Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 II 116



97 II 116

18. Urteil der II. Zivilabteilung vom 13. Mai 1971 i.S. L. und H. gegen H.
Regeste

    Anfechtung der Ehelichkeit (Art. 254 ZGB).

    Genügt eine nach kantonalem Recht als Beweismittel zugelassene Aussage
in der Parteibefragung den strengen Anforderungen, welche Art. 254 ZGB
an den Nachweis der Unmöglichkeit der Vaterschaft stellt? Frage offen
gelassen. Eine solche Aussage darf aber nach Bundesrecht jedenfalls dann
bei der Beweiswürdigung berücksichtigt werden, wenn sie noch durch weitere
gewichtige Indizien gestützt wird.

Sachverhalt

    A.- H., geb. 1918, heiratete im Oktober 1956 die im Jahre 1936
geborene W. Dieser Ehe entsprossen fünf Kinder. Seit dem 28. Mai 1965
leben die Ehegatten getrennt, der Ehemann in Bern und die Ehefrau in
Basel. Am 4. Juli 1967 gebar die Ehefrau ein sechstes Kind, M., welches im
Zivilstandsregister als eheliches Kind der Eheleute H. eingetragen wurde.

    B.- Am 5. Mai 1965 hatte der Ehemann beim Zivilamtsgericht Bern eine
Scheidungsklage eingereicht, die am 21. Juni 1968 gestützt auf Art. 137
ZGB gutgeheissen wurde; die Widerklage der Ehefrau wurde abgewiesen. Diese
trug sich im Jahre 1965 mit der Absicht, den Franzosen G. zu heiraten. In
der Folge konnte sie diese Absicht nicht verwirklichen. Nach der Scheidung
verheiratete sie sich in zweiter Ehe mit L.

    C.- H. klagte am 8. August 1967 in seinem Heimatkanton Solothurn
auf Aberkennung der Ehelichkeit des Kindes M. Er machte geltend, er
habe seit März 1965 keinen intimen Verkehr mit seiner von ihm getrennt
lebenden Ehefrau gehabt, während diese seit der Trennung zahlreiche
ehewidrige Verhältnisse unterhalten habe. Zum Beweis seiner Vorbringen
beantragte er u.a. die Anordnung einer Blutuntersuchung und den Beizug
eines anthropologisch-erbbiologischen Gutachtens. Demgegenüber behauptete
die Beklagte, zwischen den Ehegatten hätten auch nach dem 28. Mai 1965
noch intime Beziehungen stattgefunden.

    Der Amtsgerichtspräsident ordnete am 24. Oktober 1968 die Durchführung
einer Blutexpertise an. Auf einen gegen diese Verfügung erhobenen Rekurs
trat das Obergericht des Kantons Solothurn am 22. November 1968 nicht
ein. In der Folge verweigerte die Mutter eine Blutentnahme bei sich selber
und liess auch beim Kind keine Blutuntersuchung zu.

    Das Amtsgericht stellte am 8. Juli 1969 in Gutheissung der
Ehelichkeitsanfechtungsklage fest, dass M. das aussereheliche Kind der
beklagten Mutter sei.

    D. - Die Beklagte und das Kind M. erhoben gegen dieses Urteil
Appellation an das Obergericht des Kantons Solothurn. Mit Beschluss vom
19. Februar 1970 trat das Obergericht auf die Appellation des Kindes
nicht ein, da dessen Beistand der Appellation nicht zugestimmt hatte. Die
Appellation der Beklagten wurde vom Obergericht am 2. Juli 1970 abgewiesen
und das Urteil der ersten Instanz bestätigt.

    Zur Begründung führte das Obergericht im wesentlichen aus, auf die
Aussage des Klägers im Parteiverhör, es hätten nach der Trennung der
Ehegatten am 28. Mai 1965 keine intimen Beziehungen mehr stattgefunden,
könne gemäss § 155 der ZPO des Kantons Solothurn abgestellt werden, da
diese Aussage im Hinblick auf den Charakter des Klägers als glaubwürdig
erscheine. Demgegenüber habe die Beklagte nachgewiesenermassen mehrmals
gelogen. Entgegen ihren Behauptungen habe sie vor dem 28. Mai 1965 dreimal
Ehebruch begangen; zudem habe sie während der kritischen Zeit einen
unseriösen Lebenswandel geführt. Dass sie die Blutprobe verweigert habe,
könne keinen andern Grund haben, als dass sie während der kritischen Zeit
mit einem Dritten intim verkehrt habe. Wenn sie dies im Prozess verneine,
so sage sie nicht die Wahrheit. Im übrigen habe sie sich durch weitere
prozesstaktische Lügen als unglaubwürdig gezeigt.

    Dass zwischen den Parteien in der kritischen Zeit eine Beiwohnung
stattgefunden habe, sei aber auch in psychischer Hinsicht unwahrscheinlich.
Dies ergebe sich einmal aus der Tatsache, dass die Ehegatten einen
ganz ausserordentlich heftigen Scheidungsprozess geführt hätten, der
in der zweiten Hälfte des Jahres 1966, insbesondere im Monat Oktober,
seinen Höhepunkt erreicht habe. Darüber hinaus hätten die Parteien noch
gegeneinander mehrere Strafprozesse geführt, so der Kläger mit dem Vorwurf
eines vorsätzlichen Tötungsversuchs durch die Beklagte. Die Trennung im
Mai 1965 sei von den Parteien als endgültig betrachtet worden. Selbst nach
den Aussagen der Beklagten wäre es nur einmal, nämlich im Oktober 1966,
zu einer Begegnung und zu Geschlechtsverkehr gekommen. Sie habe aber keinen
Grund für diesen einmaligen intimen Kontakt mit dem Kläger angeben können.

    E.- Gegen dieses Urteil des Obergerichts hat die Beklagte für sich
und namens des Kindes M. Berufung an das Bundesgericht eingereicht mit
dem Antrag, die Ehelichkeitsanfechtungsklage abzuweisen.

    F.- Der Kläger beantragt, auf die Berufung nicht einzutreten, eventuell
die Berufung der Beklagten abzuweisen, subeventuell die Sache zu neuer
Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Mit Zwischenentscheid vom 19. Februar 1970 hat das Obergericht
des Kantons Solothurn entschieden, die von der beklagten Mutter im Namen
des Kindes M. erklärte Appellation sei nicht gültig, weil allein der
gemäss Art. 392 ZGB ernannte Beistand des Kindes berechtigt gewesen
wäre, das erstinstanzliche Urteil im Namen des Kindes weiterzuziehen,
was dieser jedoch nicht getan habe.

    Wer legitimiert ist, im Namen des Kindes ein Rechtsmittel zu erheben,
ist eine Frage des materiellen Bundesrechts, die grundsätzlich gemäss
Art. 43 OG mit der Berufung an das Bundesgericht weiterziehbar ist. Da
es sich beim Entscheid vom 19. Februar 1970 um einen selbständigen
Zwischenentscheid im Sinne von Art. 49 OG handelt, hätte die Beklagte, wenn
sie mit der Auffassung des Obergerichts nicht einig ging, diesen Entscheid
binnen 30 Tagen beim Bundesgericht anfechten sollen. Die Berufung vom
10. November 1970 ist daher, soweit sie im Namen des Kindes erhoben wurde,
verspätet, weshalb auf sie in dieser Beziehung nicht einzutreten ist.

Erwägung 2

    2.- Ist ein Kind wenigstens 180 Tage nach Abschluss der Ehe geboren, so
dringt der Ehemann gemäss Art. 254 ZGB mit der Anfechtungsklage nur durch,
wenn er nachweist, dass er unmöglich der Vater des Kindes sein könne.
Absolute Unmöglichkeit der Vaterschaft liegt zunächst in jenen Fällen vor,
in denen während der Zeit, da die Empfängnis stattgefunden haben kann,
ein ehelicher Verkehr unmöglich war. Ausser der physischen Unmöglichkeit
der Beiwohnung hat die Rechtsprechung ferner die sog. "moralische" oder
psychische Unmöglichkeit einer Beiwohnung als genügend anerkannt. Da das
Gesetz indessen nicht einen Nachweis der Unmöglichkeit der Beiwohnung,
sondern nur der Vaterschaft des Ehemannes verlangt, ist auch der Nachweis
tauglich, dass trotz erfolgtem Geschlechtsverkehr der Ehegatten ein Dritter
der Erzeuger sein muss. Endlich lässt die Rechtsprechung die Anwendung von
Art. 254 ZGB auch dann zu, wenn bewiesen wird, dass zwischen den Ehegatten
um die Zeit der Empfängnis trotz allfällig vorhandener Möglichkeit
tatsächlich kein Geschlechtsverkehr stattgefunden hat; denn auch in
diesem Fall ist die Vaterschaft des Ehemannes physisch unmöglich. Der
Ehemann kann daher die Anfechtungsklage auch dadurch begründen, dass
er ganz allgemein und schlechthin nachweist, dass zwischen ihm und der
Ehefrau in der kritischen Zeit kein Geschlechtsverkehr stattgefunden hat
(BGE 83 II 3 und 82 II 502).

    Diese Frage ist eine rein tatsächliche; die Feststellung der letzten
kantonalen Instanz hierüber ist daher für das Bundesgericht verbindlich
(Art. 63 Abs. 2 OG). Für diesen Nachweis gelten nach der Rechtsprechung
die für den Scheidungsprozess aufgestellten bundesrechtlichen
Verfahrensgrundsätze von Art. 158 Ziff. 1 und 3 ZGB analog; danach
sind Parteierklärungen für den Richter nicht verbindlich, und er darf
behauptete Tatsachen nur dann als erwiesen annehmen, wenn er sich von deren
Vorhandensein überzeugt hat (BGE 83 II 4 Erw. 1 und 85 II 175 Erw. 4).

Erwägung 3

    3.- Das Kind M. wurde nach über zehnjähriger Dauer der Ehe der
Parteien geboren. Die Ehegatten waren zur Zeit der Empfängnis nicht durch
richterliches Urteil getrennt, weshalb Art. 255 ZGB nicht in Betracht
kommt. Der Kläger versucht, die Unmöglichkeit seiner Vaterschaft mit
dem Vorbringen darzutun, er habe während der vom 7. September 1966 bis
zum 5. Januar 1967 dauernden kritischen Zeit keinen ehelichen Verkehr
mit der Beklagten gehabt. Dass er trotz allfälliger geschlechtlicher
Beziehungen mit der Beklagten als Vater des Kindes nicht in Betracht
komme, konnte er vor den kantonalen Instanzen nicht nachweisen, da
die Beklagte die entsprechenden Abklärungen - nämlich die Durchführung
einer Blutexpertise und den Beizug eines anthropologisch-erbbiologischen
Gutachtens - vereitelte.

    Die Vorinstanz hat angenommen, der Kläger habe den Nachweis erbracht,
dass zur Zeit der Empfängnis des Kindes M. zwischen den Ehegatten kein
Geschlechtsverkehr stattgefunden habe. Es ist zu prüfen, ob die Vorinstanz
dabei gegen die in Art. 158 Ziff. 1 und 3 ZGB enthaltenen bundesrechtlichen
Verfahrensgrundsätze verstossen hat oder nicht.

    a) Die Beklagte hatte in der Klageantwortschrift vor erster
Instanz noch behauptet, die Parteien hätten während des Getrenntlebens
intime Beziehungen unterhalten. In dem von der Vorinstanz durchgeführten
Parteiverhör verdeutlichte sie indessen diese Ausführungen mit der Aussage,
während des seit dem 28. Mai 1965 andauernden Getrenntlebens habe sie der
Kläger ein einziges Mal anfangs Oktober 1966 in ihrer Wohnung in Basel
besucht, wobei es zum Geschlechtsverkehr gekommen sei.

    Die Vorinstanz nahm gestützt auf diese Aussage und die Erklärungen
des Klägers sowie in Berücksichtigung der weitern Umstände an, wenn es
überhaupt zum Geschlechtsverkehr zwischen den Parteien gekommen sei,
dann sei dies höchstens ein einziges Mal und zwar zu Beginn des Monats
Oktober 1966 geschehen. Mit dieser Annahme verletzte das Obergericht kein
Bundesrecht und insbesondere nicht die Beweisregeln von Art. 158 ZGB.

    b) Demgegenüber behauptete der Kläger, es sei anfangs Oktober 1966
weder zu einem Besuch bei der Beklagten in Basel noch zu Geschlechtsverkehr
gekommen. Beide Parteien haben ihre Aussagen im Parteiverhör gemacht. Die
Parteibefragung, wie sie § 155 ff. der ZPO des Kantons Solothurn
vorsieht, ist grundsätzlich ein nach Bundesrecht zulässiges Beweismittel
(vgl. BGE 80 II 295 ff. und 71 II 127 f.). Ob dieses Beweismittel aber
auch den strengen Anforderungen, welche Art. 254 ZGB an den Nachweis
der Unmöglichkeit der Vaterschaft stellt, genügt, hat das Bundesgericht
bisher offen gelassen (BGE 82 II 506 f. und 62 II 80). Indessen ist mit
der Vorinstanz anzunehmen, dass eine in der Parteibefragung gemachte
Aussage jedenfalls dann berücksichtigt werden soll, wenn sie noch durch
weitere gewichtige Indizien gestützt wird.

    Das Obergericht hat die Aussagen beider Parteien gewürdigt und ist
zum Schluss gelangt, dass die Darstellung des Klägers glaubwürdig sei;
denn er habe sich in den zahlreichen Prozessen zwischen den Parteien stets
als wahrheitsliebend erwiesen. Die Aussage der Beklagten wurde dagegen als
unglaubwürdig befunden, weil die Beklagte nicht nur zu prozesstaktischen
Bestreitungen Zuflucht genommen hatte, sondern auch eigentlicher Lügen
überführt werden konnte.

    Die Vorinstanz hat aber nicht nur auf die als glaubwürdig erachtete
Aussage des Klägers abgestellt, sondern noch zahlreiche Indizien
berücksichtigt, welche ebenfalls für die Richtigkeit der Darstellung
des Klägers sprechen. So haben die Parteien seit ihrer Trennung vom
28. Mai 1965 die persönlichen Beziehungen abgebrochen und nur noch über
ihre Rechtsvertreter miteinander Kontakt gehabt. Wie das Beweisverfahren
ergeben hat, erreichten die Spannungen im Scheidungsprozess der Parteien
ausgerechnet im Oktober 1966 ihren Höhepunkt. Der Kläger stellte damals
aus Wut über die Beklagte, die er eines liederlichen Lebenswandels
verdächtigte, seine Unterhaltsleistungen ein. Die Beklagte drohte daraufhin
mit einer Strafklage wegen Vernachlässigung der Unterstützungspflichten,
die sie später auch tatsächlich einreichte. Zwischen dem 15. September
und dem 7. Oktober 1966 besprach der Kläger mit seinem Anwalt eine
Eingabe in einem hängigen Strafverfahren, mit welcher der Vorwurf
gegenüber der Beklagten, sie habe ihn zu töten versucht, erhärtet werden
sollte. Schliesslich widerlegte das Obergericht die These der Beklagten,
sie habe im Oktober 1966 eine Versöhnung mit dem Kläger gewünscht und zu
diesem Zwecke den einmaligen Geschlechtsverkehr erstrebt.

    Wenn das Obergericht auf Grund seiner Würdigung der Parteiaussagen
und gestützt auf die angeführten Indizien den Schluss gezogen hat, der
von der Beklagten behauptete einmalige Geschlechtsverkehr mit dem Kläger
anfangs Oktober 1966 habe nicht stattgefunden, so verstiess es nicht
gegen Beweisregeln des eidgenössischen Rechts. Das Obergericht hat die
Aussagen der Parteien nach seiner freien Überzeugung (§ 153 ZPO), aber
mit äusserster Vorsicht gewürdigt und auf die Darlegungen des Klägers
nur deshalb abgestellt, weil sie durch zahlreiche Indizien gestützt
wurden. Dieses Vorgehen ist nicht bundesrechtswidrig.

    c) Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass der Kläger um die Zeit
der Empfängnis des Kindes M. mit der Beklagten keinen Geschlechtsverkehr
hatte. Zudem hat die Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich
festgestellt, dass die Beklagte in der kritischen Zeit einen unseriösen
Lebenswandel führte. Das Obergericht hat daraus zu Recht den Schluss
gezogen, der Kläger könne unmöglich der Vater des am 4. Juli 1967 geborenen
Kindes der Beklagten sein. Die Frage, ob die weitere Feststellung der
Vorinstanz, der Kläger habe auch den Nachweis erbracht, dass die psychische
Einstellung der Ehegatten eine Beiwohnung trotz bestehender Gelegenheit als
ausgeschlossen erscheinen lasse, gegen eine bundesrechtliche Beweisregel
verstosse, kann unter diesen Umständen offen bleiben. Die Berufung ist
nach dem Ausgeführten abzuweisen.

Entscheid:

                  Demnach erkennt das Bundesgericht:

    1.- Auf die von der Berufungsklägerin namens des Kindes M. eingereichte
Berufung wird nicht eingetreten.

    2.- Die Berufung wird abgewiesen und das angefochtene Urteil bestätigt.