Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 II 306



97 II 306

42. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 25. November 1971
i.S. X. gegen Y. Regeste

    Nachträglich eingetretene Beschränkung der Verfügungsfreiheit
(Art. 516 ZGB).

    Ein Erbvertrag zwischen dem Erblasser und seiner ersten Ehefrau,
der den Pflichtteil der zweiten Ehefrau verletzt, unterliegt der
Herabsetzungsklage. Die Herabsetzung erfolgt für alle eingesetzten Erben
im gleichen Verhältnis (Art. 525 Abs. 1 ZGB).

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    A.- Die kinderlosen Eheleute X.-Y. schlossen am 6.  Februar 1958 einen
Erbvertrag, womit sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten. Sie
bestimmten, dass von dem nach dem Tode des Zweitversterbenden vorhandenen
Reinvermögen eine Quote von 60% den Verwandten des Ehemannes (der
Erbengruppe X.) und eine solche von 40% den Verwandten der Ehefrau (der
Erbengruppe Y.) zufallen solle. Der Erbvertrag regelte auch die Verteilung
dieser Gesamtquoten unter die einzelnen Verwandten.

    Am 2. Januar 1962 starb die Ehefrau. In der Folge heiratete
X. wieder. In einer am 9. Mai 1967 errichteten eigenhändigen letztwilligen
Verfügung wies er seiner zweiten Ehefrau 1/4 des Nachlasses zu Eigentum zu
und stellte fest, dass die erbvertraglich bedachten Verwandten der ersten
Ehefrau 40% der verbleibenden 3/4 des Nachlasses erhalten würden. Für die
seiner eigenen Verwandtschaft zugedachten 60% von 3/4 des Nachlasses traf
er neue, teilweise vom Erbvertrag abweichende Verfügungen. Am 23. Januar
1968 starb X.

    B.- Mit einer am 16. Januar 1969 eingeleiteten Klage gegen die zweite
Ehefrau und die Verwandten des Erblassers verlangten die im Erbvertrag
erwähnten Verwandten der ersten Ehefrau u.a., es sei ihnen eine Quote von
40% des beim Tode des Erblassers vorhandenen Reinvermögens zuzuweisen. Das
Bezirksgericht schützte diesen Anspruch. Das Obergericht nahm ebenfalls an,
die Kläger hätten grundsätzlich 40% des Gesamtnachlasses zu beanspruchen,
zog jedoch von dieser Quote den Anteil von 6% der Lydia Y. (einer im
Jahre 1966 verstorbenen Verwandten der ersten Ehefrau) ab und setzte die
Gesamtquote der Kläger demgemäss auf 34% des Nachlasses X. fest.

    C.- Dagegen haben die Beklagten die Berufung an das Bundesgericht
erhoben.

    Die Verminderung der Gesamtquote der Erbengruppe Y. um den Anteil
der Lydia Y. (d.h. um 6%) ist nicht mehr streitig.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 7

    7.- Im Testament vom 9. Mai 1967 hat der Erblasser die Ansprüche aller
Vertragserben (sowohl der Verwandtschaft X. als auch der Verwandtschaft
Y.) generell um den Pflichtteil der zweiten Ehefrau, d.h. um einen
Viertel, gekürzt. Den erbvertraglich eingesetzten Verwandten der ersten
Ehefrau (der Erbengruppe Y.) sprach er nämlich 40% von 3/4 des Nachlasses
zu und erklärte im weitern, er wolle, da er den eigenen Verwandten
(der Erbengruppe X.) gegenüber nicht vertraglich gebunden sei, über die
verbleibenden 60% des nicht der zweiten Ehefrau zu Eigentum zufallenden
Teils, d.h. über 60% von 3/4 des Nachlasses, testamentarisch verfügen.

    Die Vorinstanz vertritt nun die Auffassung, der Pflichtteil der zweiten
Ehefrau gehe richtigerweise ausschliesslich zulasten der Erbengruppe
X. und die Kläger - die Erbengruppe Y. - hätten auf volle 40% (bzw.,
nach Abzug des Anteils der Lydia Y., auf volle 34%) des Gesamtnachlasses
Anspruch. Dieser Ansicht kann nicht beigepflichtet werden.

    a) Durch das Hinzutreten eines Pflichtteilsanspruchs, d.h. bei
nachträglicher Einschränkung der Verfügungsfreiheit, bleiben gemäss
Art. 516 ZGB frühere Verfügungen (Testamente, Erbverträge) und darin
vorgesehene erbrechtliche Zuwendungen nur im Umfange der verfügbaren
Quote bestehen (ESCHER N 1 zu Art. 516 ZGB). Solche Verfügungen sind also,
wenn sie den Pflichtteil verletzen, der Herabsetzung unterworfen. Diese
erfolgt für alle eingesetzten Erben und Bedachten im gleichen Verhältnis,
soweit nicht aus der (herabzusetzenden) Verfügung ein anderer Wille des
Erblassers ersichtlich ist (Art. 525 Abs. 1 ZGB). Auf den vorliegenden
Fall bezogen heisst das, dass das Hinzutreten des Pflichtteils der zweiten
Ehefrau die erbvertraglichen Quoten der beiden Verwandtengruppen X. und
Y. unmittelbar und gleichmässig kürzte. Der Anteil der Gruppe X. wurde
auf 60% und derjenige der Gruppe Y. auf 40 (bzw. 34)% der verfügbaren
Quote beschränkt, d.h. auf 60% von 3/4 = 45% und 40 (bzw. 34)% von 3/4 =
30 (bzw. 25,5)% des Gesamtnachlasses. Diese Kürzung der im Erbvertrag
festgelegten Anteile erfolgte demnach nicht durch das Testament,
sondern von Gesetzes wegen. Das Testament hat sie bloss bestätigt. Die
Anwartschaften der beiden Erbengruppen konnten sich erst mit dem Tode des
X., des Erblassers, zu vollem Erbrecht festigen (TUOR N 8 und ESCHER N
4 zu Art. 494 ZGB); zuvor waren sie aufgrund von Art. 516 ZGB der Gefahr
ausgesetzt, durch das Hinzutreten erbrechtlicher Notansprüche eingeschränkt
zu werden, was denn auch geschen ist.

    b) Das Testament hat an der Quote der Verwandtschaft Y.  nichts
geändert, auch nicht in dem Sinne, dass es - in Abweichung von der
gesetzlichen Regelung - den erbvertraglichen Anspruch der Verwandten
X. mit dem ganzen Pfllichtteil der zweiten Ehefrau des Erblassers belastet
hätte, um dadurch den Anteil der Erbengruppe Y. ungekürzt auf 40 bzw. 34%
des Gesamtnachlasses zu belassen. Zwar vertrat der Erblasser in seiner
letztwilligen Verfügung die (im vorliegenden Prozess unwidersprochen
gebliebene) Auffassung, nach Sinn und Zweck des Erbvertrages sei
eine vertragliche Bindung des überlebenden Ehegatten nur gegenüber den
Verwandten des vorversterbenden Ehegatten beabsichtigt gewesen, so dass ihm
als Überlebendem nun das Recht zustehe, über den seiner Verwandtschaft
zugedachten Anteil an der Erbschaft nach Belieben anderweitig zu
verfügen. Allein, an der durch das Hinzutreten des Pflichtteils der
zweiten Ehefrau eingetretenen Beschränkung der Quote Y. änderte er nichts.
Wie eingangs der Erwägung 7 erwähnt wurde, ging der Erblasser selber
davon aus, dass nun die Anteile beider Verwandtengruppen um einen Viertel
gekürzt seien, und machte dann von seinem behaupteten Recht der freien
Verfügbarkeit über den Anteil der Verwandtschaft X. lediglich in der
Weise Gebrauch, dass er eine teilweise Neuaufteilung dieser Quote unter
die Erben seiner Seite vornahm. Den (ebenfalls gekürzten) Anteil der
Erbengruppe Y. dagegen liess er un berührt.

    Nach dem Gesagten ist somit den Klägern in Abänderung des
vorinstanzlichen Urteils ein Anspruch auf 25,5% des Nachlasses von
X. zuzusprechen.