Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 97 III 23



97 III 23

7. Entscheid vom 20. Januar 1971 i.S. Steueramt Winterthur. Regeste

    Unpfändbarkeit eines aus Beiträgen des Arbeitgebers und des
Arbeitnehmers gespiesenen Sparhefts, das eine Gemeindeverwaltung
aus Gründen der Personalfürsorge bei einer Bank auf den Namen
eines Aushilfsangestellten der Gemeinde angelegt hat und auf dessen
Aushändigung der Angestellte nach der kommunalen Verordnung, welche das
Anstellungsverhältnis regelt, wenigstens einstweilen nur eine unsichere
Anwartschaft besitzt.

Sachverhalt

    A.- E. ist ein vollbeschäftigter Aushilfsarbeiter der Stadtverwaltung
Winterthur. Für solche Arbeiter werden nach §§ 28/29 in Verbindung mit §
9 des Regulativs über das Aushilfspersonal der Stadtverwaltung Winterthur
vom 26. August 1965 bei der Zürcher Kantonalbank auf den Namen des
Arbeitnehmers lautende Sparhefte angelegt, auf welche die Stadtverwaltung
5% des Lohnbetrags zu ihren Lasten und weitere 5% unter Abzug vom Lohn
einzahlt. Diese Sparhefte werden nach § 10 des Regulativs von der Stadt
verwaltet; der Angestellte kann während der Dauer der Anstellung nicht
darüber verfügen. § 11 des Regulativs lautet:

    "Wird der Aushilfsangestellte zu einem spätern Zeitpunkt in ein
festes Anstellungsverhältnis übernommen und tritt er der Pensionskasse
als vollversichertes Mitglied bei, so wird das Sparguthaben, soweit es
den persönlichen Einzahlungen des Angestellten entstammt, für seinen
eigenen Anteil am Einkauf in die Kasse verwendet, ebenso insoweit, als
die Einzahlungen von der Stadt vor dem 30. Altersjahr der Angestellten
geleistet wurden. Die übrigen städtischen Einzahlungen werden auf
den Arbeitgeberanteil am Eintrittsgeld (§ 34 PSt [= Personalstatut])
angerechnet. Der Teil des Sparguthabens, der für den Pensionskasseneinkauf
nicht benötigt wird, bleibt dem Angestellten frei überlassen.

    Beim Eintritt in die Sparversicherung wird der Betrag des Sparheftes
im ganzen Umfang dem Sparkonto zugeschrieben, das dem Angestellten bei
der Kasse eröffnet wird. Auf Wunsch kann der Angestellte in einem solchen
Fall über das gesamte Guthaben frei verfügen, wenn er noch nicht dreissig
Jahre alt ist. Ein mehr als Dreissigjähriger kann auf Wunsch über den Teil
des Sparguthabens verfügen, der auf Einzahlungen vor seinem dreissigsten
Altersjahr zurückgeht. Für den Fall zusätzlicher Einzahlungen im Sinne
von § 34 Abs. 3 PSt sowie bei späterem Übertritt des Sparversicherten in
die Vollversicherung findet der vorstehende Abs. 1 sinngemäss Anwendung".

    Tritt der Aushilfsangestellte aus dem städtischen Dienst aus, so wird
ihm das Sparheft nach § 12 Abs. 1 des Regulativs zur freien Verfügung
gestellt, doch kann sich die Stadtverwaltung in einem solchen Falle nach
§ 12 Abs. 2 vorher für eigene Forderungen gegenüber dem Austretenden aus
dem Sparguthaben bezahlt machen. Für den Fall des Austritts wegen Alters
oder Invalidität behält sich der Stadtrat nach § 12 Abs. 3 Anordnungen
über eine ratenweise Auszahlung vor.

    B.- In der Betreibung Nr. 94 009, die das Steueramt der Stadt
Winterthur für die Staats- und Gemeindesteuern der Jahre 1967 und 1968
gegen E. führt, pfändete das Betreibungsamt Winterthur I am 20. März 1970,
nachdem sich der Schuldner zu monatlichen Abzahlungen von Fr. 200.--
verpflichtet hatte, unter Aufhebung der Ende Januar vollzogenen Pfändung
eines monatlichen Lohnbetrages von Fr. 478.-- das Sparguthaben des
Schuldners bei der Zürcher Kantonalbank im Betrage von Fr. 1316.70
nebst Zins laut Sparheft Nr. 576 900, das die Stadtverwaltung nach den
angeführten Bestimmungen auf den Namen des Schuldners errichtet und bei
der Bank hinterlegt hatte.

    Auf Beschwerde des Schuldners hob die untere Aufsichtsbehörde diese
Pfändung mit Entscheid vom 27. August 1970 auf.

    Die obere kantonale Aufsichtsbehörde wies den Rekurs des Steueramtes
gegen diesen Entscheid am 22. Dezember 1970 ab.

    C.- Den Entscheid der obern kantonalen Aufsichtsbehörde hat das
Steueramt an das Bundesgericht weitergezogen mit dem Antrag auf Abweisung
der Beschwerde.

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer weist den Rekurs ab.

Auszug aus den Erwägungen:

Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Was Gegenstand einer Pfändung im Sinne von Art. 89 ff. SchKG
sein kann, ist eine Frage des Bundesrechts. Nach Bundesrecht sind
grundsätzlich alle Vermögensrechte des Schuldners pfändbar (FRITZSCHE,
Schuldbetreibung und Konkurs, I, 1967, S. 191). Eine ausdrückliche
Vorschrift des Bundesrechts, nach welcher Sparguthaben wie das streitige
unpfändbar oder nur beschränkt pfändbar wären, besteht nicht. (Auf Grund
von Art. 92 Ziff. 5 SchKG den Betrag freizugeben, der zur Anschaffung der
für die zwei auf die Pfändung folgenden Monate notwendigen Nahrungs- und
Feuerungsmittel erforderlich ist, käme nur in Frage, wenn es sich wie im
Falle BGE 91 III 57 ff. um ein Sparguthaben handelte, das für eine solche
Anschaffung flüssig gemacht oder doch - vgl. BGE 78 III 163 - belehnt
werden könnte, was nicht zutrifft. Im übrigen könnte der Rekursgegner,
der ein regelmässiges Lohneinkommen bezieht, nicht verlangen, dass seinem
Bedarf nach Nahrungs- und Feuerungsmitteln sowohl nach Art. 92 Ziff. 5
SchKG als auch bei der Festsetzung des unpfändbaren Lohnbetrags nach
Art. 93 SchKG Rechnung getragen werde; vgl. BGE 77 III 153 ff. E. 4 c;
78 III 118 E. 2 und 163/64.) Zu prüfen bleibt daher nur, ob der Anspruch
des Rekursgegners auf das streitige Sparguthaben unabhängig von den
Unpfändbarkeitsbestimmungen des Bundesrechts, die zur Hauptsache auf
sozialpolitischen Erwägungen beruhen und die Frage, welche Gegenstände
aus solchen Gründen nicht gepfändet werden dürfen, abschliessend regeln,
seiner rechtlichen Natur nach der Pfändung entzogen sei. Die rechtliche
Natur eines Anspruchs, dessen Pfändung in Frage steht, beurteilt sich
nach den Normen, die ihn beherrschen, gegebenenfalls also nach den
einschlägigen Bestimmungen des kantonalen oder kommunalen Rechts. Ob
die hienach bestimmte Natur des Anspruchs dessen Pfändung ausschliesse,
entscheidet sich nach Bundesrecht.

Erwägung 2

    2.- Obwohl das streitige Sparguthaben auf den Namen des Rekursgegners
lautet, kann dieser nach § 10 des Regulativs über das Aushilfspersonal der
Stadtverwaltung Winterthur, dessen wesentlichen Inhalt die Vorinstanz in
ihrem Entscheide festgestellt hat, während der Dauer seiner Anstellung
über das Guthaben nicht verfügen. Es ist zudem sehr unsicher, ob
er überhaupt jemals frei über dieses Guthaben wird verfügen können.
Falls er fest angestellt werden sollte, würde das Sparguthaben nach §
11 des Regulativs je nachdem, ob er als vollversichertes Mitglied in
die Pensionskasse aufgenommen würde oder der Sparversicherung beiträte,
für den Einkauf in die Pensionskasse verwendet oder dem Sparkonto bei
der Pensionskasse gutgeschrieben. (Die Voraussetzungen, unter denen dem
bisherigen Aushilfsangestellten nach § 11 des Regulativs bei Begründung
eines festen Anstellungsverhältnisses ein gewisser Teil des Sparguthabens
zur freien Verfügung überlassen wird, werden sich beim Rekursgegner
kaum verwirklichen.) Wird das Sparguthaben für den Einkauf in die
Pensionskasse verwendet oder dem Sparkonto gutgeschrieben, so steht
dem Rekursgegner nur noch ein Anspruch auf die Leistungen zu, welche die
städtische Personalfürsorgeeinrichtung beim Eintritt der im Personalstatut
oder in den Kassenstatuten niedergelegten Voraussetzungen zu erbringen
hat. Dafür, dass der Rekursgegner in absehbarer Zeit aus dem städtischen
Dienst austreten werde, bestehen keine Anhaltspunkte. Im übrigen stünde ihm
das Sparguthaben auch im Falle des Austritts nicht unter allen Umständen
zur freien Verfügung, sondern die Stadtverwaltung hätte (abgesehen von
dem ihr nach § 12 Abs. 2 des Regulativs zustehenden Verrechnungsrecht)
bei einem Austritt wegen Alters oder Invalidität nach § 12 Abs. 3 des
Regulativs die Möglichkeit, die ratenweise Auszahlung anzuordnen (und
dabei nötigenfalls auch auf die Interessen unterstützungsberechtigter
Angehöriger Rücksicht zu nehmen). Angesichts dieser Regelung, die in
Übereinstimmung mit der allgemeinen Tendenz des Personalfürsorgerechts
(vgl. z.B. Art. 343bis Abs. 4 OR) eine Zweckentfremdung der für die
Personalfürsorge bereitgestellten Mittel verhüten will, handelt es sich
beim Anspruch des Rekursgegners auf das für ihn angelegte Sparguthaben
einstweilen um ein erst teilweise entstandenes Recht. Die Entstehung des
vollen Rechts auf dieses Guthaben ist Bedingungen unterworfen, von denen
ungewiss ist, ob und allenfalls wann sie eintreten. Das Sparguthaben
stellt also für den Rekursgegner vorderhand nur ein bedingtes, rein
hypothetisches Aktivum dar, ähnlich wie das nach BGE 62 II 12 f. E. 3
und 84 II 3 E. 2 für ein Mitglied einer Pensionskasse hinsichtlich der
Ansprüche auf die Kassenleistungen zutrifft, solange die statutarischen
Voraussetzungen dieser Leistungen nicht erfüllt sind (vgl. HEINZ MEYER,
Personalvorsorge und Zwangsvollstreckung, BlSchK 1969 S. 97 ff., 99). Der
Rekursgegner hat also einstweilen nur eine unsichere Anwartschaft auf
das auf seinen Namen angelegte Spargeld.

    Ein Anspruch, der in Wirklichkeit nur den Charakter einer solchen
Anwartschaft hat, ist nicht pfändbar (JAEGER N. 1 B zu Art. 92 SchKG, S.
252/53; FAVRE, Droit des poursuites, 2. Aufl., S. 181 unter II 2; FRITZSCHE
aaO S. 219 unter B). Der entscheidende Grund hiefür liegt darin, dass die
Verwertung eines derartigen Anspruchs - soweit sie rechtlich überhaupt
möglich wäre - zu einer sinnlosen Vermögensverschleuderung führen
würde (vgl. ADRIAN STAEHELIN, Probleme aus dem Grenzbereich zwischen
Privat- und Zwangsvollstreckungsrecht, 1968, S. 27 ff.). Ein allfälliger
Erwerber des Anspruchs müsste nämlich die Beschränkungen und Bedingungen,
denen dieser Anspruch nach den Bestimmungen des angeführten Regulativs
unterliegt, gegen sich gelten lassen, so dass die Veräusserung - wenn
überhaupt - zweifellos nur zu einem Schleuderpreis erfolgen könnte. Mit
der Verwertung zuzuwarten, bis sich zeigt, ob der Schuldner über das
Sparguthaben verfügen kann oder nicht, geht im Hinblick auf die für
das Verwertungsbegehren und die Verwertung geltenden Fristen (Art. 116,
122 SchKG) nicht an. Auf dem Wege der Überweisung zur Eintreibung gemäss
Art. 131 Abs. 2 SchKG lässt sich ein Anspruch, der einer möglicherweise
erst viel später oder überhaupt nicht eintretenden Bedingung unterliegt,
nicht verwerten; denn dadurch würde das Betreibungsverfahren, das erst
nach der Geltendmachung des "überwiesenen" Anspruchs abgeschlossen werden
kann, unter Umständen in untragbarer Weise verlängert.

    Das streitige Sparguthaben stellt daher wenigstens einstweilen kein
pfändbares Aktivum des Rekursgegners dar. (Zur Frage der Pfändbarkeit
dieses Guthabens nach einer allfälligen Freigabe vgl. BGE 78 III 107
ff. mit Hinweisen.)