Artikel vom 25. 7.1967 von H. Böschenstein

    4. Artikel vom 25. 7.1967 von Dr. Petermann

    5. Artikel vom 26. 7.1967 von Dr. Petermann

    6. Artikel vom 29. 7.1967 von Dr. Petermann

    7. Artikel vom 16. 8.1967 von K. Lüönd

    8. Artikel vom 31. 8.1967

    9. Artikel vom 30.12.1967 von K. Lüönd

    Soweit diese Presseberichte Ehrverletzungen gegen Achermann enthalten,
wurden diese Taten mit der Veröffentlichung, mithin an den oben angegebenen
Daten, verübt. Nach Art. 71 Abs. 1 StGB begann demnach am Tage der
Veröffentlichung der Berichte die Verfolgungsverjährung für die in ihnen
enthaltenen Ehrverletzungen zu laufen. Nach Art. 178 Abs. 1 in Verbindung
mit Art. 72 Ziff. 2 Abs. 2 letzter Satz StGB trat in jedem Fall vier Jahre
nach der Veröffentlichung der inkriminierten Presseartikel die absolute
Verfolgungsverjährung für die in ihnen enthaltenen Ehrverletzungen ein.

    In denjenigen Fällen, in denen der Ankläger gegen einen zugunsten
des Angeklagten ergangenen Einstellungsbeschluss oder ein freisprechendes
Urteil der obern kantonalen Instanz eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde
beim Bundesgericht führt, indem er Überweisung an den Strafrichter
bzw. Verurteilung des Angeklagten verlangt, ist der Weiterlauf
der Verfolgungsverjährung über den Zeitpunkt des letztinstanzlichen
angefochtenen kantonalen Erlasses hinaus anzunehmen (PERRIN, ZStR, 1963,
S. 13). Demnach hat der Lauf der Verfolgungsverjährung im vorliegenden
Falle, wo der den Strafanspruch ausübende Beschwerdeführer beim
Bundesgericht gegen einen Einstellungsbeschluss und ein freisprechendes
Urteil des Obergerichts eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde führt,
indem er die Bestrafung aller Angeklagten fordert, nicht etwa mit der
Fällung des angefochtenen Urteils aufgehört, sondern ist weitergegangen.

    Wenn der Kassationshof in gewissen Fällen erklärt hat, die
Verfolgungsverjährung höre mit der Vollstreckbarkeit des letztinstanzlichen
kantonalen Urteils auf (BGE 91 IV 145 Erw. 1, 85 IV 170, 73 IV 14, 72 IV
106), so handelte es sich um Fälle, bei denen es zu einer Verurteilung
des Beklagten gekommen war und in denen mithin wirklich ein im Strafpunkt
vollstreckbares kantonales Urteil vorlag. In Fällen wie dem vorliegenden
jedoch, wo es zu einer Einstellung des Verfahrens bzw. zu einem Freispruch
der Beklagten gekommen ist, liegt im Strafpunkt ein vollstreckbares
kantonales Urteil aber nicht vor, da weder die Einstellung eines
Strafverfahrens noch ein Freispruch "vollstreckbar" sind.

    Diese Sachlage hat zur Folge, dass nach Art. 178 Abs. 1 StGB in
Verbindung mit Art. 72 Ziff. 2 Abs. 2 letzter Satz StGB vier Jahre
nach Publikation der eingeklagten Presseartikel die darin gegenüber dem
Beschwerdeführer verübten Ehrverletzungen absolut verjährt waren. Es ist
demnach festzustellen, dass für die ersten acht der oben aufgeführten, vom
Beschwerdeführer eingeklagten Artikel die absolute Verfolgungsverjährung
bereits in der Zeit zwischen dem 15. Juli und 31. August 1971 - also
noch vor Einlangen der Akten beim Bundesgericht - eingetreten war. Da
es sich bei der Feststellung des Eintritts der Verfolgungsverjährung
um eine reine Rechtsanwendungsfrage handelt, muss der Kassationshof
die seit der obergerichtlichen Urteilsfällung eingetretene absolute
Verfolgungsverjährung von Amtes wegen selber feststellen. Das Verfahren
mit Bezug auf die acht ersten Artikel gegenüber allen vier Angeklagten
ist demzufolge wegen Verjährung einzustellen.

    In seinen Ausführungen spricht PERRIN freilich bloss von Fällen, wo
der Staatsanwalt einen Einstellungsbeschluss oder ein freisprechendes
Urteil durch eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Begehren
auf Überweisung bzw. auf Verurteilung beim Bundesgericht anficht. Doch
kommt nichts auf die Person an, welche nach kantonalem Prozessrecht einen
Strafanspruch geltend zu machen hat. Entscheidend bleibt, ob ein solcher
dann noch besteht und geltend gemacht wird, wenn beim Bundesgericht
gegen einen letztinstanzlichen kantonalen Einstellungsbeschluss oder
ein freisprechendes Urteil eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit
dem Begehren auf Überweisung an den Strafrichter bzw. auf Bestrafung des
Angeklagten geführt wird. Das aber ist mit PERRIN zu bejahen, möge dabei
der öffentliche oder ein privater Ankläger diesen Strafanspruch geltend
machen. Wird die Weiterexistenz des Strafanspruchs für solche Fälle
angenommen, dann ist diese aber nicht ohne die gleichzeitige Annahme
eines Weiterlaufs der Verfolgungsverjährung möglich. Daher ist auch in
Ehrverletzungsstreitigkeiten, bei denen nach kantonalem Prozessrecht
ein privater Ankläger den Strafanspruch gegen den oder die Angeklagten
wahrzunehmen hat, der Weiterlauf der Verfolgungsverjährung über den
Zeitpunkt der letztinstanzlichen kantonalen Urteilsfällung hinaus dann
zu bejahen, wenn der private Ankläger in Ausübung des Strafanspruches
- wie im vorliegenden Falle - eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde
gegen einen obergerichtlichen Einstellungsbeschluss und gegen einen
obergerichtlichen Freispruch erhoben hat und mit dieser die Überweisung
des oder der Angeklagten an den Strafrichter und ihre Verurteilung durch
diesen verlangt.

    Daraus erhellt, dass das Verfahren mit Bezug auf die ersten acht
eingeklagten Presseartikel gegenüber allen vier Angeklagten zufolge
Eintritts der Verfolgungsverjährung einzustellen ist.

Erwägung 3

    3.- c) Das Obergericht hat das Ehrverletzungsverfahren gegen
Lüönd deswegen eingestellt, weil es an einem gültigen Strafantrag des
Beschwerdeführers im Sinne von Art. 28 StGB gegen den Angeklagten
Lüönd fehle. Es stellt verbindlich fest (Art. 277bis Abs. 1 BStP),
der Beschwerdeführer habe aus dem allgemeinen Vermerk am Schlusse der
"Jahresrückschau", in welcher der inkriminierte Text erschien, ohne
weiteres ersehen können, wer dessen Verfasser war. Um einen gültigen
Strafantrag gegen Lüönd zu erheben, wäre die namentliche Nennung des
dem Beschwerdeführer bekannten Verfassers daher möglich, zumutbar und
nötig gewesen. Statt dessen sei der Strafantrag einfach unbestimmt gegen
"die Redaktion des Luzerner Tagblatt bzw. den bzw. die verantwortlichen
Redaktoren" gerichtet worden.

    Mit dem Obergericht ist festzustellen, dass nach Art. 27 Ziff. 1 StGB
für Pressedelikte grundsätzlich der Verfasser allein haftet. Nur wenn
dieser unbekannt ist oder eine andere der in Art. 27 Ziff. 3 StGB genannten
besondern Voraussetzungen erfüllt ist, kommt eine subsidiäre Haftbarkeit
des verantwortlichen Redaktors überhaupt in Frage. Im vorliegenden Fall,
wo dem Beschwerdeführer der Verfasser des eingeklagten Presseartikels
bekanntgegeben worden war, hätte er daher, um in inhaltlich klarer und
gültiger Weise seinem Willen auf Strafverfolgung des Lüönd Ausdruck
zu geben (BGE 78 IV 49 Erw. 2), seine Strafklage ausdrücklich gegen
diesen richten können und sollen. Die blosse Erwähnung des oder der
"verantwortlichen Redaktoren" des Luzerner Tagblatts in der Strafklage
genügte zur Bekundung seines Willens, auch Lüönd ins Recht zu fassen,
umso weniger, als dieser nicht "verantwortlicher Redaktor" des Luzerner
Tagblatts war. Achermann selber behauptet in seiner Beschwerde denn auch
nicht das Gegenteil. Vielmehr gibt er zu, dass Lüönd nur "ständiger
Mitarbeiter auf der Redaktion des Luzerner Tagblatts" gewesen sei.
Ein ständiger Mitarbeiter ist jedoch noch kein verantwortlicher Redaktor
einer Zeitung. Infolge inhaltlich ungenügend dokumentierten Willens
auf Strafverfolgung des Lüönd liegt daher gegen diesen überhaupt kein
gültiger Strafantrag vor. Das Obergericht durfte demnach ohne Verletzung
eidgenössischen Rechts das Strafverfahren gegen Lüönd schon aus formellen
Gründen einstellen.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.