Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 II 193



97 II 193

27. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 7. Oktober 1971
i.S. W. gegen S. Regeste

    Vaterschaftsklage. Anthropologisch-erbbiologisches und
serostatistisches Gutachten. Darf die anthropologisch-erbbiologische
Begutachtung, mit welcher der Beklagte seine Nichtvaterschaft beweisen
möchte, abgelehnt werden, wenn ein serostatistisches Gutachten nach
Essen-Möller seine Vaterschaft als wahrscheinlich bis sehr wahrscheinlich
bezeichnet (Wahrscheinlichkeit von 94-95%) und keine Anhaltspunkte für
Mehrverkehr der Mutter in der kritischen Zeit vorliegen? Frage verneint.

Sachverhalt

                      Aus dem Tatbestand:

    A.- Vom Kinde S. mit der Vaterschaftsklage auf Vermögensleistungen
belangt, gab der Beklagte W. zu, der Mutter in der kritischen
Zeit wiederholt beigewohnt zu haben. Er erhob aber die Einrede des
Mehrverkehrs und beantragte u.a. die Einholung einer Blutgruppenexpertise
und eines anthropologisch-erbbiologischen Gutachtens (AEG). Das mit
der Blutuntersuchung beauftragte Gerichtlich-Medizinische Institut der
Universität Zürich kam in seinem Gutachten vom 12. Januar 1970 zum Schluss,
der Beklagte könne auf Grund der Untersuchungen und der Erbgesetze der im
Gutachten erwähnten Blut- und Serumgruppen als Vater der Klägerin nicht
ausgeschlossen werden; seine Vaterschaft sei nach diesen Erbgesetzen
möglich. Im biostatistischen Gutachten nach ESSEN-MÖLLER, das es am
29. Januar 1970 zusätzlich abgab, stellte es fest, die Essen-Möllersche
Vaterschaftswahrscheinlichkeit (die es nach K. HUMMEL, Die medizinische
Vaterschaftsbegutachtung mit biostatistischem Beweis, Stuttgart 1961,
ermittelte) betrage für den Beklagten 94-95%; dieser Wert besage nach
ESSEN-MÖLLER, dass der Beklagte wahrscheinlich bis sehr wahrscheinlich der
Vater der Klägerin sei. Für den vom Beklagten behaupteten Mehrverkehr
der Mutter in der kritischen Zeit ergab das Beweisverfahren keine
Anhaltspunkte. Angesichts dieser Sachlage lehnten die kantonalen Gerichte
die Einholung eines AEG ab und hiessen die Klage gut.

    B.- Gegen das Urteil des obern kantonalen Gerichts erklärte der
Beklagte die Berufung an das Bundesgericht mit dem Antrag auf Abweisung
der Klage, eventuell Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Einholung
eines AEG und zu neuer Entscheidung.

    C.- Am 1. Juli 1971 beschloss das Bundesgericht, über die durch den
Prozess aufgeworfenen Grundsatzfragen ein naturwissenschaftliches Gutachten
einzuholen. Dem Sachverständigen, Prof. Dr. rer. nat. Dr. med. H. Ritter,
Direktor des Instituts für Anthropologie und Humangenetik der Universität
Tübingen, wurde namentlich die Frage vorgelegt, "ob sich auf Grund der
heutigen Erkenntnisse der Wissenschaft zuverlässig sagen lässt, dass
dann, wenn die serostatistische Wahrscheinlichkeit der Vaterschaft des
Beklagten einen bestimmten (gegebenenfalls zu nennenden) Prozentsatz
erreicht, in sogenannten Einmannfällen praktisch nicht mehr zu erwarten
ist, dass die Vaterschaft des Beklagten durch ein Ähnlichkeitsgutachten
(AEG) mit Sicherheit oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
ausgeschlossen werden könnte, so dass sich die Einholung eines solchen
Gutachtens erübrigt."

    In seinem Gutachten vom 20. Juli 1971 kennzeichnet der
Sachverständige zunächst die verschiedenen Arten des humangenetischen
Vaterschaftsgutachtens, nämlich das serologische Gutachten, das
erbbiologische (morphologische) Gutachten und die statistische Auswertung
der serologischen Befunde. Hierauf äussert er sich über den Stand und
die Entwicklung der serologischen und der erbbiologischen Methode,
insbesondere über die Chancen, einen zu Unrecht bezichtigten Mann durch
ein serologisches Gutachten auszuschliessen, sowie über den Beweiswert
des serologischen Gutachtens einerseits und des erbbiologischen Gutachtens
anderseits. Schliesslich behandelt er eingehend das statistische Verfahren
nach ESSEN-MÖLLER (und HUMMEL), das aus der Häufigkeit des Vorkommens
bestimmter Merkmale von Kindern bei wirklichen Vätern und aus der
Häufigkeit des Vorkommens der betreffenden Merkmale unter der Bevölkerung
Schlüsse auf die Wahrscheinlichkeit zieht, dass ein durch das serologische
Gutachten als Vater nicht ausgeschlossener Mann der wirkliche Vater ist
(sog. Essen-Möller-Wert), sowie eine weitere statistische Methode, die
auf Grund der bei einer bestimmten Mutter-Kind-Kombination bestehenden
Ausschluss-Chance die Wahrscheinlichkeit dafür ermittelt, dass neben dem
untersuchten Mann noch ein weiterer serologisch nicht ausschliessbarer
Mann vorhanden sein könnte. Seine Schlussfolgerungen lauten:

    "In den vorausgegangenen Abschnitten wurden die Ergebnisse
und Probleme der verschiedenen Paternitätsgutachten eingehend
besprochen. Zusammenfassend ergibt sich dabei folgende Bewertung aus der
Sicht des Humangenetikers (Tab. 7):

    Tab. 7: Statistische Analyse und erbbiologische Begutachtung
   ---------------------------------------------------------------------

    Erbbiologisches           ESSEN-MÖLLER-Wert         Ausschluss-Chance

    Gutachten
   ---------------------------------------------------------------------

    Nicht mehr erforderlich   99 % oder höher           99 % oder höher

    Bedingt erforderlich      97-99%                    97-99%

    Erforderlich              kleiner als 97%           kleiner als 97%
   ---------------------------------------------------------------------

    In der Tab. 7 sind die Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen der
statistischen Analysen nochmals zusammengestellt.

    Oberhalb der 99 %-Grenze ist die Information für die Vaterschaft
eines Mannes so umfangreich, dass das erbbiologische Gutachten keinen
Gegenbeweis mehr erbringen kann.

    Zwischen 97 und 99% sollte es im Regelfalle dem Ermessen des Richters
vorbehalten bleiben, nach Kenntnis der Aktenlage (Mehrverkehr u.ä.) ein
erbbiologisches Gutachten anzuordnen.

    Unterhalb der 97 %-Grenze ist dagegen ein erbbiologisches Gutachten
erforderlich, um die Vaterschaftsfrage sicher abzuklären.

    Darüber hinaus sind erbbiologische (morphologische) Gutachten noch
in den Fällen wichtig, in denen das serologische Gutachten abgeschlossen
wird mit einem isolierten und nicht voll beweiskräftigen Ausschluss. In
diesen Fällen wurde in der deutschen Rechtspraxis eine serologische
Zweituntersuchung angeordnet. Wir haben aber verschiedentlich darauf
hingewiesen, dass ein unsicherer Ausschluss in einem (einzigen) System
nicht durch eine zweite gleichartige Untersuchung sicher wird, sondern nur
durch ein Gutachten mit einer andern Methodik (erbbiologisch) abgeklärt
werden kann."

    Auf Grund dieses Gutachtens heisst das Bundesgericht die Berufung gut
und weist die Sache zur Einholung eines AEG und zu neuer Entscheidung an
die Vorinstanz zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Der Beklagte gibt zu, der Mutter der Klägerin in der kritischen
Zeit beigewohnt zu haben. Seine Vaterschaft ist daher nach Art. 314 Abs. 1
ZGB zu vermuten. Dass die Mutter in der kritischen Zeit mit weitern Männern
geschlechtlich verkehrt habe, was unter Umständen erhebliche Zweifel
an der Vaterschaft des Beklagten rechtfertigen und die Vermutung seiner
Vaterschaft nach Art. 314 Abs. 2 ZGB entkräften könnte (vgl. BGE 95 II
81 ff.), ist nicht dargetan. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür,
dass die Mutter um die Zeit der Empfängms einen unzüchtigen Lebenswandel
geführt habe, was nach Art. 315 ZGB unter Vorbehalt des positiven
Nachweises der Vaterschaft des Beklagten (BGE 90 II 272 Erw. 2) die
Abweisung der Klage nach sich zöge. Nach dem Ergebnis der durchgeführten
Blutuntersuchung ist die Vaterschaft des Beklagten nicht ausgeschlossen,
sondern möglich. Der Beklagte vermochte also durch dieses Beweismittel
den ihm offen stehenden Beweis, dass das Kind in Wirklichkeit nicht von
ihm abstamme, nicht zu leisten (vgl. zur grundsätzlichen Bedeutung dieses
Beweises und zu den an ihn zu stellenden Anforderungen BGE 90 II 222/23,
91 II 162 ff., 94 II 80). Die statistische Auswertung des Blutbefundes
ergab im Gegenteil, dass für seine Vaterschaft eine Wahrscheinlichkeit
nach ESSEN-MÖLLER von 94-95% besteht. Ausser der Blutuntersuchung hat der
Beklagte zum Beweis dafür, dass er in Wirklichkeit nicht der Vater der
Klägerin sei, nur die Einholung eines AEG beantragt. Mit der Ablehnung
dieses Beweisantrags hat die Vorinstanz nach seiner Auffassung Art. 8 ZGB
verletzt, aus dem sich nach Rechtsprechung und Lehre ergibt, dass die mit
dem Beweis belastete Partei Anspruch auf die Abnahme von Beweisen hat, die
sich auf erhebliche, rechtzeitig und in richtiger Form behauptete und von
der Gegenpartei bestrittene Tatsachen beziehen und in prozessual wirksamer
Weise angeboten wurden (BGE 88 II 190 mit Hinweisen, 90 II 42, 223 und 468,
91 II 162, 95 II 467; GULDENER, ZSR 1961 II 48; VOYAME, ebenda S. 155;
KUMMER, N. 74 ff. zu Art. 8 ZGB; DESCHENAUX in Schweiz. Privatrecht II
S. 246 f.). Erweist sich diese Rüge als begründet, so ist die Sache zur
Einholung eines AEG an die Vorinstanz zurückzuweisen. Andernfalls ist
die Berufung abzuweisen.

Erwägung 4

    4.- Im Entscheide BGE 91 II 159 ff. nahm das Bundesgericht an, im
Falle, dass der Blutbefund die Vaterschaft des Beklagten mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit ausschliesst, sei der klagenden Partei der
positive Nachweis der Vaterschaft des Beklagten auf dem Wege eines AEG
verschlossen. Die klagende Partei habe dagegen Anspruch auf Einholung
eines solchen Gutachtens zum Nachweis der Vaterschaft eines Beklagten,
der durch den Blutbefund als Vater nicht ausgeschlossen wird, wenn sie
eine Beiwohnung in der kritischen Zeit nicht zu beweisen vermag oder
wenn die auf einer solchen Beiwohnung beruhende Vaterschaftsvermutung
durch den Nachweis von Mehrverkehr entkräftet wird oder die Einrede des
unzüchtigen Lebenswandels an sich begründet wäre. (Offen gelassen wurde
die Frage, ob ein Tragzeitgutachten, das die Vaterschaft des Beklagten
als praktisch unmöglich bezeichnet, durch einen positiven AEG-Befund
widerlegt werden könnte.) Zum negativen Abstammungsbeweis, den der Beklagte
im vorliegenden Falle leisten möchte, erklärt der genannte Entscheid,
der Vaterschaftsbeklagte, der behauptet, er sei nicht der Vater, habe
nach Erschöpfung aller andern Beweismittel, die ihm zur Widerlegung
der Vermutung seiner Vaterschaft zu Gebote stehen, von Bundesrechts
wegen Anspruch auf Anordnung eines AEG, auch wenn er keine Indizien für
Mehrverkehr der Mutter beibringen könne (vgl. hiezu auch BGE 92 II 80).

    Wie im Falle BGE 91 II 159 ff. war auch im Falle 96 II 314 ff. zu
entscheiden, ob ein Beklagter, der die Vermutung seiner Vaterschaft
durch andere Beweismittel (Blutuntersuchung, Tragzeitgutachten) nicht
hatte entkräften können, Anspruch auf Einholung eines AEG habe. Anders
als im zuerst genannten Falle wurde diese Frage in BGE 96 II 314
ff. verneint, weil die in diesem Falle erfolgte statistische Auswertung
des Blutbefundes (serostatistische Begutachtung) nach ESSEN-MÖLLER ergeben
hatte, dass der Beklagte mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,8-99,85%
der Vater sei, was nach dem Gutachten bedeutete, dass der Beklagte
"höchst wahrscheinlich" der Vater sei, dass seine Vaterschaft "als
praktisch erwiesen betrachtet werden" könne. Das Bundesgericht nahm an,
einem serostatistischen Gutachten, das die Vaterschaft des Beklagten
mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,8 oder mehr Prozent bejaht, komme
gegenüber einem anderslautenden AEG gleichen Wahrscheinlichkeitsgrades
der Vorrang zu; wenn ein serostatistisches Gutachten einen solchen
Wahrscheinlichkeitswert für die Vaterschaft ergebe, könne die
Vaterschaft allein schon auf Grund dieses Gutachtens als praktisch,
d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwiesen gelten
und seien weitere Beweiserhebungen, insbesondere die Einholung eines
AEG unnötig, es sei denn, dass ganz besondere Gründe Zweifel an der
Richtigkeit des Gutachtens wecken, was für das in jenem Fall erstattete
serostatistische Gutachten nicht zutraf (BGE 96 II 323/24). Die Frage,
ob man die Vaterschaft schon bei einem Essen-Möller-Wert von 99% unter
Verzicht auf ein AEG als praktisch erwiesen betrachten dürfe, wie das
deutsche Gerichte schon wiederholt getan haben (vgl. HUMMEL, Zeitschrift
für das gesamte Familienrecht 1969 S. 21 und die weitern Hinweise in BGE
96 II 323 vor d), wurde in BGE 96 II 314 ff. (320, 323) ausdrücklich offen
gelassen. Erst recht enthielt sich das Bundesgericht in diesem Entscheid
einer Stellungnahme zu der von HEGNAUER (N. 202 zu Art. 314/315 ZGB)
vertretenen Auffassung, ein Ähnlichkeitsgutachten (AEG) sei, wenn die
serostatistische Wahrscheinlichkeit der Vaterschaft des Beklagten 90%
oder mehr betrage, nur einzuholen, wenn Anhaltspunkte für Mehrverkehr
vorliegen oder wenn das Kind in bezug auf Rassenmerkmale oder auffallende
vererbliche Missbildungen, die auch vom naturwissenschaftlichen Laien
wahrgenommen werden können, von der Mutter und vom Beklagten abweicht.

    Im vorliegenden Falle stellt sich die vom Bundesgericht bisher nicht
entschiedene Frage, ob ein Vaterschaftsbeklagter, der die Vermutung seiner
Vaterschaft durch andere Beweismittel nicht zu beseitigen vermochte,
Anspruch auf Einholung eines AEG habe, wenn für seine Vaterschaft
eine serostatistische Wahrscheinlichkeit nach ESSEN-MÖLLER von 94-95%
besteht. Da über die Beweiskraft und das gegenseitige Verhältnis der in
Frage stehenden Methoden zwischen den Fachleuten der Serologie einerseits
und den Fachleuten der Anthropologie (Morphologie) anderseits erhebliche
Meinungsverschiedenheiten bestehen (vgl. die Hinweise in BGE 96 II 314
ff.), entschloss sich das Bundesgericht, bei einem Wissenschafter, der
beide Wissensgebiete beherrscht, ohne Bezugnahme auf den vorliegenden
Prozess ein Grundsatzgutachten einzuholen, wie das hinsichtlich der
Blutuntersuchung im Falle BGE 61 II 72 ff. geschehen und hinsichtlich
der Beweiskraft des AEG im Verhältnis zum serostatistischen Gutachten im
Falle BGE 96 II 314 ff. (325) bereits erwogen worden war.

Erwägung 5

    5.- Auf Grund der durch eine statistische Beweisführung erhärteten
Annahme, dass in einem Kollektiv von als Väter bezichtigten, durch
die Blutuntersuchung als solche nicht ausgeschlossenen Männern auf
100 wirkliche Väter 10 Nichtväter kommen, sowie auf Grund einer diese
Verteilung berücksichtigenden Auswertung eines Untersuchungsgutes, das
sich aus 500 echten und ebensovielen falschen Eltern-Kind-Kombinationen
zusammensetzt, hat der Sachverständige Prof. Ritter ermittelt, wieviele
wirkliche Väter und wieviele Nichtväter prozentual auf die verschiedenen
Essen-Möller-Werte entfallen. Für die im vorliegenden Falle besonders
interessierenden Werte von 90-99% lautet das Ergebnis wie folgt (Tabelle
5):

    Wahrscheinlichkeit                Häufigkeit in Prozent
   nach ESSEN-MÖLLER                  Väter     Nichtväter

    99,0-98,0%                         10,56     0,04

    98,0-97,0                          11,28     0,16

    97,0-95,0                          16,02     0,23

    95,0-90,0                          11,28     0,52
   ------------------------------------------------- gesamt
   49,14     0,95

    Diese Zahlen bedeuten nach dem Gutachten, dass ein Essen-Möller-Wert
zwischen 98 und 99% nur viermal unter 10'000 Fällen von einem Nichtvater
erreicht wird, ein Wert zwischen 97 und 98% ein- bis zweimal unter
1'000 Fällen, ein Wert zwischen 95 und 97% zweimal und ein solcher
zwischen 90 und 95% fünfmal unter 1'000 Fällen. Im Anschluss an diese
Feststellung bemerkt der Sachverständige: "Da also nur sehr wenige
Nichtväter Essen-Möller-Werte zwischen 99,0 und 95,0% erreichen, kann
man für diesen Bereich durchaus in Erwägung ziehen, nicht mehr generell
erbbiologische Gutachten in Auftrag zu geben. Hier sollte m.E. die
Entscheidung im Ermessen des Richters verbleiben.." Etwas zurückhaltender
ist die in den bereits wiedergegebenen Schlussfolgerungen des Gutachtens
enthaltene Bemerkung, die Anordnung eines erbbiologischen Gutachtens
sollte zwischen 97 und 99% im Ermessen des Richters bleiben; unterhalb
der 97%- Grenze sei dagegen ein erbbiologisches Gutachten erforderlich,
um die Vaterschaftsfrage sicher abzuklären.

    Die Fehlermöglichkeiten, die nach dem Gutachten verbleiben,
wenn der Essen-Möller-Wert 97% übersteigt, liegen im Bereich der
Fehlermöglichkeiten, die das Bundesgericht bei der naturwissenschaftlichen
Abklärung von Abstammungsfragen in Kauf zu nehmen pflegt (vgl. die
Zusammenstellung in BGE 94 II 85 und 96 II 318). Daher lässt sich
die Auffassung vertreten, bei einem solchen Essen-Möller-Wert
sei die Vaterschaft des Beklagten als mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit erwiesen zu betrachten und von einem AEG abzusehen. Im
vorliegenden Falle ist jedoch dieser Grenzwert nicht erreicht. Bei einem
Essen-Möller-Wert von 94-95%, wie er hier gegeben ist, übersteigen die
Fehlermöglichkeiten das Mass, das mit der Annahme eines hinlänglich
gesicherten Ergebnisses noch vereinbar ist. In solchen Fällen ist der
Beklagte daher zur Beweisführung durch ein AEG zuzulassen.

    Die Ausschluss-Chancen, die ein AEG in einem sog. Einmannfalle
bietet, sind freilich gering. Wie Prof. Ritter ausführt, sind von einem
AEG "bevorzugt Hinweise auf die Vaterschaft eines Mannes zu erwarten",
wogegen mittels eines solchen Gutachtens "voll beweiskräftige Ausschlüsse
nur ausnahmsweise möglich" sind, weil diese Methode (im Unterschied zur
Blutuntersuchung) sehr komplexe Merkmale erfasst und nur geklärt ist, dass
diese Merkmale genetisch kontrolliert sind, während man nicht weiss, "wie
viele Gene in welcher Weise die Ausprägung der Merkmale steuern". Einem
Beklagten, für dessen Vaterschaft ein schlüssiger Beweis nicht vorliegt,
darf jedoch die Chance, seine Vaterschaft durch ein AEG auszuschliessen,
nicht vorenthalten werden, auch wenn sie klein ist. Die Unzukömmlichkeiten,
welche die hiedurch bewirkte Verlängerung des Prozesses der Klägerschaft
verursacht, können eine andere Entscheidung nicht rechtfertigen (vgl. BGE
91 II 169 lit. e und den Vorschlag des Bundesrats auf Revision des
Art. 321 ZGB, BBl 1971 I 1245 ff., 1266/67, der diesen Unzukömmlichkeiten
abhelfen will). Der Vorschlag HEGNAUERS, in Fällen von der Art des
vorliegenden ein Ähnlichkeitsgutachten nur einzuholen, wenn Anhaltspunkte
für Mehrverkehr der Mutter bestehen, erscheint zunächst als bestechend,
ist aber abzulehnen, weil er die Beklagten in vielen Fällen vor unlösbare
Beweisschwierigkeiten stellen würde.

    Die strengen Voraussetzungen, unter denen der Antrag auf Einholung
eines AEG zum Beweis der Nichtvaterschaft nach BGE 91 II 169 als
rechtsmissbräuchlich zurückgewiesen werden könnte, sind im vorliegenden
Falle offensichtlich nicht erfüllt.

    Dem Antrag des Beklagten auf Anordnung eines AEG ist daher zu
entsprechen.