Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 96 V 85



96 V 85

23. Auszug aus dem Urteil vom 30. Juni 1970 i.S. Minder gegen
Ausgleichskasse für das Installations-, Spengler- und Bedachungsgewerbe
und Verwaltungsgericht des Kantons Bern Regeste

    Art. 36 Abs. 2 IVG, Art. 30bis AHVG und Art. 51 Abs. 3 AHVV.

    Die Normen, welche die IV-Renten-Bezugsperioden von der Berechnung der
AHV-Rente ausschliessen, sind auf Taggeldperioden nicht analog anwendbar.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Für die Berechnung der Invalidenrenten sind unter anderem die
Art. 30bis AHVG und Art. 51 AHVV sinngemäss anwendbar (Art. 36 Abs. 2
IVG und Art. 32 IVV).

    Nach Art. 30bis AHVG ist der Bundesrat "befugt, besondere
Vorschriften zu erlassen, namentlich über die Anrechnung der Bruchteile
von Beitragsjahren und der entsprechenden Erwerbseinkommen, über die
ersatzweise Anrechnung von Beitragsjahren und Erwerbseinkommen der
Ehefrau bei unvollständiger Beitragsdauer des Ehemannes und über die
Nichtanrechnung der während des Bezuges einer Invalidenrente zurückgelegten
Beitragsjahre und erzielten Erwerbseinkommen". In Ausführung dieser
Bestimmung hat der Bundesrat in Art. 51 Abs. 3 AHVV folgendes angeordnet:

    "Bei der Ermittlung des durchschnittlichen Jahreseinkommens
von Versicherten, die eine Invalidenrente nicht unmittelbar vor der
Entstehung des Anspruchs auf eine Alters- oder Hinterlassenenrente bezogen
haben, werden die während des Bezugs der Invalidenrente zurückgelegten
Beitragsjahre und das entsprechende Erwerbseinkommen nicht angerechnet,
falls dies für die Berechtigten vorteilhafter ist."

    Der Beschwerdeführer meint, auch die während der Dauer
des Taggeldbezugs zurückgelegten Beitragsjahre seien nicht zu
berücksichtigen. Es könne nicht der Wille des Gesetzgebers sein, die
Bezüger von Taggeld schlechter zu behandeln als die Bezüger temporärer
Invalidenrenten. Art. 30bis AHVG weise eine durch analoge Anwendung des
Art. 51 Abs. 3 AHVV auszufüllende Gesetzeslücke auf.

Erwägung 2

    2.- Dem vom klägerischen Rechtsvertreter aufgeworfenen Problem
kommt allgemeine Bedeutung zu. Man kann sich nämlich fragen,
ob bei der Berechnung der AHV- und Invalidenrenten nicht nur
Taggeldperioden der Invalidenversicherung, sondern auch solche
anderer Sozialversicherungszweige, beispielsweise der Arbeitslosen-
und der Militärversicherung, der Kranken- und der obligatorischen
Unfallversicherung, ausser acht gelassen werden müssten, wenn die in
Art. 30bis AHVG und Art. 51 Abs. 3 AHVV getroffene Regelung analog für die
Bezugsdauer von Taggeldern der Invalidenversicherung gelten würde. Ja
man müsste sich sogar fragen, ob eine solche Ordnung nicht auf die
Taggeldleistungen von Versicherungsträgern jeglicher Art im Sinn des Art. 6
Abs. 2 lit. b AHVV auszudehnen wäre. Ohne Zweifel kann aber ein derartiger
Sinn den zitierten Gesetzesbestimmungen nicht beigemessen werden.

Erwägung 3

    3.- Was insbesondere die Anrechnung von Taggeldperioden der
Invalidenversicherung betrifft, so mag es im vorliegenden Fall verständlich
erscheinen, dass der Beschwerdeführer die ungleiche Behandlung der
Renten- und der Taggeldbezüger als stossend empfindet: er hat während der
verhältnismässig langen Dauer von mehr als 2 Jahren Taggelder bezogen,
und er erhielte ohne Anrechnung dieser Taggeldperiode eine um 10% höhere
Rente als die ihm verfügungsmässig zugesprochene.

    Dennoch kann der Rechtsauffassung des Versicherten nicht beigepflichtet
werden. Zunächst erwähnt der Wortlaut des Art. 51 Abs. 3 AHVV lediglich
die Nichtanrechnung von Rentenbezugsperioden und nicht auch von
Taggeldperioden. Es handelt sich dabei um eine Ausnahme von der für die
Ermittlung des massgebenden durchschnittlichen Jahreseinkommens gültigen
Ordnung. Sie ist überdies eine Vollzugsvorschrift zur Sonderregelung
des Art. 30bis AHVG. Daher widerspräche die analoge Behandlung von
Renten- und Taggeldbezugsperioden dem Grundsatz, dass gesetzliches
Ausnahmerecht nicht extensiv interpretiert werden darf. Die gesetzliche
Ordnung findet übrigens ihre Rechtfertigung darin, dass die Taggeldbezüge
eines Versicherten regelmässig kürzere Zeit dauern als der Lauf einer
zugesprochenen Rente und daher die beitragsrechtliche Situation nicht
wesentlich beeinflussen. Dass im vorliegenden Fall während über 2 Jahren
Taggelder gewährt wurden, ist eine Ausnahme, welche die Gleichbehandlung
der Renten- und Taggeldbezüger im Rahmen des Art. 51 Abs. 3 AHVV nicht zu
begründen vermag. Wegen des erwähnten Unterschieds zwischen Renten- und
Taggeldbezug kann - entgegen der Auffassung der Ausgleichskasse - auch
nicht angenommen werden, das Fehlen der von den Parteien befürworteten
Ordnung beruhe auf einem "Versehen anlässlich der Beratungen".

    Daraus ergibt sich, dass keine echte Gesetzeslücke besteht. Die
Art. 29bis ff. AHVG regeln die Berechnung der ordentlichen AHV- und
Invalidenrenten abschliessend.