Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 II 92



97 II 92

14. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 2. März 1971
i.S. G. gegen S. Regeste

    Anforderungen an Unterlassungsklagen.

    Unterlassungsklagen müssen auf das Verbot eines genau umschriebenen
Verhaltens gerichtet sein. Das vom Richter ausgesprochene Verbot muss
ohne nochmalige materielle Beurteilung der Sache vollstreckt werden können.

    Ein Verstoss gegen diesen Grundsatz ist vom Richter von Amtes wegen
zu korrigieren.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    G. und Frau S. waren während mehrerer Jahre intim befreundet. Nachdem
Frau S. die Beziehungen zu G. abgebrochen hatte, schrieb er ihr eine
Reihe von Briefen mit zum Teil beleidigendem Inhalt, von denen er Kopien
an Drittpersonen sandte. Vergebens liess ihn Frau S. durch ihren Anwalt
auffordern, den Versand solcher Briefe zu unterlassen. G. fuhr fort,
Frau S. Briefe und andere Sendungen unzüchtigen Inhalts zuzustellen. Frau
S. erhob daher Klage, wobei sie dem Gericht folgende Streitfrage
unterbreitete:

    "Ist dem Beklagten unter Androhung der Überweisung an den Strafrichter
wegen Ungehorsams im Sinne von Art. 292 StGB zu verbieten, der Klägerin
persönlichkeitsverletzende Briefe zuzustellen bzw. zustellen zu lassen
oder sich gegenüber Dritten über die Klägerin persönlichkeitsverletzend
zu äussern?"

    Das erstinstanzliche kantonale Gericht hiess dieses
Unterlassungsbegehren gut. Eine vom Beklagten hiegegen eingereichte
Berufung wies das Obergericht ab. Ziffer 1 des Urteilsdispositivs lautete
folgendermassen:

    "Dem Beklagten wird untersagt, der Klägerin Briefe, durch die sie in
ihren persönlichen Verhältnissen verletzt wird, zuzustellen bzw. zustellen
zu lassen oder sich gegenüber Drittpersonen über die Klägerin in einer Art,
die deren persönliche Verhältnisse verletzt, zu äussern. Bei Nichtbeachtung
dieses Verbotes würde der Beklagte dem Strafrichter zur Bestrafung wegen
Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung im Sinne von Art. 292 StGB
(Haft oder Busse) überwiesen."

    Der Beklagte führte Berufung an das Bundesgericht mit dem Antrag,
die Klage abzuweisen.

    Das Bundesgericht wies die Berufung ab, soweit darauf eingetreten
werden konnte, und bestätigte das Urteil des Obergerichts unter
Verdeutlichung von Ziffer 1 des Dispositivs im Sinne der Erwägungen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Unterlassungsklagen können nur in demjenigen Umfang geschützt werden,
als sie auf das Verbot eines genügend bestimmten Verhaltens gerichtet
sind (BGE 84 II 457 f., 78 II 292 f. und 56 II 437; JÄGGI, Fragen des
privatrechtlichen Schutzes der Persönlichkeit, ZSR Bd. 79 II S. 182a
sub lit. d; GROSSEN, La protection de la personnalité en droit privé,
ZSR Bd. 79 II S. 40a). Die Vollstreckung des verlangten Verbotes muss
möglich sein, ohne dass der hiefür zuständige Richter nochmals eine
materielle Beurteilung des in Frage stehenden Verhaltens vorzunehmen
hat. Das Urteil der Vorinstanz verstösst gegen diesen Grundsatz,
indem darin dem Beklagten die Zustellung von Briefen an die Klägerin
und Äusserungen gegenüber Drittpersonen, welche die Klägerin in ihren
persönlichen Verhältnissen verletzen, verboten werden. Damit bleibt es
dem Strafrichter überlassen zu bestimmen, ob das Verhalten des ihm zur
Bestrafung wegen Ungehorsams im Sinne von Art. 292 StGB überwiesenen
Beklagten als persönlichkeitsverletzend zu qualifizieren sei oder nicht.
Diese Frage hat aber allein der Zivilrichter zu entscheiden.

    Die Vorinstanz hätte daher das von ihr ausgesprochene Verbot unter
entsprechender Richtigstellung des bereits zu weit gefassten Klagebegehrens
auf jenes Verhalten des Beklagten beschränken sollen, das Gegenstand des
Prozesses war. Das Bundesgericht hat dies von Amtes wegen nachzuholen
und Ziffer 1 des Urteilsdispositivs der Vorinstanz in dem Sinne zu
verdeutlichen, dass sich das an den Beklagten gerichtete Verbot auf
Äusserungen beschränkt, deren Rechtswidrigkeit im vorliegenden Verfahren
festgestellt wurde (vgl. hiezu BGE 56 II 437 f. und 96 II 262). Der
Beklagte darf somit der Klägerin keine Briefe mehr zukommen lassen,
in denen er sich über die Beziehungen zwischen den Parteien oder über
geschlechtliche Dinge äussert oder das Verhalten und den Charakter der
Klägerin kritisiert oder ihr gegenüber Drohungen ausspricht. Ebenso hat er
alle Äusserungen gegenüber Drittpersonen zu unterlassen, die entweder seine
persönlichen Beziehungen zur Klägerin betreffen oder an diese gerichtete
Vorwürfe enthalten. Diese Präzisierung bedeutet nicht etwa eine teilweise
Gutheissung der Berufung; denn der Beklagte hat im ganzen Verfahren nie
geltend gemacht, das auf Unterlassung gerichtete Klagebegehren sei zu
weit gefasst. Im übrigen konnte sich die Klage von vorneherein nur auf
jenes Verhalten des Beklagten beziehen, dessen Rechtswidrigkeit im Prozess
behauptet wurde. Die Vorinstanzen hätten daher das zu allgemein gefasste
Unterlassungsbegehren ganz unabhängig von der Stellungnahme des Beklagten
nur im Rahmen der sich aus der Klagebegründung ergebenden Konkretisierung
zulassen und gutheissen sollen.