Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 II 277



97 II 277

38. Urteil der II. Zivilabteilung vom 23. September 1971 i.S. Christen
gegen Holzbau Kayser AG. Regeste

    Vorkaufsrecht nach Art. 6 EGG.

    1.  Streitwert (OG 46) (Erw. 1).

    2.  Dem Inhaber eines bäuerlichen Vorkaufsrechts steht gegenüber dem
im Grundbuch eingetragenen Eigentümer (Käufer oder Verkäufer) die Klage
auf gerichtliche Zusprechung des Eigentums zu (Erw. 2).

    3.  Das Vorkaufsrecht nach Art. 6 Abs. 2 EGG bezieht sich auch auf
wesentliche Teile eines landwirtschaftlichen Gewerbes (Erw. 3).

    4.  Das Vorkaufsrecht nach EGG findet auch auf bäuerliche Kleinbetriebe
Anwendung. Rationalität und Rentabilität der Bewirtschaftung sind nicht
entscheidend (Erw. 4).

    5.  Um unter das Vorkaufsrecht nach EGG zu fallen, muss die verkaufte
Parzelle nicht nur zu einem landwirtschaftlichen Gewerbegehört haben,
sondern auch selber einen landwirtschaftlichen Charakter aufweisen. Wann
fehlt diese Voraussetzung? (Erw. 5).

Sachverhalt

    A.- Walter Niederberger ist Eigentümer der Liegenschaft "Innere
Göhren" (Grundbuch Oberdorf Nr. 70), die in der Talebene der Gemeinde
Oberdorfliegt. Er hatte diese ursprünglich etwas mehr als 2 Hektaren
umfassende Liegenschaft samt lebendem und totem Inventar im Jahre 1932 aus
dem Nachlass seines Vaters zum (damaligen) Ertragswert von Fr. 42'000.--
erworben und bis vor etwa sechs Jahren landwirtschaftlich genutzt. In der
Folge gab er den Landwirtschaftsbetrieb auf, da dieser keine ausreichende
Existenz bot, und nahm eine Stelle als Hilfsarbeiter bei der Firma
Holzbau Kayser AG an. Ungefähr 3'500 m2 bewirtschaftet er noch heute
landwirtschaftlich; den Rest des Landes hat er einem Landwirt in Pacht
gegeben. Mit Vertrag vom 6. April 1963 verkaufte Walter Niederberger der
Firma Holzbau Kayser AG eine an deren Areal angrenzende Parzelle im Ausmass
von ca. 2'300 m2 zum Preise von Fr. 18.- pro m2. Gleichzeitig verpflichtete
sich die Käuferin, innert einer Frist von fünf Jahren (die später bis
Ende April 1969 verlängert wurde) das an die Kaufsparzelle angrenzende
Grundstück im Ausmass von 4'600 m2 zum gleichen Quadratmeterpreis
ebenfalls zu erwerben. Ein entsprechender Kaufvertrag über 4'600 m2
"Bauland" zum Preise von Fr. 83'880.-- wurde am 29. April 1969 verurkundet.

    Frau Agnes Christen-Niederberger, eine Schwester des Verkäufers,
teilte dem Grundbuchamt Nidwalden auf die amtliche Anzeige des Verkaufs
vom 29. April 1969 hin mit, dass sie von dem Vorkaufsrecht, das ihr nach
dem nidwaldnischen Einführungsgesetz zum Bundesgesetz über die Erhaltung
des bäuerlichen Grundbesitzes (EGG) zustehe, Gebrauch mache. Die Firma
Holzbau Kayser AG bestritt das Vorkaufsrecht, ebenso - nach anfänglichem
Anerkennen - der Verkäufer, der dann auch Hand dazu bot, dass die Käuferin
als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen wurde.

    B.- Frau Christen erhob hierauf Klage gegen die Firma Holzbau Kayser
AG und stellte folgende Rechtsbegehren:

    "1. Die Beklagte habe das Vorkaufsrecht der Klägerin bezüglich der
Parzelle Nr. 317 im Ausmasse von 4660 m2 ab Liegenschaft innere Göhren,
Oberdorf, GB Nr. 70 gemäss Mutation Nr. 238 vom 25.4.1969, zu respektieren
und anzuerkennen.

    2. Das Vorkaufsrecht der Klägerin an der Parzelle Nr. 317 im Ausmasse
von 4460 m2 ab der Liegenschaft innere Göhren, GB Nr. 70 der Gemeinde
Oberdorf sei gerichtlich zu schützen.

    3. Das Grundbuch Nr. 416 der Gemeinde Oberdorf (Grundstück der
Beklagten) sei zu berichtigen, indem die Beklagte als Eigentümerin der
Parzelle 317 im Ausmasse von 4660 m2, gemäss Mutationsplan Nr. 238, vom
25.4.1969, zu löschen, und die Klägerin als Eigentümerin der Parzelle
Nr. 317 der Gemeinde Oberdorf, einzutragen sei.

    4. Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolge für die Beklagte."

    Das Kantonsgericht Nidwalden wies die Klage mit Urteil vom 21. Oktober
1970 ab. Es ging davon aus, der Grundbesitz von Walter Niederberger könne
vor allem wegen seiner geringen Ausdehnung nicht als landwirtschaftliches
Gewerbe im Sinne des EGG betrachtet werden; zumindest handle es sich
dabei um einen Grenzfall, weshalb die gesamten Umstände, unter denen
das Vorkaufsrecht ausgeübt worden sei, eine entscheidende Bedeutung
erhielten. Unter diesem Gesichtspunkt falle ins Gewicht, dass Frau Christen
zusammen mit ihrem Ehemann einen Gastwirtschaftsbetrieb in Stansstad führe
und ihre Nachkommen in der Landwirtschaft weder ausgebildet noch tätig
seien; sie wolle das streitige Land nicht zu landwirtschaftlichen Zwecken
oder wegen besonders enger Beziehungen zum väterlichen Heimwesen erwerben,
sondern offensichtlich in spekulativer Absicht. Die beklagte Firma habe
die Streitparzelle dagegen aus höherwertigen Interessen gekauft, nämlich
zur Arrondierung ihrer Fabrikliegenschaft und um eine zukünftige bauliche
und betriebliche Erweiterung sicherzustellen.

    C.- Die von Frau Christen gegen das erstinstanzliche Urteil erklärte
Appellation wies das Obergericht des Kantons Nidwalden mit Entscheid vom
11. Februar 1971 ab.

    D.- Mit der Berufung ans Bundesgericht hält die Beklagte an ihren
Rechtsbegehren fest.

Auszug aus den Erwägungen:

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Angabe der Klägerin in der Berufungsschrift, dass
der Streitwert Fr. 83'880.-- betrage, ist zutreffend. Dieser Betrag
entspricht dem Kaufpreis, den die Klägerin für die von der Beklagten
erworbene Liegenschaft bezahlen müsste, falls das von ihr geltend gemachte
Vorkaufsrecht geschützt werden sollte (BGE 81 II 75 Erw. 2; 84 II 192
Erw. 1).

Erwägung 2

    2.- Mit dem ersten und dem zweiten Rechtsbegehren der Klage wird,
wenn auch mit etwas voneinander abweichenden Formulierungen, ein
Anspruch auf Feststellung geltend gemacht, und zwar des Inhalts, dass
der Klägerin ein Vorkaufsrecht an der streitigen Parzelle zustehe. Mit
dem dritten Begehren wird verlangt, es sei die Klägerin an Stelle
der Beklagten als Eigentümerin der betreffenden Parzelle im Grundbuch
einzutragen. Neben diesem Klagebegehren haben die beiden ersten, auf
Feststellung gerichteten keine selbständige Bedeutung, da es der Klägerin
an einem Feststellungsinteresse fehlt, sofern ihr die Möglichkeit zusteht,
ihre Eintragung als Eigentümerin im Grundbuch zu erwirken.

    Nach einem erst kürzlich ergangenen Bundesgerichtsentscheid steht
dem Inhaber eines bäuerlichen Vorkaufsrechts, der dieses Recht ausgeübt
hat, gegenüber dem im Grundbuch eingetragenen Eigentümer die Klage auf
gerichtliche Zusprechung des Eigentums zu, und zwar unabhängig davon,
ob es sich beim Eingetragenen um den Verkäufer oder den Käufer des
umstrittenen Grundstücks handelt; es wird angenommen, das im EGG
vorgesehene Vorkaufsrecht stelle eine Realobligation dar, weshalb
ausschliesslich der jeweilige Grundstückeigentümer als der aus dem
Schuldverhältnis Verpflichtete zu betrachten sei (Urteil des Bundesgerichts
vom 1. März 1971 in Sachen Jeanmaire und Mitbeteiligte gegen Jeanmaire
und Kaufmann, Erw. 2 b, mit Hinweisen). Im dritten Rechtsbegehren der
Klägerin kann ohne weiteres eine solche, sich gegen den im Grundbuch
als Eigentümer eingetragenen Käufer richtende Klage erblickt werden. Ob
der Klägerin daneben auch die Grundbuchberichtigungsklage des Art. 975
Abs. 1 ZGB zur Verfügung steht, an die sie offenbar bei der Formulierung
des Rechtsbegehrens in erster Linie gedacht hat, mag dahingestellt bleiben.

Erwägung 3

    3.- Gemäss Art. 6 Abs. 2 EGG können die Kantone das Vorkaufsrecht
für landwirtschaftliche Gewerbe, das gemäss Absatz 1 der gleichen
Bestimmung den Nachkommen, dem Ehegatten und den Eltern des Verkäufers
zusteht, auf die Geschwister des Verkäufers ausdehnen, sofern der
Verkäufer das landwirtschaftliche Gewerbe von seinen Eltern oder aus
deren Nachlass erworben hat. Der Kanton Nidwalden hat in Art. 4 Abs. 2
seines Einführungsgesetzes zum EGG vom 27. April 1952 (EG/EGG) von dieser
Ermächtigung Gebrauch gemacht. Da ferner feststeht, dass der Verkäufer des
strittigen Landes, Walter Niederberger, die Liegenschaft "Innere Göhren"
aus dem Nachlass seines Vaters erworben hat, ist diese Voraussetzung
für das von der Klägerin als Schwester des Verkäufers geltend gemachte
Vorkaufsrecht erfüllt.

    Gegenstand des Verkaufs bildet allerdings nicht der gesamte
Grundbesitz von Walter Niederberger, der nach Auffassung der Klägerin ein
landwirtschaftliches Gewerbe im Sinne von Art. 6 EGG darstellt, sondern
nur eine Teilfläche desselben im Ausmass von 4'660 m2. Art. 6 Abs. 2 EGG,
der die Kantone zur Ausdehnung des Vorkaufsrechts auf die Geschwister
des Verkäufers ermächtigt, nennt als Gegenstand des Vorkaufsrechts nur
landwirtschaftliche Gewerbe, währenddem Absatz 1 der gleichen Bestimmung
von landwirtschaftlichen Gewerben oder wesentlichen Teilen von solchen
spricht. Trotz dieser unterschiedlichen Ausdrucksweise des Gesetzes ist
nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, an der festzuhalten ist, nicht
anzunehmen, das Vorkaufsrecht der Geschwister beziehe sich nur auf ganze
Landwirtschaftsgewerbe und nicht auch auf wesentliche Teile von solchen
(BGE 81 II 76 f. Erw. 4; nicht publiziertes Urteil vom 28. Januar 1970
i.S. Schick gegen Aufsichtsbehörde des Kantons Freiburg über das Grundbuch,
Erw. 1).

Erwägung 4

    4.- Mit Recht haben die Vorinstanzen bei der Prüfung der Frage, ob
der Grundbesitz von Walter Niederberger vor dem Verkauf der streitigen
Parzelle den Charakter eines landwirtschaftlichen Gewerbes aufgewiesen
habe, nicht darauf abgestellt, dass auf diesem Land bereits seit mehreren
Jahren kein selbständiger landwirtschaftlicher Betrieb mehr geführt
wird. Ein landwirtschaftliches Gewerbe im Sinne des EGG liegt nach
der Rechtsprechung des Bundesgerichts nämlich schon dann vor, wenn die
vorhandenen landwirtschaftlichen Liegenschaften und Gebäulichkeiten die
Führung eines Landwirtschaftsbetriebes ermöglichen (BGE 86 II 430 Erw. 1).

    Das angefochtene Urteil geht jedoch davon aus, es müsse eine
gewisse Rentabilität der Bewirtschaftung gewährleistet sein, damit eine
Liegenschaft als landwirtschaftliches Gewerbe betrachtet werden könne;
diese Voraussetzung sei hier nicht erfüllt, da die Liegenschaft "Innere
Göhren" mit einem Flächeninhalt von 1,8 ha zu wenig ertragreich sei, um
die Anschaffung moderner landwirtschaftlicher Maschinen zu ermöglichen,
wie sie im betreffenden Gebiet weitgehend gebraucht würden. Die Klägerin
rügt diese Betrachtungsweise als bundesrechtswidrig und macht geltend,
das Vorkaufsrecht des EGG finde auch auf Kleinheimwesen Anwendung, die eine
Familie nicht zu ernähren vermöchten, weshalb auf Rentabilitätsüberlegungen
nicht entscheidend abgestellt werden könne.

    Art. 6 Abs. 1 EGG sagt nichts darüber aus, welche Mindestgrösse
eine landwirtschaftliche Liegenschaft aufweisen muss, damit sie
als landwirtschaftliches Gewerbe gelten kann, das dem bäuerlichen
Vorkaufsrecht unterliegt. Hierin unterscheidet sich diese Bestimmung von
Art. 620 Abs. 1 ZGB, der für das bäuerliche Erbrecht u.a. vorschreibt, ein
landwirtschaftliches Gewerbe müsse eine ausreichende landwirtschaftliche
Existenz bieten, um einem zu dessen Übernahme geeigneten Erben ungeteilt
zum Ertragswert zugewiesen werden zu können. Diese Voraussetzung ist nach
der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nur erfüllt, wenn eine Familie,
bestehend aus einem Ehepaar und zwei schulpflichtigen Kindern, aus den
Erträgnissen der landwirtschaftlichen Nutzung zumindest ihr Leben fristen
kann (BGE 81 II 105 ff., 83 II 117, 89 II 21). Es stellt sich nun die
Frage, ob der Begriff des landwirtschaftlichen Gewerbes in Art. 6 Abs. 1
EGG gleich zu verstehen ist wie im bäuerlichen Erbrecht (so KAUFMANN,
SJK Nr. 961 S. 4 unten) oder ob aus dem Fehlen jeglichen Hinweises auf
die Grösse des Betriebes geschlossen werden muss, das Vorkaufsrecht nach
EGG finde auch auf bäuerliche Kleingewerbe Anwendung, die für sich allein
einer mittleren Familie keine ausreichende landwirtschaftliche Existenz
zu bieten vermögen. Das Bundesgericht hat sich in Anlehnung an seine
Rechtsprechung zu Art. 18 ff. EGG (Einspruchsverfahren der Kantone)
im zweiten Sinne entschieden (BGE 91 II 241/42 Erw. 1). Dabei wies
es insbesondere darauf hin, dass Art. 16 EGG die Kantone ermächtigt,
das Vorkaufsrecht für landwirtschaftliche Gewerbe und Liegenschaften
bis zu 3 Hektaren einzuschränken oder aufzuheben, was den Umkehrschluss
erlaube, dass Kleingewerbe von weniger als drei Hektaren nicht schon von
Bundesrechts wegen dem Vorkaufsrecht des Art. 6 EGG entzogen seien. -
An dieser sich aus dem Zusammenhang des Gesetzes aufdrängenden Auslegung
ist festzuhalten.

    Für das Vorhandensein eines landwirtschaftlichen Gewerbes im Sinne des
EGG genügt es also, dass der Verdienst, der sich aus der Bewirtschaftung
des Bodens erzielen lässt, einen ins Gewicht fallenden Beitrag zum
Einkommen des Bewirtschafters bildet und dass die betreffende Liegenschaft
mit den darauf befindlichen Gebäulichkeiten einer Bauernfamilie als
Lebenszentrum und als Grundlage für den Betrieb der Landwirtschaft zu
dienen vermag (BGE 92 I 316 mit Hinweisen; 94 I 176/177 Erw. 1). Auf welche
Weise der Ertrag erzielt wird und ob dieser auch eine Bewirtschaftung mit
modernen landwirtschaftlichen Maschinen erlaubt, ist entgegen der Ansicht
der Vorinstanz nicht massgebend; auf die Rationalität und Rentabilität
der Bewirtschaftung kann es nicht entscheidend ankommen.

    Dem Urteil des Obergerichts ist zu entnehmen, dass auf der Liegenschaft
"Innere Göhren" ein Wohnhaus, eine Scheune und ein Bienenhaus stehen
und dass Walter Niederberger darauf bis vor fünf oder sechs Jahren einen
Landwirtschaftsbetrieb geführt hat. Damit scheint mindestens festzustehen,
dass die Liegenschaft geeignet ist, einer Bauernfamilie als Lebenszentrum
zu dienen. Hingegen enthält der Entscheid keine Feststellungen darüber,
welcher landwirtschaftliche Ertrag sich aus der Bewirtschaftung des Landes
erzielen lässt. Lediglich aus dem erstinstanzlichen Urteil geht hervor,
dass Walter Niederberger nach seinen als Zeuge gemachten Aussagen auf dem
fraglichen Land vier Kuheinheiten sowie vier bis sechs Mutterschweine
halten konnte - eine Feststellung, zu der sich das Obergericht in
keiner Weise ausgesprochen hat. Es stellt sich deshalb die Frage,
ob der Tatbestand in dieser Hinsicht nicht der Vervollständigung
bedürfe und die Sache gemäss Art. 64 Abs. 1 OG an die Vorinstanz
zurückgewiesen werden sollte. Das kann aber dahingestellt bleiben;
denn wie im folgenden auszuführen sein wird, fällt der Verkauf der
streitigen Liegenschaft jedenfalls aus einem andern Grunde nicht unter das
bäuerliche Vorkaufsrecht. Es erübrigt sich deshalb, die Frage des Ertrages
weiterzuverfolgen. Aus dem gleichen Grunde braucht auch nicht geprüft zu
werden, ob es sich beim veräusserten Land um einen wesentlichen Teil des
ganzen Gewerbes handelte.

Erwägung 5

    5.- Um unter das bäuerliche Vorkaufsrecht zu fallen, muss
die verkaufte Parzelle nicht nur zu einem landwirtschaftlichen
Gewerbe im Sinne des EGG gehört haben, sondern sie muss selber einen
landwirtschaftlichen Charakter aufweisen. Das ergibt sich aus Art. 1
EGG, dem sog. Programmartikel (BGE 90 I 271), der ausdrücklich sagt,
die Vorschriften des EGG zielten darauf ab, den bäuerlichen Grundbesitz
als Träger eines gesunden und leistungsfähigen Bauernstandes zu schützen,
die Bodennutzung zu fördern, die Bindung zwischen Familie und Heimwesen
zu festigen und die Schaffung und Erhaltung landwirtschaftlicher
Betriebe zu begünstigen. Diese Zweckumschreibung zeigt deutlich, dass
das Vorkaufsrecht des EGG grundsätzlich nur zum Zuge kommen soll, wenn
es sich um landwirtschaftliche Grundstücke handelt. Beim Verkauf ganzer
Gewerbe ist es zwar nicht immer möglich, dieser Forderung vollständig
Rechnung zu tragen, nämlich dann nicht, wenn zu einem solchen Gewerbe
auch Liegenschaften nichtlandwirtschaftlicher Art gehören, die für
sich allein den landwirtschaftlichen Charakter des Betriebes nicht in
Frage zu stellen vermögen (vgl. dazu Art. 10 lit. a und 21 lit. a EGG
sowie das Beispiel in BGE 94 I 177). Wird jedoch von einem solchen
Gewerbe, das auch Parzellen nichtlandwirtschaftlicher Art umfasst,
jener Teil verkauft, der keinen landwirtschaftlichen Charakter aufweist,
widerspräche es dem Zweck des Gesetzes, das Vorkaufsrecht zuzulassen;
denn in diesem Falle könnte das bäuerliche Vorkaufsrecht ausschliesslich
zum Erwerb nichtlandwirtschaftlichen Landes benützt werden, was mit
dem Sondercharakter dieses Rechtsgebildes nicht vereinbar wäre (vgl. in
diesem Zusammenhang auch die Überlegungen in BGE 95 II 395/96, die das
Bundesgericht dazu geführt haben, von der ungeteilten Zuweisung eines
landwirtschaftlichen Gewerbes an einen zu dessen Übernahme geeigneten
Erben abzusehen, weil dieser das Heimwesen in einem den Zwecken des
bäuerlichen Erbrechtes zuwiderlaufenden Sinne zu verwenden gedachte).

    Wann kann nun aber angenommen werden, einer zu einem
landwirtschaftlichen Gewerbe gehörenden Parzelle fehle der
landwirtschaftliche Charakter? Ein Merkmal ist zweifellos die Art
der Nutzung. So heisst es in Art. 2 Abs. 1 des EGG, das Gesetz finde
auf Liegenschaften Anwendung, die ausschliesslich oder vorwiegend
landwirtschaftlich genutzt würden. Bei näherer Prüfung erweist sich
das Kriterium der Nutzung jedoch einerseits als zu eng und anderseits
als zu weit. Es ist möglich, dass eine Liegenschaft während längerer
Zeit überhaupt nicht genutzt wird, sondern brachliegt, oder dass
sie bloss vorübergehend zu einem bestimmten Zweck gebraucht wird,
so z.B. zur Ablagerung von Schutt oder Erde. In diesen beiden Fällen
kann sich der landwirtschaftliche Charakter des Landes trotz der
nichtlandwirtschaftlichen Nutzungsart daraus ergeben, dass es sich
in einer rein bäuerlichen Umgebung befindet und dass der wirkliche und
dauernde Wert des Landes durch die Möglichkeit seiner landwirtschaftlichen
Bewirtschaftung bestimmt wird. Umgekehrt ist es aber auch möglich, dass
der eigentliche Charakter des Landes nicht durch seine landwirtschaftliche
Nutzung geprägt wird. Das ist vor allem der Fall bei baureifem Land,
das auf Zusehen hin noch landwirtschaftlich bewirtschaftet wird, dessen
innerer Wert sich aber in keiner Weise mehr aus dieser Nutzungsart
ergibt. Art. 2 Abs. 1 EGG ist daher in dem Sinne einschränkend auszulegen,
als auf die landwirtschaftliche Nutzung nur abgestellt werden kann,
sofern diese auch tatsächlich der natürlichen Bestimmung des betreffenden
Landes entspricht (so JOST, Handkommentar zum EGG, S. 10/11 sub Ziff. 3;
KAUFMANN, aaO S. 2). Das Bundesgericht hat aus der gleichen Überlegung den
Anwendungsbereich des bäuerlichen Erbrechts eingeschränkt und eigentliches
Bauland, ungeachtet seiner noch landwirtschaftlichen Nutzung, von der
Integralzuweisung ausgenommen (BGE 83 II 113 f. sowie eine Reihe seither
ergangener unveröffentlichter Entscheidungen, zitiert im ebenfalls
nicht publizierten Urteil vom 2. Oktober 1970 in Sachen Lippuner gegen
Blumer). Es wäre sachlich nicht gerechtfertigt, in Fragen des bäuerlichen
Vorkaufsrechts anders zu entscheiden.

    Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall führt
dazu, dass der landwirtschaftliche Charakter der im Streite liegenden
Parzelle verneint werden muss. Zwar steht nicht fest, ob es sich dabei
um Bauland handelt, obwohl diese Bezeichnung im Kaufvertrag zwischen
Walter Niederberger und der Beklagten verwendet worden ist. Aus dem
angefochtenen Urteil ergibt sich hingegen, dass das betreffende Land durch
eine Eisenbahnlinie vom übrigen Grundbesitz des Verkäufers abgetrennt
ist, dass es bereits seit dem Jahre 1965 zur Industriezone der Gemeinde
Oberdorf gehört (während sich das übrige Land in der Landwirtschaftszone
befindet) und dass die Beklagte das Grundstück zur Arrondierung ihres
unmittelbar angrenzenden Betriebsareals erworben hat, um eine zukünftige
bauliche und betriebliche Erweiterung sicherzustellen. Auch der Preis
des Landes, der schon vor mehreren Jahren auf Fr. 18.- pro Quadratmeter
festgesetzt wurde und ein Vielfaches des Ertragswertes beträgt, ist ein
Indiz dafür, dass der wirkliche Wert dieser Parzelle nicht durch ihre
landwirtschaftliche Bewirtschaftung bestimmt wird. Alle diese Tatsachen
zusammen zeigen deutlich, dass der wahre Charakter dieses Landes nicht mehr
ein landwirtschaftlicher ist. Es handelt sich vielmehr um Industrieland,
dessen schon heute mit genügender Sicherheit feststehende Bestimmung
es ist, in absehbarer Zeit einmal der baulichen oder betrieblichen
Erweiterung des Unternehmens der Beklagten zu dienen. Diese bestimmte
Erwartung bezüglich des künftigen Schicksals des Landes genügt, um
seinen landwirtschaftlichen Charakter zu verneinen, so wie nach der
Rechtsprechung nicht nur baureifes Land von der Anwendung des bäuerlichen
Erbrechtes ausgenommen wird, sondern bereits solches, von dem auf Grund
der gegebenen Umstände mit Bestimmtheit anzunehmen ist, dass es sich in
den nächsten Jahren zu andern als landwirtschaftlichen Zwecken verwenden
lasse (BGE 83 II 113 sowie das bereits zitierte unveröffentlichte Urteil
des Bundesgerichts in Sachen Lippuner gegen Blumer).

    Die Richtigkeit dieser Überlegungen wird auch von der subjektiven
Seite her bestätigt: Die Klägerin hat das Vorkaufsrecht nach den
verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz lediglich deshalb ausgeübt,
weil der verkauften Parzelle als Industrieland ein erheblicher Wert
zukommt. Diesen Wert könnte sie nur realisieren, indem sie das Land früher
oder später zu einem höheren Preis weiterveräusserte und es auf diese Weise
seiner eigentlichen Bestimmung, nämlich der Verwendung zu industriellen
Zwecken, zuführte. Am wahrscheinlichsten ist es, dass sie die Parzelle
in irgendeinem Zeitpunkt ihrerseits der Beklagten verkaufen würde,
die zur Erweiterung ihres Fabrikbetriebes darauf angewiesen ist. Eine
solche Absicht läuft jedoch den Zwecken des EGG zuwider. Das bäuerliche
Vorkaufsrecht soll nicht dazu dienen, offensichtliche Spekulationen
mit Land, das bisher zu einem landwirtschaftlichen Gewerbe gehörte,
zu ermöglichen. Es rechtfertigt sich deshalb, bei Verkäufen von solchem
Land das bäuerliche Vorkaufsrecht nur insoweit zuzulassen, als es sich
um Liegenschaften handelt, die wirklich noch einen landwirtschaftlichen
Charakter aufweisen. Da dies im vorliegenden Fall nicht zutrifft, ist
die Berufung abzuweisen.