Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 II 234



97 II 234

34. Urteil der I. Zivilabteilung vom 26. Oktober 1971 i.S. Intershop
Holding AG gegen Interstop AG. Regeste

    Art. 951 Abs. 2 und 956 Abs. 2 OR.

    Anforderungen an die Unterscheidung von Gesellschaftsfirmen
(Bestätigung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Die Intershop Holding AG, Zürich, wurde am 1. Juni 1962 gegründet
und am folgenden Tag im Handelsregister eingetragen. Ihr Zweck besteht
hauptsächlich in der Beteiligung an in- und ausländischen Unternehmen,
insbesondere an solchen, die sich der Erschliessung und Finanzierung von
Konsumgütermärkten widmen.

    Die Interstop AG besteht seit dem 6. Oktober 1966. Sie hatte ihren
Sitz zunächst ebenfalls in Zürich. Am 28. Juni 1968 beschloss sie,
ihn nach Zug zu verlegen. Sie bezweckt nach den Statuten den Erwerb,
den Verkauf und die Verwaltung von Werten aller Art, insbesondere von
Schutzrechten auf dem Gebiete des geistigen und gewerblichen Eigentums,
sowie die Verwertung solcher Rechte; sie kann zudem Liegenschaften
erwerben, verwalten und veräussern und sich an anderen Unternehmen mit
ähnlicher Zwecksetzung beteiligen.

    Am 8. November 1966 machte die Intershop Holding AG die Interstop
AG auf die Verwechslungsgefahr aufmerksam, welche sie durch die Wahl des
Firmanamens geschaffen habe. Ihre Bemühungen, die Interstop AG zu einer
Änderung des Namens zu bewegen, blieben jedoch ohne Erfolg.

    B.- Im März 1969 klagte die Intershop Holding AG gegen die Interstop AG
mit den Begehren, der Beklagten die Führung ihres Firmanamens zu verbieten
und dessen Löschung im Handelsregister gerichtlich anzuordnen.

    Durch Urteil vom 23. September 1970 verbot das Kantonsgericht Zug der
Beklagten, das Wort "Interstop" als Firma oder Bestandteil einer solchen
zu verwenden; es verpflichtete sie ferner, das Handelsregisteramt innert
dreissig Tagen um Entfernung des Wortes "Interstop" aus ihrer Firma
zu ersuchen.

    Die Beklagte appellierte an das Obergericht des Kantons Zug, das die
Klage am 6. April 1971 abwies.

    C.- Die Klägerin beantragt dem Bundesgericht auf dem Wege der Berufung,
dieses Urteil aufzuheben und ihre Klagebegehren gutzuheissen.

    Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil zu bestätigen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Firmen der Aktiengesellschaften müssen sich von jeder
in der Schweiz bereits eingetragenen Firma deutlich unterscheiden
(Art. 951 Abs. 2 OR). Da die Gesellschaften ihre Firma im Rahmen der
allgemeinen Regeln über die Firmenbildung frei wählen können, sind an die
Unterscheidbarkeit strenge Anforderungen zu stellen. Das gilt namentlich
dann, wenn es um Phantasiebezeichnungen geht, da in diesem Bereich die
Auswahl keine Schwierigkeiten bereitet (BGE 90 II 319, 92 II 97, 95 II
458). Besondere Rücksichtnahme bei der Firmenwahl ist ferner geboten,
wenn die Gesellschaften ihren Sitz am gleichen Ort haben, miteinander
im Wettbewerb stehen oder sich aus einem andern Grunde an die gleichen
Kreise wenden; denn solche Umstände erhöhen die Gefahr von Verwechslungen
(statt vieler: BGE 88 II 36, 181 und 295).

    Das heisst nicht, aus Sachbezeichnungen bestehende Firmen oder
Firmen von Gesellschaften mit abweichenden Sitzen und Zwecken brauchten
sich voneinander nicht deutlich zu unterscheiden. Das gesetzliche Gebot
dient nicht der Ordnung des Wettbewerbes, sondern will das Publikum
vor Irreführung schützen und den Inhaber der älteren Firma um seiner
Persönlichkeit und seiner gesamten Geschäftsinteressen willen vor
Verwechslungen bewahren. Dabei ist grundsätzlich die ganze Firma zu
berücksichtigen, doch kommt Bestandteilen, die durch ihren Klang oder
Sinn hervorstechen, erhöhte Bedeutung zu, weil sie in der Erinnerung
besser haften bleiben und im mündlichen und schriftlichen Verkehr oft
allein verwendet werden.

    Auch genügt nicht, dass zwei Firmen bei aufmerksamem Vergleich
unterscheidbar sind; sie müssen vielmehr in der Erinnerung deutlich
auseinander gehalten werden können (BGE 92 II 96/7, 93 II 44, 94 II 129,
95 II 458 und 569). Trifft dies nicht zu, so kann der Inhaber der älteren
Firma vom Richter verlangen, dass dem Inhaber der jüngeren deren weitere
Führung verboten wird (Art. 956 Abs. 2 OR).

Erwägung 2

    2.- Im vorliegenden Fall bestehen die Firmen der Parteien hauptsächlich
aus den Fremdwörtern "Intershop" bzw. "Interstop". Diese Wörter
unterscheiden sich bloss durch einen Konsonanten, der ihre Aussprache nur
sehr wenig verändert; sie sind deshalb einander nicht bloss im Schriftbild,
sondern auch im Wortklang täuschend ähnlich. Beiden Firmen ist ferner
die Abkürzung für Aktiengesellschaft (AG) gemeinsam. Dem Wort "Holding"
in der Firma der Klägerin kommt keine Unterscheidungskraft zu, da es
bloss darauf hinweist, dass die Gesellschaft wirtschaftlich mit anderen
verbunden ist. Die Möglichkeit von Verwechslungen und der Irreführung
des Publikums ist umso weniger zu unterschätzen, als man allgemein
dazu neigt, Firmen durch den blossen Gebrauch ihres charakteristischen
Bestandteils abzukürzen. Auch die Firma der Klägerin wird, wie bereits
das Kantonsgericht der Beklagten entgegengehalten hat, häufig ohne den
Zusatz "Holding" verwendet, namentlich in den täglichen Börsenberichten
von Presse und Radio. Die Gefahr von Verwechslungen liegt unter diesen
Umständen auf der Hand. Sie lässt sich entgegen den Versuchen der Beklagten
im Ernst nicht bestreiten, zumal es nach den Feststellungen der Vorinstanz
z.B. bei der Zustellung von Postsendungen und Telegrammen wiederholt zu
Verwechslungen gekommen ist.

    Das Obergericht bejaht die Verwechselbarkeit der streitigen Firmen,
hält die Bezeichnung der Beklagten aber gleichwohl für zulässig, weil
die Parteien nicht auf dem gleichen oder einem ähnlichen Gebiete tätig
seien, von einer Täuschungsgefahr folglich nicht die Rede sein könne. Es
beruft sich dabei auf YVES GENRE (Das Branchensystem im Firmenrecht,
Diss. Zürich 1970), der das Firmenrecht entgegen der Rechtsprechung nach
wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten ausrichten und das gesetzliche
Gebot deutlicher Unterscheidbarkeit darauf beschränken möchte, Täuschungen
innerhalb ein und derselben Branche zu vermeiden (vgl. insbes. S. 45 ff.,
63 ff., 106 und 114/5). Ähnlicher Auffassung ist MARIO M. PEDRAZZINI
(Bemerkungen zur neueren firmenrechtlichen Praxis, in "Lebendiges
Aktienrecht", Festgabe für Wolfhart Friedrich Bürgi, S. 299 ff.), der
die Rechtsprechung des Bundesgerichts ebenfalls für zu streng hält und
anregt, sie unter Berücksichtigung wettbewerbsrechtlicher Kriterien und
Anwendung einer branchenmässigen Betrachtungsweise zu lockern. Zu dieser
Kritik Stellung zu nehmen, erübrigt sich indes im vorliegenden Fall,
da die Begehren der Klägerin so oder anders gutgeheissen werden müssen.

    Dem Obergericht ist vorweg entgegenzuhalten, dass Art. 951 Abs. 2 OR
nicht danach fragt, ob Gesellschaften, die sich über Firmenbezeichnungen
streiten, in der gleichen oder in verschiedenen Branchen tätig sind
und wer durch verwechselbare Bezeichnungen getäuscht werden kann. Es
genügt, dass eine Firma sich von einer bereits eingetragenen nicht
deutlich unterscheidet. Freilich enthebt der Umstand, dass eine
Bestimmung ihrem Wortlaut nach klar ist, den Richter nicht der Pflicht,
nach dem vernünftigen Sinn des Gesetzes zu forschen und notfalls eine
zu allgemein gehaltene Norm einzuschränken, wenn der Grundgedanke
der Regelung und der von ihr verfolgte Zweck es verlangen, Diese
Voraussetzung ist hier aber offensichtlich nicht erfüllt. Gerade in
Fällen wie dem vorliegenden besteht ein ganz besonderes Bedürfnis,
Gesellschaften deutlich unterscheiden zu können, auch wenn sie
angeblich nicht auf gleichen Gebieten tätig sind. Weder der Firma der
Klägerin noch derjenigen der Beklagten ist zu entnehmen, in welchen
Wirtschaftszweigen sie Geschäfte tätigen. Dies gilt insbesondere von
der Firma der Beklagten. Nichts in ihrem Namen deutet darauf hin,
dass sie sich, wie das Obergericht feststellt, vor allem mit der
Herstellung und dem Vertrieb von Spezialverschlüssen für den Stahlguss
befasst. Ausserdem ist massgebend nicht bloss, auf welchen Gebieten
die beiden Gesellschaften gerade tätig sind, sondern auch welche
Zwecke sie nach den Statuten verfolgen können (nicht veröffentlichte
Urteile vom 21. September 1971 i.S. Fidèle Financière SA c. Fides Union
fiduciaire SA und vom 4. Mai 1971 i.S. Uhrenfabrik Rolex A.-G. c. Rolax
A.-G. Kugellagerfabrik). Der statutarische Zweck der Beklagten ist nun so
weit gefasst, dass er denjenigen der Klägerin in sich schliesst. Wenn die
Beklagte nach den Statuten aber gleiche oder ähnliche Geschäfte besorgen
kann wie die Klägerin, ist die Gefahr von Verwechslungen selbst nach
wettbewerbsrechtlichen Überlegungen zu bejahen.

    Die Klägerin kann somit vom Richter verlangen, dass der Beklagten der
Gebrauch der Firmenbezeichnung "Interstop" verboten und ihr zudem befohlen
wird, die Bezeichnung aus dem Handelsregister entfernen zu lassen. Das
Verbot und der Befehl sind von Amtes wegen mit der Androhung zu verbinden,
dass Widerhandlungen für die Organe der Beklagten die in Art. 292 StGB
vorgesehenen Strafen nach sich zögen (BGE 87 II 112 Erw. 5, 96 II 262).

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    1.- Die Berufung wird gutgeheissen und das Urteil des Obergerichts
des Kantons Zug vom 6. April 1971 aufgehoben.

    2.- Der Beklagten wird die Führung des Firmanamens "Interstop" verboten
und befohlen, das Handelsregisteramt des Kantons Zug binnen dreissig Tagen
ab Zustellung dieses Urteils um Entfernung des Wortes "Interstop" aus ihrer
Firma zu ersuchen. Verbot und Befehl werden mit der Androhung verbunden,
dass im Falle der Widerhandlung die dafür verantwortlichen Organe der
Beklagten gemäss Art. 292 StGB mit Haft oder Busse bestraft würden.