Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 II 85



97 II 85

13. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 10. Februar 1971
i.S. Stamm gegen Sigerist & Co. Regeste

    Art. 8 Abs. 1 und 2, Art. 66 lit. a PatG.  Patentverletzung.

    1.  Begriff der Nachmachung und Nachahmung einer Erfindung (Erw. 1).

    2.  Widerrechtliche Benützung einer patentierten Erfindung durch
Nachmachen und Nachahmen von Pendeltüren mit senkrecht verschiebbaren
elastischen Füllungen.

    -  Die besonderen Merkmale der patentierten Erfindung (Erw. 2a).

    - Merkmale, welche eine Ausführungsart

    - als Nachmachung (Erw. 2 b und c)

    - oder als Nachahmung erscheinen lassen (Erw. 2 d und e).

Sachverhalt

    A.- Die Firma Carl Sigerist & Co., die Pendeltüren aus elastischem und
transparentem Material (PVC) herzustellen und zu verkaufen beabsichtigte,
wandte sich gegen Ende 1961 an den Metallbauer Bruno Stamm, um die
Metallteile von ihm zu beziehen. Am 22. November 1963 regelten die Parteien
die sich daraus ergebende Zusammenarbeit in einem schriftlichen Vertrag.

    Am 30. April 1965 meldete die Firma Sigerist beim eidgenössischen Amt
für geistiges Eigentum eine Erfindung zur Patentierung an. Das Amt erteilte
ihr dafür am 15. November 1966 das Patent Nr. 424180 und veröffentlichte
die Patentschrift am 13. Mai 1967. Der Patentanspruch lautet:

    "Pendeltüre mit Tragrahmen und elastischer Füllung, dadurch
gekennzeichnet, dass wenigstens längs des senkrechten Halterandes der
elastischen Füllung Führungsschienen fest angebracht sind, welche in
einer entsprechenden Nut des Rahmens in Längsrichtung verschiebbar
gehalten sind."

    Der Vorteil dieser Befestigung der elastischen Türfüllung
gegenüber der vorbekannten Befestigung mittels Schrauben soll laut
Patentbeschreibung darin bestehen, dass die Füllung - meistens
besteht sie aus volltransparenten Kunststoffplatten, die an einem
galgenförmigen Tragrahmen hangen - trotz ihres Gewichtes und grossen
Ausdehnungskoeffizienten nicht zum Fliessen neigt und auch bei hoher
Beanspruchung nicht ausreisst.

    Die Firma Sigerist hatte bereits im Dezember 1966 durch Mittelsmänner
eine von Stamm hergestellte und auf eigene Rechnung verkaufte Pendeltüre
erwerben lassen und sie X. zur Begutachtung unterbreitet. X. kam am
27. Februar 1967 zum Schluss, sie verletze das Patent Nr. 424180. Die Firma
Sigerist liess deshalb Stamm am 28. März 1967 verwarnen und beantragte
gegen ihn am 4. April 1967 beim Bezirksrichter Schaffhausen vorsorgliche
Massnahmen. Sie zog das Gesuch jedoch in der Folge angebrachtermassen
zurück, weil Stamm am 10. April 1967 ein Gegengutachten des Z. eingereicht
hatte. Am 10. Juli 1967 erstattete ihr X. ein zweites Gutachten. Er kam
zum Schluss, das Gutachten des Z. betreffe eine andere Ausführung der
Pendeltüre als sein erstes Gutachten, doch verletze auch diese zweite
Ausführung das Patent Nr. 424180.

    B.- Am 28. August 1967 klagte die Firma Sigerist gegen Stamm
beim Obergericht des Kantons Schaffhausen u.a. auf Feststellung der
Patentverletzung.

    Ende 1968 entwickelte der Beklagte eine neue Pendeltüre. Sie
unterscheidet sich von seinen früheren von der Klägerin beanstandeten
Erzeugnissen dadurch, dass nicht mehr eine schienen- oder wulstförmige
Verdickung oder eine entsprechende Reihe von Klötzchen das waagrechte
Ausgleiten des senkrechten Randes der elastischen Füllung aus dem
Hohlprofil des Tragrahmens verhindert, sondern eine Reihe drehbarer
runder Scheiben (Rollen) aus Metall oder PVC, die paarweise auf der
Füllung angebracht sind.

    Am 29. April 1969 klagte die Firma Sigerist gegen Stamm beim
Obergericht des Kantons Schaffhausen insbesondere auf Feststellung, dass
auch diese Ausführung der Pendeltüre des Beklagten das Patent Nr. 424180
verletze.

    C.- Das Obergericht des Kantons Schaffhausen vereinigte die beiden
Prozesse und hiess die Rechtsbegehren der Klägerin auf Feststellung der
Patentverletzung am 10. April 1970 gut. Es warf dem Beklagten vor, er habe
die Erfindung der Klägerin durch alle drei zum Gegenstand des Prozesses
gemachten Ausführungen seiner Pendeltüren nachgemacht, d.h. sowohl
durch die Türfüllungen mit schienen- oder wulstförmiger Verdickung als
auch durch jene mit einer Reihe paarweiser Klötzchen oder einer Reihe
paarweiser Rollen.

    D.- Der Beklagte erklärte gegen dieses Urteil die Berufung. Er
beantragte, es aufzuheben und die Klage abzuweisen.

    Das Bundesgericht hat die Berufung abgewiesen und das angefochtene
Urteil bestätigt.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Beklagte bestreitet nicht, dass er seine Pendeltüren
gewerbsmässig ausgeführt, feilgehalten, verkauft und in Verkehr
gebracht hat. Wenn er mit diesen Erzeugnissen die Erfindung der Klägerin
nachgemacht oder auch bloss nachgeahmt hat, ist er daher zivilrechtlich
verantwortlich (Art. 8 Abs. 1 und 2, Art. 66 lit. a PatG; BGE 92 II 291
Erw. II).

    Ein Erzeugnis gilt nicht nur dann als Nachmachung einer Erfindung,
wenn es bis in alle Einzelheiten einem in der Patentschrift erwähnten
Ausführungsbeispiel oder einer vom Berechtigten auf den Markt gebrachten
Sache entspricht (BLUM/PEDRAZZINI, Das schweiz. Patentrecht, Art. 66 Anm. 9
S. 450; BGE 92 II 292). Zur Nachmachung genügt - und ist erforderlich
-, dass im Erzeugnis des Belangten alle Merkmale verwirklicht seien,
welche die Erfindung nach dem Wortlaut oder Sinn des Patentanspruches
kennzeichnen, denn dieser ist für den sachlichen Geltungsbereich des
Patentes massgebend (Art. 51 Abs. 2 PatG; BLUM/PEDRAZZINI aaO S. 457 f.).

    Eine Nachahmung liegt vor, wenn das mit der Erfindung zu vergleichende
Erzeugnis nur in untergeordneten Punkten von ihrer technischen Lehre
abweicht (BGE 92 II 292). Untergeordnet ist eine Abweichung, wenn
sie nicht auf einem neuen erfinderischen Gedanken beruht, sondern dem
durchschnittlich gut ausgebildeten Fachmann durch die Lehre des Patentes
nahe gelegt wird (TROLLER, Immaterialgüterrecht 2 860 ff.; BLUM/PEDRAZZINI
aaO S. 458 f.).

Erwägung 2

    2.- Die Erfindung der Klägerin besteht laut Patentanspruch darin, dass
die elastische Füllung der Pendeltüre wenigstens am senkrechten Halterand
fest angebrachte Führungsschienen aufweist, die in einer entsprechenden
Nut des Tragrahmens in Längsrichtung verschiebbar gehalten sind. Der
erfinderische Gedanke geht dahin, die gewünschte Verschiebbarkeit der
elastischen Füllung in senkrechter Richtung durch die Führungsschienen
und eine sie haltende entsprechende Nut zu erreichen.

    a) Unter einer Nut versteht man in der Technik wie im allgemeinen
Sprachgebrauch eine längliche Vertiefung in einem Werkstück, die zur
Befestigung oder Führung eines anderen Stückes dient (siehe z.B. LUEGER,
Lexikon der Technik Band 11; ABC der Naturwissenschaften und der Technik;
der Neue Herder; GRAF/HUBER/KRAUTH, Das kleine Lexikon der Bautechnik;
der Grosse Brockhaus; Schweizer Lexikon; alle unter dem Stichwort
"Nut"). Der Begriff der Nut erweckt nicht die Vorstellung eines bestimmten
Querschnittes; dieser ist häufig rechteckig oder konisch, kann aber auch
irgend eine andere Form haben. Auch braucht der Querschnitt der Nut mit
demjenigen des befestigten oder geführten Stückes nicht notwendigerweise
übereinzustimmen. Seine Gestalt hängt vorwiegend vom technischen Zwecke
ab, den die Nut im einzelnen Falle erfüllt.

    Die Nut an der Erfindung der Klägerin hat nur die Aufgabe, die am Rande
der elastischen Türfüllung angebrachten Führungsschienen so festzuhalten,
dass die Füllung nicht waagrecht aus dem senkrecht verlaufenden Arm des
Tragrahmens herausgleiten kann, aber gleichwohl die Möglichkeit hat,
sich in der Längsrichtung dieses Armes zu verschieben. Daher braucht sich
der Querschnitt der Führungsschienen mit dem Querschnitt der Nut nicht
genau zu decken. Um das waagrechte Ausbrechen der Füllung aus der Nut zu
verhindern, genügt es, letztere gegen die Füllung hin enger zu machen
als den Querschnitt der Führungsschienen. Das kann, aber muss nicht so
geschehen, wie Figur 2 der Patentbeschreibung darstellt. Das Erfordernis
der Verschiebbarkeit in senkrechter Richtung sodann verträgt sich mit
irgend einem Querschnitt der Nut, der die Führungsschienen aufnehmen kann,
ohne sie festzuklemmen. Figur 2 skizziert wiederum nur ein Beispiel, nicht
eine notwendige Form der Ausführung. Die Patentbeschreibung bezeichnet
diese Figur ausdrücklich nur als Ausführungsbeispiel.

    Dass im Patentanspruch von einer entsprechenden Nut die Rede ist,
ändert nichts. "Entsprechend" heisst nicht, wie der Beklagte geltend macht,
die Querschnitte der Nut einerseits und der Füllung samt Führungsschienen
anderseits müssten übereinstimmen, sondern nur, die Nut müsse ihrem
Zwecke entsprechend gestaltet sein, nämlich die Füllung mit den Schienen
in der Längsrichtung des Rahmens verschiebbar lassen, sie dagegen in der
Querrichtung festhalten.

    Jede Nut, die diese beiden Merkmale aufweist, ist daher der Nut der
patentierten Erfindung nachgemacht.

    b) Der Beklagte hat den Tragrahmen aller drei Arten von Pendeltüren,
die Gegenstand des Prozesses bilden, unbestrittenermassen ein und
dasselbe Profil gegeben. Es hat die Form eines U, wobei die Enden
der beiden Schenkel gegen innen um 1800 umgebogen sind. Zwischen den
beiden umgebogenen Schenkelenden liegt die Türfüllung. Sie ist in der
Längsrichtung des Rahmens verschiebbar, kann dagegen in der Querrichtung
den Rahmen nicht verlassen, weil dem Rande der Füllung entlang beidseits
entweder Schienen oder rechteckige Klötzchen oder drehbare runde Scheiben
(Rollen, Rädchen) angebracht sind, die auf den eingebogenen Enden der
beiden Schenkel des Rahmenprofils aufliegen.

    Der Beklagte macht geltend, der so gestaltete Rahmen weise keine Nut
auf, jedenfalls keine "entsprechende", weil das Innere des Profils des -
durch Schienen, Klötzchen oder Rollen verdickten - Randes der Füllung
nicht angepasst sei.

    Damit verkennt er den Begriff der Nut, wie ihn der Patentanspruch der
Klägerin versteht. Der ganze Raum, der zwischen den Schenkeln des Rahmens
des Beklagten liegt, ist eine Nut und entspricht allen Anforderungen, die
das Patent an eine solche stellt. Er bildet im Rahmen eine Vertiefung, in
welcher der verdickte Rand der Türfüllung liegt. Der Ausgang der Vertiefung
ist durch die umgebogenen Ränder der beiden Schenkel so verengt, dass der
Rand der Türfüllung in der Querrichtung nicht aus dem Rahmen herausfällt,
sich dagegen in der Längsrichtung ausdehnen kann.

    Der senkrechte Arm des Türrahmens weist somit die wesentlichen
Merkmale auf, die der in der Erfindung der Klägerin umschriebene Rahmen
haben muss. Er ist diesem nachgemacht.

    c) Der Beklagte ist bei der ersten Ausführungsart seiner Pendeltüren
der Erfindung der Klägerin auch insofern gefolgt, als er den in der Nut
des senkrechten Rahmenarmes verschiebbar gehaltenen Rand der Türfüllung
beidseits mit Führungsschienen versehen hat. Bei dieser Art der Ausführung
wurden also alle Merkmale der Erfindung der Klägerin verwirklicht; die
Erfindung wurde nachgemacht.

    d) Bei der zweiten Ausführungsart hat der Beklagte auf dem in der Nut
des senkrechten Rahmenarmes liegenden Rand der Türfüllung beidseits statt
der Führungsschienen 8-9 cm lange Klötzchen angebracht, die in bestimmten
Abständen voneinander liegen. Insoweit ist er von der Erfindung der
Klägerin, wie sie im Patentanspruch umschrieben wurde, abgewichen. Diese
Art der Ausführung macht die Erfindung somit nicht nach.

    Sie ist jedoch als Nachahmung zu würdigen. Der Beklagte hat die
technische Lehre des Patentes der Klägerin angewendet. Die Klötzchen
erfüllen die gleiche Aufgabe wie die Führungsschienen. Sie verhindern,
dass die Türfüllung quer (waagrecht) aus der Nut des Rahmens herausgleite,
lassen sie dagegen in der Längsrichtung (senkrecht) verschiebbar und
dienen insoweit zu ihrer Führung. Die Abweichung von der Erfindung der
Klägerin besteht nur in der Ersetzung des Merkmals "Führungsschiene"
durch das äquivalente Merkmal "Führungsklötzchen". Diese Abweichung
ist untergeordneter Natur. Der Beklagte vollbrachte durch sie keine
erfinderische Leistung. Es lag für einen von der Lehre des Patentes der
Klägerin ausgehenden Fachmann von durchschnittlicher Ausbildung nahe, statt
Schienen in bestimmten Abständen voneinander Klötzchen anzubringen. Diese
sind nichts anderes als eine Vielzahl kurzer Schienen, die sich in der
Längsrichtung in bestimmten Abständen folgen. Man kann die ganze Reihe von
Klötzchen auch als eine einzige durch Zwischenräume unterbrochene Schiene
bezeichnen. Ob diese Zwischenräume einen technischen Fortschritt bedeuten,
kann offen bleiben. Bemerkt sei nur, dass der Beklagte einen solchen
nicht behauptet, sondern gegenteils vorbringt, die Zwischenräume wiesen
im Vergleich zu den Führungsschienen Nachteile auf. Diese Nachteile,
falls sie bestehen, schliessen die Nachahmung der Erfindung der Klägerin
nicht aus. Eine andere Beurteilung ist auch nicht deshalb am Platze, weil
das patentierte Erzeugnis der Klägerin nach der Auffassung des Beklagten
keine Erfindung oder nur eine solche von geringem Wert ist. Der Beklagte
hat vertraglich auf die Anfechtung des Patentes verzichtet und hat es
deshalb so zu beachten wie es lautet.

    e) Bei der dritten Ausführungsart hat der Beklagte die Klötzchen
durch runde Scheiben (Rädchen, Rollen) von etwa 3 cm Durchmesser ersetzt,
die beidseits des Randes der Türfüllung paarweise angebracht sind.
Sie erfüllen die gleiche Aufgabe wie die Führungsschienen der patentierten
Erfindung der Klägerin und wie die Klötzchen der zweiten Ausführungsart
des Beklagten. Sie sind allerdings im Gegensatz zu den Schienen und den
Klötzchen mit der Türfüllung nicht starr verbunden. Dass sie drehbar
und rund sind, ändert jedoch nichts daran, dass der Beklagte auch mit
dieser Ausführungsart die technische Lehre des Patentes der Klägerin, die
Türfüllung durch ein an ihrem Rande angebrachtes Hindernis waagrecht in
der Nut festzuhalten, aber senkrecht verschiebbar zu lassen, verwirklicht
hat. Die Abweichung von der patentierten Erfindung ist von untergeordneter
Bedeutung. Sie lag für den Durchschnittsfachmann nahe und bringt keine
erfinderische neue Lehre. Das Obergericht stellt unwidersprochen fest,
dass die Verwendung von Rollen zur Verminderung der Reibung völlig
überflüssig ist, weil zwischen Türfüllung und Rahmen keine praktisch ins
Gewicht fallende Reibung entsteht, wenn sich die Türfüllung ausdehnt. Der
Beklagte verliert denn auch in der Berufungsschrift kein Wort über die
Funktion der Rollen und über die Rollen-Variante überhaupt. Mit dieser
Variante hat er wie mit seiner zweiten Ausführungsart die Erfindung der
Klägerin nachgeahmt.