Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 IV 1



97 IV 1

1. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 22. März 1971
i.S. Staatsanwaltschaft Obwalden gegen N. Regeste

    Art. 30, 31 Abs. 3 StGB. Unteilbarkeit des Strafantrags.

    Tragweite der Willenserklärung des Antragstellers und des
anschliessenden Verhaltens der Strafbehörden. Unbegründete Nichtausdehnung
des Verfahrens auf alle Beteiligten führt nicht zur Einstellung des
Verfahrens gegen alle.

Sachverhalt

                      Aus dem Sachverhalt:

    A.- N., gegen den im Jahre 1965 ein Strafverfahren wegen falscher
Anschuldigung angehoben und in der Folge von Verhörrichter H. des
Verhöramtes Obwalden durchgeführt worden war, liess sich gegen diesen
unmittelbar vor, während und nach der Landsgemeinde vom 30. April 1967, an
der H. sich zur Wiederwahl stellen musste, sowie im Mai 1969 schriftlich
und mündlich Äusserungen zuschulden kommen, die vom Betroffenen als
ehrverletzend empfunden und eingeklagt wurden.

    Am 25. Oktober 1967 war namens und auf Veranlassung von N. durch
Rechtsanwalt S. beim Statthalteramt Luzern-Stadt gegen J. eine Strafklage
eingereicht worden, in der u.a. behauptet wurde, Z. habe bei dessen
Einvernahme als Zeuge dem Verhörrichter H. in Sarnen mitgeteilt, J. habe
den Zeugen zu einer falschen Aussage anzustiften versucht; "doch hat der
Verhörrichter hierüber absichtlich nichts protokolliert, weil offenbar
diese Aussage des Zeugen Z. nicht in sein Konzept gepasst hat".

    B.- Am 9. April 1970 sprach das Kantonsgericht Obwalden N. der üblen
Nachrede und der wiederholten Beschimpfung schuldig und verurteilte ihn
zu einer nach zwei Jahren Probezeit löschbaren Busse von Fr. 1000.--.

    Auf Appellation hin sprach das Obergericht des Kantons Obwalden N. von
der Anklage der üblen Nachrede bezüglich der Äusserungen in der Strafklage
vom 25. Oktober 1967 frei, bestätigte im übrigen den erstinstanzlichen
Schuldspruch und setzte die Busse auf Fr. 500.-- herab.

    Gegen Rechtsanwalt S. war kein Strafverfahren eingeleitet worden.

    C.- Gegen dieses Urteil führt u.a. die Staatsanwaltschaft Obwalden
Nichtigkeitsbeschwerde. Sie beantragt u.a., das angefochtene Urteil
sei insoweit aufzuheben, als N. von der Anklage der üblen Nachrede
freigesprochen werde.

    Der Beurteilte stellt Antrag auf Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Das Obergericht hat N. von der Anklage der üblen Nachrede, begangen
durch die ehrenrührige Äusserung in der gegen J. gerichteten Strafklage
vom 25. Oktober 1967 freigesprochen, weil bei den im Strafprozessverfahren
abzuwickelnden Amtsehrverletzungsklagen der fristgerecht eingereichte
Strafantrag die Wirkung habe, dass die Strafverfolgung von Amtes wegen
nach dem Grundsatz der Unteilbarkeit des Antrags gegen alle Beteiligten
ausgedehnt werden müsse, was die Strafverfolgungsbehörde im vorliegenden
Fall unterlassen habe. Ins Strafverfahren einbezogen worden sei nur N.,
nicht aber auch sein Anwalt S., der unbestrittenermassen die Gegenstand
der Ehrverletzungsklage bildende Klageschrift verfasst, unterzeichnet
und eingereicht habe und deshalb als Beteiligter im Sinne des Art. 30
StGB erscheine. Da S. wegen Ablaufs der Strafverfolgungsfrist nicht
mehr ins Recht gefasst werden könne, müsse wegen der Unteilbarkeit des
Strafantrages auch N. freigesprochen werden.

    Dem kann nicht beigepflichtet werden. Nach Art. 30 StGB sind alle an
der Tat Beteiligten zu verfolgen, wenn der Antragsberechtigte gegen einen
von ihnen Strafantrag gestellt hat. Damit soll verhindert werden, dass
der Verletzte nach seinem Belieben nur einen einzelnen am Antragsdelikt
Beteiligten herausgreife und unter Ausschluss der anderen bestrafen lasse
(BGE 81 IV 275). Erklärt ein Antragsberechtigter zum vorneherein, seinen
Antrag auf einen einzelnen Beteiligten beschränken zu wollen, oder äussert
er sich in der Folge in solcher Weise, so gibt er seinem Strafantrag
einen rechtlich unzulässigen Inhalt mit der Folge, dass er schlechthin
als ungültig zu betrachten und das Strafverfahren gegen alle Beteiligten
einzustellen ist. Wo jedoch der Verletzte ohne solche Einschränkungen
fristgerecht in der vom kantonalen Recht vorgeschriebenen Form Strafantrag
stellt, wird der Weg zur Verfolgung aller Beteiligten geöffnet (s. BGE
80 IV 212, 81 IV 94 ff., nichtveröffentlichtes Urteil vom 15. September
1961 i.S. Bucher c. Hossli). Welche der beiden Wirkungen der in Art. 30
StGB verankerte Grundsatz der Unteilbarkeit des Strafantrags im gegebenen
Falle hat, hängt somit einzig vom Inhalt der Willenserklärung (vgl. BGE
74 IV 87, 75 IV 19, 79 IV 100, 90 IV 170) bzw. der Willensäusserung
(vgl. BGE 86 IV 149, 89 IV 58) des Antragstellers ab, während dem Verhalten
der Strafbehörden, die im Anschluss an einen rechtsgültig gegen einen
Beteiligten gestellten Strafantrag das Verfahren durchzuführen haben,
in diesem Zusammenhang keine analoge Bedeutung zukommt. Insbesondere
folgt aus Art. 30 StGB nicht, dass dort, wo die Strafbehörden das
Strafverfahren aus irgendeinem Grunde nicht oder nicht rechtzeitig auf
alle Beteiligten ausgedehnt haben und deswegen der eine oder der andere
Beteiligte nicht verurteilt wurde oder nicht mehr bestraft werden kann
(z.B. wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung), der vorbehaltlos
gestellte Strafantrag als nicht gestellt zu betrachten und das Verfahren
vom Richter gegen alle Beteiligten einzustellen sei. Damit würde Art. 30
StGB eine Tragweite beigemessen, die ihm nach der ratio legis nicht zukommt
(nicht veröffentlichte Urteile Ferszt vom 13.Mai 1960, Schweighauser vom
12. Juni 1959, Breitenbach vom 6. Juni 1950 und Bachmann vom 8. Juni 1949).

    Das hat das Obergericht im vorliegenden Falle verkannt, wenn es den
Beschwerdegegner unter Berufung auf Art. 30 StGB einzig deswegen von
der Anklage der üblen Nachrede, begangen durch die in der Strafklage
vom 25. Oktober 1967 enthaltenen Äusserungen, freigesprochen hat,
weil die Strafverfolgungsbehörde das Verfahren nicht von Amtes wegen
auf den Beteiligten S. ausgedehnt habe. Ein Freispruch N.s liesse sich
nach dem Gesagten in Anwendung von Art. 30 StGB nur damit begründen, dass
Verhörrichter H., indem er seinen Strafantrag bloss gegen jenen stellte,
dessen Anwalt bewusst von der Strafverfolgung habe ausnehmen wollen,
oder dass er den allenfalls vorbehaltlos gestellten Antrag nachträglich
durch einen solchen Ausschluss S.s zurückgezogen habe. Wie es sich damit
verhielt, hat das Obergericht nicht geprüft. Das hätte es indessen tun
müssen. Zwar stellt es fest, S. habe unbestrittenermassen die Gegenstand
der Ehrverletzungsklage bildende Klageschrift verfasst, unterzeichnet
und eingereicht und falle damit eindeutig als Mittäter oder Teilnehmer
an der N. zur Last gelegten Ehrverletzung in Betracht. Tatsächlich hat
in der Regel unter solchen besonderen Voraussetzungen auch der Verletzte
von einer Beteiligung von Partei und Anwalt auszugehen. Er darf, sofern
er Klage führen will, seinen Strafantrag nicht bewusst auf die Partei
beschränken. Anders ist es, wenn begründeter Anlass besteht, an der
Beteiligung des Anwalts ernstlich zu zweifeln. Blosse Vermutungen über
die Gutgläubigkeit des besagten Anwalts genügen dabei nicht; denn der
Beweis des guten Glaubens allein bewahrt den Täter nach Art. 173 Ziff. 2
StGB nicht von Strafe (nicht veröffentlichtes Urteil vom 25. April 1958
i.S. Wirth c. Warny). Deswegen ist auch der Hinweis der Beschwerdeführerin
auf BGE 86 IV 176, der von den Anforderungen handelt, welche an den von
einem Anwalt zu erbringenden Beweis seines guten Glaubens zu stellen
sind, im Rahmen von Art. 30 StGB nicht schlüssig. Dagegen legt die
Staatsanwaltschaft nicht unglaubwürdig dar, dass die Untersuchungs-
und Anklagebehörden und auch der Antragsteller an den Einbezug S.s in
das Strafverfahren gar nicht gedacht haben. Träfe das bezüglich des
Antragstellers zu, so hätte dieser tatsächlich den Anwalt N.s nicht
bewusst von der Strafverfolgung ausgeschlossen und sein Antrag müsste
auch als Antrag gegen S. gelten. Das ist jedoch eine Frage, die noch der
Abklärung durch den kantonalen Richter bedarf. Ihre Verneinung hätte zur
Folge, dass es beim Freispruch N.s im genannten Punkte sein Bewenden haben
müsste. Sollte sich indessen ergeben, dass H. es unbewusst unterlassen
hatte, ausdrücklich auch gegen den Anwalt des Beschwerdegegners Antrag zu
stellen, so läge ein vorbehaltloser und damit alle Beteiligten betreffender
Strafantrag vor. Es bliebe sodann einzig noch zu prüfen, ob dieser nicht
durch eine entsprechende nachträgliche Willensäusserung zurückgezogen wurde
(BGE 86 IV 149, 89 IV 58). Falls auch das zu verneinen wäre, müsste die
Vorinstanz zur Anklage der üblen Nachrede materiell Stellung beziehen
und sich über die Zulassung N.s zum Entlastungsbeweis und gegebenenfalls
darüber aussprechen, ob dieser erbracht sei oder nicht. Die Sache ist
daher in diesem Punkte zu neuer Entscheidung im Sinne der vorgenannten
Erwägungen an das Obergericht zurückzuweisen.