Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 96 V 72



96 V 72

17. Urteil vom 30. Juni 1970 i.S. Ausgleichskasse der Stickereiindustrie
gegen Erben des Züst und Rekurskommission für Sozialversicherung des
Kantons Appenzell AR Regeste

    Art. 47 Abs. 1 AHVG und Art. 79 Abs. 1 AHVV: Rückerstattung
unrechtmässig bezogener Renten.

    -  Mit dem Tod des Rückerstattungspflichtigen geht die
Rückerstattungsschuld - falls die Erbschaft nicht ausgeschlagen wurde -
auf die Erben über, doch ist den Erben der Erlass zu gewähren, wenn sie
selbst gutgläubig waren und die Rückerstattung eine grosse Härte für sie
bedeuten würde.

    - Frage offen gelassen, ob der von den Erben nachgesuchte Erlass
gewährt werden könne, wenn einzelne von ihnen die Voraussetzungen nicht
erfüllen.

Sachverhalt

    A.- Züst bezog bis 30. Juni 1969 eine ordentliche Ehepaar-Altersrente,
obschon seine Ehefrau am 2. Mai 1966 gestorben war. Mit Verfügung
vom 23. Juni 1969 forderte die Ausgleichskasse den zu Unrecht bezogenen
Betrag von Fr. 4216.-- zurück und wies gleichzeitig ein Erlassgesuch des
Versicherten ab. Am 24. Juni 1969 verfügte die Ausgleichskasse, dass von
der am 18. Juni 1969 zugesprochenen einfachen Altersrente von Fr. 246.--
ein Betrag von monatlich Fr. 70.- verrechnet werde. Sie stellte indessen
die Zahlungen vollständig ein, weil der Sohn des Versicherten, X. Züst,
ihr die Rückzahlung des Betrages von Fr. 4216.-- versprochen, sich aber
nicht daran gehalten habe.

    B.- Der Versicherte liess durch seinen Sohn X. Züst gegen die
Verfügung vom 23. Juni 1969 Beschwerde erheben mit dem Antrag auf Erlass
des zurückgeforderten Betrages von Fr. 4216.--. Die Rekurskommission für
Sozialversicherung des Kantons Appenzell AR hiess mit Entscheid vom 18.
Dezember 1969 (zugestellt am 2. Februar 1970) die Beschwerde gut und
erliess die Rückerstattung der zuviel bezogenen Altersrenten.

    Der Versicherte verstarb am 17. Januar 1970.

    C.- Die Ausgleichskasse hat am 6. Februar 1970
Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben mit dem Antrag auf Aufhebung des
Entscheides der Rekurskommission vom 18. Dezember 1969 und Bestätigung
der von ihr erlassenen Verfügung. Nach Angaben der Ausgleichskasse beläuft
sich der Rückforderungsbetrag noch auf Fr. 2494.--, nachdem von Juli 1969
bis Januar 1970 die ganze einfache Altersrente von monatlich Fr. 246.--
zurückbehalten worden war. Gemäss einer Mitteilung der Gemeindeverwaltung
vom 19. März 1970, die vom Vertreter der Erbengemeinschaft, X. Züst,
bestätigt wird, hat der Versicherte keine Vermögenswerte hinterlassen;
die Erben haben die Erbschaft nicht ausgeschlagen.

    Während die Rekurskommission auf eine Vernehmlassung
verzichtet, beantragt der Vertreter der Erbengemeinschaft Abweisung
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde und Auszahlung der von der
Ausgleichskasse unrechtmässig zurückbehaltenen einfachen Altersrente. Das
Bundesamt für Sozialversicherung schliesst auf Gutheissung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde und Aufhebung des Entscheides der
Rekurskommission, weil wegen des Todes des Versicherten das Erlassgesuch
nur von den Erben gestellt werden könne. Wenn die Erbschaft nicht
ausgeschlagen werde und die Erben ein Erlassgesuch stellten, sei zu prüfen,
ob diese die Voraussetzungen von Art. 79 Abs. 1 AHVV erfüllten.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Wie das Eidg. Versicherungsgericht wiederholt entschieden hat
(vgl. EVGE 1957 S. 144; EVGE 1959 S. 144), gehen die auf öffentlichem
Recht beruhenden Geldforderungen und Geldschulden des Erblassers mit seinem
übrigen Vermögen auf die Erben über. Der für zivilrechtliche Forderungen in
Art. 560 Abs. 2 ZGB aufgestellte Grundsatz der Schuldnachfolge gilt auch
für öffentlichrechtliche Schulden, sofern sie vermögensrechtlicher Natur
sind. Nachdem das AHVG keine abweichende Regelung getroffen hat, muss
dieser im Verwaltungsrecht allgemein geltende Grundsatz auch im Gebiete
der AHV Anwendung finden. Zum gleichen Schluss führt Art. 43 AHVV, der
mit der Verweisung auf die Art. 566, 589 und 593 ZGB die erbrechtliche
Schuldnachfolge voraussetzt. Die Rückerstattungsschuld des Erblassers
wird daher eine persönliche Schuld der Erben. Vorbehalten bleibt aber
eine allfällige Ausschlagung der Erbschaft gemäss Art. 566 ZGB.

    Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass der verstorbene Versicherte
seit dem Tod seiner Ehefrau von Juni 1966 bis 30. Juni 1969 die ordentliche
Ehepaar-Altersrente weiter erhalten hatte. Die Ausgleichskasse hat demnach
zu Recht den zu viel bezogenen Betrag von Fr. 4216.-- zurückgefordert. Dass
die Beschwerdegegner die Erbschaft ausgeschlagen haben, wird nicht
behauptet und ergibt sich auch nicht aus den Akten. Ebenfalls finden
sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Ausschlagung in Anwendung
von Art. 566 Abs. 2 ZGB zu vermuten wäre. Wohl soll der Versicherte
vermögenslos gewesen sein, aber es fehlt eine amtliche Feststellung der
Zahlungsunfähigkeit. Diese war auch nicht offenkundig, denn der Versicherte
kam im Altersheim seinen finanziellen Verpflichtungen regelmässig nach. Die
Schulden des Versicherten sind somit auf die Erben übergegangen...

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 47 AHVG und Art. 79 AHVV kann von der Rückforderung
unrechtmässig bezogener Renten abgesehen werden, wenn der Pflichtige
die Renten in gutem Glauben entgegengenommen hat und wenn die
Rückerstattung für ihn eine grosse Härte bedeuten würde. Obliegt die
Rückerstattungspflicht den Erben des verstorbenen Rentenbezügers, so
haben diese die Möglichkeit, auf Grund ihrer persönlichen Verhältnisse
um Erlass zu ersuchen. Er wird ihnen gewährt, wenn und soweit sie
persönlich die Erlassvoraussetzungen erfüllen. So hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht schon wiederholt entschieden (EVGE 1957 S. 145;
ZAK 1958 S. 107), wobei es die Frage noch offen liess, ob der von den
Erben nachgesuchte Erlass gewährt werden könne, wenn einzelne von ihnen
die Voraussetzungen nicht erfüllen.

    Die Vorinstanz hat das Erlassgesuch des Versicherten nach seinen
Verhältnissen beurteilt. Wie das Bundesamt für Sozialversicherung
zutreffend festhält, ist dieser Entscheid nach dem Tod des Versicherten
überholt und aufzuheben. Es ist jedoch nicht zweckmässig, die Erben ein
Erlassgesuch bei der Ausgleichskasse einreichen zu lassen, wie dies das
Bundesamt für Sozialversicherung vorschlägt. Vielmehr sind die Akten
an die Ausgleichskasse zurückzuweisen, damit sie prüfe, wie weit die
Voraussetzungen für den Rückforderungserlass bei den Erben gegeben
sind. Die Rückweisung an die Ausgleichskasse rechtfertigt sich um so
eher, als die Erben in der durch ihren Vertreter eingereichten Antwort
auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde erkennen lassen, dass sie auf dem
Erlassgesuch bestehen.

Erwägung 3

    3.- Trotzdem die Ausgleichskasse mit Verfügung vom 24. Juni 1969 nur
monatlich Fr. 70.- als Tilgung der Schuld von Fr. 4216.-- zur Verrechnung
stellte, sistierte sie die einfache Altersrente ganz. Dieses Vorgehen war
unzulässig, so dass die Ausgleichskasse dem Begehren der Beschwerdegegner
auf Auszahlung der zurückbehaltenen Rentenleistungen zu entsprechen
hat. Im Falle der Ablehnung des Erlassgesuches ist allerdings der Antrag
insofern gegenstandslos, als der zurückbehaltene Betrag denjenigen der
Rückforderung nicht erreicht. Anders könnte es sich dagegen bei einer
Gutheissung verhalten, denn der Erbe X. Züst will während der Zeit
der Rentensistierung für die Pensionskosten des Vaters im Altersheim
aufgekommen sein. In diesem Fall wären - sofern die Erlassvoraussetzungen
gegeben sind - die vom Sohn für den Vater geleisteten Zahlungen im Ausmass
des zu Unrecht von der Ausgleichskasse zurückbehaltenen Rentenbetrages
zurückzuerstatten.

Entscheid:

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: Die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen, der Entscheid
der Rekurskommission des Kantons Appenzell AR vom 18. Dezember 1969
aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an
die Ausgleichskasse zurückgewiesen.