Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 96 V 79



96 V 79

20. Auszug aus dem Urteil vom 2. Juni 1970 i.S. Blender gegen
Ausgleichskasse des Kantons Luzern und Versicherungsgericht des Kantons
Luzern Regeste

    Art. 21bis Abs. 1 IVG, Art. 15 Abs. 1 und 16bis Abs. 2 IVV.

    Zum Recht des Invaliden, seinen Arbeitsplatz frei zu wählen und
zu wechseln.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Hat der Versicherte ein Hilfsmittel, auf das er Anspruch
besitzt, auf eigene Kosten angeschafft, so kann ihm die Versicherung
Amortisationsbeiträge gewähren (Art. 21bis Abs. 1 IVG und Art. 16bis Abs. 2
IVV). Gemäss Art. 15 Abs. 1 IVV werden Motorfahrzeuge dann abgegeben,
wenn der Versicherte voraussichtlich dauernd eine existenzsichernde
Erwerbstätigkeit ausübt und zur Überwindung des Arbeitsweges wegen
Invalidität auf ein persönliches Motorfahrzeug angewiesen ist.

Erwägung 2

    2.- Es ist mit Recht unbestritten, dass die Beschwerdeführerin an
ihrem heutigen Arbeitsplatz voraussichtlich dauernd ein existenzsicherndes
Erwerbseinkommen erzielt.

    Invalidenversicherungs-Kommission und Vorinstanz vertreten jedoch
die Auffassung, dass die Beschwerdeführerin die zweite Voraussetzung des
Art. 15 Abs. 1VV nicht erfülle, weil der Wechsel des Arbeitsplatzes nicht
invaliditätsbedingt gewesen sei und ohne diese Vorkehr die Anschaffung
eines persönlichen Motorfahrzeuges sich erübrigt hätte. Dieser Meinung
kann nicht gefolgt werden:

    Wie das Bundesamt zutreffend ausführt, hätte die Stellungnahme des
Versicherungsgerichts eine rechtsungleiche Behandlung der Versicherten zur
Folge. Je nach dem, ob ein Versicherter zu Beginn seiner Invalidität einen
längeren oder kürzeren Arbeitsweg zu überwinden hätte, würde ihm - bei
sonst gleichen invaliditätsbedingten Voraussetzungen - ein Motorfahrzeug
als Hilfsmittel zugesprochen oder nicht. Von solchen Zufälligkeiten darf
die Anspruchsberechtigung nicht abhängig gemacht werden.

    Die Auffassung von Invalidenversicherungs-Kommission und Vorinstanz
würde ferner dazu führen, dass vielen invaliden Versicherten zugemutet
würde, immer am gleichen Arbeitsplatz tätig zu sein. Die Rechtsprechung
hat aber wiederholt erkannt, dass das geltende Recht den Invaliden nicht
verpflichtet, die eigene Wohnung in die Nähe seines Arbeitsplatzes zu
verlegen, sondern ihm nur zumutet, in der Ortschaft, wo er erwerbstätig
ist, oder in deren Umgebung zu wohnen (EVGE 1963 S. 67). Demnach kann
er sich einen geeigneten Arbeitsplatz innerhalb seines Wohnortes oder
dessen Umgebung frei wählen. Folgerichtig muss ihm auch gestattet sein,
in diesem örtlichen Rahmen seine Arbeitsstelle zu wechseln, gleichgültig,
ob aus invaliditätsbedingten oder anderen Gründen. Entscheidend für die
Abgabe eines Motorfahrzeuges ist lediglich, dass die Invalidität des
Versicherten beim Antritt einer von seiner Wohnung entfernteren Stelle
die Benützung dieses Hilfsmittels im Sinn der gesetzlichen Vorschriften
als gerechtfertigt erscheinen lässt. Andernfalls würde das Erfordernis
einer qualifizierten Invalidität aufgestellt in dem Sinn, dass die an sich
vorhandene Invalidität als Leistungsvoraussetzung nicht genüge. Damit aber
wäre die freie Arbeitsplatzwahl innerhalb des zumutbaren Wohngebietes
in vielen Fällen wieder in Frage gestellt. Vorbehalten bleiben Fälle
missbräuchlicher Beanspruchung der Invalidenversicherung.